Lange Märsche für „Freiheit für Öcalan“ – polizeiliche Eskalation in Mannheim
Friedlicher Verlauf trotz behördlicher und polizeilicher Repression – nur vor Mannheim eskalierte die Situation
Der vom Dachverband der kurdischen Vereine in KON-MED und dem Verband der Frauen aus Kurdistan in Deutschland (YJK-E) organisierten Langen Märsche finden in diesen Tagen überall in Deutschland statt, ähnliche Veranstaltungen auch in anderen europäischen Ländern. In der Regel beteiligen sich bei den mehrtägige Fußmärschen 100 bis 200moder 300 Personen. Auch wenn die Märsche landläufig oft als „Kurdenmärsche“ bezeichnet werden, nehmen inzwischen viele Aktivistinnen und Aktivisten aus zahlreichen Ländern teil, darunter aus Lateinamerika, Spanien, Italien, Frankreich, der Schweiz, Deutschland, skandinavischen Ländern, Belgien und Österreich teil.
Hintergrund der seit einigen Jahren statt findenden Märsche ist die Inhaftierung des kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan, der seit 23 Jahren auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali unter Isolationshaftbedingungen festgehalten wird. Die kurdische Bewegung prangert die lebensbedrohlichen Haftbedingungen an und fordert „Freiheit für Abdullah Öcalan“.
In Frankreich erlaubt…
Im europäischen Ausland wie Frankreich, Niederlande und Belgien laufen die Märsche aus polizeilicher Sicht unproblematisch ab. In diesen Ländern sind die kurdischen Symbole und Bilder von Öcalan nicht verboten.
In Deutschland verboten: Absurde Verbote von kurdischen Symbolen, Parolen und Bilder von Öcalan
In Deutschland sind kurdische Symbole und Fahnen bei Demonstrationen sehr reglementiert und vielfach verboten, da ein „PKK-Bezug“ angenommen wird. Grundlage der Verbote ist das sog. PKK-Verbot von 1993. Die Verbote reichen weit über die PKK hinaus und betreffen eine Vielzahl von Organisationen und Symbolen. Aber auch in Deutschland ist die Verbotspraxis sehr unterschiedlich.
Während in Nordrhein-Westfalen und Saarland die Bilder von Öcalan für die Langen Märsche erlaubt waren, waren sie in Hessen, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz verboten. Eigentlich absurd, da das Hauptthema sich nun einmal um die Person Öcalan drehte. Von den Verboten betroffen war der Lange Marsch von Frankfurt nach Saarbrücken über Darmstadt, Mannheim und Ludwigshafen vom 6. bis 11. Februar. Das Verwaltungsgericht Darmstadt lehnte einen kurzfristigen Einspruch gegen das Bilderverbot ab.
Eskalation vor Mannheim
Während des Fußmarsches von Weinheim nach Mannheim ist sogar das Rufen von Parolen mit Öcalan-Bezug („Biji Serok Apo“, „Es lebe Öcalan“) polizeilich untersagt worden, obwohl diese Parolen im behördlichen Genehmigungsbescheid nicht als verboten ausgewiesen waren. Das fällt dann unter die Entscheidung der polizeilichen Einsatzleitung, die diese Parole als „PKK-Bezug“ wertet. Die Demonstrationsteilnehmer haben die Polizei als sehr aggressiv erlebt. Zwei Teilnehmer aus den USA und aus Thailand wurden wegen vermeintlicher Beamtenbeleidigung festgenommen, ihnen wurde die weitere Teilnahme verboten.
Der Marsch wurde im Zuge dieser Auseinandersetzungen fast 3 Stunden aufgehalten. In Heddesheim auf halber Wegstrecke löste sich die Versammlung auf, da der Zeitplan weit überschritten war, um vor Einbruch der Dunkelheit in Mannheim zu sein.
Die Veranstalter wollten mit der Polizei aber aushandeln, dass zumindest eine Delegation zur Maulbeerinsel in MA-Feudenheim zuglassen wird, um einen Gedenkkranz niederzulegen. Dort haben sich 1994 zwei kurdische Frauen aus Protest gegen die Unterdrückung der Kurden in der Türkei verbrannt. Die Polizei untersagte aber „für den heutigen Tage“ alle „nachfolgenden Veranstaltungen“. Ein entsprechendes Polizeiaufgebot sicherte die Stelle auf der Maulbeerinsel und den Platz vor dem Nationaltheater in Mannheim ab, damit keine Versammlung stattfinden konnte. Beim Nationaltheater sollte ursprünglich die Abschlusskundgebung stattfinden.
In keiner anderen Stadt eskalierten die Auseinandersetzungen derart wie in Mannheim. Es wäre zu leicht, die Fehler nur bei der Polizei zu suchen. Hauptverantwortlich ist eine Politik, die die Kurden strukturell kriminalisiert und als potenzielle Gewalttäter stigmatisiert. Eine eigentlich friedliche Veranstaltung wie der Lange Marsch mit 150 Teilnehmern wird unter Generalverdacht gestellt und mit einem total unverhältnismäßigen Polizeiaufgebot überzogen, das wesentlich größer ist als die Zahl der Demonstranten. Das immense Polizeiaufgebot wirkt einschüchternd und sorgt für keine gute Stimmung. Bei dem Marsch nach Mannheim flog sogar ein Polizeihubschrauber über den Köpfen der Friedenmarschierer.
Mannheim und Weinheim orientierten sich in ihren polizeilichen Auflagen an die im Prinzip schon sehr repressiven Auflagen der Städte Frankfurt und Darmstadt. Die Polizei sah sich bemüßigt, diese Auflagen ohne das hierfür notwendige Fingerspitzengefühl durchzusetzen.
Es ist übrigens interessant, dass die Langen Märsche, die mit weniger Auflagen und weniger Polizei überzogen waren, von Auseinandersetzungen mit der Polizei verschont blieben. In Saarbrücken, Düsseldorf und Dortmund haben die Menschen unbehelligt Öcalan-Bilder getragen und Parolen gerufen und die Polizei hielt sich im Hintergrund.
Engin Sever Co-Vorsitzender des Dachverbands KON-MED ging in seiner Ansprache beim Langen Marsch in Dortmund auf die „Kreativität“ ein, die deutsche Behörden bei der Kriminalisierung der kurdischen Bewegung zeigten. Dabei verwies er auf das Verbot des Darmstädter Ordnungsamtes von Abbildern Öcalans und Fahnen in den Farben grün, rot und gelb beim internationalistischen langen Marsch nach Straßburg, das vom Verwaltungsgericht Darmstadt bestätigt worden war – trotz eines Beschlusses des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalens, wonach das Zeigen von Öcalan-Bildern rechtlich zulässig ist. „Wir fordern die deutschen Behörden auf, ihre absurde Verbots- und Kriminalisierungspolitik bezüglich Kurdinnen und Kurden zu beenden. Stattdessen sollte die Bundesregierung angesichts antikurdischer Menschenrechtsverletzungen eine eindeutige Haltung gegenüber dem faschistischen Regime in Ankara einnehmen.“
Roland Schuster