In Luxemburg Gratis-ÖPNV. Und in Mannheim?

 

Seit 1. März können die 610.000 Menschen im Großherzogtum Luxemburg als erstem Land der Welt plus 200.000 Einpendler*innen den gesamten öffentlichen Verkehr einschließlich Eisenbahn gratis benutzen. Lediglich die 1. Klasse und Taxis sind weiterhin kostenpflichtig. Sofort drängt sich die Frage auf: Was kann Luxemburg, was die deutschen Kommunen bzw. die Länder und der Bund nicht können? Warum gibt es in Mannheim keinen „kostenlosen“ ÖPNV? Oder besser gefragt: Was muss geschehen, bis es auch in Mannheim so weit ist?

Das Steuerparadies Luxemburg ist anerkanntermaßen sehr reich. Der öffentliche Personenverkehr wird seit diesem Monat vollkommen aus Steuermitteln finanziert Das kostet lt. Regierung den Fiskus jährlich 41 Mio. Euro. Dazu kommt ein sehr strammes Investitionsprogramm von ca. 370 Mio. Euro jährlich in Schienen- und Netzausbau. In die Mobilitätswende insgesamt einschließlich Bus- und Fahrgemeinschaftsspuren und P&R-Plätzen sollen die Investitionen bis 2021 auf 800 Mio. Euro jährlich steigen.

Ticket-Automaten wie hier werden in Luxemburg gerade abgebaut. Bild: nenntmichruhigip.

Denn in Luxemburg weiß man: Die Attraktivität des Öffentlichen Personenverkehrs allein über den Preis anzukurbeln und die verstopften Straßen weniger verstopft zu kriegen, das funktioniert nicht. Das Angebot muss stimmen. Schon jetzt ist der ÖPNV in den Stoßzeiten überlastet. „Weiße Flecken“ ohne ÖPNV müssen angeschlossen werden, das Streckennetz muss dichter werden, die Taktzeiten kürzer, die Busse und Bahnen auch pünktlicher und sauberer. Der luxemburgische Verkehrsminister Bausch rechnet nicht damit, „dass die Leute ihr Auto nun stehen lassen“ (Süddeutsche Zeitung online, 29.02.2020). Das werde nur gelingen, „wenn das öffentliche Angebot auch qualitativ einen Quantensprung macht“. Diese Ansicht deckt sich mit den Erfahrungen aus der estnischen Hauptstadt Tallinn. Dort wurde der ohnehin schon stark öffentlich subventionierte ÖPNV 2013 v.a. aus sozialen Gründen für Bürger*innen der Stadt gebührenfrei. „Wenn wir schon so viel Geld ausgeben und die Menschen es sich trotzdem nicht leisten können, dann ist das doch eine gewaltige Verschwendung von öffentlichen Mitteln,” wird ein Sprecher der Verkehrsbetriebe zitiert (zeit.de, 2.3.2018). Die Fahrgastzahlen sind seither nur um 14% gestiegen.

Was heißt das für Mannheim?

Diese Frage lässt sich örtlich so begrenzt eigentlich gar nicht sinnvoll beantworten. Denn das Verkehrsgeschehen ist in Mannheim auch sehr stark durch 120.000 Berufs-Einpendler*innen und 50.000 Auspendler*innen bestimmt plus einige Tausend „Durchpendler*innen“. Der ÖPNV lässt sich daher nur regional betrachten. Und deshalb gibt es ja auch den Verkehrsverbund VRN mit 3,1 Mio. Bewohner*innen, der in einer Fläche von ca. 200 km Ost-West- und ca 100 km Nord-Süd-Ausdehnung das Tarifmonopol hat. Die Kernstädte Heidelberg, Mannheim, Ludwigshafen betreiben zusammen einen gemeinsamen ÖPNV-Anbieter, die rnv GmbH. Um eine Vorstellung von einigen wesentlichen wirtschaftlichen Größenordnungen zu bekommen, seien folgende Zahlen genannt:

Die rnv verzeichnet in ihrem VRN-Sektor ca. 150 Mio. Euro Fahrgeldeinnahmen, der gesamte VRN ca. 300 Mio. Euro jährlich. Diese Einnahmen würden bei „Nulltarif“ natürlich wegfallen, allerdings einige Vertriebskosten auch. Allein die Stadt Mannheim muss für ihre Bahn- und Bus-Linienbündel trotz dieser Fahrgeldeinnahmen jährlich ein Defizit von ca. 40 Mio Euro ausgleichen. 27 Mio. Euro davon werden aus den Dividenden des MVV-Energie-Aktienpaketes der Stadt Mannheim gedeckt (der gesamte Verlustausgleich spielt sich zurzeit noch innerhalb der städtischen Beteiligungsgesellschaften und nicht im kommunalen Kernhaushalt ab).

An Investitionen sind gegenwärtig geplant: Für 80 neue Stadtbahnen der rnv 265 Mio. Euro innerhalb vier Jahren, 140 Mio. Euro für den Stadtbahn-Anschluss der Mannheimer Konversionsgelände (allerdings mit 80 Mio. Euro Bundesförderung). Für sonstige Infrastrukturmaßnahmen in Mannheim ca. weitere 100 Mio. Euro auf vier Jahre.

Mit diesen Investitionen sind jedoch die Anforderungen an einen guten und gegenüber dem motorisierten Individualverkehr in puncto Attraktivität konkurrenzfähigen bzw. überlegenen ÖPNV noch nicht erfüllt als da wären: deutliche Verkürzung der Taktzeiten, daher mehr rollendes Material (inkl. entsprechendem Personal), ein leistungsfähigeres und dichteres Netz.

Verkehrswende – Finanzwende

In diesen Dimensionen ist „kostenloser ÖPNV“, wie ihn DIE LINKE seit Jahren perspektivisch fordert, und wie ihn mittlerweile auch die SPD (allerdings mit einer teilweisen Umlagenfinanzierung) vertritt, nur auf Basis von Steuerfinanzierung (wie in Luxemburg) denkbar. Damit stellt sich das Thema vor allem als solches der Bundes- und Landespolitik. Die spärlichen Bundesprojekte, aus denen sich bis Ende diesen Jahres noch die „Modellstadt Mannheim“ mit den verbilligten „Green Tickets“ speist, sind absolut ungenügend und als temporäres Projekt nicht nachhaltig.

Was kann man aus diesem Projekt trotzdem schon mal lernen? Z.B. dass die Menschen sehr wohl auf den Fahrpreis achten: Weil neben den Jobtickets nur die Einzelfahrscheine subventioniert werden, steigen viele Menschen von teuren Zeitkarten auf die billigeren subventionierten Einzelfahrscheine um. Trotzdem scheinen sich auch die Fahrgastzahlen insgesamt leicht positiv entwickelt zu haben. Eine erste solide Auswertung liegt noch nicht vor. Die Mannheimer Stadtspitze erklärt immer wieder – zuletzt Bürgermeister Specht beim Hauptausschuss am 30. Januar – dass jeder Euro in die Fahrpreissubvention schlecht angelegt sei, weil dieser Euro als Investition angelegt fünfmal wirksamer für höhere Fahrgastzahlen sorge.

Ein wirklich guter und zudem noch gebührenfreier ÖPNV ist ein verdammt dickes Brett zu bohren. Es bedarf einer massiven staatlichen Betriebskostensubvention UND gleichzeitig eines gegenüber jetzigen Planungen nochmal verdoppelt und verdreifachten Investitionsprogramms. Allein der Ausgleich bundesweit entfallender Fahrgeldeinnahmen würde nach immer wieder zitierten Angaben den Bund jährlich ca. 14,2 Mrd. Euro kosten. Ohne diesen Aufwand ist die Verkehrs-, Energie- und Klimawende nicht zu schaffen und auch nicht die Entlastung der Städte von der stehenden und rollenden Blechlawine bzw. die zuverlässige Anbindung des flachen Landes an die Zentren. Damit sind wir – wen wundert’s – auch wieder beim Thema „Finanzwende“ angekommen, d.h. bei einer notwendigen Umschichtung des gesellschaftlichen Reichtums von privat auf öffentlich und kommunal. Was jedoch Schritte in die richtige Richtung auf kommunaler Ebene schon hier und heute nicht ausschließt!

Thomas Trüper, Stadtrat, Fraktionsvorsitzender LI.PAR.Tie