IG Metall Heidelberg: Betriebliche Auseinandersetzungen bei SAP und Haldex
Im Folgenden dokumentieren wir zwei betriebliche Vorgänge.
Zum einen die mit einem Führungschaos verbundene Abwicklung der Restorganisation des ehemelas großen Heidelberger Bremsenherstellers Haldex. Einher geht dies mit dem Versuch, den Anspruch ehemaliger Beschäftigter auf die Betriebsrente widerrechtlich zu kürzen.
Bei dem anderen Vorgang handelt es sich um SAP in Walldorf, wo ein Entgelt-System eingeführt werden soll, das viele Beschäftigte u.a. auch Frauen im Vergleich zum Tarifvertrag schlechter stellt. (scr)
Haldex: Was läuft inzwischen im Heidelberger Rest-Betrieb?
Führungs-Karussell bei Haldex AB – Manager-“Auffangbecken” steckt tief in der Krise – 2020 Rutsch in die roten Zahlen. In Heidelberg Versuch Betriebsrenten anzuknapsen
Ende letzten Jahres ist die Haldex GmbH von Wieblingen in den Stadtteil Rohrbach umgezogen. Die übrig gebliebenen acht Beschäftigten (sechs kaufmännische und zwei Leitende Angestellte) sind seither in einem Bürotrakt in der “Villa Fuchs” untergebracht (früheres Fuchs-Waggon- bzw. Harvester-/Furukawa-Gebäude, Heinrich-Fuchs-Straße 96). Vor der Wieblinger Fabrik weht inzwischen die Fahne des neuen Besitzers Heidelberg Instruments, aufgrund der erforderlichen größeren Umbau- und Renovierungsmaßnahmen ist dieser allerdings noch nicht eingezogen.
Produktion und Entwicklung des früheren Heidelberger Traditionsbetriebs Graubremse (ab 1998 Haldex) waren schon im letzten Sommer endgültig nach Ungarn bzw. England verlagert worden. Der ehemalige Geschäftsführer Vogel scheint mittlerweile auch “andere Herausforderungen” zu suchen. Über sogenannte “Triangulations”-(“Dreiecks”)-Geschäfte innerhalb europäischer Werke hatte Haldex seine GmbH in Deutschland seit längerem auch als “Steuersparmodell” für europäische Gewinne genutzt, im Zusammenhang mit in früheren Jahren hier verbuchten Verlusten.
Bei einigen der 79 Haldex-Entlassenen ist die anschließende Transfergesellschaft bereits abgelaufen. Beim Großteil geht sie noch bis September bzw. Dezember. Vielen droht danach der Gang zum Arbeitsamt. Weil man nach der Werksschließung im jetzigen sogenannten “Commercial Vehicle Cluster” offensichtlich nicht klarkommt, musste Haldex schon im Januar auf “jobsmeineStadt.de” Heidelberg wieder die erste Stelle ausschreiben: “Gesucht Junior Controller, Finanzanalyst für die globale Lieferkette und die Supply Chain-Organisation.”
Die letzten der ehemaligen Beschäftigten erhalten derzeit ihre Papiere. Im Begleitschreiben zu den Bescheinigungen über die “unverfallbare Anwartschaft auf Betriebsrente” (Arbeitgeberleistung bis 140 Euro im Monat) erscheint diese unmittelbare Versorgungszusage durch verwirrende Formulierungen und falsche Behauptungen künftig in Frage gestellt. Manche Renten-Anwartschaften sind wohl auch zu niedrig gerechnet, weil entgegen der Versorgungsordnungs- und gesetzlichen Bestimmungen offenbar nicht bei allen Betroffenen sämtliche Betriebszugehörigkeits-Jahre anerkannt wurden. Die DGB-Rechtsschutz-Vertretung hat daher in einem Schreiben an Haldex eine Berichtigung verlangt.
Die Betriebsrenten gehen ursprünglich auf die Unterstützungskasse zurück, die der frühere Firmeneigentümer Ernst Grau 1965 gegründet hatte. 1992 wurden sie auch in einer Betriebsvereinbarung abgesichert, seitdem aber nur ein Mal angehoben (1 %). 2018/19 hat der frühere Betriebsratsvorsitzende vor dem Arbeitsgericht auf Erhöhung bzw. Anpassung an die Inflationsentwicklung geklagt, “stellvertretend” für alle Betriebsrentnerinnen und -Rentner. Per Vergleich gab es als Nachzahlung für drei Jahre wenigstens 90 Euro Einmalbetrag für jede und jeden. Diesen Monat hat Haldex den rund 300 Ehemaligen erneut mitgeteilt: Den sich 2018 bis 2020 ergebenden Inflationsausgleich von 3,7 % könne man nicht gewähren, angesichts “wirtschaftlicher Lage”, “negativem Eigenkapital” und “Kosten für Sozialplan und Standortschließung”.
Inzwischen mehren sich auch besorgte Anfragen von Rentnerinnen und Rentnern, was bei einem möglichen völligen Abzug von Haldex aus Deutschland mit den gemäß Versorgungsordnung garantierten Rechtsansprüchen auf die Betriebsrenten passiert. Denn eine Sicherung und Leistung bestehender Betriebsrenten und -Anwartschaften durch den Pensionssicherungsverein (PSV) in Köln gilt nur für den Fall von Insolvenzen, nicht bei Schließungen oder Verlagerungen ins Ausland.
CEO-Intermezzo Helene Svahn “over”
Unterdessen werden bei der schwedischen Muttergesellschaft Haldex AB die Amtszeiten der “Chief Executive Officer” immer kürzer. Bei Svahn hat Aufsichtsrats-Vorsitzender Stefan Charette am 11. März – nach gerade mal 19 Monaten – die Reißleine gezogen: “Helene wird spätestens zum 1. Juli die CEO-Position an Jean-Luc Desire übergeben”. Dieser kommt vom Stoßdämpfer-Hersteller Tenneco Automotive in Sint Truiden, Belgien.
Größe und Marktanteile der Haldex-Konkurrenten Knorr-Bremse und Wabco (seit Mai 2020 beim ZF-Konzern) liegen beim Fünf- bis Sechsfachen. Der weitere Niedergang des noch an dritter Stelle geführten Nutzfahrzeug-Zulieferers für Brems- und Luftfederungssysteme mit weltweit inzwischen nur noch 2.000 Beschäftigten ist nicht allein Krisen- und Corona-bedingt, sondern wesentlich auch hausgemacht. Svahn kam vom “Königlichen KHT-Technik-Institut” Stockholm und ist Professorin für “Nanobio-Technologie”(!) – zur Führung eines Fahrzeugzuliefer-Unternehmens also geradezu prädestiniert. Ihren Abgang kommentiert sie so:
“Als ich als Aufsichtsratsmitglied und später als CEO zu Haldex kam, stand das Unternehmen vor großen Herausforderungen. Die gesamte Branche wurde auch durch die globale Pandemie enorm unter Druck gesetzt. Ich habe mich darauf konzentriert, die Kostenbasis von Haldex zu senken, die Organisation zu rationalisieren.” Dass sie bereits im August 2019 zur CEO berufen worden war, die Corona-Pandemie aber erst im März 2020 begonnen hat, scheint sie vergessen zu haben. Dass ihre “harte, engagierte Arbeit” in der Hauptsache in weiterem Abbau, “Kostensenkung” und “Rationalisierung” bestand, stimmt. Davon betroffen waren vor allem die Belegschaften in Blue Springs, USA (verlagert nach Mexiko) und im Werk Heidelberg.
Haldex und sein Führungspersonal-Chaos – alles dabei
Nachdem im Juni 2020 bereits der Aufsichtsrats-Vorsitzende und drei Vorstandsmitglieder ausgetauscht worden waren, dreht sich das Karussell weiter. Das jetzige Statement der Führung “Haldex benötigt in Zukunft einen CEO mit anderem Industrieprofil” wird bei Knorr-Bremse und Wabco besonders Grinsen ausgelöst haben. Der designierte CEO Jean-Luc Desire ist seit 2016 bei Tenneco “Vice President und General Manager Ride and Performance”, weise aber laut Charette “mehr als 20 Jahre Erfahrung in der Automobilindustrie” auf. Beim Haldex-Wettbewerber Wabco hat er es allerdings auf weniger als vier Jahre gebracht.
Haldex scheint als “Rettungsanker” offensichtlich gezielt auf Manager zu setzen, die vorher bei der Konkurrenz “neue Herausforderungen suchen” durften, sprich gehen mussten oder mal bei Großkunden waren. Stephan Kulle, seit 2020 im Vorstand für Vertrieb verantwortlich, war vorher bei Knorr-Bremse auch nur vier Jahre und vier Monate. Zwei Tage vor Silvester hat Haldex zuletzt extra eine virtuelle Hauptversammlung einberufen, um zwei Vorstandsmitglieder zusätzlich zu bestellen: Dzeki Mackinovski war bis 2019 ebenfalls bei Knorr-Bremse (“Senior Vice President Global Purchasing”). Auch er ist dort als Einkaufs-Manager schon nach viereinhalb Jahren wieder ausgeschieden. Detlef Borghardt war immerhin acht Jahre bei SAF Holland in Aschaffenburg, musste aber Anfang 2019 von heute auf morgen seinen Tisch als CEO räumen. (SAF hatte im Sommer 2017 als Haldex-Kaufinteressent den Rückzug antreten müssen, als ZF und Knorr-Bremse in den Bieter-Deal eingestiegen sind.)
Svahns Berater bei der Schließung von Heidelberg war Prof. Dr. Bernd Gottschalk. Er wurde vor zwei Jahren bei Haldex als “Best Ager” mit 74 Jahren als neues Board-Mitglied installiert und gefeiert. Seine Zeit als LKW-Spartenchef bei Daimler ist schon 1996 abgelaufen; im Anschluss hat er noch ein Jahrzehnt als Präsident beim “Verband der Automobilindustrie” (VDA) residiert. Der in Heidelberg 2019 eingestellte Personalleiter Trutzel, seit 2020 auch für Haldex Ungarn zuständig, hat diese Karriere vorzuweisen: er ist Pfarrer! Nach acht Jahren im Bistum Speyer war er noch jeweils zwei Jahre “Human Resources Specialist” bzw. “Change Manager” bei Euromaster und BASF, bevor er bei Haldex einsteigen durfte.
Wie lange kann Haldex so noch weiter dümpeln?
Während Weltmarktführer Knorr-Bremse ungeachtet Krise und Pandemie auch für 2020 riesige Profite vermelden konnte, musste Haldex offiziell Verluste ausweisen. Bei Knorr ging der Umsatz im Nutzfahrzeugsektor im letzten Jahr um 14 % zurück, bei Haldex um 22 %. Da die EBITDA-Profitmarge bei Knorr-Bremse trotzdem 13,5 % beträgt (2019 15,4 %), kann man den Aktionären weiter mit “40 bis 50 % Dividende” winken (wobei Großaktionär und Firmen-Patriarch Heinz Hermann Thiele Ende Februar mit 79 Jahren verstorben ist). Bei Haldex rutschte demgegenüber die operative Gewinnmarge von 2 % (2019) im letzten Jahr in die roten Zahlen (- 2,5 %). Die Verlustrate nach Steuern lag 2020 sogar bei – 7,5 %.
In Ungarn musste nach der Verlagerung der Heidelberger Produktion – trotz der konzernweiten Krisen- und Corona-bedingten Auftragsrückgänge um fast ein Viertel – die Beschäftigtenzahl seither um 12 % erhöht werden, um den Heidelberger Arbeiten wenigstens einigermaßen nachkommen zu können. Laut Beschäftigten hat das Werk in Szentlörinckáta (von Budapest 50 km östlich quer durch die Puszta) wie erwartet große Liefer- und Qualitätsprobleme.
Bei “autonomem Fahren” und anderen “neuen Produkten” kommt Haldex weiter kaum über Schlagworte hinaus. In der Entwicklung im englischen Mira (130 km nordwestlich von London) gehen die Beschäftigten inzwischen von einem bevorstehenden größeren Personal- und Kapazitätsabbau aus. Für das europäische Haldex-Zentrallager im französischen Weyersheim (bei Strasbourg) soll es ähnliche Gerüchte geben. Von “positiven Signalen” träumt die Haldex-Führungsriege mittlerweile nur noch auf dem amerikanischen und chinesischen Markt. Die “chinesische Autonomiepolitik”, die zunehmend “einheimische Lieferanten bevorzugt”, bereitet jedoch selbst Knorr-Bremse “große Sorgen”.
Der Haldex-Aufsichtsrat freut sich währendessen schon darüber mitteilen zu dürfen, der künftige Haldex-CEO werde zum 1. Juli “nach Schweden ziehen”. Ob der Neue was richten kann erscheint fraglich. Seit dem Scherbenhaufen, den Knorr-Bremse nach dem Bietergefecht mit ZF 2016/17 bei Haldex anrichten konnte, wartet man vergebens auf den “weißen Ritter” in Gestalt eines Käufers bzw. einer Übernahme. Auch die Aktionäre scheinen eher vom Glauben abzufallen. War der Aktienkurs anlässlich der außerordentlichen Hauptversammlung Ende Dezember vorübergehend noch im zweistelligen Prozentbereich nach oben gegangen, hat sich bei der Ankündigung des jetzigen CEO-Wechsels fast nicht bewegt.
(Personelle Angaben entnommen jeweiligen “Linkedin”-Netzwerkdaten)
IG Metall Heidelberg, 18.03.2021
IG Metall: SAP-Betriebsrat steuert in die falsche Richtung
Nachteile im Entgeltsystem für Beschäftigte und Benachteiligungen für Frauen werden kaschiert!
Auf der Betriebsversammlung am 25. März wurde im Auftrag der Betriebsratsführung eine Analyse zur “SAP Vergütungs- und Anreizsysteme” vorgestellt. Die sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen lösen nicht die wesentlichen Probleme des Gehaltssystems und den daraus entstandenen Benachteiligungen für viele Beschäftigte. Der Betriebsrat kann hier die Gewerkschaft nicht ersetzen.
Nachdem Dr. Johannes Reich, SAP-Betriebsratsmitglied der IG Metall-Liste “Pro Mitbestimmung,” in seinem Beitrag auf der letzten SAP-Betriebsversammlung im Dezember 2020 die Schwächen des SAP-Gehaltssystems und die daraus resultierenden Benachteiligungen für viele SAP-Beschäftigte darstellte, hat die Betriebsratsführung mit der Vorstellung eines externen “Gutachtens” heute darauf reagiert.
Das “Gutachten” geht von einer richtigen Eingruppierung und Bezahlung aller Mitarbeiter insbesondere auch von Frauen aus. Es kann aber den 18% niedrigeren durchschnittlicheren Verdienst von SAP-Frauen nicht erklären.
Der Versuch SAP-Gehaltserhöhungen mit den tariflichen Erhöhungen der IG Metall zu vergleichen läuft ins Leere, weil u.a. falsche Werte herangezogen wurden. Eine Tariferhöhung von drei Prozent bedeutet für jeden Tarifmitarbeiter mindestens drei Prozent mehr Geld. Anders bei SAP. Dort bedeutet eine drei Prozent Gehaltserhöhung, drei Prozent mehr Gehalt im Durchschnitt – wenn der Vorgesetzte zustimmt.
Dr. Eberhard Schick SAP-Betriebsratsmitglied der IG Metall-Liste “Pro Mitbestimmung meint: “Des Weiteren wurden die Einstiegsgehälter bei SAP nicht betrachtet. Diese liegen ca. 20.000 Euro unter dem IG Metall – Tarif und werden bei Gehaltserhöhungen nicht angepasst”.
Die IG Metall legt in ihren Tarifverträgen großen Wert auf durchsetzbare Eingruppierungsregeln. Diese Regeln bestimmen die notwendigen Budgets zur Änderung von Eingruppierungen. Damit werden systematische Diskriminierungen ausgeschlossen.
In der heutigen Betriebsversammlung wurde erneut die Höhe der letzten Gehaltserhöhung kritisiert. Dazu Türker Baloglu von der IG Metall Heidelberg: “Sinnvollerweise stehen Verhandlungen zu Gehaltserhöhungen Betriebsräten nicht zu. Diese sind Sache der Tarifparteien. Nicht nur deshalb, weil sie diese nicht durchsetzen können. Das ist Tarifrecht. Wir stehen als IG Metall bereit die SAP- Beschäftigten in den Gehaltsfragen und den Betriebsrat in seiner Arbeit zu unterstützen”.
IG Metall Heidelberg, 25.03.2021