Stadthaus N1 – Die Mannheimer Gebäude-Wegwerf-Kultur
Das Stadthaus vor der Entsorgung – mit Hindernissen
Der Schreck war gewaltig: Am 27.8. erfährt die Stadtverwaltung, dass das zum Abriss vorgesehene Stadthaus N1 von der Landesdenkmalschutzbehörde unter Denkmalschutz gestellt wurde. „Wir müssen diesen Sachverhalt jetzt erstmal analysieren“, lässt der sichtlich verschnupfte OB verlauten. Das hat gerade noch gefehlt. Das Stadthaus war von vornherein eine Fehlkonstruktion, von der man noch während der Bauphase darüber stritt, wofür man es denn überhaupt verwenden könnte. Es war ein Gemeinschaftsprojekt der LBBW und der Stadt Mannheim. Schließlich entschied der Gemeinderat, die Stadtbücherei und Säle für den Gemeinderat nebst einem Bürgersaal dort unterzubringen. Für die Stadtbücherei war das von vornherein ein Unglück.
Die Läden in der kommerziell genutzten privaten Hälfte des Hauses funktionierten trotz zwischenzeitlichen Umbaus bis auf den REWE-Markt nicht. Die zunächst aus kleinen fast-food-Läden bestehende Gastronomie war ebenfalls nicht von Erfolg gekrönt, außer dem großen Marché, wo heute REWE und Der Osten sind. Das Turmcafé musste nach nicht einmal 10 Jahren seinen Betrieb aus brandschutztechnischen Gründen einstellen. Inzwischen häufen sich die Wasserschäden im Haus. Die Heiz-/ Kühlkosten sind immens. Da das Gebäude fast das gesamte Quadrat N1 ausfüllt, sind im Inneren die Verkehrsflächen riesig. Der ökologische Fußabdruck ist ein riesen Schlappen. Alternative Nutzungen wurden schon hin- und hergewälzt – erfolglos. Daher die Erkenntnis: Hier hilft nur Abriss und Errichtung eines völlig neuen Bauwerks. So weit war inzwischen die Diskussion gediehen.
Wohl gemerkt: Das Stadthaus ist gerade einmal 30 Jahre alt. Schlechter Umgang mit einem schlechten Gebäude? Inzwischen sind wir ja sensibilisiert für die Bedeutung der „grauen Energie“ (https://kommunalinfo-mannheim.de/2021/05/07/blockade-gegen-heidelberger-zementwerk-in-leimen/). Die Zementherstellung ist die drittgrößte Quelle der menschengemachten CO2-Emissionen (EarthSystemScienceData https://essd.copernicus.org/articles/11/1675/2019/). Welche ökologische und Baukultur ist es, Beton-Burgen gerade mal 30 oder 40 Jahre zu nutzen und dann „wegzuwerfen“? Aber eigentlich muss man nicht so sehr über den Verwurf am Ende diskutieren als viel mehr über den Entwurf am Anfang.
Die Stocké-Schulen für 20 Jahre
Mannheim hat eine „reiche“ Bau-Wegwerf-Unkultur. Drastischer Höhepunkt waren zweifellos die mindestens fünf sog. Stocké-Schulen. Sie wurden in der ersten Hälfte der 70er-Jahre von einem der größten rheinland-pfälzischen Bauunternehmen, dem Walter Stocké Konzern errichtet. (Dieser ging 1975 – natürlich nicht wegen der paar Schulen – in Konkurs und Stocké ins Gefängnis). Der Abriss dieser Schulen wurde nach 30 Jahren beschlossen, weil sie nicht mehr sanierbar waren. Allerdings hatte die Stadt die Gebäude einst für eine geplante Nutzungsdauer von 20 (!) Jahren beauftragt. Man erwartete damals einen riesigen Pillenknick und endgültig sinkende Schüler*innen-Zahlen – und irrte sich damit. Die Klassengrößen lagen bei über 30 und es herrschte riesige Schulraumnot. Schulbauten waren damals die größte Investitionsaktivität der Stadt. Die Stocké-Schulen waren nach dem „Brockhouse-System“ entworfen: Metallgerüste, die mit baukastenartigen Bauelementen ausgefüllt wurden (Verwaltungsbericht der Stadt Mannheim 1973 – 1976, S.72ff). Die Ersatzbauten Anfang der 2000er-Jahre kosteten dann jeweils um die 15 Mio. Euro – je nach Größe auch mehr.
Mitzlaffbau: MHD: 30 Jahre
In der Hitparade folgt dicht der Abriss des Mitzlaff-Baus der Kunsthalle, der teilweise auf einem maroden, als Magazin genutzten feuchten Bunker stand. Dieser Museumsteil war energetisch miserabel, sicherheitstechnisch so unzulänglich, dass anlässlich der zum Stadtjubiläum 2007 geplanten internationalen Impressionismus-Ausstellung im block-buster-Format die Museumsleitung feststellen musste, dass aus Sicherheitsgründen keine der internationalen Galerien bereit war, Gemälde auszuleihen. Außerdem genügte die teilweise gar nicht vorhandene Klimatisierung nicht den internationalen Anforderungen. Barrierefrei war der Mitzlaff-Bau auch nicht. Ein Teil der Funktionsräume war extern angemietet. Auch hier stellte sich nach umfangreich untersuchten Varianten heraus, dass eine grundlegende Sanierung nur geringfügig preisgünstiger als ein Abriss und Neubau gewesen wäre, ohne wirklich alle strukturellen Mängel beheben zu können. 1983 wurde der Mitzlaff-Bau eingeweiht, 2012 wurde ein internationaler Architektenwettbewerb für einen Neubau ausgeschrieben. Möglich wurde dies nur durch die zweckgebundene 50-Mio.-Euro-Spende des Ehepaares Hector (SAP-Mitbegründer). Auch hier war der Verwurf im Entwurf angelegt. Der Mitzlaff-Bau wurde in der Planungsphase mehrfach verändert, vor allem um den finanziellen Aufwand zu reduzieren. Ergebnis war u.a., dass das Gebäude schon bei seiner Einweihung nicht mehr den Klimatisierungsstandards von Gemäldegalerien entsprach.
Collini-Bürotürme: 45 Jahre, mittlerweile in „Frischhaltefolie“
Kommen wir zu den Collini-Bürotürmen, dem bisherigen technischen Rathaus der Stadt Mannheim. Dieser Gebäudekomplex wurde rechtzeitig zur BUGA 1975 von der Neuen Heimat errichtet (wie auch die gegenüberliegenden Wohntürme der Neckaruferbebauung). Abplatzende Fassadenteile, zunehmende Wasserschäden wegen des maroden Rohrleitungssystems (die vor allem dem einst ebenfalls dort untergebrachten Stadtarchiv zu schaffen machten) wurden immer problematicher. Anstatt einer sehr teuren Kernsanierung mit zwischenzeitlicher Auslagerung in teure Mieträume hat die Stadt beschlossen, im Glücksteinquartier ein neues Technisches Rathaus von ihrer Tochter GBG errichten zu lassen und anzumieten. Im Planungsprozess wurde auch dort aus Kostengründen bei den hohen energetischen Standards und der Verglasung gespart. Inzwischen ist das Gebäude bezugsfertig. Wie lange werden wohl die heute gängigen Bauweisen halten?
Was die Qualität der Baumaterialen in den 70er Jahren betrifft, kann man nur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen: Wasserschäden, wo man hinsieht. Die GBG ist – auch aus brandschutztechnischen Gründen – gezwungen, die Versorgungsschächte ihrer Hochhäuser im Herzogenried und baugleich an der Durlacher Str. in Rheinau für über 40 Mio. Euro grundlegend zu sanieren.
Und damit nicht genug!
Aber auch private Bauherren lassen sich nicht lumpen: Demnächst wird die Sparkasse Rhein-Neckar-Nord ihr Veraltungs- und Kundendienstgebäude am Paradeplatz abreißen (hinter einer jüngeren Fassade steckt ein Haus der 50er Jahre; der Raumbedarf der Sparkasse hat sich grundlegend geändert.). Das Geviert an der Einfahrt in die Augustaanlage (von der Autobahn kommend rechts, einst Mannheimer Versicherung mit dem leuchtenden Fenster-„M“) ist ebenfalls zum Abriss und Neuaufbau in geänderter Form auserkoren. Peek&Cloppenburg hat auf den Planken nach Totalabriss völlig neu gebaut (inzwischen zu groß). Und es ist nicht der einzige Totalabriss auf den Planken.
Den Vogel hat zweifellos die Deutsche Post mit dem „Postareal“ am Hauptbahnhof abgeschossen: Der in den 80er Jahren errichtete riesige Post- Umschlagbahnhof ging erst gar nicht in Betrieb. Der Postverkehr war zwischenzeitlich auf die Straße und in die Luft verlegt worden. Das Areal wurde an Privatinvestoren verkauft – das Ergebnis kann man jetzt bestaunen. U.a. sind fünf Hotels geplant und teilweise auch fertig.
Immerhin: Nicht alles wird weggeworfen!
Es gibt in Mannheim jedoch auch positive Beispiele der erhaltenden Modernisierung: Das Nationaltheater wird aufgrund seiner baukulturellen Bedeutung und seiner immer noch vorhandenen Funktionalität für ca. 300 Mio. Euro generalsaniert und brandschutztechnisch auf Stand gebracht.
Auch das Herschelbad wir für 40 Mio. Euro saniert – es stammt alerdings auch nicht aus den 70ern, sondern aus den 20ern es letzten Jahrhunderts.
Die Hauptpost am Paradeplatz, ein nach Meinung sehr Vieler sehr ästhetischer Bau der 50er Jahre, wird zwar zur Abwechslung mal ein Hotel, jedoch bleiben die Fassaden erhalten. Und es gibt viele weitere Beispiele in den Stadtteilen, in denen statt Abriss saniert wird, auch im Wohnungsbau.
Die GBG saniert am Adolf-Damaschke-Ring und in Schönau Nordwest in Fortsetzung eines riesigen Sanierungsprogramms 50er- und 60er-Jahre-Häuser mit letztlich sehr hohen Kosten. Sie reißt auch ab, wie ebenfalls am Adolf-Damaschke-Ring, um ein paar barrierefreie Häuser zu errichten. Was spricht da gegen Sozialwohnungen? An der Main-/-Kinzigstraße riss sie ähnlich geartete Häuser allerdings ab und baute Punkthäuser mit sehr gutem Standard, aber nicht mehr preiswert. Hiergegen gab es viel Protest.
Der Umgang mit militärischen Bauten aus den 20er- und 30-er Jahren auf den US-Militär-Konversionsflächen ist ein eigenes Kapitel. Jedoch sei bemerkt, dass die schlichte Weitervermietung ehemaliger Kasernengebäude mit Infrastruktur nach US-Norm nicht einfach möglich ist, Eingriffe teuer würden, und der Grundsatz „den Armen die Kasernen“ auch nicht gerade sozial ist.
Längste Haltbarkeit: Das Provisorium – Und immer wieder der Denkmalschutz
Es entbehrt nicht der Pikanterie, dass ein „Gebäude“ der 70er Jahre, das tatsächlich nur für sechs Monate mit erheblichem Aufwand errichtet wurde, mit einer zugesicherten Standzeit (Haltbarkeit) von vier Jahren, nach fast 50 Jahren fröhliche Urständ feiert: Die Multihalle im Herzogenriedpark. Sie ist eine avantgardistische architektonische Meistleistung von Frei Otto und eben jenem Carlfried Mutschler, der auch das Stadthaus N1 plante. Die inzwischen denkmalgeschützte Multihalle auch für folgende Generationen zu erhalten und wieder nutzbar zu machen, ist eine richtige Entscheidung, Erhaltung eines wirklichen Stücks Baukultur.
Ob das Stadthaus N1 so erhaltenswert ist, darf bezweifelt werden. Viele finden diese Architektur einfach nicht schön. Aber im Denkmalschutz geht es ja nicht einfach nur um erhaltenswerte Ästhetik. Es geht um Erhaltung des Erinnerungsvermögens an gute wie an schlechte Phasen unserer Gesellschaft und Kultur. Es mögen sich andere schützenswertere Gebäude der Postmoderne finden. Wenn dem am Ende so ist, wird allerdings wieder ein Gerangel beginnen zwischen einer ansprechenden modernen und nachhaltigen Architektur und der (wenigstens als Potemkinsche Fassade) „Wiedererrichtung“ des „Alten Kaufhauses“. Dieses Barockgebäude geruhte der Kurfürst einst der Mannheimer Bürgerschaft zu schenken. Diese hielt es aber für zu groß und zu unpraktisch. Vielleicht wollte sie sich auch gar nicht mehr von einem Fürsten „beschenken“ lassen? Auf jeden Fall: Sie lehnte ab! So verstaute der Kurfürst Carl-Theodor einen Teil seiner Staatsverwaltung in dem Gebäude. Ab 1909 fungierte es als Rathaus mit dem Saal des Bürgerausschusses. „Kaufhaus“ war das Gebäude, bzw. der vom Krieg übrig gelassene Rest, gerade mal zwischen 1949 und 1958. Dann schritt man zum Abriss und zu zwei folgenlosen Architektenwettbewerben für einen Nachfolgebau. Auf dem Areal liegt ein gewisser Fluch. Vielleicht war die Parole der Grünen in den 80er Jahren, als der Kampf zwischen Moderne und „Wiederaufbau“ des „Alten Kaufhauses“ tobte, doch zukunftsweisend: „Froschteich auf N1!“ Heute wäre es der teuerste Froschteich der Welt.
Will sich die bürgerliche Politik die Zukunft sparen?
Noch einmal zurück zum Umgang mit öffentlichen Gebäuden: Die Errichtung von Gebäuden in schlechter und nicht nachhaltiger Qualität, einschließlich der nicht Wert erhaltenden Bewirtschaftung über die gesamte Gebäudenutzungszeit hinweg, ist nicht zu trennen von reaktionären Auffassungen über öffentliche Haushaltsführung: Sie sind geprägt von letztendlich viel zu teurer „Sparsamkeit“, und sie sehen in der langen darlehensbasierten Refinanzierung solcher Gebäude über eine lange Nutzungsphase hinweg schlicht Teufelszeug. Allerdings benötigt die öffentliche Hand umso weniger Kredite, je besser die großen Einkommen und Vermögen zur Finanzierung der öffentlichen Dinge herangezogen werden.
Thomas Trüper