Der Rassismus des Wohlstands – zu Besuch bei einer Bürgerversammlung in Ilvesheim
40 in 2016 und weitere 100 in 2017. So viele Flüchtlinge sollen zur Anschlussunterbringung nach Ilvesheim kommen. Und weil Wohnraum fehlt, werde nun der Bauantrag für eine Gemeinschaftsunterkunft geprüft, die bis zu 100 Personen aufnehmen kann. Soweit der Anlass einer Bürgerversammlung, zu der die Verwaltung die Bürger Ilvesheims eingeladen hatte. Die kamen in großer Zahl und lieferten mit ihren Wortbeiträgen Musterbeispiele eines modernen Rassismus ab, dem nicht völkisches oder rassisches Denken, sondern die Angst vor dem Verlust des eigenen Wohlstands die Grundlage bietet.
Die Mehrzweckhalle war am Abend heiß, draußen waren es den ganzen Tag schon über 30 Grad, drinnen war die Lüftung ausgefallen. Dazu die aufgeheizte Stimmung. Doch zuerst begann alles ganz sachlich und nüchtern. Bürgermeister Andreas Metz, unterstützt von Mitarbeiter*innen der Verwaltung, berichtete von der Unterbringung der Geflüchteten im Rhein-Neckar-Kreis. Bisher konnten in Ilvesheim alle in Gemeindewohnungen untergebracht werden, auch für die 40 Personen, die in diesem Jahr erwartet werden, sei das möglich. Es gebe verschiedene Anstrengungen der Gemeinde, die Integration zu fördern. Es stellten sich zwei Vertreterinnen des Arbeitskreises „Ilvesheim sagt JA“ vor, der sich in Anlehnung an den Verein „Mannheim sagt JA“ vergangenes Jahr gegründet hatte und Geflüchtete begleiten und unterstützen will. Etwas schüchtern berichteten die beiden von ihrer bisher geleisteten Arbeit und bekamen dafür höflichen Applaus. Es gab weitere Berichte aus dem Gemeinderat. Dort sei das Thema diskutiert worden, man wolle „menschenwürdige, integrierte und nachhaltige“ Unterkünfte und daher keine Containerlösung. Verschiedene Standorte seien geprüft worden, darunter Gemeindeeinrichtungen, Spielplätze und Freiflächen. Der Standort am nördlichen Ortsausgang, neben der A6 in Richtung Feudenheim, sei favorisiert worden, so dass nun ein Bauantrag geprüft werde.
Soweit die sachliche Schilderung des Geschehens. Im Anschluss an den Vortrag ging das Mikrofon weiter ins Publikum. Und dann ging es los.
Allzu üble rassistische Ausfälle blieben – zumindest während der Diskussion im Saal – größtenteils aus. Im Foyer und in den Rauchergrüppchen draußen wurde schon anders diskutiert. Doch auch im Saal zog sich einer roter Faden durch praktisch alle Wortbeiträge der Bürger: Die Flüchtlinge sind das Problem. Die offen rassistische Argumentation war eher die Ausnahme. Zwar gab es auch einen Anwohner der Mozartstraße, der argumentierte, dass seine Enkelkinder ja nicht mehr auf dem Spielplatz spielen könnten, wenn die jungen Männer aus Gambia in der Nähe wohnten. Und natürlich durfte das Supermarkt-Argument nicht fehlen. Der nahegelegene Lidl würde sicherlich schließen, wenn die Unterkunft nebenan gebaut werden würde. Doch die meisten Wortbeiträge äußerten sich geschickter und weniger offen rassistisch. Es wurden baurechtliche und gesundheitspolitische Texte zitiert, die nahe gelegenen Hochspannungsleitungen wurden als Argument gegen den Standort angeführt, vorgetragen von Anwohnern, die sich genau informiert hatten. Bei vielen war zwischen den Zeilen heraus zu hören: Ja, man müsse die Flüchtlinge natürlich irgendwo unterbringen, aber bitte nicht in meiner Nachbarschaft. So war auch eines der am häufigsten angeführten Argumente der Wertverlust der angrenzenden Immobilien. „Ich habe mich bei einer Immobilienberatung informiert“, berichtete ein Anwohner, „wenn die Unterkunft gebaut wird, verliert meine Immobilie 80.000 Euro an Wert. Wer bezahlt mir diesen Verlust?“ Kann man einer solchen Argumentation mit einem Plädoyer für die Menschenrechte entgegnen?
Der Bürgermeister versuchte es zumindest. Wenn auch sehr sachlich und aus der nüchternen Perspektive der Bürokratie, gab es zumindest Hinweise darauf, dass ein Asylrecht existiert und die Gemeinde entsprechenden Verpflichtungen nachkommen muss. Doch was ist das für eine Gesellschaft, in der die Verwaltung die Aufgabe der Zivilgesellschaft übernehmen muss? Wenn sich nicht politisch aktive Bürger für die Grundrechte einsetzen, sondern ein Bürgermeister seine Gemeinde daran erinnern muss, dass es überhaupt so etwas gibt? Von den anwesenden Gemeinderäten, Leute die sonst nicht gerade für ihre Zurückhaltung bekannt sind, wartete man vergeblich auf Beiträge. Vermutlich gab es da Befürchtungen, durch die falsche Wortwahl schnell in Ungnade bei der Wählerschaft zu gelangen.
Es war abzusehen, wie die Bürgerversammlung laufen würde. Im Vorfeld waren rassistische Flugblätter im Anwohnerbereich verteilt worden. „Nordafrikanern“ wird darin unterstellt, in Ilvesheim „Terror“ verbreiten zu wollen. Aufgrund des Flugblatts, war die Polizei bei der Bürgerversammlung sichtbar anwesend. Dem Bürgermeister war eine Unterschriftenliste übergeben worden. Über 100 Anwohner*innen sprachen sich gegen das Bauvorhaben aus. Es war in Ilvesheim also klar, was da am Donnerstagabend passieren würde. Dennoch fand sich unter den Diskutanten kaum jemand, der der flüchtlingsfeindlichen Stimmung etwas entgegen setzte.
Eine ältere Dame meldete sich dann doch. Sie sei vor etwa 50 Jahre selbst zugewandert und habe hier ein gutes Leben gefunden. Was heute fehle, sei Wohnraum und das sei die Schuld der politischen Entscheider der letzten 20 Jahre, die den sozialen Wohnungsbau massiv vernachlässigt und kommunale Immobilien verscherbelt hätten. Diese Entwicklung sei auch in Ilvesheim zu beobachten gewesen und nun sorge dieser fehlende Wohnraum für Konflikte. Bürgermeister Metz musste zustimmen und ergänzte, dass der Verkauf einer kommunalen Immobilie vor einigen Jahren aus heutiger Sicht ein Fehler war.
Eine Lösung in der Frage der Unterbringung, die von der Ilvesheimer Bevölkerung breit getragen wird, wurde an diesem Abend sicherlich nicht gefunden. Stattdessen hat sich die Stimmung gefestigt, dass Flüchtlinge grundsätzlich als gesellschaftliches Problem wahrgenommen werden – und wenn sie für eventuell fallende Immobilienpreise verantwortlich gemacht werden.
Der völkische Rassismus, wie er von faschistischen Parteien, wie der NPD oder dem Dritten Weg propagiert wird, war keine große Sache auf der Veranstaltung. Der Rassismus kam subtiler und unterschwelliger, populistisch und modern argumentierend. Die unbekannten Fremden, die ungewisse Zukunft, die Suche nach Sündenböcken… an vielen Punkten war die Bürgerversammlung eine unfreiwillige Werbeveranstaltung für die AfD. In den Köpfen fest verankert, bricht der Rassismus hervor, wenn die Ängste um sozialen Abstieg zwar gefühlt, aber nicht erklärt werden können. Eine Frau brachte es irgendwann auf den Punkt: „Ich habe Angst, einfach nur Angst“, sagte sie. Sie wolle nicht sagen warum, sie wolle einfach nur mitteilen, dass sie Angst habe.
„Hier im Publikum sind auch drei Flüchtlinge unter uns, die schon eine Weile bei uns leben“, wurde den Besuchern der Veranstaltung berichtet. Man könne sie im Anschluss an die Veranstaltung gerne ansprechen. Auch wenn das sicherlich gut gemeint war, könnten die drei Betroffenen das an diesem Abend auch als Drohung verstanden haben.