500 Jahre Wormser Reichstag: Luther-Kult trägt nicht zur Klarheit bei. Was lockt die Nazis an?
17. April 2021. Morgen ist mal wieder protestantischer Groß-Gedenktag: 500 Jahre Wormser Reichstag – ein zentrales Ereignis in der Reformationsgeschichte. Martin Luther war vor den Kaiser und die Reichsstände zitiert worden, um seinen reformatorischen Gedanken abzuschwören. Luther blieb standhaft und soll den bekannten Satz gesagt haben: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Gott helfe mir!“
Die Evangelische Kirche Hessen und Nassau (EKHN) und die Evangelische Kirche Deutschland (EKD) haben zu diesem Jubiläum eine ganze Reihe von Veranstaltung aufgelegt, so am 17.4. eine vom SWR-Fernsehen aufgezeichnete Mulitmedia-Inzenierung. Am Vortag gab es Ansprachen des Bundespräsidenten und der Rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreier. Für den 18.4. sind ferner Gottesdienste geplant, u.a. im Rahmen des bundesweiten Corona-Trauertages.
Auch Nazis wollen Luther feiern
Bemerkenswert ist indes, dass sich eine schwarz-weiß-rote Nazi-, Reichsbürger- und Kameradschaftsszene bemüßigt sieht, dem amtskirchlichen Gedenken ein eigenes Gedenken entgegenzustellen, nächtlich am Vortag. Und zu allem Überfluss mobilisiert auch eine Truppe aus dem Umfeld der AfD und Covid-Leugner-Szene zu einem eigenen Luthergedenken: „500 Jahre Bekennermut“.
Die Veranstalter der „Nachtwache für Luther“ schreiben: „Aus Protest gegen die einseitige Vereinnahmung von Martin Luther durch die Evangelische Kirche Deutschlands (EKD) hat ein nationales Aktionskomitee eine Nachtwache für den 17. April ab 21 Uhr vor dem Rathaus am Marktplatz in Worms angemeldet. Das parteiübergreifende Aktionskomitee „Reichstag Worms 1521 – 2021: Protest für Deutschland!“ reagiert damit auf eine zeitgeistige Bühneninszenierung der EKD vor der Dreifaltigkeitskirche anlässlich des epochalen Auftritt Luthers vor dem Reichstag“.
Die Veranstalter von „500 Jahre Bekennermut“, darunter auch evangelikale Leute, sehen sich als von der main-stream-Presse und der herrschenden Politik trotz größter Aufmerksamkeit in allen Medien für diese Minderheit grundsätzlich ihrer Meinungsfreiheit beraubt und wollen sich wohl in die Pose der bekennermutigen Kollegen von Martin Luther begeben.
Zunächst vielleicht verdutzt stellt man fest: Zwei Milieus, die man nicht als befreundet bezeichnen kann, sammeln sich um einen gemeinsamen Freund, den Reformator Martin Luther? Die Nazis nennen ein wichtiges Stichwort: „einseitige Vereinnahmung“. Sie sehen in ihrem Freund und Idol also scheinbar (auch?) andere Seiten, die die EKD inzwischen zwar auch sieht, aber in eine Bääh-Schublade stecken möchte. Es ist also zur Bewertung dieses merkwürdigen Aufeinandertreffens notwendig, sich erstens Martin Luther genauer anzuschauen und zweitens seine Rezeptionsgeschichte zu vergegenwärtigen.
Zunächst aber sei auf die kurzen Texte im Internetauftritt der EKHN / EKD zu dem Thema „500 Jahre Bekennermut“ geblickt. Diese Texte haben die Nazis offenbar zur Kenntnis genommen und sind auf die Palme gestiegen. Weniger wahrscheinlich ist ihre Empörung auf ausführliches theologisches Studium zurückzuführen.
Die Erzählung der EKD reizt die Nazis
Die Erzählung der EKD zu 500 Jahre Luther-Heroismus (?) reiht einige rote Tücher aneinander, auf die Nazis reflexhaft losstürmen, wenn sie Langeweile haben:
Zur Begründung für die Feierlichkeiten heißt es auf wagemutig.de:
„Dieses Ereignis, bei dem sich der Reformator auf sein Gewissen, die Bibel und die Vernunft berief, soll groß gefeiert werden. Mit der Frage: „Welchen Luther-Moment brauchen wir heute?“.“
Ja – welchen Luther brauchen wir heute? Da haben die Nazis Rechten ihre eigene Meinung, die sich allerdings auf eine sehr lange Tradition innerhalb der evangelischen Kirche berufen kann, wie wir weiter unten sehen werden. Also: Die Nazis brauchen heute den Luther von gestern – aber sie wollen sich eben auch Luthers bedienen. Nun also ein Blick in die EKD-Erzählung:
„Wofür Menschen im 21. Jahrhundert einstehen können und sollten“ – Greta und Snowden
„Martin Luther wird damit ein Vorreiter für Werte, die auch heute in der gesellschaftlichen Diskussion immer wichtiger werden: Standhaftigkeit, Zivilcourage und Haltung. Zudem stellt sich zum 500. Jubiläum dieses historischen Ereignisses die Frage, wofür Menschen im 21. Jahrhundert einstehen können und sollten“.
„Entscheidend ist zudem, dass Luther in Worms allein mit eindrucksvollen Worten etwas bewirken konnte. Denn auch die Gewaltlosigkeit zeichnet fast alle großen „Weltverbesserer“ aus: von Martin Luther King über Gandhi, von Nelson Mandela bis Sophie Scholl oder von Greta Thunberg bis Edward Snowden. Sie alle stehen für einen verbal klaren, aber nicht aggressiven Einsatz für das Gute.“
„Christlicher Glaube und religiöse Vielfalt“ – Multikulti
„In dem Text der EKD „Christlicher Glaube und religiöse Vielfalt in ev. Perspektive“ geht es um das Zusammenleben mit Angehörigen anderer Religionen und Weltanschauungen. Ein Thema, das uns auch angesichts der derzeitigen Flüchtlingsströme stark beschäftigt.“
„Frauen der Reformation“ – Genderismus
„Die Reformatoren Martin Luther, Ulrich Zwingli oder Johannes Calvin kennen fast alle. Dass in der Reformationszeit auch Frauen wie Argula von Grumbach oder Katharina Zell Geschichte machten, ist wenig bekannt. Die Rolle der Frauen im ausgehenden Mittelalter bleibt bis heute zum Teil ein Rätsel. Dabei ist die Quellenlage gar nicht so schlecht.“
„Frauen wie Katharina Melanchton, Anna Zwingli oder Idelette Calvin waren seinerzeit nicht nur die Ehefrauen und Organisatorinnen des Haushalts der berühmten Reformatoren. Viele Frauen ergriffen nach Inkaufnahme möglicher persönlicher Konsequenzen Partei für die Reformation. Tatsächlich war die Reformation in den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts längst keine Gelehrtenveranstaltung mehr, sondern eine Massenbewegung. Sie bot auch Frauen eine Möglichkeit zur Beteiligung, denn es ging nicht nur um gelehrte Dispute oder politische Winkelzüge.“
„Martin Luther und die Juden“ – Hier wird es ganz schwierig: Antisemitismus „inakzeptabel“
„Die Synode der EKD hat in ihrer Herbsttagung im November 2015 in Bremen im Blick auf das 500-jährige Jubiläum der Reformation eine Kundgebung [Verlautbarung; Red.] beschlossen, in der sie Martin Luthers judenfeindliche Äußerungen kritisch beleuchtet. Bereits ein Jahr zuvor, 2014, hatte die Synode der EKHN in ähnlicher Weise einen Beschluss zu Luthers Judenschriften gefasst. Sie stellte darin klar, dass aus heutiger Sicht diese Schriften theologisch inakzeptabel sind und zu schrecklichen Konsequenzen führten. Beide Texte, der der EKD und der der EKHN sind hier abrufbar.“
In dem Votum der EKHN von 2014 zu Luthers sog. „Judenschriften“ (siehe Kasten) schreibt die Synode der EKHN:
„[2] Die nachfolgenden Aussagen zu Luthers „Judenschriften“ wollen nicht die zentrale Bedeutung Luthers für die Geschichte und die Theologie des Protestantismus in Frage stellen. Sie wollen aber darauf aufmerksam machen, dass Luthers Verhältnis zum Judentum, wie es sich in seinen „Judenschriften“ spiegelt, weder ein zufälliges Ereignis, noch eine marginale Größe innerhalb seines reformatorischen Wirkens oder theologischen Denkens ist. Luthers Haltung nimmt vielmehr einen verbreiteten zeitgenössischen Antijudaismus auf, verknüpft ihn mit zentralen Einsichten seiner Theologie, insbesondere der Rechtfertigungslehre, und gibt Handlungsanleitungen, die der völkische Antisemitismus aufgreifen konnte.
[3] In allen gesellschaftlichen Schichten des 16. Jahrhunderts, bei Anhängern ebenso wie bei Gegnern der Reformation, war die Vorstellung verbreitet, „dass die Juden mit dem Teufel im Bunde seien, in ‚parasitärer‘ Weise, insbesondere durch den Wucher, ihre ‚Wirtsvölker‘ aussaugten, heimlich mit den Türken paktierten, ihnen als Spione dienten und durch magische Praktiken unablässig darauf hinwirkten, Christus und Maria zu schmähen, Proselyten [Überläufer, neu Bekehrte; Red.] zu machen und die christlichen Gemeinwesen zu unterminieren“ (Thomas Kaufmann, Handbuch des Antisemitismus 3 [2010]“
Diese kritische Beleuchtung von Luthers Raserei gegen die Juden, die irgendwie mit seiner zentralen Rechtfertigungslehre, vor allem aber mit dem zeitgenössischen Antijudaismus im Einklang stand, wirft nicht erst heute wesentliche Fragen zur angeblichen „revolutionären“ Theologie Martin Luthers auf und zu seiner Qualifizierung als „Weltereignis“. Dass sich Nazis an dieser Absetzbewegung von Luthers Antijudaismus erheblich stoßen und gleich eine Nachtwache dagegen organisieren, nimmt nicht Wunder. Aber wenn Theologie, Glauben und das reale Leben etwas miteinander zu tun haben sollen, dann liegt hier ein zentrales Problem vor, das die EKD offensichtlich immer noch nur einkreisen aber nicht wirklich lösen kann.
Die Auseinandersetzung der EKD mit dem „Kind seiner Zeit“ Luther begrenzt sich zudem auf den Antijudaismus. Dabei gibt es genug Themen, mit denen es sich intensiv und kritisch zu befassen gilt, anstatt um Luther einen regelrechten Heiligenkult zu entfalten. Den protestantischen Kirchen fällt es immer noch schwer, ihrer theologischen Ikone mit kritischem Geist und einer Portion Realismus zu begegnen. Luther ist gleichsam im Rang eines epochalen Religionsstifters „aufgefahren gen Himmel“.
M. Luther: Von den Jüden und ihren Lügen. Wittenberg 1543
Luther: „Jawohl, sie halten uns in unserem eigenen Land gefangen, sie lassen uns arbeiten in Nasenschweiß, Geld und Gut gewinnen, sitzen dieweil hinter dem Ofen, faulenzen, pompen und braten Birnen, fressen, sauffen, leben sanft und wohl von unserm erarbeiteten Gut, haben uns und unsere Güter gefangen durch ihren verfluchten Wucher, spotten dazu und speien uns an, das wir arbeiten und sie faule Juncker lassen sein […] sind also unsere Herren, wir ihre Knechte.“
Damit appellierte Luther an den Sozialneid der Bevölkerung und verkehrte demagogisch die reale Lage der damaligen „Kammerknechte“, um deren Duldung für Schutzgeldzahlungen an die Fürsten zu beenden. Dazu forderte er von diesen sieben Schritte, die er zynisch als „scharfe Barmherzigkeit“, später offen als „Unbarmherzigkeit“ bezeichnete:
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- ihre Synagogen niederzubrennen,
- ihre Häuser zu zerstören und sie wie Zigeuner in Ställen und Scheunen wohnen zu lassen,
- ihnen ihre Gebetbücher und Talmudim wegzunehmen, die ohnehin nur Abgötterei lehrten,
- ihren Rabbinern das Lehren bei Androhung der Todesstrafe zu verbieten,
- ihren Händlern das freie Geleit und Wegerecht zu entziehen,
- ihnen das „Wuchern“ (Geldgeschäft) zu verbieten, all ihr Bargeld und ihren Schmuck einzuziehen und zu verwahren,
- den jungen kräftigen Juden Werkzeuge für körperliche Arbeit zu geben und sie ihr Brot verdienen zu lassen.
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Aber wie wohl er Juden gern eigenhändig erwürgen würde, sei es Christen verboten, sie zu verfluchen und persönlich anzugreifen. Die Obrigkeit, die Gott zur Abwehr des Bösen eingesetzt habe, müsse die Christen vor den „teuflischen“ Juden schützen. Falls die Fürsten seine Ratschläge ablehnten, müssten sie den Juden wenigstens ihre religiösen Stätten, Gottesdienste, Bücher und ihre Gotteslästerung verbieten. Falls sich auch dieses nicht durchführen lasse, so bleibe nur, die Juden aus den evangelischen Ländern „wie die tollen Hunde“ zu verjagen.“
Quelle: Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Martin_Luther_und_die_Juden
Die Nazis wollen die vielen Anknüpfungspunkte an Luther und seine Rezeption in der Ev. Kirche bis 1945 (und darüber hinaus) nutzen – Anschlussfähigkeit zu protestantischen Strömungen
Der Schweizer religiöse Sozialist Karl Barth stellte eine historische Linie von Luther über Friedrich den Großen und Bismarck zu Adolf Hitler her. (Wikipedia Artikel: Zwei-Reiche-Lehre).
Luthers Theologie gefiel einigen Fürsten
Luthers Mut in Worms war groß, aber mit doppeltem Boden. Er stand unter dem Schutz seines an der Reformation (und Enteignung der geistlichen und klösterlichen Besitztümer) interessierten Landesherrn und Kurfürsten von Sachsen. Dieser ließ Luther auf der Heimreise von Worms „entführen“ und ermöglichte ihm ein Leben incognito auf der Wartburg. Luther war Anfang 1521 exkommuniziert worden und stand seit Worms unter Reichsacht, war also vogelfrei.
Es gab andere Bekenner, die in diesen revolutionären Zeiten sehr viel „Zivilcourage“ aufbrachten und diese mit dem Leben zahlten. 100 Jahre vor Luther machte sich der Theologieprofessor Jan Hus in Böhmen zum Sprecher der von den feudalen Lasten geplagten Bauern, und Handwerker in den Städten sowie des niederen Adels. Es ging um die Befreiung vom Zehnten, von Zwang zur Fronarbeit, Abschaffung des Ablasshandels und um Reform der Kirche und Umkehr des gierigen und prassenden Klerus. Dazu gehörten auch die Einführung der Landessprache im Gottesdienst und die Übersetzung der Bibel in die Landessprache. Letzteres vollzog Martin Luther auch. Jan Hus aber wurde auf dem Konzil von Konstanz 1415 auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
Während beide, Hus und Luther, die die Befreiung vom Macht- und Finanzapparat des Papstes sowie Lehrautonomie auf Basis der Heiligen Schrift forderten, findet sich bei Luther der Aspekt der sozialen Befreiung nicht. Im Gegenteil – gegenüber den zeitgenössischen revolutionären Bewegungen der Bauern (siehe die 12 Artikel der Bauern von 1525) nahm Luther eine äußerst feindselige Haltung ein. Sie hätten seine Rede von der Freiheit des Christenmenschen weltlich missverstanden. Die Fürsten rief Luther in seiner berüchtigten Schrift „Wider die Mordischen und Reubischen Rotten der Bawren“ (1525) auf: „man soll sie zerschmeißen, würgen, stechen, heimlich und öffentlich, wer da kann, wie man einen tollen Hund erschlagen muss“.
Die 12 Artikel der Bauern von 1525
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- Jede Gemeinde soll das Recht haben, ihren Pfarrer zu wählen und ihn zu entsetzen (abzusetzen), wenn er sich ungebührlich verhält. Der Pfarrer soll das Evangelium lauter und klar ohne allen menschlichen Zusatz predigen, da in der Schrift steht, dass wir allein durch den wahren Glauben zu Gott kommen können.
- Von dem großen Zehnten sollen die Pfarrer besoldet werden. Ein etwaiger Überschuss soll für die Dorfarmut und die Entrichtung der Kriegssteuer verwandt werden. Der kleine Zehnt soll abgetan (aufgegeben) werden, da er von Menschen erdichtet ist, denn Gott der Herr hat das Vieh dem Menschen frei erschaffen.[6]
- Ist der Brauch bisher gewesen, dass man uns für Eigenleute (Leibeigene) gehalten hat, welches zu Erbarmen ist, angesehen, dass uns Christus alle mit seinen kostbarlichen Blutvergießen erlöst und erkauft hat, den Hirten gleich wie den Höchsten, keinen ausgenommen. Darum erfindet sich mit der Schrift, dass wir frei sind und sein wollen.
- Ist es unbrüderlich und dem Wort Gottes nicht gemäß, dass der arme Mann nicht Gewalt hat, Wildbret, Geflügel und Fische zu fangen. Denn als Gott der Herr den Menschen erschuf, hat er ihm Gewalt über alle Tiere, den Vogel in der Luft und den Fisch im Wasser gegeben.
- Haben sich die Herrschaften die Hölzer (Wälder) alleine angeeignet. Wenn der arme Mann etwas bedarf, muss er es um das doppelte Geld kaufen. Es sollen daher alle Hölzer, die nicht erkauft sind (gemeint sind ehemalige Gemeindewälder, die sich viele Herrscher angeeignet hatten), der Gemeinde wieder heimfallen (zurückgegeben werden), damit jeder seinen Bedarf an Bau- und Brennholz daraus decken kann.
- Soll man der Dienste (Frondienste) wegen, welche von Tag zu Tag gemehrt werden und täglich zunehmen, ein ziemliches Einsehen haben (sie ziemlich reduzieren), wie unsere Eltern gedient haben, allein nach Laut des Wortes Gottes.
- Soll die Herrschaft den Bauern die Dienste nicht über das bei der Verleihung festgesetzte Maß hinaus erhöhen. (Eine Anhebung der Fron ohne Vereinbarung war durchaus üblich.)
- Können viele Güter die Pachtabgabe nicht ertragen. Ehrbare Leute sollen diese Güter besichtigen und die Gült nach Billigkeit neu festsetzen, damit der Bauer seine Arbeit nicht umsonst tue, denn ein jeglicher Tagwerker ist seines Lohnes würdig.
- Werden der großen Frevel (Gerichtsbußen) wegen stets neue Satzungen gemacht. Man straft nicht nach Gestalt der Sache, sondern nach Belieben (Erhöhungen von Strafen und Willkür bei der Verurteilung waren üblich). Ist unsere Meinung, uns bei alter geschriebener Strafe zu strafen, darnach die Sache gehandelt ist, und nicht nach Gunst.
- Haben etliche sich Wiesen und Äcker, die einer Gemeinde zugehören (Gemeindeland, das ursprünglich allen Mitgliedern zur Verfügung stand), angeeignet. Die wollen wir wieder zu unseren gemeinen Händen nehmen.
- Soll der Todfall (eine Art Erbschaftssteuer) ganz und gar abgetan werden, und nimmermehr sollen Witwen und Waisen also schändlich wider Gott und Ehre beraubt werden.
- Ist unser Beschluss und endliche Meinung, wenn einer oder mehr der hier gestellten Artikel dem Worte Gottes nicht gemäß wären …, von denen wollen wir abstehen, wenn man es uns auf Grund der Schrift erklärt. Wenn man uns schon etliche Artikel jetzt zuließe und es befände sich hernach, dass sie Unrecht wären, so sollen sie von Stund an tot und ab sein. Desgleichen wollen wir uns aber auch vorbehalten haben, wenn man in der Schrift noch mehr Artikel fände, die wider Gott und eine Beschwernis des Nächsten wären.
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Zur Verbesserung der Verständlichkeit sprachlich modernisiert. Quelle: Wikipedia. Deutscher Bauernkrieg
Luthers reformatorischer Gegner Thomas Müntzer, zeigte auch „Zivilcourage“, allerdings wie Jan Hus bis zu seiner von Luther geforderten Hinrichtung. Müntzer hatte sich für eine radikale Kirchenreform eingesetzt, aber auch für die soziale Befreiung der Bauern, so, wie sie in den 12 Artikeln der Bauern festgehalten waren. Luther rühmte sich, er selbst habe Müntzer letztlich umgebracht – vom Schreibtisch aus.
Luther setzte sich für das Ende des Ablasshandels ein, der tatsächlich die Bevölkerung aussaugte und der auch einen erheblicher Geldabfluss aus den Fürstentümern darstellte. Gegen den Zehnten sprach er sich nicht aus, stattdessen gegen das Zinsennehmen im Geldgeschäft – allerdings nur der Juden. Gleichzeitig gediehen die deutschen Bankhäuser wie das der Fugger, an denen sich Luther nicht rieb, außer dass sie vom Ablasshandel profitierten, den sie vorfinanzierten.
Aus der Fürsten-Theologie Luthers entwickelt sich das protestantische preußische und kaiserliche Staatskirchentum
Angesichts der Stärke der dezentralen Fürsten gegenüber der Kaiserlichen Macht und dem hohen auch materiellen Interesse einiger Fürsten an der Reformation stand die Reformation partiell unter fürstlichem Schutz, und die lutherische Theologie der „Zwei Reiche“ erklärte die Fürstenherrschaft als gottgewollte Ordnung des sündigen irdischen Reichs, wohingegen die Hoffnungen der Gläubigen auf Gnade und Erlösung in das himmlische Reich wiesen. Mit der Gründung des größten deutschen Einzelstaates Königreich Preußen, das sich auf den Staatsprotestantismus stützte, wuchs im 19. Jahrhundert eine große Macht heran, die sich allen demokratischen Bestrebungen (Revolution 1848) militant entgegenstellte und das feudale Gottesgnadentum mit protestantischem Segen behauptete. Die preußischen Hofprediger und nach Reichsgründung 1871 die Prediger am kaiserlichen Hof gaben ihr „Bestes“. Berüchtigt ist der Hofprediger Adolf Stoecker, der von 1874 bis zu seinem Rauswurf 1890 zu den Hofpredigern zählte. Er war ein furioser Antisemit, der alle politischen und gesellschaftlichen Gegner als „verjudet“ bezeichnete. Er war ein Chauvinist, Militarist und Verherrlicher des Kolonialismus, ein Feind der Aufklärung, der Demokratisierung und Säkularisierung, verteufelte das gleiche, allgemeine und geheime Wahlrecht und propagierte einen christlichen Ständestaat. Er gründete mehrere antisemitische Vereine und christlich-erzreaktionäre Parteien, kritisierte als Politiker Bismarck von rechts und musste deshalb schließlich gehen. Bismarcks Kulturkampf gegen den Einfluss des Papsttums trug er allerdings gerne mit.
Liberale protestantische Tendenzen unterlagen im II. Reich dem deutschnationalen antisemitischen protestantischen Konservatismus. In der Weimarer Republik wandte man sich gerne der nationalsozialistischen Bewegung zu und verstieg sich sogar zu einem neureligiösen „Deutschen Christentum“. Die protestantische liberale und demokratische Opposition brauchte nach einer ersten Huldigungsadresse gegenüber Adolf Hitler 1933 als „Bekennende Kirche“ einen langen Anlauf, bis sich Teile auch dem antifaschistischen Widerstand anschlossen. Zunächst war man nur besorgt und verärgert, dass die NSDAP sich in innerkirchliche Angelegenheiten einmischte. (Diese Kurzzusammenfassung der evangelisch-preußischen Entwicklung bildet den damals herrschenden Strang ab, nicht die Gesamtheit des Protestantismus.)
Das antisemitische und hetzerischste NS-Blatt „Der Stürmer – Nürnberger Wochenblatt zum Kampfe um die Wahrheit“ von Julius Streicher erinnerte zwei Wochen vor der Reichs-Pogromnacht an Luthers Judenhetze.
Im Nürnberger Prozess soll Streicher ausgesagt haben, eigentlich müsse hier Luther und nicht er vor Gericht stehen. Ein Kreis schließt sich.
Teile des politischen Protestantismus brachten schon weit vor den Nazis zu Papier, was diese dann nur noch abzuschreiben brauchten.
Die EKD hat noch viel Vergangenheits- und Lutherbewältigung zu leisten und Andockpunkte der Nazis zu beseitigen
Die Auseinandersetzung der EKD mit der Bürde von Luthers Fürtentheologie beschränkt sich letztlich auf die Kritik an der Judenhetze. Dies ist viel zu kurz gegriffen. So muss sich die EKD nicht wundern, dass sie plötzlich Konkurrenz in der Lutherverehrung bekommt von Leuten, die Luthers radikalen Antisemitismus schätzen, aber noch sehr viel mehr. Die Nazis suchen Anschluss. Die EKD hätte gerade anlässlich des Wormser-Reichstagsjubiläums die lutherischen Fundamente einer antidemokratischen, antiemanzipatorischen Traditionsgeschichte des Protestantismus in Deutschland und darüber hinaus thematisieren, die braunen Andockungspunkte schließen müssen, statt Luther ziemlich ungebrochen wie schon 2017 zum Reformationsjubiläum erneut in den Himmel zu heben. Eine solche Auseinandersetzung verursacht sicherlich Krach in der breitbandigen evangelischen Kirche.
Ein eigenes Flüchtlingsschiff ins Mittelmeer zu entsenden war eine gute Idee der EKD. Und aufgeschlossene humanistisch geprägte Menschen um sich zu sammeln ist für die um die Zukunft ringende und dahinschmelzende evangelische Kirche sicherlich die bessere Idee als die braunen Andockungspunkte offen zu halten. Insofern ist die Erzählung vom Wormser Reichstag und Luther (s.o.) schon der bessere Weg, aber wackelig und zu widersprüchlich.
Thomas Trüper