Ein Jahr Polizistenmorde bei Kusel – offene Fragen
Am Montag, dem 31. Januar 2022 wurden gegen 4 Uhr 20 bei Kusel bei einer Fahrzeugkontrolle eine junge Polizistin und ein junger Polizist in verstörend brutaler Weise erschossen. Die Familien, die KollegInnenen und die zwei Dörfer im Saarland, in denen die beiden gelebt hatten, sind bis heute aufs schwerste belastet. Die gesamte Familie der jungen Polizistin ist noch nicht arbeitsfähig.
Dem 29-jährigen Polizeioberkommissar Alexander K. und der 24-jährigen Polizeianwärterin Yasmin B. Fällt an diesem Morgen auf und wird von ihnen auch noch der Einsatzzentrale gemeldet, dass sich in dem stehenden Lieferwagen über zwanzig tote Hirsche und Rehe befinden. Damit wird unmittelbar klar, dass die Morde geschehen waren, um Wilderei zu vertuschen. Im Kühlhaus des Andreas S. finden sich Stunden später mehrere Tonnen toter, verkaufsfertig zubereiteter Tiere sowie 20 ausgeweidete Wildkadaver und Tierabfälle. Beide Verdächtige werden noch am selben Tag festgenommen, einer von ihnen ist inzwischen zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.
Zwei Tage nach den Morden wird der Inhalt einer Whatsapp-Sprachnachricht bekannt, die der Präsident des Landesjagdverbades an seine Jagdkollegen verschickt hat. Daraus ergibt sich, dass der Jagdpräsident wohl nicht nur über die professionell betriebene Wilderei, sondern auch über andere Verbrechen des inzwischen Verurteilten Andreas S. seit langem bestens informiert war. In den folgenden Wochen weitet sich der Skandal – vor allem durch Nachforschungen der RHEINPFALZ – immer weiter aus. Aus den Mosaiksteinen ergibt sich schließlich ein Bild, das ähnlich verstörend wirkt wie die Morde selbst.
Andreas S. hatte nicht zum ersten, sondern zum dritten Mal Personen angegriffen, die ihn beim Wildern erwischt hatten. Die beiden ersten Male hatte er versucht, die Betreffenden zu überfahren. Bereits 2004 hatte er einen Jagdkollegen mit einer Schrotladung schwer verletzt, musste aber den Jagdschein erst sechs Jahre später abgeben und bekam ihn schon nach zwei Jahren wieder. Er, der jahrelang Privatpersonen und Gastronomien mit enormen Mengen Wildfleisch versorgte, hatte, wie allgemein bekannt war in dieser Gegend, wo jeder jeden kennt, schon vieles auf dem Kerbholz. Darunter fünf Anzeigen wegen Wilderei, eine Insolvenzverschleppung, Unterschlagung von Lohngeldern seiner Angestellten, ein aus versicherungstechnischen Gründen inszenierter Raubüberfall auf das eigene Unternehmen und eine aus ebensolchen Gründen vorgenommene Brandstiftung an eigenen Fahrzeugen. Gegen ihn hatte es 24 Ermittlungsverfahren gegeben, von denen aber kein einziges zu einer Verurteilung geführt hatte. Im Prozess wegen der beiden Morde gilt er deshalb als nicht vorbestraft.
Mitwisser und Mittäter
Verschiedene Sprecher der Jagdverbände versuchen unmittelbar nach der Tat, das Geschehene als Einzelfall darzustellen. Obwohl in der Szene bekannt ist, dass auch viele Jäger wildern, sowohl aus Mordlust als auch wegen der beträchtlichen Gewinne, die sich erzielen lassen. Die Statistik des Deutschen Jagdverbandes weist etwa 4,5 bis 5 Millionen pro Jahr getöteten Wildtiere auf. Nach Schätzung des Vereins Wildtierschutz sind es aber pro Jahr in Deutschland etwa sechs bis sieben Millionen Tiere, die im Rahmen der Jagd legal oder illegal getötet. Für das Fleisch werden Verkaufspreise von 20 bis 30 Euro pro kg erzielt.
Es wird klar, dass Andreas S. nicht nur dutzende Mitwisser gehabt haben muss, sondern auch Behördenmitarbeiter, die ihn geschont oder gedeckt haben. Und – er hatte auch mehrere Mittäter. Als Mitwisser und Mittäter geraten nicht nur Personen aus dem Jagdverband in Verdacht, sondern auch Mitarbeiter der Jagdbehörde sowie Gastronomen, die sich der Hehlerei schuldig gemacht haben und sogar Angehörige der Polizei. Es entsteht nicht nur der Verdacht, dass die gegen ihn vorliegenden Anzeigen – wie es die RHEINPFALZ charmant formuliert – „nicht ausermittelt“ wurden. Er wurde auch beobachtet, wie er in Begleitung eines Polizisten ein von ihm angeschossenes Reh suchte.
Rechtsextreme Kreise eröffnen nach der Tat weitgehend ungestraft einen Sturm der Hetze – gegen die Opfer. Über 500 Personen werden ermittelt, aber nur ein Mann wird verurteilt, weil er eine Prämie dafür aussetzt, weitere Polizisten zu ermorden. Der Verschwörungsexperte Benjamin Winkler kommentiert: „Die beiden mutmaßlichen Täter passen meiner Meinung nach perfekt in das Profil von ‚Reichsbürgern‘, auch wenn es bislang keine Belege gibt, dass sie dieser Szene angehörten.“
Die Tat von Kusel ist einzuordnen in einen allgemeinen Trend zur Bewaffnung mit Parallelen zum gesellschaftlichen Rechtstrend. In Deutschland befinden sich mehr als 5 Millionen Schusswaffen in Privatbesitz, Tendenz stark steigend. Die meisten davon, nämlich 3,8 Millionen sind sogenannte Gewehre und Flinten, vor allem für Jagdzwecke. In Deutschland gibt es etwa 1.000 Berufsjäger. Die Anzahl der ‚Hobbyjäger‘ aber ist seit 1990 bis heute explodiert von etwa 300.000 auf über 400.000. Damit gibt es in Deutschland mehr als doppelt so viele ‚Hobbyjäger‘ wie Soldaten (derzeit 184.000). Die in höchsten und höchst konservativen Kreisen schon immer geschätzte und geschützte Hobbyjagd wird für viele zu einem neuen Statussymbol, zum “neuen Golfen”. Sie steht in einer Jahrhunderte alten gesellschaftlichen und kulturellen Tradition der rücksichtslosen Herrschaft über Mensch und Tier. Die Jagd ist ein ‚Hobby‘, das anders als die Jäger vorgeben, riesige ökologische Schäden verursacht. Und eine Tätigkeit, die an sich bereits gewalttätig, grausam und brutal ist und eine besonders abstoßende Front im Ausbeutungskrieg gegen die Natur darstellt.
Michael Kohler