Der kirchliche „Grundstücksverkehr“ muss sich dem Gemeinwohl beugen!
Es krachte zwischen dem Mannheimer evangelischen Dekan Hartmann und dem Bildungsdezernenten der Stadt, Dirk Grunert (Grüne). So zumindest berichtet es der Mannheimer Morgen am 10.03.22 und so pfeifen es die Spatzen vom Rathausdach. Grund für den Krach ist demnach mal wieder ein Grundstücksverkauf der ervang. Kirche in Mannheim an einen Privatinvestor, statt – wie lt. Grunert versprochen – an die Kommune. Es ist auch nicht ein x-beliebiges Grundstück. Auf ihm steht eine kleine eingruppige Kita (Rottannenweg in der Gartenstadt).
Dahinter verbergen sich gleich zwei massive Probleme im Doppelpack: Erstens ein erneuter Rückschlag für den strategischen Ausbau der Kita-Versorgung in Mannheim, wie ihn die Stadt vorantreibt, und zweitens das viel zu spät erkannte Erfordernis der sozialen Bodennutzung in Mannheim und seiner Absicherung. Und drittens könnte man hinzufügen: Das Thema ist nicht neu, wird sich aber in Zukunft mit großer Wahrscheinlichkeit noch verschärfen, sodass es einer Strategie bedarf, wie damit umzugehen sei.
75 Kitaplätze weniger
Die Schreckensmeldungen aus der evangelischen Kirche kamen im Januar: Drei Kitas (Füllenweg in Sandhofen, Mönchwörthstraße in Neckarau und Schwarzwaldstraße Lindenhof) sollen früher als 2015 geplant, in diesem und dem kommenden Jahr geschlossen werden. Dadurch werde sich erstaunlicherweise nichts grundsätzlich an der Versorgung der betroffenen Kinder und nichts an den Arbeitsplätzen ändern: Alle kommen in anderen ervang. Kitas unter, so der Dekan. (MM 14.01.2022). Aber in der Gesamtbilanz fehlen diese Plätze natürlich. Ferner werden zwei geplante Neubauten (Kita Kirchgasse in Sandhofen sowie Neubau an der Markuskirche im Almenhof) gestoppt. Die tatsächlich massiv gestiegenen Baukosten würden die Finanzkraft der Evangelischen Kirche um 3 Mio. Euro übersteigen. Und außerdem fehle es hinten und vorn an Personal, sodass ca. 50 Stellen nicht besetzt werden und entsprechend vorhandene Gruppen geschlossen bleiben müssen (https://www.ekma.de/Neuigkeiten/ne_id/3589/backLink/). Letztlich geht es um den Verlust von 75 Kita-Plätzen. Dies sind wohlgemerkt nur die Hiobsbotschaften aus dem Bereich der Ervang. Kirche. Auch die katholische Kirche trägt zu der Problemlage bei. KIM berichtete vom Verkauf des St. Nikolaus-Kindergartens am Steingarten (Neckarstadt Ost) .
Unsichere Kantonisten der Subsidiarität
Das Angebot an Kindergartenplätzen in Mannheim wird zu zwei Dritteln von freien Trägern und dort überwiegend von den beiden großen Kirchen erbracht:
Diese Konstellation ist dem grundgesetzlich abgesicherten Subsidiaritätsprinzip geschuldet, welches besagt: Der Staat (und vergleichbar auch die Kommune) hat die Daseinsvorsorge zu garantieren aber nicht selbst zu erbringen. Er hat freien Trägern den Vortritt zu lassen; er muss nur dort Leistungen erbringen, wo dies andere nicht tun, also so wenig wie möglich und so viel wie nötig.
Im 20. Jahrhundert gehörte zunächst fast die ganze Bevölkerung einer der beiden großen Kirchen an. Jeder Stadtteil hatte somit seine eigenen Kirchengemeinden, und diese betrieben für ihre Mitglieder, aber nicht nur für diese, z.B. Kitas (nicht ohne Werbe- oder Missionsabsicht). Inzwischen sind die Kirchengemeinden deutlich geschrumpft und auf dem Rückzug. Das führt zu Problemen mit einer viel zu großen Infrastruktur und es kommt zu Schließungen und Zusammenlegungen.

Quelle: 4. Mannheimer Bildungsbericht, S. 47. In den Krippen beträgt der Anteil der ev. Kirche am Gesamtplatzanagebot 16%. Der Anteil der kath. Kirche beträgt im U3-Bereich 10%. Stand 31.12.2016
Das Grundproblem (nicht nur) der Evangelischen Kirche
Klarer als Dekan Hartmann in einer turbulenten Gemeindeversammlung der Versöhnungskirche (am Rheinauer Marktplatz) kann man die Situation eigentlich nicht beschreiben. Er wird im Mannheimer Morgen vom 22.02.22 folgendermaßen zitiert: „Wir werden als Kirche in Zukunft mit deutlich weniger Ressourcen auskommen müssen. Wir sind in Mannheim nur noch 20 Prozent Evangelische. Unser Gebäudebestand ist aber noch auf die Struktur von 50 Prozent ausgerichtet, die wir in den 1960er Jahren hatten.“ Und der Prozess geht weiter: Im Jahr 2019 verlor die evang. Kirche in Mannheim 1.762 Mitglieder, zu 75% durch Austritte. Inzwischen gibt es nur noch 19 Gemeinden, aber 30 Kirchengebäude, 58 Pfarr- und Gemeindehäuser und 44 Kitas. Es wurden in letzter Zeit schon vier Kirchen geschlossen bzw. entwidmet, zwei davon abgerissen, so z.B. die erst 1982 eingeweihte Immanauelkirche, die schon 30 Jahre später wieder abgerissen wurde.
Die verkaufte Kirche: „Einweihung der Immanuelkirche war am 21. November 1982. Im Sommer 2010 wurde die Immanuelkirche verkauft. Die Immanuel-Pfingstberggemeinde entschloss sich zu diesem Schritt, nachdem abzusehen war, dass die hohen Kosten der Bauunterhaltung in absehbarer Zeit zu unlösbaren finanziellen Kosten geführt hätten. Am 20. März 2011 wurde ein letzter Gottesdienst in der Kirche gefeiert. 2012 wurde die Immanuelkirche gänzlich abgerissen. Auf einem Teil der Fläche wurde ein neues Gemeindezentrum mit einem Kindergarten gebaut, in dem auch Räumlichkeiten für das Gemeindeleben zur Verfügung stehen.“ (https://gemeinderheinau.ekma.de/ehemalige-immanuelkirche/)
Die Kirche unterwirft sich der gnadenlosen profitlichen Immobilienlogik: Ein Gebäude kostet im Laufe seines Lebenszyklus das Vierfache seiner Baukosten, rechnet die kirchliche Immobilienfirma und Waldbeigentümerin „Pflege Schönau“ vor. Ein Kirchengebäude kostet also nur. Der Verkauf bringt Geld. Die Errichtung einer Kita refinanziert sich aus Elternbeiträgen und öffentlichen Zuschüssen. Da kann ein kleines Gemeindezentrum noch drangebaut und mitfinanziert werden. Für die Versöhnungskirche in Rheinau schlägt der Dekan den Abriss des (nur kostenden) Gemeindehauses vor und ersetzt es ebenfalls durch eine Kita, die sich selber trägt. Ob die Kirche am Ende nicht doch abgerissen / verkauft werden muss, lässt er offen. So kann tatsächlich aus der kirchlichen Immobilienlogik auch mal der eine oder andere Kindergarten sprießen. Hauptsächlich nimmt die Entwicklung aber einen gegenteiligen Verlauf. Exemplarisch war der Versuch, 2016 die Epiphaniaskirche in Feudenheim samt Pfarrhaus, Gemeindesaal und Kita abzureißen und Häuser des „gehobenen Wohnens“ stattdessen zu errichten. Mit einem Teil des zu erzielenden Überschusses wäre dann in ziemlicher Entfernung gemeinsam mit der katholischen Kirche eine neue Kita errichtet worden, die zwei andere ersetzt hätte. Der Plan scheiterte an der Nicht-Einigung mit den katholischen Glaubensbrüdern, vor allem aber – womit der Dekan nicht gerechnet hatte – auf dem Bestehen des Gemeinderats auf dem alten Bebauungsplan, der ein Gebäude des Gemeinnutzes – den Kindergarten – zwingend vorschreibt. Bürgerprotest verhinderte den Abriss der Kirche, sodass nun nur ein Teil des kirchlichen Geländes mglw. von der „Pflege Schönau“ mit teuren Wohnhäusern bebaut wird. Die Bilanz ist dann immer noch positiv, trotz Kita an Ort und Stelle.
Öffentliche Kontrolle über Grundstücke – soziale Bodennutzung!
Die Kita Epiphanias konnte also über den Bebauungsplan gerettet werden. Und aktuell im Gegensatz zum sehr profitlichen Verkauf des Grundstücks Kita Rottannenweg gibt es am Standort Hessische Straße keine freie Hand. Hier werde der Käufer in Geschosswohnungsbau „im mittleren Preissegment“ investieren, aber er muss auch wieder eine Kita errichten, weil diese so im Grundbuch verpflichtend festgeschrieben sei.
Bebauungspläne, Grundbucheinträge, kommunales Erbbaurecht (wie beim Gelände der Kita St. Nikolaus Am Steingarten, dessen Weiterverkauf an einen Immobilienkonzern mglw. doch noch verhindert werden kann) All dies sind Hebel, mittels derer die Kommune die öffentliche Kontrolle über ihren Grund und Boden in der Stadt behalten und im Verkaufsfalle z.B. seiens der Großgrundbesitzer Kirchen auch noch erweitern kann. Denn am sichersten ist: Die Kommune behält die im Sinne des Gemeinwohls nutzbaren Grundstücke.
Der kirchliche „Grundstücksverkehr“ muss sich dem Gemeinwohl beugen!
Es wird, bis die – mittlerweile viel zu großen – Schuhe der Kirchen wieder passen, noch zu vielen Grundstücksverkäufen kommen. Hier müssen Stadt und Kirche zu einem Verfahren kommen, welches die Grundstücke dem Gemeinwohl zuführt. Das heißt für die Kirchen: Verzicht auf den Maximalpreis beim Grundstücksverkauf; der Bodenrichtwert muss genügen. Das heißt im Gegenzug für die Stadt: Sie muss jederzeit bereit sein, solche Grundstücke zu kaufen, zur Stärkung ihrer Bodenvorräte. Der Bodenfonds muss entsprechend ausgestattet werden.
Der Kirche muss ins Stammbuch geschrieben werden: Subsidiarität ist die Teilhabe an der Daseinsvorsorge der Bevölkerung. Dafür gibt es auch die öffentlichen Zuschüsse. Wenn die Subsidiarität seitens der Kirchen nicht mehr im historischen Ausmaß ausgefüllt werden kann, endet deswegen nicht die Verantwortung für das Gemeinwohl. Diese Verantwortung muss auch im „Grundstücksverkehr“ wahrgenommen werden, einfach christlich.
Und damit es nicht zu so unschönen „Missverständnissen“ wie zwischen dem Dekan und dem Dezernenten kommt, muss ein Grundlagenvertrag über diese Materie abgeschlossen werden. Es ist höchste Zeit!
Noch besser allerdings wäre es auch hier, der Bundestag würde endlich ein allgemeines Vorkaufsrecht der Kommunen für Grundstücke zum Bodenrichtwert beschließen. Dies ist überfällig!
Thomas Trüper, Altstadtrat (DIE LINKE / LI.PAR.Tie.)