Noch einmal „Sarotti-Mohr“: Die Auseinandersetzung war ein Anstoß zum Nachdenken über Alltagsrassismus…
… Gut gemeint aber knapp daneben
Uneindeutige Diskussion
Die inzwischen etwas abgeebbte Diskussion über die „Sarotti-Mohren“-Leuchtreklame im Mannheimer Capitol hat bundesweite Wellen geschlagen. Noch hat die Capitolleitung nicht abschließend über das weitere Vorgehen entschieden. Aber viele sind genervt über die Diskussion und winken ab. Nicht nur die, von denen man es erwartet: Also die rechte Szene, die nicht über Rassismus diskutieren sondern ihn leben will, und die gegen Kolonialismus nichts einzuwenden hat. Auch im Gegenlager, in dem man sich um gutes Leben in einer historisch gewachsenen heterogenen und vielfältigen Gesellschaft bemüht, finden viele den unvermittelt heftigen Sturmangriff auf diese Leuchtreklame überzogen und an den Haaren herbeigezogen. Der Angriff traf auch Akteure, die bekannt sind für ihren Einsatz gegen jeden Art von Diskriminierung.
Die Mitglieder der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (Sektion Rhein-Neckar) sehen in der Figur einen eklatanten Fall von rassistischer Diskriminierung und Verspottung zu Lasten schwarzer Menschen und fordern die sofortige Beseitigung. Andere schwarze Deutsche, von denen es in Mannheim nicht wenige gibt, sehen das gelassener. Tenor z.B.: „Seit Jahrzehnten verkehre ich im Capitol, aber die Figur hat mich nicht berührt.“ Die Meinungen gehen untypisch auseinander. Und vielleicht hat diese uneindeutige Diskussion etwas mit dem Symbol zu tun, um das es hier geht.
Eines kann man jedoch schon mal festhalten: Es ist gut, dass die rassistisch motivierte Alltagsdiskriminierung erneut und hoffentlich auch nachhaltiger thematisiert worden ist. Und auch ein erneutes Nachdenken über „Rassismus“, antirassistischen Kampf und in diesem Zusammenhang auch über Kolonialismus und seine Auswirkungen bis in die Gegenwart hinein kann nicht schaden
Völkischer Aufbruch im Kaiserreich – Rassismus als ideologisches Instrument
Der Sarotti-Mohr wurde in einer Zeit kreiert, in der im Deutschen Reich vor, während und nach dem Ersten Weltkrieg der Kampf um Kolonien und dann die Auseinandersetzung mit deren Verlust ein Top-Thema war. Deutschland als “zu spät gekommene Kolonialmacht“ sollte nach Auffassung der Wirtschaftsmächtigen und des Kaisers endlich aufholen. Dafür wurde sehr viel Propaganda auf allen Ebenen gemacht. Das sozialistische Lager opponierte in diesem Punkt eher schwach und nicht grundsätzlich (s. z.B. die Behandlung der Kolonialfrage auf dem 7. Internationalen Sozialistenkongress 1907 in Stuttgart).
Indirekt tonangebend in der öffentlichen Diskussion war in diesen Jahren der Alldeutsche Verband (1891 bis 1939), zu dessen Gründungsmitgliedern der Kolonialschlächter Carl Peters („Hänge-Peters“) gehörte. (Nach ihm war 1933 eine Straße in der damals neugegründete IG-Farben-Siedlung Rheinau Süd benannt worden, die nach 20-jähriger Auseinandersetzung erst 2011 in Wilhem-Peters-Straße umbenannt wurde.) Kolonien zu besitzen (oder wieder zu erlangen) wurde in weiten Teilen der deutschen Gesellschaft als notwendig und teilweise auch als dem zivilisatorischen Fortschritt dienlich erachtet. Gegen allzu krasse Exzesse der Kolonialmacht gab es vereinzelt Proteste. Die kaiserliche Kolonialpolitik stand jedoch den mörderischen Praktiken z.B. des belgischen Königshauses im Kongo nicht viel nach, wie der Völkermord an den Nama und Herero (Nabia, einst „Deutsch-Südwestafrika“) beweist.
Überlebende Herero nach der Flucht durch die Wüste (ca. 1907). Ullstein Bilderdienst, public domain.
Der völkische Alldeutsche Verband war auch federführend in der Verbreitung einer systematisierten rassistischen Weltanschauung. Diese sollte die Legitimierung der Unterjochung schwarzafrikanischer Völker schaffen und die Ansicht stärken, dass man es dort nicht wirklich mit Menschen zu tun habe. Führende Köpfe der Evolutionswissenschaft hatten hierfür gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine pseudowissenschaftliche Grundlage geschaffen und populärwissenschaftlich sehr erfolgreich verbreitet.
Zu nennen ist der an der Universität Jena lehrende Biologe Ernst Haeckel (1834 – 1919), der, zunächst auf Darwin aufbauend, die Entwicklung von den Primaten zum Homo Sapiens darlegte und nachwies. Haeckel ging jedoch weiter: Menschen „unterhalb“ der weißen „Rasse“ waren für ihn Stationen zum Homo Sapiens, somit als genetisch nicht ebenbürtig und zur Unterordnung unter die weiße „Rasse“ prädestiniert. Haeckel gilt zu Recht als einer der Väter des Sozialdarwinismus und der „Rassenhygiene“. Trotzdem war er als Wissenschaftler auch bei Sozialisten und Anarchisten hoch angesehen als antiklerikaler Mann der Aufklärung, der von reaktionären Kräften als „Affenprofessor“ diskreditiert wurde. Kritik des Rassismus war bis in die Weimarer Zeit fast kein Thema im sozialistischen Diskurs.
Titelblatt von Ernst Haeckels Werk „Natürliche Schöpfungsgeschichte“, welches bereits menschliche „Rassen“ evolutionstheoretisch zuordnet (1868). Wikipedia, Foto H.-P.Haack
Die Alldeutschen entwickelten auf Grundlage des Sozialdarwinismus einen aggressiven Rassismus, der sich v.a. gegen afrikanische Menschen, gegen die slawischen Völker richtete, Natürlich waren sie auch fanatische Antisemiten. Der Antisemitismus freilich folgte nicht evolutions- sondern verschwörungstheoretischen Behauptungen wie schon seit Jahrhunderten. Zurecht wird der Alldeutsche Verband als Vordenker und Vorform des Nationalsozialismus eingeordnet. Frühzeitig formulierte der Alldeutsche Verband 1914 ausufernde „Kriegsziele“ und vergaß nicht, die Aussiedelung „nichtdeutscher“ Bevölkerungsteile aus dem Reich zu verlangen. Die Konstruktion einer rassisch begründeten deutschen „Volksgemeinschaft“ sollte den für den kommenden Krieg erforderlichen „Burgfrieden“, die Einheit über alle Klassengegensätze hinweg erzeugen und die Unterwerfung der Kriegsgegner als natürlichen und unausweichlichen Anspruch der „deutschen Rasse“ suggerieren.
Der Rassismus ist bis in die Jetztzeit nicht etwa durch eine anthropologische Gegebenheit wie der angeblichen „Angst vor dem Fremden“ hervorgerufern. Dieser Rassismus war und ist konstruiert undabsolut zweckorientiert: Als Identitätsbildung der herrschenden Minderheit in Siedlergesellschaften, als Legitimationsideologie für koloniale Gesellschaften, als konstituierendes Element eines kollektives Feindbildes für einen zu führenden Krieg etc. Und in modernen multiethnischen und durch soziale Ungerechtigkeiten und Verwerfungen gekennzeichneten Gesellschaften als Strategie, mit dem Konzept „Rasse statt Klasse“ soziale Auseinandersetzungen zu destruieren und sie nach Möglichkeit umzubiegen, wie von den Nationalsozialisten zur „Perfektion“ gebracht und von der völkischen AfD bruchlos aufgenommen.
Sarotti-Mohr: Uneindeutige Figur
Der Sarotti-Mohr, in der Schlussphase des Ersten Weltkriegs zum 50. Firmenjubiläum beauftragt, passt eigentlich schlecht in die zeitgenössischen Darstellungen zur Begründung der Überlegenheit der weißen und „Minderwertigkeit“ z.B. afrikanischer „Rassen“.
Er erinnert eher an Darstellungen sog. „Kammermohren“, die sich im 17. und 18. Jahrhundert viele Adelshäuser z.B. als Diener beschafften und mit prächtigen Gewändern ausstatteten. Die Aristokrat*innen aus den ersten Jahrhunderten des Kolonialismus waren in „rassistischer“ Hinsicht noch unbefangen. Sie fanden schwarzes Dienstpersonal vielleicht exotisch oder hielten es für ein Statutssymbol. Deren Sklaven- oder Leibeigenenschaft war sowieso klar, wie auch für den größten Teil der damaligen Bevölkerung, aber es gab kein Thema „Untermenschentum“. Kann man sich vorstellen, dass z.B. ein Joseph Goebbels einen afrikanischen Menschen als Teil seines Hauspersonals geduldet hätte?
Wenn die Kritiker des Sarotti-Mohren den „dienenden“ Habitus als Beleg für rassistische Erniedrigung anführen, mag dies aus heutiger Sicht nachvollziehbar erscheinen. Der dienende Habitus als solcher ist jedoch kein exklusives Zeichen kolonialer Unterdrückung. Er zeichnet auch die „weißen“ Beschäftigten z.B. im Gastronomiegewerbe und letztlich im ganzen Dienstleistungsgewerbe aus. Darin kann die Differenz zu den Angehörigen der suggerierten „Volksgemeinschaft“ schlecht gelegen haben.
Porträt der Fürstäbtissin Franziska Christine von Pfalz-Sulzbach mit ihrem „Kammermohren“ Ignatius Fortuna, von Johann Jakob Schmitz, Köln 1772 (wikipedia, gemeinfrei)
In vor- und frühkolonialer Zeit figurierten schwarze Menschen in christlich-religiösen Darstellungen sehr widersprüchlich: Einerseits z.B. wurden Erscheinungen des „Teufels“ als schwarze Ungeheuer oder auch Menschen dargestellt, andererseits gibt es in den Heiligenkulten ohne besondere Kommentierung des „Schwarz-seins“ auch Verehrung schwarzer Heiliger. Bekannt ist einer der „Heiligen Drei Könige“; und es gab die schwarzen Madonnen. Weniger bekannt ist hierzulande die Verehrung des Hl. Mauritius (Moritz). Er war der Legende nach der Kommandeur der in Theben (im heutigen Ägypten) ausgehobenen 22. Römischen Legion. Diese Legion, die nur aus Christen bestanden haben soll, soll unter dem Kaiser Diocletian an ihrem letzten Stationierungsort bei Sitten/Sion in der Schweiz im Jahr 302 komplett mit ihrem Befehlshaber Mauritius hingerichtet worden sein, weil dieser sich geweigert habe, ein kaiserliches Ritual zu vollziehen. Mauritius wird seit der ausgehenden Antike als Schutzheiliger der Soldaten, Messerschmiede, Tuchweber u.a. Gruppen verehrt.
Mauritius-Statue, um 1245, im Chorraum des Doms in Magdeburg, die erste Darstellung des Heiligen als Afrikaner in der christlichen Kunst des „Abendlandes“. (Cc-Lizenz heiligenlexikon.de )
„Mohren“ (aus griechisch μαυροσ: schwarz – ursprünglich die Bezeichnung für „Mauretanier“, dann für alle schwarzen Menschen) tauchen in vielen Adels- und Ortswappen auf. Oft wird es der Bezug auf den Hl. Mauritius sein, oft erscheint der Kopf oder die ganze Person eines schwarzen Menschen (oft auch Frauen) mit einer Krone, im Falle Sardiniens aber auch mit einer Augenbinde, später Stirnband. Das weist eher auf Unterwerfungsthemen hin wie auch z.B. das vom Königreich Portugal für seine Kolonie Guinea erlassene Wappen mit dem abgeschlagen Kopf eines Afrikaners.
Der Wikipedia-Artikel „Mohr (Heraldik)“ zeigt um die 100 Wappen mit sehr unterschiedlichen „Mohren“-Motiven, oft aus dem 14., 15. Jh.
Die Nazis und der Mohr von Coburg
Wer heute durch Coburg läuft, stellt (vielleicht verwundert) fest, dass die Kanaldeckel alle das Relief des Gesichts eines schwarzen Afrikaners zeigen.
Kanaldeckel mit dem Coburger Stadtwappen (Bilder: KIM)
Die Stadt Coburg hat seit 1430 ein Stadtwappen, das einen „Mohrenkopf“ zeigt: den zum Schutzheiligen der Stadt auserkorenen Hl. Mauritius.
Nun ist Coburg reichsweit die erste Stadt gewesen, in der die NSDAP bei einer Stadtratswahl die absolute Mehrheit erzielte (Juni 1929). 1933 hatte sie dann auch einen NS-Oberbürgermeister. Einen großen Aufschwung hatten die faschistischen Kräfte in Coburg (gegen den erbitterten Widerstand der Arbeiter*innen der Korbmacherindustrie) 1922 anlässlich des sog. „Deutschen Tages“ genommen. Veranstalter waren örtliche Vertreter des Alldeutschen Verband und seiner neuen Ausgliederung „Deutschvölkischer Schutz- und Trutzbund“. Man hatte als special guest den „Herrn Hitler“ geladen, der dann auch per Sonderzug mit 600 SA-Angehörigen nebst z.B. Alfred Rosenberg und Julius Schleicher aus München anreiste und erstmals außerhalb Münchens öffentlich auftrat. Unter den Gästen waren auch Carl Eduard Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha nebst Gemahlin.
Am 30. April 1934 ersetzte der Stadtrat das Mohren-Wappen durch einen SA-Dolch mit Hakenkreuz im Knauf, auf einem schwarz-gelben Schild. Die Nazis wollten den Anblick eines schwarzen Afrikaners im Wappen nicht ertragen. Und sie benannten die Mohrenstraße und Judengasse, -Brücke etc. um.
Nach der Befreiung Coburgs durch US-Truppen und Einsetzung eines neuen Oberbürgermeisters setzte dieser sofort wieder das „Mohren-Wappen“ in Kraft und machte die Straßen-Umbenennungen durch die Nazis wieder rückgängig.
Facit: Die Auseinandersetzung mit dem Symbol „Mohr“ ist verwickelt und nicht sehr eindeutig; eine Zuspitzung auf dies Symbol nicht sehr hilfreich.
Worüber zu diskutieren ist
Rassismus ist stets zweckgerichtet. Er soll gesellschaftliche Zustände, die vom Standpunkt unteilbarer Menschenrechte und sozialer Gerechtigkeit aus gesehen untragbare sind legitimieren. Antirassismus (viele benutzen inzwischen wegen der Nichtexistenz menschlicher Rassen diesen Begriff nicht mehr) muss im Kampf gegen Rassismus auch konkret die Zustände thematisieren, die die Rassisti*innen anstreben, sonst wird „Rassismus“ abstrakt und die Kritik verliert an Kraft.
Rassismus operiert mit der stereotypen Zuschreibung negativer Eigenschaften an von ihm definierte Personengruppen. Diese Methode führt zu zählebigen Vorurteilen in den Köpfen allzu vieler Menschen.
Ausgangspunkt bei der Diskussion um den „Sarotti-Mohren“ war eine Zusammenkunft im Capitol von schwarzen Deutschen, die über ihre Erfahrungen ins Gespräch kommen und berichten wollten. Diese Erfahrungen sind in der breiten Öffentlichkeit noch immer viel zu unbekannt: Seien es Erfahrungen am Mietwohnungsmarkt, bei der Arbeitssuche, oder mit willkürlichem Polizeikontakt durch racial profiling usw. Die Vorurteile schreiben den Menschengruppen Unzuverlässigkeit zu, Inkompetenz und Unverständnis für „die deutsche Gesellschaft“, Neigung zu Kriminalität etc. Im Kampf dagegen lassen sich durchaus politische Forderungen ableiten, z.B. Beschwerdemöglichkeiten gegen Polizeibeamt*innen in Fällen von racial profiling (z.B. durch Einführung von Namensschildern); Stellenbesetzungen z.B. in der Verwaltung im gleichen Mischungsverhältnis wie in der Gesamtgesellschaft; Maßnahmen im Bildungssektor; gezielte Gleichstellungsmaßnahmen etc.
Wenn z.B. am Nationaltheater eine schwarze Schauspielerin ihren Auftritt hat und bestes Deutsch hören lässt, oder wenn eine schwarze Beamtin am staatlichen Schulamt dem Bezirksbeirat Neckarstadt-Ost bestimmte Sachverhalte aus dem Blick ihrer Behörde perfekt darlegt und man nicht mehr denkt: „Wow!!“, sondern wenn das als Normalität erlebt wird in einer bunten Gesellschaft mit Teilhabe aller, dann erst hat sich was geändert in Sachen Alltags-Rassismus.
Thomas Trüper