Rede von Max Heßlein: Gedenken an die Widerstandsgruppe um Georg Lechleiter und den gesamten Widerstand in Mannheim
Gedenken an die Widerstandsgruppe um Georg Lechleiter und den gesamten Widerstand in Mannheim
Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Antifaschistinnen und Antifaschisten,
„Zum Gedenken an Georg Lechleiter und seine Mitkämpfer aus der Arbeiterbewegung, die wegen Widerstand gegen das nationalsozialistische Unrechtsregime in den Jahren 1942 und 1943 zum Tode und zu langjährigen Haftstrafen verurteilt wurden.“
So steht es auf diesem Stein. Und, ja, genau dieses Gedenken halten wir am heutigen Tag hoch. Wir halten es hoch an Georg Lechleiter und Jakob Faulhaber, Rudolf Langendorf, Ludwig Moldrzyk und Anton Kurz, an Eugen Sigrist, Philipp Brunnemer, Max Winterhalter, Robert Schmoll und Rudolf Maus, Daniel Seizinger, an Käthe Seitz und Alfred Seitz und auch an Johann Kupka. Alle ermordet in Stuttgart am 15. September 1942. Heute vor 83 Jahren.
Am 24. Februar 1943 wurden aus der Gruppe um Georg Lechleiter weitere fünf Menschen durch den Staat getötet: Albert Fritz, Richard Jatzek, Ludwig Neischwander, Bruno Rüffer, Henriette Wagner.
Wir nennen diese Namen jedes Jahr, weil wir erinnern und nicht vergessen, weil wir aufstehen und die Welt nicht ihrem Lauf überlassen, weil wir nicht müde werden aus der Geschichte zu lernen und die Lehren dieser Zeit für die Gesellschaft heute zu benennen und einzufordern. Deswegen sind wir hier.
Wie die Nachricht des 15. September 1942 damals in die Stadt gekommen ist, welches Entsetzen sie ausgelöst hat bei Familie und Freunden, davon hat Karla Spagerer immer wieder erzählt, gerade auch hier und an diesem Tag. Sie fehlt uns heute sehr.
Über die Generationen hinweg
Gerade deswegen aber bin ich so dankbar, dass Ihr über die Generationen hinweg das Andenken hochhaltet am heutigen Tag an die Genossinnen und Genossen, die Kolleginnen und Kollegen, die Freundinnen und Freunde, von mir aus kann ich auch sagen an die Schwestern und Brüder im Glauben, die den Feinden des Lebens nicht die Stadt und das Land überlassen wollten, die gekämpft haben um die Wahrheit, um Aufklärung und um das Leben. Dankbar bin ich, dass Ihr, dass wir gemeinsam die Erinnerung und das Andenken hochhalten an diejenigen, die damals eine andere Welt gewollt und an ihr festgehalten haben, die davon geträumt haben, dass das Leben ein anderes sein kann.
Das ist deswegen so wichtig, weil ihr mit dafür sorgt, dass mit dem Erinnern und dem Gedenken an die Menschen im Widerstand dieses Streben nach einer anderen Welt nicht aufhört, sondern erhalten bleibt und hochgehalten wird.
Wahres Erinnern und Gedenken tritt dafür ein, dass es nicht noch einmal geschieht, dass auch die ersten Ansätze benannt werden und ihnen entgegengetreten wird und dass wir den Ruck nach Rechtsaußen, den diese Gesellschaft hier in den letzten Jahren vollzogen hat, nicht so einfach hinnehmen und für normal halten.
Erinnern heißt kämpfen
Seit den Frauen und Männern um Georg Lechleiter und all den Menschen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus wissen wir: Die braune Pest geht nicht einfach vorbei. Sie weicht nur dort zurück, wo wir ihr mutig, klar und entschlossen entgegentreten. Der Ungleichheit und der Verachtung, der Ausgrenzung und der Armut des Todes setzen wir die Gleichheit, die Freundlichkeit, die Freiheit und damit den Reichtum des Lebens entgegen.
„Erinnern heißt kämpfen“ habe ich vor einiger Zeit von Euch allen mal gelernt und, ja, genau das ist es. Ich übersetze das mal für mich und sage: Es reicht nicht aus, Schilder hochzuhalten oder Plakate aufzuhängen oder Reden zu schwingen. „Erinnern heißt kämpfen“ bedeutet vielmehr: Aus dem Erinnern und Gedenken müssen die Taten folgen für ein besseres Leben und eine sichere Zukunft für alle Menschen.
So also kämpfen wir mit diesem Tag in Erinnerung an die Frauen und Männer, die sich im Widerstand gegen den Nationalsozialismus engagiert haben. Wir kämpfen mit ihnen zusammen über die Zeiten hinweg für ein gutes, ein gerechtes, ein freies und gleiches Leben. Wir tun das nicht einfach so, sondern weil wir sicher sind: Nur damit wird es möglich sein, diese Welt, diese Gesellschaft vor einem Absturz in die nächste Barbarei zu schützen. Das geht nur miteinander. Deswegen erinnere ich an diesem Tag mit den Menschen, die im kommunistischen, sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Widerstand der Arbeiterbewegung waren und vor allen anderen die Hauptarbeit geleistet haben, zugleich doch auch an die Schwestern und Brüder aus den Kirchen und Glaubensgemeinschaften, die sich vor allem in den großen Kirchen damit auch ihrer sich anpassenden Institution entgegenstellten, und an die Freundinnen und Freunde aus den Jugendverbänden, die sich der Gleichschaltung und Eingliederung in die Hitler Jugend und den Bund Deutscher Mädchen widersetzten, ich erinnere auch an die Damen und Herren aus der Mitte der Gesellschaft, die den Weg in den Nationalsozialismus nicht mitgingen. Und ich erinnere eben auch an die Deserteure und an die Einzelkämpfer wie Georg Elser oder den Brezelverkäufer Jakob Reiter, der die Nazis als Ratten bezeichnete und ebenso in Stuttgart mit dem Fallbeil ermordet wurde.
Sie alle haben mit ihrem Mut und ihrem Engagement, mit ihrem unbedingten Willen und mit der Überwindung auch ihrer eigenen Furcht, mit ihrer Liebe zu den Menschen und letztlich haben sie mit ihrem Leben dafür gekämpft, dass wir uns auch heute noch als Menschen begegnen und in die Augen schauen können.
Es geht nur mit einer besseren Welt
Alle die wussten, es geht nur mit einer besseren Welt. Nur damit und dem Kampf dafür hier in Mannheim, hier in Deutschland, auf der ganzen Welt können wir dem Ungeist der Barbarei etwas entgegensetzen.
Nicht zufällig nannten die Menschen um Georg Lechleiter ihre Zeitung den Vorboten als einen Vorboten einer neuen Welt.
Das ist eine große Aufgabe und die Wege waren damals schon unterschiedlich und sie sind es heute auch. Aber das Gedenken mahnt uns, darin nicht locker zu lassen und nach Gemeinsamkeiten zu suchen und die richtigen Wege auszutarieren.
Das, Ihr Lieben, das bleibt über die Zeiten hinweg; denn es führt kein Weg daran vorbei, dass wir uns Gedanken darüber machen, wie wir unsere Gesellschaft auch in der Zukunft aufgestellt haben wollen.
Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, muss ich bei den Wahlergebnissen für die extreme Rechte gar nicht lange ausführen. Wer mit offenen Augen und Ohren und mit wachem Geist durch dieses Land geht, weiß, worum es im Blick und in der Gestaltung einer gemeinsamen Zukunft gerade geht. Die Bedrohung hat kaum vorstellbare Dimensionen erreicht.
Riesiger Vertrauensverlust in die politischen Prozesse
Vielleicht werdet Ihr mir zustimmen, wenn ich heute sage, dass wir in diesem Land in den letzten Jahren einen riesigen Vertrauensverlust in die politischen Prozesse des Landes erleben. Bei vielen war das Vertrauen schon immer gering. Mittlerweile scheint es weitgehend verflogen.
Genau hingesehen, ist das ja nicht nur hier so, sondern in allen Ländern des liberalen Westens, in denen die Mächtigen immer mit Vehemenz vom Sparen und von Eigenverantwortung gesprochen haben.
Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an das Wort von Margret Thatcher, die am Anfang ihrer Regierungszeit in Großbritannien feststellte: So etwas wie Gesellschaft gibt es nicht.
Solche Politik haben wir in den letzten bald 50 Jahren erlebt. Das Ergebnis ist: Wir verlieren unsere Gesellschaft oder wir haben sie bereits verloren. Das ist ein Paradies für diejenigen, die eh schon stark und reich sind, und ein Verderben für diejenigen, die nichts haben außer ihrer Arbeitskraft.
Der Reichtum explodiert. Die Armut wird verschärft. Die Angst nimmt zu. Auf dieser Basis wird die Demokratie zu einer leeren Formel; denn es gibt kein Miteinander, weil die Macht und ebenso die ökonomischen und daraus folgend die kulturellen Grenzen so fest zementiert werden.
Fragen der sozialen und ökonomischen Gerechtigkeit
In alldem geht es um die Fragen der sozialen und ökonomischen Gerechtigkeit in einem Land, das so reich ist, dass es problemlos noch weit mehr Menschen ernähren und zu Wohlstand bringen könnte. Wir leben aber vielmehr in einer sich verfestigenden Ungerechtigkeit, in der denen, die wenig bis nichts haben, in neuer Aufnahme des alten Rassismus, der alten Homophobie und eines alten rechtsnationalen bräsigen Konservativismus tagaus tagein erzählt wird, die Zuwandernden oder die Queeren oder die Gendernden wären das eigentliche Problem.
Dagegen aber führt kein Weg daran vorbei, dass wir danach suchen, unsere Gesellschaft gerechter und demokratischer zu machen.
Wir brauchen eine Veränderung ausdrücklicher politischer und ökonomischer und sozialer Beteiligung. Es reicht eben nicht, dass wir die bestehende Demokratie verteidigen, weil sich immer weniger Menschen dieser Demokratie verbunden fühlen, solange ihre Versprechen nicht eingelöst werden. Wer ökonomisch unter Druck ist, hat bestenfalls die Freiheit, Flaschen sammeln zu gehen. Wer nichts besitzt, ist eben nicht gleich denen, die alles haben, was diese Gesellschaft hergibt. Wer ständig hört, an dir und deiner sozialen und ökonomischen Absicherung müssen wir sparen, damit wir mehr Waffen kaufen können und die Profite hoch genug für die Dividenden sind, der weiß, dass es hier nicht um Geschwisterlichkeit, sondern um Herrschaft und Machtausübung geht. Ja, die Verachtung des Lebens fängt immer schon im ganz Kleinen an.
So zerfällt eine Gesellschaft und wird offen für die rechten Umtriebe. So verlieren wir die Zukunft eines guten gemeinsamen Lebens.
Freiheit, Gleichheit und Geschwisterlichkeit
Es ist deswegen an der Zeit, Freiheit, Gleichheit und Geschwisterlichkeit nicht nur zu benennen, sondern wirklich in die Tat umzusetzen und unsere Demokratie nicht mehr nur zu verteidigen. Es ist an der Zeit, dass wir uns im Bewusstsein dessen, wofür die Menschen im Widerstand sich stark gemacht haben, daran machen, unsere Demokratie auszubauen, Menschen in allen Belangen zu beteiligen und ihnen zuzutrauen, dass sie mit Macht mindestens so gut umgehen können, wie diejenigen, denen heute diese Macht übertragen ist.
AfD
So ist es auch nicht ausreichend, ein AfD-Verbot zu fordern und sonst einfach weiterzumachen wie bisher und deren Politik umzusetzen. Ja, diese Partei ist ein Feind des Zusammenlebens in diesem Land. Ja, diese Partei hilft niemandem, der unten steht und klein gehalten wird. Ja, diese Partei lügt und schürt die Zertrennung dieser Gesellschaft immer weiter. Ja, diese Partei hat im Parteienspektrum einer aufgeklärten Gesellschaft nichts zu suchen. Aber es ist die Politik dieses Landes, die die Menschen in die Arme dieser Partei treibt, weil sie mit dem Gerede, dem Kulturkampf, der Ausgrenzung Armer und Geflüchteter und dem Kleinhalten der nichts Besitzenden alles tut, um diese Partei zu bestätigen. Wir müssen nicht nur die Partei bekämpfen, sondern auch deren politische Ansätze und denen eben nicht hinterherlaufen und sie nachahmen. Das nämlich führt uns letztlich ins Verderben.
Das ist, wenn ich das richtig verstehe, das Vermächtnis der Frauen und Männer im Widerstand, dass wir uns aufmachen auf die Suche nach einer besseren und gerechteren, einer durch und durch solidarischen und demokratischen Gesellschaft.
Das Vermächtnis bleibt
Das Vermächtnis bleibt, dass wir auch heute Vorboten einer anderen Welt sind. Dazu sind wir hier. Und wenn wir nachher auseinander gehen, nehmen wir das aus dieser Stunde hier mit. Die ermordeten Genossinnen und Genossen, Kolleginnen und Kollegen, Schwestern und Brüder, Freundinnen und Freunde, Damen und Herren mahnen uns: Seid Vorboten einer anderen und besseren Welt. Vergesst das nicht und lasst sie selbst dann leuchten, wenn die Dunkelheit zunimmt. Gerade dann ist das Leuchten der neuen Welt umso wichtiger.
Jakob Faulhaubers Worte im Treppenhaus des MARCHIVUM
Ich schließe deswegen mit einem Text, den einer der Männer um Georg Lechleiter, nämlich Jakob Faulhaber, aus dem Gefängnis im Herzogenried schon in Erwartung des Todes an seine Familie geschrieben hat. Ich habe das neulich im Treppenhaus des Marchivums gelesen, illustrativ großartig umgesetzt von Christina Laube und Mehrdad Zaeri, dem Künstlerduo Sourati. Schaut Euch das mal an. Jakob Faulhaber lässt in der Finsternis ein eigenes Licht leuchten und verliert auf klare Weise doch die Realität nicht aus den Augen. Nehmen wir das mit in diesen Abend:
Jakob Faulhaber schreibt:
„Jeden Morgen weckt mich mit jubilierendem Gesange eine Amsel aus dem Schlafe, die irgendwo im Gefängnishofe sitzt und, wenn dann das Frührot der ersten Sonnenstrahlen durch mein Zellenfenster fällt, dann beginnt mein [Weg in] der Zeit. Schwere Wehmut befällt mich dann in dem Gedanken, wie viele Menschen können denn heute in unserer Unrast der Zeit noch solch einem schönen Amselruf lauschen? Weckt sie nicht der schrille Ton der Uhr aus unruhigem Schlafe, um in Hast ihrem Alltag nachzugehen und mit dieser Hast auch der Vertechnisierung alles Kulturellen… Da Natur Kunst und Kunst Natur ist… Ihr aber meine Lieben steht mitten drinnen in dieser Welt und müsst euch euer Dasein ertrotzen. Eines wird mir immer Kraft geben – das Bewusstsein, dass ich eure Liebe habe. Wenn es mir manchmal wehmutsvoll im Herzen ist – daran kann man sich immer wieder aufrichten… Diese Liebe wird nicht umsonst gewesen sein, denn nichts vergeht in der Welt, auch seelische Kräfte nicht, sie wirken, weil sie da sind…
Nun zum rein Sachlichen: Ich würde noch dringend gebrauchen 1 kleinen Spiegel und Kamm und 1 kleine Nagelschere. Weiter brauche ich noch, was aber nicht eilt, meine graue Mütze und meinen Lodenmantel und meine braunen Halbschuhe. Dringend benötige ich noch einen Waschlappen.
Gute Nacht!“
Vielen Dank, dass Ihr zugehört habt. Vielen Dank, dass Ihr da seid. Macht Euch auf in den neuen Morgen und seid darin gestärkt und behütet.
Maximilian Heßlein, Wirtschafts- und Sozialpfarrer, Schifferseelsorge, Geschäftsführung Evangelische Arbeitnehmerschaft, Kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt (KDA)