Mannheimer Morgen: Ehrung eines Politikers als Anlass zur Verunglimpfung der LINKEN als Anti-Demokraten?
Fragen der LINKEN Mannheim an den Mannheimer Morgen: Verunglimpfung als Anti-Demokraten?
Am 3. April veröffentlichte Konstantin Groß im Mannheimer Morgen einen Kommentar, in dem er bedauert, dass der ehemalige Reichskanzler Hermann Müller in seiner Geburtsstadt bisher nicht angemessen gewürdigt werde. Der Kommentar enthält einen völlig ungerechtfertigten und dem Anlass nicht angemessenen Angriff gegen die Linke, indem er unsere Partei in eine ungebrochene Traditionslinie mit der KPD der Weimarer Republik stellt. Er frägt: “Welche Mannheimer Bundestagsabgeordneten hätten uns dort auch vertreten sollen? Nikolas Löbel war bereits zurückgetreten. Gökay Akbulut von den Linken? Einer Partei, die sich in Teilen auf das Vermächtnis jener KPD stützt, die in der Weimarer Republik Sozialdemokraten wie Müller … verunglimpft hat? Deutlicher könnte nicht offensichtlich werden, dass Mannheim nach der Bundestagswahl in Berlin eine ordentliche Vertretung fernab der politischen Ränder braucht.”
Groß bezieht sich damit darauf, dass die Kommunistische Partei in der SPD während der Weimarer Zeit einen politischen Gegner sah und keineswegs eine Verbündete; dies hatte historische Ursachen, die auch die Schärfe der Angriffe begründeten. Dazu unten. Vorerst bleibt festzuhalten, dasst Konstantin Groß damit eine merkwürdige Gewichtung moralischer Werte zum Ausdruck bringt. Wenn Groß meint, was er schreibt, ist er der Meinung, Nikolas Löbel hätte Mannheim vertreten können, möglicherweise ordentlich und jedenfalls fernab politischer Ränder, wenn er noch nicht zurückgetreten wäre. Die Vertretung durch einen Mann, dessen Verhalten man unabhängig von einer juristischen Bewertung durchaus als moralisch anfechtbar empfinden kann, wäre eher hinzunehmen als die durch eine Frau, der man zwar nichts in ihrem persönlichen Verhalten vorwerfen kann, die aber der falschen Partei angehört. Lieber moralisch unterste Schublade, aber bürgerlich, als sauber, aber links.
Gökay Akbulut als migrationspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion ist eine sehr „ordentliche“ Vertreterin der Mannheimer Stadtgesellschaft, in der 40 Prozent der Menschen und 60 Prozent der Kinder „Migrationshintergrund“ haben. Gökay Akbulut macht ordentliche Arbeit im Gegensatz zu Nikolas Löbel, und sie hat es deshalb nicht nötig, permanent die Selbstdarstellerin zu geben. Diese Arbeit wird nicht durch politische Fehleinschätzungen entwertet, denen die KPD vor knapp hundert Jahren möglicherweise erlegen war und auch nicht dadurch, dass Vertreter der KPD sich am tatsächlich häufig diffamierenden Stil der damaligen politischen Auseinandersetzungen beteiligt haben.
Wer politischen Kräften mit Verweis auf die Geschichte die moralische Eignung absprechen möchte, sollte sattelfest sein. Unabhängig von der Würdigung, die Hermann Müller gerechtfertigter Weise zuteil geworden ist, und unabhängig davon, dass Konstantin Groß darin zuzustimmen ist, dass man Müller als Politiker in seiner Geburtsstadt etwas stärker ins Bewusstsein rücken könnte, steht auch Müller exemplarisch für das Versagen der demokratischen Eliten der Weimarer Republik. Das Versagen der SPD war historisch, der Glaube, mit den Rechten zusammenzuarbeiten könne Schlimmeres zu verhindern, war eine krasse Fehleinschätzung, die all jenen eine Warnung sein sollte, die an so etwas als Möglichkeit auch nur denken. Heute wie damals gilt: Eine solche Zusammenarbeit nützt nur den Rechten. Diese Erfahrung vermittelt zu haben, ist das bleibende Verdienst der SPD. Diese Zusammenarbeit hat die SPD vollständig verbogen, und die Partei hat sie erst beendet, als selbst das Schlimmste nicht mehr zu verhindern war. Man kann der KPD nicht vorwerfen, dass sie vor der SPD-Führung gemerkt hat, worauf das hinausläuft.
Es bleibt festzuhalten: Die SPD hat während der Weimarer Zeit zumindest unglücklich agiert und insbesondere zu Beginn durch ihre Politik dazu beigetragen, republikfeindliche Kräfte in Verwaltung und Militär fest zu installieren. Dafür hat sie bewusst und sehenden Auges in Kauf genommen, große Teile ihrer Anhängerschaft dauerhaft zu verlieren und sich selbst geschwächt. Damit hat sie mit dazu beigetragen, dass dieses demokratische Projekt gescheitert ist. Dies ist eine Tatsache. Ebenso, dass die Reichsführung unter Kanzler Ebert politische Morde durch Rechte toleriert und die Verfolgung der Täter teils nicht betrieben, teils aktiv verhindert hat.
Möglicherweise sind wir Heutigen von gewissen politischen Parteien ein so hohes Maß an Selbstverleugnung gewohnt, dass uns die damalige Rhetorik der KPD maßlos erscheint. Und natürlich, man kann auch das weitere Verhalten der KPD während der Weimarer Republik als unglücklich bezeichnen. Aber weder die KPD, noch die SPD haben den Untergang aktiv herbeigeführt. Den Untergang aktiv herbeigeführt haben allein, bewusst und mit voller Absicht die bürgerlichen Parteien. Sie waren es, die durch die Zustimmung zum Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich der nationalsozialistischen Diktatur zu jenem scheinlegalen Firnis verholfen haben, mit dem sich noch die größten Verbrecher nach dem Krieg rechtfertigen konnten. Diesem Gesetz zugestimmt haben neben anderen: Theodor Heuß, später erster Präsident der Bundesrepublik, weiters Reinhold Otto Maier, später erster Ministerpräsident Baden-Württembergs, beide FDP. Zwar, wir täten diesen Männern Unrecht, stellten wir sie mit Thomas Kemmerich, ebenfalls FDP, auf eine Stufe. Die damaligen Herausforderungen waren andere. Aber wenn schon historisch argumentiert wird, dann konsequent.
Vielleicht wäre es stattdessen sinnvoll, Politik für heute zu machen und Geschichte nicht als Waffe zu benutzen. Seien wir froh, dass wir heute leben und nicht auf jene Weise Politik betreiben müssen, wie es in der Weimarer Republik üblich war. Da waren Diffamierungen noch mit das Harmloseste. Niemand von uns hätte damals leben wollen, niemand Politik machen müssen. Es gibt nur eine Konsequenz: Wir müssen heute dafür eintreten, dass unsere Demokratie weiter funktioniert. Dafür müssen Meinungsverschiedenheiten auf sachlicher Ebene ausgetragen werden. Der angesprochene Passus im Kommentar von Konstantin Groß erfüllt diese Voraussetzung nicht.
Jori Fesser, Sprecherin des Kreisverbandes DIE LINKE Mannheim