Trotz “Fahrrad-Monitor”: Mannheim ist nicht Spitze
Nein, Mannheim ist leider kein Fahrradparadies!
Fahrradfahren liegt deutschlandweit im Trend und auch in Mannheim wollen 57% der Menschen zwischen 14 und 69 Jahren zukünftig mehr Fahrrad fahren. Das sind ermutigende Signale aus dem jüngst veröffentlichten „Fahrrad-Monitor“.
Dies sollte eigentlich dazu auffordern, die Infrastruktur für den Mannheimer Radverkehr zu verbessern, um der künftigen Nachfrage gerecht zu werden. Doch aktuell liegt Mannheim bei der Nutzung des Fahrrads noch deutlich hinter seinen Möglichkeiten. Es wird noch zu selten Rad gefahren. Umso ärgerlicher, wenn dieser Rückstand nun, wie jüngst geschehen, mit falschen Daten und Interpretationen verschleiert wird: Das Bündnis Fahrradstadt (ein Zusammenschluss von 15 Verkehrs- und Umweltinitiativen) widerspricht der Behauptung des SINUS-Instituts, in Mannheim würde das „Fahrrad häufiger genutzt als in anderen Großstädten“ (MM v. 5.1.21). Dies entbehrt allen empirischen Grundlagen und ist eine grobe Missachtung statistischer Regeln sowie anderer Erhebungen, die in Mannheim durchgeführt wurden. Denn diese zeigen, dass in Mannheim sogar seltener Rad gefahren wird als in vergleichbaren Städten.
Doch der Reihe nach: Zusätzlich zum bundesweit erhobenen „Fahrrad-Monitor“ hat das SINUS-Institut 2021 eine „Aufstocker-Studie“ mit 300 Befragten in Mannheim durchgeführt. Gut so! Aber den Ergebnissen zufolge geben 50% der (nur) 300 Befragten in Mannheim zur Antwort, das Rad „täglich oder mehrmals in der Woche“ zu nutzen. Weitere 17% „ein paar Mal im Monat“. Auf dieser Basis leitet SINUS eine häufigere Fahrrad-Nutzung als in anderen Großstädten ab, obwohl der Monitor gar keine konkreten Daten für andere Städte besitzt! Verglichen wird Mannheim stattdessen mit einem Mittelwert, der sich aus der Gesamtheit aller deutschlandweit Befragten ergibt, die in einem Ort mit 100-500.000 Einwohnern wohnen.
Aus einem solchen Durchschnittsvergleich eine Spitzenposition Mannheims bei der Fahrradnutzung abzuleiten, ist abenteuerlich und mit statistischen Grundsätzen nicht vereinbar. Der Monitor hat keine Information zur Zahl der Städte, deren Nutzungsrate gleichfalls über dem Mittelwert liegt und daher auch nicht darüber, wie viele dann besser oder schlechter als Mannheim abschneiden. Aus den Daten ist zudem auch nicht abzulesen, dass die „Häufig-Nutzer“ in Mannheim etwa weitere Strecken als anderswo gefahren wären. Wie viele fuhren bspw. nur mal „um die Ecke“? Dennoch wurden die Ergebnisse des Fahrrad-Monitors in der Mannheimer Presse und auch in der Stadtverwaltung aufgenommen als wäre Mannheim ein Fahrradparadies.
Davon kann keine Rede sein. Auch aus anderen als den genannten Gründen: Der Fahrrad-Monitor liefert als „subjektives Stimmungsbild“ (Zitat) zwar einige wichtige Erkenntnisse, etwa zum unausgeschöpften Potenzial des Radverkehrs, oder zur Akzeptanz von Radschnellwegen. Aber die Stichprobe fokussiert auf Fragen zum Radverkehr und bietet keine Daten zum Mobilitätsverhalten der Befragten insgesamt.
Hierzu muss die systematische und größere Stichprobe der SrV-Erhebung verwendet werden. Doch diese attestiert dem Mannheimer Radverkehr das glatte Gegenteil paradiesischer Zustände. Die SrV-Erhebung ist in der Wissenschaft methodisch anerkannt, weil sie „nicht Äpfel mit Birnen vergleicht“, d.h. die unterschiedlichen Bedingungen berücksichtigt, denen die Städte und Menschen unterworfen sind. So sollte in Mannheim, wo die Topographie flach und das Wetter besser als in anderen Städten ist, eigentlich mehr Fahrrad gefahren werden als in hügeligen Städten.
Sortiert man also, wie in der SrV-Erhebung, die Städte nicht nur nach ihrer Größe, sondern auch nach der Topographie und Lage, dann zeigt sich ein vollkommen anderes Bild als im Fahrrad-Monitor: In die Kategorie der „flachen“ Städte unter 500.000 Einwohner fallen bundesweit 17 Kommunen, in denen der durchschnittliche Anteil des Radverkehrs insgesamt bei 23% liegt. Mannheim kommt jedoch nur auf unterdurchschnittliche 20% und damit auf Platz 9. Bei genauer Betrachtung ist dies nicht mal ein mittlerer, sondern ein hinterer Platz, wenn man zusätzlich die Wetterbedingungen berücksichtigt. Nimmt man nur die Großstädte im regenärmeren Südwesten und fügt hier noch diejenigen mit hügeliger Topographie hinzu, dann liegt Mannheim eher am unteren Rand dieser Liste.
Wo der Fahrrad-Monitor dennoch nützliche Informationen liefert
Die Ergebnisse der SrV-Erhebungen vermitteln also ein vollkommen anderes Bild als der Fahrrad-Monitor. Die Monitor-Daten liefern jedoch an anderer Stelle wichtige Informationen, bei deren Ermittlung es methodisch keine Bedenken gibt. D.h. sie sind dort gut verwendbar, wo es nicht um Fragen der Nutzungshäufigkeit des Fahrrads, sondern um die persönlichen Bewertungen bestimmter Angebote im Radverkehr und dessen Infrastruktur geht.
- Über die Hälfte (53%) der Radfahrenden in Mannheim sehen nicht genügend Raum für das Fahrradfahren oder nicht ausreichend breite Radwege.
- 58% sind der Meinung, dass die Infrastruktur nicht familienfreundlich ist.
- 56% der Mannheimerinnen und Mannheimer verlangen „mehr Radwege“ zu bauen. In etwa genauso viele fordern eine „Trennung der Radfahrenden von den PKW-Fahrenden“.
- Zwei Drittel (66%) aller Befragten in Mannheim befürworten die Einrichtung von „Pop-upRadwegen“ wie sie teilweise in anderen Städten während der Covid-Pandemie eingerichtet wurden. In Mannheim jedoch nicht! Bemerkenswert ist, dass die regelmäßig Autofahrenden eine solche Abtrennung ihrer Fahrbahn genauso häufig positiv bewerten wie die regelmäßig Radfahrenden.
- Über drei Viertel aller Befragten in Mannheim (78%) befürworten geschützte Radfahrstreifen (Protected Bike Lanes). Die Tatsache, dass solche Maßnahmen auch von den regelmäßig Autofahrenden zu 78% positiv gesehen werden, zeigt, dass die häufig ins Feld geführten Ängste, Autofahrende würden geschützte Radfahrstreifen generell ablehnen, unbegründet sind.
- Drei Viertel (75%) der Mannheimerinnen und Mannheimer stehen den geplanten Radschnellwegen positiv gegenüber.
- Hier ist besonders hervorzuheben, dass sich 74% der Befragten vorstellen können, bei Umsetzung eines Radschnellwegs diese Strecke häufiger mit dem Rad zurückzulegen.
Zusammengenommen lässt sich also aus den Befunden die Botschaft an die Politik herauslesen, in der Radverkehrsplanung mutiger zu handeln. Mannheim braucht eine Radverkehrsinfrastruktur, die durch attraktive, sicher und zügig befahrbare Hauptrouten einen Umstieg auf das Fahrrad erleichtert.
Anmerkungen:
SINUS-Studie: Zwar wird bei der Befragung die Gemeindekennziffer festgehalten. Da in der Deutschland-Stichprobe jedoch nur 636 Befragte in Orten mit 100-500.000 EW wohnen, reichen die Fallzahlen natürlich bei weitem nicht aus, um für einzelne Städte Aussagen zu treffen, geschweige denn ein Ranking zu erstellen. Die 636 Befragten verteilen sich auf fast 70 Städte dieser Größe.
SrV steht für „System repräsentativer Verkehrserhebungen“. Mit diesen Erhebungen zur „Mobilität in Städten“ wurden von der TU Dresden 2018 bundesweit 186.000 Personen in 135 Städten und Gemeinden befragt und deren Mobilitätsverhalten in hoher detaillierter Schärfe dokumentiert.
Für das Bündnis Fahrradstadt Mannheim: Ines Joneleit, Klaus Dieter Lambert, René Leicht, Matthias Wirtz
Bündnis Fahrradstadt Mannheim: Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club (ADFC), Verkehrsclub Deutschland (VCD) Regionalverband Rhein-Neckar, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) Mannheim, Kidical Mass Mannheim, QuadRadEntscheid Mannheim, Extinction Rebellion, LaMa Lastenvelo Mannheim e.V., Fridays for Future Mannheim, Greenpeace Mannheim-Heidelberg, Ökostadt Rhein-Neckar e.V., Verkehrsforum Neckarau, Lokale Agenda 21 Mannheim-Neckarau, Die GRÜNEN/Bündnis 90, Kreisverband Mannheim, Arbeitskreis Radverkehr der GRÜNEN Mannheim, AK Verkehr der LINKEN Mannheim und viele Einzelpersonen
Hier der LINK zum Flyer incl. 2 Graphiken: Bündnis Fahrradstadt_PM Fahrrad-Monitor