Neue Online-Publikation des MARCHIVUM zur frühen völkischen Bewegung
Vor 80 Jahren, am 22./23. Okt. 1940, wurden die pfälzischen und badischen Juden, darunter rund 2.000 Menschen aus Mannheim, ins Lager Gurs, am Fuße der Pyrenäen, deportiert. Gurs gilt als „die Vorhölle von Auschwitz“, die Deportation geschah am helllichten Tage, ohne dass es zu lokalen Protesten oder gar Widerständen in der Bevölkerung kam. Die Ermöglichung dieses Verbrechens basierte auf jenem Geist des Antisemitismus, der auch in Mannheim tiefe Wurzeln hatte.
Das MARCHIVUM hat deshalb nun seine erste, 200-seitige, kostenfreie Online-Publikation mit zahlreichen Abbildungen veröffentlicht:
Karen Strobel und Brigitte Zwerger: Betrachtungen und Quellenstudien zur frühen völkischen Bewegung in Mannheim bis 1922.
Am Abend des 22. Mai 1922 wurde Sina Aronsfrau, ein Mannheimer Kaufmann mit ostjüdischen Wurzeln, ermordet. Schon bald kam der Verdacht auf, der Mord mitten in den Quadraten sei von einer radikalen antisemitisch-völkischen Organisation verübt worden.
Ausgehend von dieser Tat untersucht die Studie die frühe völkische Bewegung in Mannheim. Ihr erster Fokus liegt auf den 1890-er Jahren, als in Mannheim die Redaktion einer antisemitischen Zeitung ihren Sitz nahm und erstmals zu einem öffentlichen Boykottaufruf gegenüber jüdisch geführten Geschäften aufrief.
Die weitere Entwicklung bis in die frühen Jahre der Weimarer Republik sind durch eine Reihe von antisemitischen Ereignissen und immer dichteren Strukturen innerhalb der völkischen Bewegung gekennzeichnet. Die Autorinnen, Karen Strobel und Brigitte Zwerger, benennen in ihrer Studie Beteiligte und Vereinigungen, die in Mannheim in jenen Jahren aktiv waren, bevor der NS-Staat heraufzog.
Dabei zeigt sich, dass viele der radikalisierten Aktivisten dem gehobenen Bürgertum entstammten und darunter nicht wenige Jugendliche und junge Erwachsene zu finden sind, die nach 1933 Karriere machten. Einen vorläufigen Höhepunkt ihrer Aktivitäten bildete das Jahr 1922. Eine Reihe von antisemitischen Vorfällen und Sprengstoffanschlägen erschütterte die Stadt.
Mit ihrer Studie möchten die Autorinnen nicht nur an den Mord an Sina Aronsfrau erinnern, sondern völkische Strukturen und den breiten Antisemitismus aufzeigen, der bereits vor 1933 in weiten Teilen der Mannheimer Bevölkerung, wenn auch verdeckt, verankert war und auf dem das NS-Regime aufbauen konnte.
Weitere Studien zu den einzelnen Gruppierungen im Kaiserreich und der Weimarer Republik sind erforderlich, um abzuschätzen zu können, inwieweit das demokratische System der ersten Weimarer Republik auch in Mannheim von rechten wie linken Extremen schon vor 1933 bedroht war.
Als Beitrag zur Diskussion und zur historischen Bildungsarbeit steht die Studie kostenfrei als Download zur Verfügung. Ein Blogbeitrag des MARCHIVUM eröffnet die Möglichkeit des Downloads unter:
https://www.marchivum.de/de/blog/forschung-17
bzw. direkt unter:
https://www.marchivum.de/de/information/services/downloads
(Pressemitteilung und Bilder: MARCHIVUM Mannheim, 13. Oktober 2020)