Nachts im Krankenhaus
Befragung von ver.di zu den Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern
ver.di erfragte die Arbeitsbedingungen an 30 Krankenhäusern in Baden-Württemberg, davon 4 in Rhein-Neckar
ver.di Rhein-Neckar – „Es braucht Regelungen, die dafür sorgen, dass nachts mindestens zwei Pflegekräfte für eine Station zuständig sind. Es ist wichtig, die Empfehlungen der Fachgesellschaften für Intensivpflege auch nachts einzuhalten. Gesetzliche Vorgaben, die dies sicherstellen, wären die ersten Schritte in die richtige Richtung. Wenn das erledigt ist, muss die Politik dafür sorgen, dass sich auch tagsüber das Verhältnis von Pflegekräften zu Patienten verbessert“, meint Jürgen Lippl.
Die Gewerkschaft ver.di hat bundesweit an 225 ausgewählten Krankenhäusern einen Nachtdienstcheck durchgeführt, um sich ein Bild von der Arbeitssituation im Nachtdienst zu machen. In Baden-Württemberg waren es 28 Kliniken, die begangen wurden, davon vier in Heidelberg, Mannheim und Rhein-Neckar-Kreis. Seit geraumer Zeit beklagen die Beschäftigten in Krankenhäusern den Personalmangel und die prekäre Arbeitssituation. In deutschen Krankenhäusern gibt es insgesamt zu wenig Stellen für Pflegekräfte und andere Beschäftigtengruppen.
Nachts ist die Personaldecke besonders dünn. In der Regel ist auf einer Normalstation nur eine Pflegekraft anwesend. Je nach Größe der Station betreut diese Pflegekraft maximal bis zu vierzig Patienten. Für Intensivstationen empfehlen die Fachgesellschaften, dass zwei Patienten von einer Pflegekraft betreut werden. Das ist tagsüber schon oft nicht gewährleistet, nachts sind es bis zu vier Intensiv-Patienten, die von einer Fachkraft alleine betreut werden.
ver.di hat danach gefragt, wie viele Patienten nachts von einer Pflegekraft betreut werden. Weiter wurde nach der Häufigkeit gefragt, mit der erforderliche Tätigkeiten unterlassen wurden, nach gefährlichen Situationen im Nachtdienst in den letzten vier Wochen und danach, wie oft die Händedesinfektion aufgrund der Engpasssituation unterbleibt und ob eine ungestörte Pause möglich war.
Im Durchschnitt betreut eine Pflegekraft im Nachtdienst 19 Patienten auf einer Normalstation. In mehr als der Hälfte aller Fälle (55 Prozent) muss eine Pflegekraft allein 25 Patienten betreuen. Auf den Intensivstationen sind es durchschnittlich 3,3 Patienten pro Pflegekraft. Bei dieser Besetzung muss nicht viel geschehen, damit wichtige Dinge unerledigt bleiben. Dies zeigen auch die Antworten auf die anderen Fragen.
Allein auf weiter Flur
Es ist auffällig, über 50% der Pflegebeschäftigten geben an, dass im Nachtdienst eine ungestörte Pause nicht möglich ist. In Rhein-Neckar geben dies sogar 78% der Pflegebeschäftigten an. Nur 16,5% der Pflegekräfte geben an, dass sie immer alle erforderlichen Tätigkeiten erledigen können. 15,5% sagen, dass erforderliche Tätigkeiten selten wegfallen, 23,1% geben an erforderliche Tätigkeiten manchmal und 17,3% oft wegen des Zeitdrucks nicht erledigen zu können. Immerhin rund 20% Pflegekräfte haben bestätigt, dass zum Beispiel die Händedesinfektion wegen des hohen Arbeitsdrucks vernachlässigt wird. Zwar werden die Hände regelmäßig desinfiziert aber oft ist keine Zeit die Einwirkzeiten abzuwarten. Etwa 40 Prozent aller Befragten geben an, dass es in den letzten vier Wochen gefährliche Situationen für Patienten gab, die mit mehr Personal vermeidbar gewesen wären.
Diese bundesweiten Ergebnisse decken sich weitgehende mit den Angaben der Befragten in den Krankenhäusern in Baden-Württemberg. Obwohl der Durchschnitt der Patienten pro Pflegekraft in Baden-Württemberg bei 18 Patienten auf der Normalstation und bei 3,0 Patienten pro Fachkraft auf den Intensivstationen etwas günstiger ist als im Bundesdurchschnitt, sind die Aussagen bezüglich des Wegfalls notwendiger Tätigkeiten etwas schlechter als im Bundesdurchschnitt. Die Aussagen bezüglich vermeidbarer gefährlicher Situationen angeht liegt Baden Württemberg sogar um 7% über dem Bundesdurchschnitt.
Die landesweiten Ergebnisse geben weitgehend das Bild für Rhein-Neckar wieder: Der Durchschnitt der der Patienten pro Pflegekraft liegt hier bei 19 (Normalstation). Allerdings gaben 78% der Pflegebeschäftigten an, dass sie keine ungestörte Pause machen können. 68% der Befragten geben an, dass es in den letzten vier Wochen gefährliche Situationen für Patienten gab, die mit mehr Personal vermeidbar gewesen wären. 14,3% der Pflegekräfte geben an, dass sie immer alle erforderlichen Tätigkeiten erledigen können. 22,1% sagen, dass erforderliche Tätigkeiten selten wegfallen, 23,4% geben an, erforderliche Tätigkeiten manchmal und 40% oft wegen des Zeitdrucks nicht erledigen zu können. Immerhin rund 13% Pflegekräfte haben voll bestätigt, dass zum Beispiel die Händedesinfektion wegen des hohen Arbeitsdrucks vernachlässigt wird.
„Schon im Routinebetrieb ist es nachts kaum möglich, allen Patienten gerecht zu werden. Wenn dann noch Patientenaufnahmen, unruhige Patienten, Patienten in kritischem Zustand oder Notfallsituationen hinzukommen, ist die Arbeit für eine einzelne Pflegekraft oft nicht mehr zu schaffen“, sagt Irene Gölz, ver.di-Landesfachbereichsleiterin.
Politisch Verantwortliche reden von der hohen Versorgungsqualität in Deutschland. Diese hohe Qualität wird in einer aktuellen Studie daran festgemacht, dass es 7,3 Klinikbetten pro tausend Einwohner gibt. „Das ist zwar Weltrekord bei den Klinikbetten pro Einwohner, aber Betten versorgen keine Patienten. Pflegekräfte und andere Berufe im Krankenhaus versorgen Patienten. Sie sind entscheidend für die Qualität der Versorgung“, sagt Jürgen Lippl, als Gewerkschaftssekretär zuständig für die Krankenhäuser in Baden Württemberg. „Bei den Pflegekräften pro Patient hat Deutschland im Vergleich der Industrieländer die rote Laterne.“
In Deutschland betreut eine Pflegekraft 10,3 Patienten gleichzeitig. In Großbritannien sind es 7,7 Patienten pro Pflegekraft und in den Niederlanden nur 4,9 Patienten pro Pflegekraft. Was bedeutet diese Besetzungssituation konkret für die Patienten? Überlastungsanzeigen von Pflegekräften sind hier sehr aufschlussreich. Sie geben an, dass sie auf Patientenklingeln nicht zeitnah reagieren können, dass sie es nicht schaffen pflegebedürftige Patienten ausreichend beim Essen und Trinken zu unterstützen und dass sie Medikamente nicht zeitgerecht verabreichen können. Hier liegt die Qualität der Versorgung im Argen. Weder mehr Wettbewerb noch mehr Kontrollen werden hieran etwas verändern. Das ist nur mit mehr Personal zu verbessern. Das derzeit von der Bund-Länder-Kommission in Aussicht gestellte Pflegeförderprogramm bringt eine Pflegekraft mehr pro Klinik. Damit ist das Problem nicht zu lösen.
„Es braucht Regelungen, die dafür sorgen, dass nachts mindestens zwei Pflegekräfte für eine Station zuständig sind. Es ist wichtig, die Empfehlungen der Fachgesellschaften für Intensivpflege auch nachts einzuhalten. Gesetzliche Vorgaben, die dies sicherstellen, wären die ersten Schritte in die richtige Richtung. Wenn das erledigt ist, muss die Politik dafür sorgen, dass sich auch tagsüber das Verhältnis von Pflegekräften zu Patienten verbessert“, meint Jürgen Lippl.
„Endlich fragt uns mal einer, wie es wirklich uns geht“, war die häufigste Entgegnung, die wir bei der Begehung hörten. Die Pflegefachkräfte haben sich trotz der hohen Arbeitsanforderungen ein paar Minuten der Befragung zugewandt, “dafür bedanken wir uns“ sagt Silke Hansen, Gewerkschaftssekretärin.