Die Folgen der Corona-Pandemie für kleine Selbstständige – Cinzia Fenoglio im Interview
Das Interview wurde am 08.12.2020 in schriftlicher Form geführt. Für das Kommunalinfo stellte Roland Schuster die Fragen.
KIM: Die Corona-Pandemie trifft auch kleine Selbständige und Gewerbetreibende. Mit welchen Folgen hast Du zu kämpfen?
Cinzia Fenoglio: Folgen und Konsequenzen? Gravierend. Für mich als Soloselbständige, die ihre Brötchen hauptsächlich auf dem Metier der Graphischen Gestaltung erzielt, ist schon seit dem 17. März tote Hose, und auch in meinem Nebenerwerb als Honorarkraft für Italienisch bei der Abendakademie sieht es nicht viel besser aus. Hier wurden alle Kurstätigkeiten monatelang – ohne Entlohnung – abgebrochen. Und seit ganz wenigen Tagen läuft der Unterricht nur noch online: Einige Teilnehmer*innen steigen aus, entweder weil nicht jede*r einen videokonferenzfähigen Rechner hat, oder gar einen Computer. Und außerdem nicht Jede*r hat zum Online-Unterricht Lust. So werden die Kurse und für mich die Arbeitsmöglichkeiten immer weniger.
KIM: Und welche Konsequenzen haben diese Maßnahmen für die Branche, in der du arbeitest?Kann man das verallgemeinern?
Cinzia Fenoglio: In meiner Branche ist es niederschmetternd: grafische Unterstützung brauchen Unternehmen bei der Firmengründung oder bei der Markteinführung von neuen Produkten, und diese sind (außer vielleicht Impfstoffe/Hygieneprodukte) zur Zeit recht wenig. Oder bei Veranstaltungen wie Tag der offenen Tür, Messen etc. – und genau solche Events sind bekannter Weise schon seit März nicht möglich. Daher bekommen systemrelevante Unternehmen á la TUI größere finanzielle Unterstützung während kleine Soloselbständige wie ich gerade mal die Betriebskosten zurückerstattet bekommen. Und wovon würde ich denn leben, wenn es nicht so wäre, dass in Baden-Württemberg noch einen Zuschuss für die Lebenskosten hinzukam? Aber auch damit ist es jetzt seit Oktober Schluss.
KIM: Es gab und gibt ja auch Hilfen für Kulturschaffende, Soloselbständige usw. – was gibt es da, was kommt da an?
Cinzia Fenoglio: Ja, das Studieren der Voraussetzungen für solche Hilfen ist eine tagesfüllende Tätigkeit, selbst die Steuerberater sind überfordert, und wie gesagt ist die “Novemberhilfe” für Gastronomie, Schauspieler etc. gedacht aber nicht für diejenigen, die für Gastronomen und Schauspieler die Plakate, Speisekarten, Internetseiten etc. entwerfen.
KIM: Kannst du einschätzen, ob und wieviel der Beschäftigten auf Grund der Corona-Pandemie und der Maßnahmen ökonomisch gesehen letztlich auf der Strecke bleiben, oder wird sich dir Branche erholen?
Cinzia Fenoglio: Meine Branche wird sich erholen, wenn die Wirtschaft sich erholen wird. Leider ist das, wovon ich seit 30 Jahre lebe, genau das, woran öffentliche und private Auftraggeber sparen. Ich erlebe es oft, dass Aufträge, die i.d.R. außer Haus vergeben werden, jetzt von den Festangestellten übernommen werden, die sich langweilen und/oder gestalterisch produzieren wollen. Auch hier geht letzten Ende die Verteilung von unten nach oben! Viele Menschen haben wirklich keine Ahnung, wie es ist im Prekariat zu leben ist – und nennen das Selbstständigkeit. Der Riss durch die gesellschaftliche Schichten (früher hätte man von Klassen gesprochen) wird täglich größer und irreparabler.
KIM: Wird sich die Branche dadurch verändern?
Cinzia Fenoglio: Viele Soloselbständige-Existenzen werden es nicht schaffen. Ich zum Beispiel konnte mir schon vor Corona seit Jahren gar keine Urlaubsreise mehr leisten. In der Branche (Werbung, Verlage etc.) verdient man seit Jahren immer weniger. Viele Auftraggeber wollen nur noch mickrige Budgets für gestalterische Arbeit ausgeben, und mit enormen Erwartungen. Oder sie stellen Praktikanten ein, die zum Beispiel vom Lektorat bis zur Pflege von Onlinemedien und Druckvorbereitung “alles” machen, was ansonsten ein oder mehrere erfahren Menschen gemacht hätten. Es findet gerade eine gesellschaftliche Umschichtung statt, und viele Soloselbständige werden zu Harzt IV-Empfänger*innen. Oder die Verhältnisse ändern sich und man kommt zu einen ernst gemeinten Bürgerlohn für diejenigen, die dies benötigen und zu einer gerechte Steuer- und Subventionspolitik.