Ludwigshafen: Neue Hochburg der AfD?
Die Bundestagswahl brachte einen massiven Ruck nach rechts. Die AfD konnte im Vergleich zur Wahl 2021 die Zahl ihrer Stimmen mehr als verdoppeln (von 4,7 auf 10.3 Millionen). Erstmals gewann die Partei auch in westdeutschen Kreisen die Mehrheit der Zweitstimmen, so in Gelsenkirchen und Kaiserslautern. Insbesondere vorherige Nichtwähler gaben ihr die Stimme (1,8 Millionen) und, besonders bitter, viele Arbeitslose und Arbeiter. Gut jeder Dritte in diesen Gruppen hat AfD gewählt.
Auffällig sind die strukturellen Gemeinsamkeiten der westdeutschen Wahlbezirke, in denen die Rechtsextremen so erfolgreich waren. Es sind Bezirke, in denen Industriearbeit abgebaut wurde oder die Beschäftigten unter zunehmender Prekarisierung leiden. Viele dieser Wahlbezirke wurden jahrzehntelang sozialdemokratisch regiert. Aber die SPD hat ihre Integrationskraft weitgehend verloren. So wie in Ludwigshafen am Rhein, die Stadt der BASF, wo die AfD die tiefe soziale Krise demagogisch für sich zu nutzen weiß.
Zur allgemeinen Stimmungslage kommt die Verunsicherung in einer Stadt, die von der Chemieindustrie beherrscht wird. Sie ist auf niedrige Energiepreise angewiesen. Die Rechten spielen sich als Verteidiger der Beschäftigten gegen die sogenannte grüne Transformation auf und fordern, die Pipeline Nordstream 2 wieder in Betrieb zu nehmen, um mit günstigem russischem Erdgas versorgt zu werden. „Die Rechten werden gewählt, wenn die Menschen die Hoffnung verlieren, dass sich irgendetwas noch zum Guten verändern kann. In dieser Situation treten sie nur noch nach unten.“ So erklärte kurz nach der Bundestagswahl Janis Ehling, Parteivorstand von Die Linke, den drohenden Durchbruch der AfD. Der nachstehende Bericht eines Ludwigshafeners bestätigt die Aussage und macht deutlich: Bloße Anti-Nazi-Politik ohne sozialpolitische Forderungen werden den rechten Vormarsch nicht aufhalten!
In der Pfalz (das heißt im südlichen Teil von Rheinland-Pfalz) gibt es zahlreiche Gegenden, in denen die AfD bei den vergangenen Bundestagswahlen die meisten Zweitstimmen holte: in der Stadt Ludwigshafen 24,3 Prozent, Stadt Kaiserslautern 25,9 Prozent, Stadt Kusel 26,9 Prozent, Stadt Zweibrücken sogar 27,8 Prozent. Vier AfD-Abgeordnete aus der Pfalz werden in den neuen Bundestag einziehen. Und dabei galt z.B. Ludwigshafen lange Zeit als »rote Hochburg«, eine Industriestadt, in der die SPD immer eine führende Rolle spielte.
Der katastrophale Rechtsrutsch 2025 hat viel mit der Schwäche der SPD zu tun, mit einem Stimmungswechsel besonders bei den lohnabhängigen Beschäftigten. Auch auf Bundesebene zeigt sich: Gewerkschaftsmitglieder haben zu 21,8 Prozent die AfD gewählt, im Gegensatz zu 20,6 Prozent für die SPD. Vor vier Jahren hatte die SPD unter Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern noch einen deutlichen Vorsprung (damals stimmten 32,1 Prozent für die SPD und »nur« 12,2 Prozent für die AfD).
Darauf muss sich unser Augenmerk richten: Was ist da geschehen? Warum wählen die Lohnabhängigen in so großem Umfang extrem rechts?
Der Trend ist auch innerhalb von Ludwigshafen zu erkennen. Stadtteile mit hohen AfD-Stimmenanteilen können als Arbeiterstadtteile gelten und außerdem als Stadtteile mit einer »kritischen Sozialstruktur«, wie der offizielle Ausdruck in der Verwaltung lautet.
Steuer vermieden
Bei näherer Betrachtung stellt sich allerdings die Frage, ob nicht die ganze Stadt Ludwigshafen eine »kritische Sozialstruktur« hat. Wegen der etwa 35.000 Beschäftigten bei BASF gibt es in Ludwigshafen die höchsten Durchschnittseinkommen des Bundeslandes. Aber die Stadt erhält nur einen sehr geringen Anteil an der Einkommensteuer, denn die wird nach dem Wohnortprinzip verteilt. Und alle etwas Besserverdienenden wohnen nicht in der Stadt Ludwigshafen, sondern im Umland.
Das führt dazu, dass es doppelt so viele Einpendler wie Auspendler gibt. Und das wiederum führt dazu, dass in der Stadt selbst nur die ärmeren Bevölkerungsteile zurückbleiben: doppelt so viele Bürgergeldbezieher:innen wie im Landesdurchschnitt, doppelt so viele Einwohner:innen mit Migrationshintergrund wie im Landesdurchschnitt. Die verfügbaren Einkommen sind die niedrigsten in ganz Rheinland-Pfalz. Eine absurde Situation: Am Sitz des größten Chemiekonzerns der Welt herrscht Armut. Jedes vierte Kind ist nach offizieller Definition arm. Jeder dritte Einwohner hat einen Migrationshintergrund.
Eben dieser große multinationale Chemiekonzern betreibt an seinem Standort eine radikale Steuervermeidungspolitik. Bereits in einer Studie von 2016 der Grünen im Europaparlament wurde herausgearbeitet, dass die BASF in den Jahren 2010–2014 fast eine Milliarde Euro Steuern am Fiskus vorbeigeschleust hat.
Kommune verarmt
Weder von der Stadt noch von der BASF bekommt man genaue Zahlen über die tatsächlich gezahlten Steuern. Ein multinationaler Konzern hat jedoch viele Möglichkeiten, Gewinne und Verluste dort entstehen zu lassen, wo es am günstigsten ist. Der Kämmerer der Stadt brachte es 2023 auf den Punkt: »Wir sind bei Gewerbesteuereinnahmen jetzt auf dem Niveau einer Kleinstadt angelangt und haben Ausgaben wie eine Großstadt.« Die Folge ist: Ludwigshafen ist hochverschuldet, gehört zur Spitzengruppe der meistverschuldeten Städte Deutschlands.
Die Folgen sind überall zu sehen und zu spüren. Fenster in Schulen werden festgeschraubt, damit sie nicht geöffnet werden. Die morschen Fensterrahmen könnten dazu führen, dass das Glas beim Öffnen bricht. Unterricht und Kinderbetreuung findet in Containern statt, weil der Platz nicht ausreicht und die Schulen schneller zerfallen, als sie repariert werden. Zweitausend dringend gebrauchte Kitaplätze fehlen. Auch bei der Unterbringung von Flüchtlingen ist der Container eine Standardlösung.
Trotz einer teilweisen Entschuldung durch das Land, das im Sommer 2024 565 Millionen Euro übernahm, bleiben städtische Restschulden in Höhe von 398 Millionen Euro. Ausgeglichene Haushalte sind unmöglich. Ihre Pläne müssen sich die Stadträte erst von der Finanzaufsicht des Bundeslands genehmigen lassen. Weil diese Erlaubnis fehlt, gibt es seit Anfang des Jahres vorerst kein Sozialticket für den öffentlichen Nahverkehr mehr.
Der Straßenbahnverkehr wird reduziert. Grünflächen werden nicht mehr ausreichend gepflegt, Gemeindehäuser zerfallen, die Stadtreinigung müsste aufgestockt werden. Straßen sind marode. Der Sanierungsstau beträgt mehrere hundert Millionen Euro. Gleichzeitig wächst die Zinslast jeden Tag um einige zehntausend Euro.
Infrastruktur zerbröselt
Aktuell kommt hinzu, dass die Stahlbetoninfrastruktur der 60er Jahre, die kreuzungsfreien Hochstraßen und Brücken, die unter anderem die vielen Einpendler zur BASF bringen, am Zerbröseln sind. Auch zu deren Reparatur muss die Stadtverwaltung Geld beisteuern. Die Stadt wird mehr und mehr zu einer gigantischen Dauerbaustelle. Und um die Aufzählung abzuschließen: Die BASF verordnet sich gerade ein Restrukturierungsprogramm, das am Standort Ludwigshafen mehrere tausend Arbeitsplätze kosten wird.
Das sind natürlich alles keine Ludwigshafener Besonderheiten. Sie verstärken ein Grundgefühl, aus dem heraus die AfD wächst: eine grundlegende Verunsicherung seit der kapitalistischen Krise 2010, der Corona-Krise und der aktuellen Probleme. Wird meine Rente reichen? Kann ich mein Haus abbezahlen? Kann ich die Miete bezahlen? Das bisher vorhandene Gefühl, dass es jedes Jahr etwas besser wird, ist weg. Unsicherheit zieht ein und ein tiefsitzender Groll.
Es verbreitet sich das Gefühl, dass einem niemand hilft: »Niemand kümmert sich um unsere Probleme!« Die Sozialdemokratie hat lange Jahre diese Rolle gespielt, aber sie tut es nicht mehr. In den Industriestädten verwaltet die SPD die Armut vor Ort. Die SPD in Berlin wird als Teil eines Machtkartells wahrgenommen.
Die Ludwigshafener AfD fiel bislang nicht als »Kümmererpartei« auf, sondern als zerstrittener Klüngel. Sie wird auch gar nicht wegen einer erfolgreichen Politik gewählt, sondern aus emotionalen Gründen. Wegen des Gefühls, abgehängt zu sein oder vielleicht bald abgehängt zu werden – und dass es anderen »unverdient« besser geht.
Schlussfolgerungen?
Natürlich waren all die Infostände, Protestmärsche, Kundgebungen, die wir gegen die AfD gemacht haben, wertvoll und richtig. Aber sie reichen nicht, die Probleme sind größer.
Die Wohnungsprobleme, die Mietenprobleme, die kommunale Verarmung, die Steuerpolitik, die miserable Schulpolitik, die ungepflegten Parks, Sport- und Freizeitanlagen – die ganze Lebenssituation der arbeitenden Menschen, all das bestimmt letzten Endes ihre politische Einstellung. Erforderlich ist eine gemeinsame Politik gegen Faschismus verbunden mit einem Kampf für gute Lebensbedingungen.
Das umfasst auch eine veränderte Gewerkschaftspolitik. Denn die Gewerkschaften fassen die AfD mit Samthandschuhen an, aus Angst, sonst Mitglieder zu verlieren. So jedenfalls mein persönlicher Eindruck aus einer Funktionärsveranstaltung mit dem Arbeitsminister und einem Mitglied des IGBCE-Hauptvorstands.
Wenn viele Menschen das Gefühl bekommen »Wir sind nicht machtlos, wir können etwas erreichen, wir können sogar etwas verbessern!«, dann wird ein neues Selbstbewusstsein entstehen. Und erst das vertreibt das Gefühl von Machtlosigkeit und Groll und eröffnet neue (politische) Horizonte.
Anmerkung der Redaktion: Der Artikel erschien am 1. April 2025 zuerst in der Sozialistischen Zeitung SoZ und wird mit freundlicher Genehmigung der SoZ im Kommunalinfo veröffentlicht.