Zum Stand der Rehabilitierung und Entschädigung von Betroffenen der Berufsverbote
Bei der Aufarbeitung der Berufsverbote in Baden-Württemberg (Kommunal-Info Mannheim berichtete 2015) scheint es inzwischen voranzugehen, nach Meinung der Initiativgruppe “40 Jahre Radikalenerlass” allerdings viel zu langsam. Letztere fordert seit 2012 eine Entschuldigung bei den Betroffenen und ihren Familien für das erlittene Unrecht, eine Rehabilitierung und in besonderen Fällen materielle Entschädigung. Ein mit zwei Grünen- und einer SPD-Landtagsabgeordneten besetzter “Runder Tisch” tagte erstmals am 19. Juni 2015 mit Betroffenen. Nach einer Pause von viereinhalb Monaten, laut den Abgeordneten aufgrund “Arbeitsüberlastung durch die Flüchtlinge”, traf man sich Ende Oktober und eine Woche vor Weihnachten wieder.
Grundlage der Berufsverbote war der sogenannte “Radikalenerlass” von 1972. Tausende Betroffene, hauptsächlich politisch links stehende Lehrer, mussten damals erfahren, was es heißt, von der bundesdeutschen “streitbaren Demokratie” die Standbeine ihrer Existenz weggezogen zu bekommen. Als Gründe galten bereits die Anmeldung für einen genehmigten Infostand gegen die damalige faschistische Diktatur in Chile oder die bloße Bezeichnung des “Radikalenerlasses” als “Erpressung”. Viele Betroffene haben die Maßnahmen selbst nicht aufgearbeitet, sind gelähmt und traumatisiert oder haben sich mit ihrem Schicksal abgefunden. Andere waren verbittert, haben nun aber Hoffnung, dass doch eine gewisse Gerechtigkeit hergestellt werden kann.
Einen der Hauptverantwortlichen für Widerstände im letzten Jahr gegen die politische Aufarbeitung sieht die Initiativgruppe im baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann. Sie wirft ihm “Verschleppung” und “Aussitzen” vor. Obwohl in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre kurzzeitig selbst betroffen, äußerte dieser im Frühjahr 2015 zumindest Verständnis für die Berufsverbotsmaßnahmen. Briefe Betroffener von Januar und Februar ließ er erst kürzlich, zwei Tage vor Weihnachten von seinem Staatsministerium beantworten: Es bedürfte einer “konkreten Auseinandersetzung mit den einzelnen Sachverhalten. Aus diesem Grund kann es auch keine allgemeine Rehabilitierung aller Betroffenen geben.”
Während die Abgeordneten im “Runden Tisch” Ende Oktober trotz vorhandener Skepsis eine politische Erklärung des Landtags noch in dieser Legislaturperiode und in bestimmten Fällen eine Entschädigung für vorstellbar hielten, spricht Kretschmann von “weiteren Handlungsoptionen” nur in der Zukunft und pocht erst mal auf eine “wissenschaftliche Aufarbeitung”. Die möchte die Initiative auch, aber “nicht 2030 für unsere Grabsteine”, wie sie feststellt, sondern unabhängig von der heute notwendigen politischen Rehabilitierung. Denn ein Teil der Betroffenen ist über 70, der älteste schon 80. Zehn sind mittlerweile bereits verstorben.
In Heidelberg waren 1974/75 vier Lehrer infolge Berufsverbot gezwungen, in Metallbetriebe zu wechseln. Später wurden sie in den Betriebsrat gewählt und waren als gewerkschaftliche Interessenvertreter aktiv. Inzwischen sind sie in Rente. Einer der vier erhielt 2012 einen Rentenbescheid von 583 Euro. Da der Betrieb 1996 geschlossen worden war und er danach durchgehend prekäre Jobs, Arbeitslosigkeit und Hartz IV hinnehmen musste, macht er deshalb unter Bezugnahme auf die sogenannte Standardrente eine monatliche Aufzahlung von 748 Euro geltend.
In Niedersachsen hat der Landtag bereits 2014 mit den Stimmen aller Fraktionen einen Beschluss zur Aufarbeitung der Berufsverbote gefasst. Dort hat der DGB die Forderung eingereicht, betroffenen “Rentnerinnen und Rentnern, deren Renten unwiderruflich beschieden sind, über eine Fondslösung einen finanziellen Ausgleich zu ermöglichen”. In Bremen, wo der Radikalenerlass 2012 ebenfalls vollständig abgeschafft wurde, erhielt eine Lehrerin für entstandenen Gehaltsausfall während des Berufsverbots bereits nachträglich Rentenpunkte angerechnet. Der Heidelberger Realschullehrer Michael Csaszkóczy musste 2007 gemäß Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim nach vier Jahren in den Schuldienst eingestellt werden und erhielt 33 000 Euro Schadensersatz für die Jahre seines Berufsverbots zugesprochen.
Zur Unterstützung der Berufsverbote-Betroffenen verabschiedete im Oktober 2015 auch der Gewerkschaftstag der IG Metall in Frankfurt auf Antrag der Geschäftsstellen Heidelberg und Frankfurt einstimmig einen Beschluss, in dem Rehabilitierung und bei Altersarmut Entschädigung der Berufsverbote-Betroffenen gefordert wird. Die Antragsberatungskommission hatte ihre Empfehlung Annahme des “etwas außergewöhnlichen Antrags” so begründet: “Wir wollen damit ein Signal geben, damit dieser unselige Radikalenerlass endgültig gestrichen wird, damit er sozusagen als Drohpotenzial endlich aus der Welt kommt.” Auf der jährlichen bundesweiten Berufsverbote-Konferenz in Hannover kurz darauf löste die Nachricht von dem Beschluss große Begeisterung aus. Auch der ver.di-Bundeskongress hatte im September 2015 in Leipzig beschlossen: “ver.di setzt sich für eine umfassende Rehabilitierung und Entschädigung der Betroffenen der Berufsverbote ein.” Von DGB und GEW werden die Betroffenen schon länger unterstützt.
Ende November 2015 wandte sich die Initiativgruppe in einem Brief erneut an alle Landtags-Abgeordneten von Grünen, SPD und FDP und forderte nochmals Unterstützung ihrer Forderungen. Beim “Runden Tisch” vor Weihnachten übergab sie neben einem Exposé für die wissenschaftliche Aufarbeitung und Vollmachten für Akteneinsicht auch eine Liste mit 25 Betroffenen, die aus ihrer Sicht für eine Entschädigung aufgrund Altersarmut in Betracht kommen. Ende Oktober hatte die Initiative zuvor folgenden Entwurf für einen Beschluss des Landtages bzw. der Landesregierung überreicht:
Die Landesregierung / der Landtag von Baden-Württemberg stellt fest, dass die in der Folge des Radikalenerlasses in Baden-Württemberg verhängten Berufs- und Ausbildungsverbotsmaßnahmen im Öffentlichen Dienst nicht nur ein politischer Fehler waren. Sie haben – wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 1995 festgestellt hat – Grundrechte verletzt und der Demokratie in unserem Land schweren Schaden zugefügt. Wir bitten die Betroffenen und ihre Familien um Verzeihung für das politische, persönliche und materielle Unrecht, das ihnen zugefügt wurde. Es wird eine Stelle eingerichtet, an die Betroffene sich wenden können, um ihre Entschädigungsansprüche prüfen zu lassen. Für die Abgeltung solcher Ansprüche wird ein Fonds eingerichtet.
Der Abgeordnete der Grünen beim “Runden Tisch” erklärte dazu beim letzten Treffen, er wolle bis Anfang Januar eine überarbeitete, erweiterte Fassung vorlegen. Mitte Januar finden Klausurtagungen der Fraktionen statt, die letzte Landtagssitzung vor den Wahlen Mitte März ist auf 17. Februar 2016 terminiert. Die Initiative kämpft trotz aller Bremsversuche weiter dafür, dass ein entsprechender Beschluss des Landtags verabschiedet wird. Von Grünen und SPD im Land erwarten sie, sich an den Beschlüssen in Niedersachsen und Bremen ein Beispiel zu nehmen.