Verwaltungsgerichtshof Mannheim: Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung auch für Geflüchtete?
Berufungsverfahren in Sachen Alassa Mfouapon gegen das Land Baden-Württemberg
Verwaltungsgerichtshof Mannheim: Gilt für eine Flüchtlingsunterkunft das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung?
Mit dieser Frage hatte sich der baden-württembergische Verwaltungsgerichtshof in Mannheim unter Vorsitz des VGH-Präsidenten Ellwanger am 28. März 2022 in zweiter Instanz zu befassen. Das Urteil wird in den nächsten Tagen oder Wochen schriftlich zugestellt.
Im Februar 2021 hatte der Bundessprecher des Freundeskreis Flüchtlingssolidarität, Alassa Mfouapon, in erster Instanz zum Teil erfolgreich vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart geklagt. Am 20. Juni 2018 nachts um 4 Uhr drangen sechs Polizeibeamte in die Landeserstaufnahmestelle für Geflüchtete (LEA) in Ellwangen ein, um den damals dort untergebrachten Alassa Mfouapon für eine geplante Abschiebung nach Italien dingfest zu machen. Die Polizeimaßnahmen gegen ihn seien überzogen und unverhältnismäßig
Das Verwaltungsgericht Stuttgart erkannte aber nicht an, dass die Zimmer von Alassa Mfouapon und der anderen Flüchtlinge in der Unterkunft als Wohnung im Sinne von Artikel 13 GG anzuerkennen sind. Das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung käme hier nicht zur Anwendung. Das sei nach Meinung von Alassa Mfouapon nicht hinnehmbar und deshalb ist er dagegen in die Berufung gegangen.
Der Vorsitzende Ellwanger stellte fest, dass Zimmer in einer Flüchtlingsunterkunft grundsätzlich den Schutz des Grundgesetzes genießen. Zu entscheiden sei jetzt, ob es sich bei der Aktion der Polizei um eine Durchsuchung (ohne richterliche Anordnung) oder um ein einfaches Betreten durch die Beamten gehandelt hat. Die Polizeizeugen waren bemüht darzustellen, nur im zweiten Sinn (einfaches Betreten) gehandelt zu haben. Es bleibt abzuwarten, ob der Verwaltungsgerichtshof in diesem Sinne urteilt.
Der Verhandlung wohnten über 20 Unterstützer/-innen von Alssa Mfoupon bei. Wegen der zu geringen Größe des Sitzungssaales wurden nicht alle Menschen als Publikum zugelassen. Vor Beginnn des Prozesses fand vor dem Gebäude des VGH ein über einstündige Kundgebung statt, bei der u.a. Alassa Mfouapon und sein Anwalt, Rechtsanwalt Roland Meister sprachen.
Über die Kundgebung gibt es ein Video. Hier ist der Link: https://youtu.be/8H1HTrQRyhA
Im unten stehenden Text drucken wir eine Pressemitteilung des Freundeskreis Flüchtlingssolidarität in SI (Solidarität International) ab.
Roland Schuster
Pressemitteilung des Freundeskreis Flüchtlingssolidarität in SI, 29.03.2022
Prozess Alassa Mfouapon gegen Land Baden-Württemberg: David gegen Goliath
Fast wie der Kampf eines David gegen Goliath mutete die mündliche Verhandlung der Klage von Alassa Mfouapon gegen das Land Baden-Württemberg an, die am 28.03.22 vor dem Verwaltungsgerichtshof stattfand. Eines sehr mutigen David allerdings, der unterstützt wurde von breiter Solidarität, die bei einer Kundgebung vor dem Gericht deutlich wurde und auch unter den Prozessbeobachtern, deren Zahl leider vom Gericht begrenzt wurde. Auf wichtige Aspekte wurde in den Kundgebungs-Redebeiträgen hingewiesen: Der Teilerfolg beim ersten Verfahren wurde gewürdigt, das den Polizeieinsatz am 3. Mai in der LEA Ellwangen als rechtswidrig beurteilte. Heftig kritisiert wurde die Entscheidung, die Räume in Flüchtlingscamps mit Gefängnissen zu vergleichen und ihnen die Schutzwürdigkeit abzusprechen. Menschenrechte müssen für alle gelten! Die Redner wiesen auch alle Spaltungsversuche zurück, wie sie in den unterschiedlichen Behandlungen von Flüchtlingen zum Ausdruck kommt, denn so wie jetzt die Flüchtlinge mit ukrainischem Pass behandelt werden – Freizügigkeit, Arbeitserlaubnis, menschenwürdige Unterbringung – so müssten alle Flüchtlinge behandelt werden!
Gleich zu Anfang der Verhandlung wurde ein Teil des Revisionsbegehrens abgewiesen – nach Auffassung des Gerichts sei der Revisionsantrag hier nicht ausreichend auf alle Aspekte des Urteils eingegangen, gegen die Revision eingelegt wurde. Um die wichtige Frage der Schutzwürdigkeit von Flüchtlingsunterkünften trotzdem verhandeln zu können, verzichteten Alassa als Kläger und sein Anwalt auf diesen Teil der Revision.
Erneut waren Polizeibeamte als Zeugen geladen, die beim Einsatz zur Abschiebung am 20 Juni 2018 vor Ort waren. Doch während Alassa Mfouapons Erinnerung an diesen Tag „seit vier Jahren wie eingebrannt in meinem Gedächtnis ist“, und er mit einer klaren und schlüssigen Schilderung der Ereignisse aufwarten konnte, hatten alle drei Beamten auffallend gleichlautende Gedächtnislücken, während sie sich an anderer Stelle übereinstimmend präzise und detailliert zu erinnern vermochten. Ein Schelm, wer Böses denkt! Hatten sämtliche sechs Polizisten das Zimmer betreten? Seinen Mitbewohner im Zimmer kontrolliert und ihn danach befragt, wo sich Alassa aufhalte? Waren sie diesem später ungefragt in sein Zimmer gefolgt? Der Kläger konfrontierte die Polizisten mutig mit seinen Erinnerungen: „Haben Sie mich abgetastet? Haben Sie in meinen Schrank geschaut? Die Zeugen bestritten das vehement.
Das Urteil wurde noch nicht gesprochen, sondern wird schriftlich zugestellt werden. Als Erfolg kann aber voraussichtlich jetzt schon verbucht werden, dass das Gericht, wie schon einige Wochen zuvor anlässlich einer Klage von Flüchtlingen gegen die Hausordnungen der LEAs, den schutzwürdigen Wohnungscharakter der Räume in Flüchtlingscamps anerkennen will.
Der Vergleich der Räume in Unterkünften mit Gefängniszellen weicht in der abschließenden Bewertung des Vorsitzenden dem Vergleich mit Krankenzimmern, für die es dann ein „Betretungsrecht“ gäbe. So wurde deutlich, wie „elastisch“ das bürgerliche Recht ist – man kann es schon so biegen, wie es den Herrschaften passt. Da wird dann plötzlich unterschieden, ob es sich um ein „Betreten“ oder ein „Durchsuchen“ handelt, oder auch, ob eine „Wohnung“ so klein ist, dass man von der Tür aus schon alles überblicken kann (erlaubt!) oder eine größere Liegenschaft, in die man hineingehen muss, um alles in Augenschein zu nehmen (nicht erlaubt). Es könnte sich erneut bewahrheiten, was Anatole France einst treffend so formulierte:
„Das Gesetz in seiner majestätischen Gleichheit verbietet den Reichen wie den Armen, unter den Brücken zu schlafen, auf den Straßen zu betteln und Brot zu stehlen.“