Migrationskonferenz der LINKEN: „Anforderungen an linke Migrationspolitik in Zeiten von Kriegen und Krisen“
Erfolgreiche Migrationskonferenz mit über 75 Teilnehmerinnen und Teilnehmern am 18.2.2023 im Stadthaus in Mannheim
Eröffnungsbeiträge von Janine Wissler, Co-Vorsitzende DIE LINKE und Gökay Akbulut MdB, Migrationspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Linken im Eröffnungsplenum. In einem Online-Beitrag sprach Özlem Demirel MdEP, Außen- und Sozialpolitische Sprecherin DIE LINKE im Europaparlament, zum EU-Grenzregime.
Veranstalter*innen der Konferenz waren Gökay Akbulut und LI.PAR.Tie., die linke Fraktion im Gemeinderat Mannheim, deren Vorsitzender Dennis Ulas die Konferenz eröffnete und die Teilnehmenden begrüßte.
(Hier der Link zur Sendung des Bermudafunks mit Beiträgen von der Konferenz: https://www.freie-radios.net/120433).
Es fanden 3 Workshops statt mit Beiträgen von Aktiven der Migrationspolitischen- und Geflüchtetenarbeit und praxisorientierten, solidarischen Diskussionen mit vielen Anregungen und Vorschlägen für die praktische Arbeit. Themenschwerpunkte der Workshops waren: Initiativen und Schwerpunkten der Migrationspolitik der Linken auf Bundesebene, Flucht, Asyl und das Grenzregime der EU und Migrationspolitik auf Landesebene und in den Kommunen und Landkreisen. Dazu hielten Input-Beiträge u.a. Mitglieder und Vertreter*innen von: Flüchtlingsrat Baden-Württemberg, Seebrücke Mannheim, Bundeszuwanderungs- und Integrationsrat, Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein, Landes-AG Migration/Antirassismus in und bei der Linken Baden-Württemberg, Kurdisches Gemeinschaftszentrum Mannheim/Ludwigshafen, Gemeinderätinnen und Gemeinderäte aus Mannheim und Köln und weiteren Städten und Landkreisen, Prof. Thomas Gross, Osnabrück, zu den Initiativen und Vorschlägen der Migrationspolitischen Sprecherin und der Linken zu einem neuen Partizipations- und Teilhabegesetz. Auch im Land und in Mannheim in der Sache aktive Bürger*innen nahmen teil, so .a. die Vorsitzende des Mannheimer Migrationsbeirats Zahra Alibabanezhad Salem und der Leiter des Quartiersbüros Schwetzingerstadt, Daniel Bockmeyer.
Die Ergebnisse der Workshops wurden in einer Abschlusspräsentation vorgestellt.
Neben Anregungen und Vorschlägen für ihre politische Arbeit konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von dieser Konferenz auch mitnehmen: die Linke sucht gemeinsam mit anderen nach Lösungen und Wegen einer linken und demokratischen Migrationspolitik, und sie tut dies mit deutlicher internationalistischer und antinationalistischer, antirassistischer Orientierung.
Wir dokumentieren hier auszugsweise aus den Einführungsreden von Dennis Ulas, Gökay Akbulut, Janine Wissler und aus dem Grußwort von Özlem Alev Demirel
Dennis Ulas zur kommunalen Dimension:
“Was insgesamt fehlt, ist ein ganzheitliches Integrationskonzept zur Aufnahme, Unterbringung und Integration von Geflüchteten.“
„Das Thema Flucht und Migration beschäftigt uns natürlich auch auf kommunaler Ebene, weshalb wir als Gemeinderatsfraktion ein großes Interesse an dem heutigen Austausch hier haben. Seit fast genau einem Jahr, nach dem Beginn des Krieges in der Ukraine durch Russland, fliehen vor allem Ukrainer*innen nach Deutschland, die hier Schutz suchen. Allein in Mannheim sind mittlerweile rund 3.800 Menschen aus der Ukraine untergekommen. Die Mannheimer*innen haben hier große Solidarität bewiesen und Menschen aus der Ukraine teilweise auch bei sich zu Hause aufgenommen.
Was aber oft vergessen wird, ist die Tatsache, dass auch weiterhin Menschen aus anderen Teilen der Welt und anderen Kriegs- und Krisengebieten Zuflucht in Deutschland und Mannheim suchen. Mannheim war lange Zeit Standort einer Landeserstaufnahmestelle – kurz LEA – und musste außerhalb dieser Einrichtung keine Geflüchteten aufnehmen.
Seit ihrer sanierungsbedingten Schließung 2021 muss Mannheim aber auch Geflüchtete in der Stadt unterbringen und tut sich damit leider sehr schwer. Es wurden Unterkünfte angemietet, die in schrecklichem Zustand und menschenunwürdig sind (z.B. Bochumer Straße), in Kürze wird eine Turnhalle belegt.
Obwohl die Verwaltung seit eineinhalb Jahren angeblich mit Hochdruck an alternativen Unterbringungsmöglichkeiten arbeitet, merkt man bisher noch nichts davon. Und das, obwohl Mannheim seit 2019 sich zum Sicheren Hafen erklärt hat.
In diesem Zusammenhang hat sich Mannheim bereit erklärt, ein zusätzliches Kontingent 50 Geflüchteten, vorzugsweise aus Seenot gerettete, aufzunehmen. Ob diese Zahl erfüllt ist und ob es sich dabei um schwerpunktmäßig aus Seenot gerettete Menschen handelt, hat uns die Verwaltung leider noch immer nicht plausibel beantworten können.
Auch bei der gesonderten Unterbringung besonders schutzbedürftiger Geflüchteter, wie z.B. queere oder behinderte Geflüchtete, tut sich die Verwaltung schwer. Was insgesamt fehlt, ist ein ganzheitliches Integrationskonzept zur Aufnahme, Unterbringung und Integration von Geflüchteten. Hier arbeitet auf Initiative des Bündnisses Save Me / Seebrücke eine interfraktionelle Arbeitsgruppe an Vorschlägen und will die Verwaltung zum Handeln auffordern.
Mannheim ist schon immer eine von Migration geprägte Stadt und betont immer wieder ihre Offenheit und das gute Zusammenleben der zahlreichen Kulturen und Nationalitäten in der Stadt. Wir als Gemeinderatsfraktion fordern, dass dies auch so bleibt und dass die Stadt alles dafür tun muss, um jetzt und künftig Zugewanderten und Geflüchteten eine neue Heimat zu bieten.“
Gökay Akbulut zur Migrationspolitik auf Bundesebene
„Von den Versprechungen und Abkündigungen der Ampel im Bereich der Asyl- und Migrationspolitik wurde kaum etwas umgesetzt. Der fortschrittliche „Paradigmenwechsel“, auf den viele Betroffene und Aktive aus der Migrationsarbeit gehofft hatten, ist weitgehend ausgeblieben.“
„Im Bereich des Einbürgerungsrechts existiert seit Januar ein Referentenentwurf, der von heftigem Widerspruch der Unionsparteien, aber auch des Koalitionspartners FDP, begleitet wurde, die ein „Verramschen der deutschen Staatsbürgerschaft“ befürchten.
Durch die generelle Hinnahme von Mehrstaatigkeit soll die Optionsregelung entfallen, vor der ansonsten volljährig werdende Personen beim Jus-Soli-Erwerb stehen, also in Deutschland geborene Kinder von Eltern mit ausländischer Staatsangehörigkeit. Zugleich wird der Ius-soli-Erwerb erleichtert, indem die erforderliche Aufenthaltszeit des maßgeblichen Elternteils von acht auf fünf Jahre verringert wird…
Beim Thema Bundespartizipationsgesetz, wie auch bei der versprochenen Novelle des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz AGG, kommt die Bundesregierung überhaupt nicht in die Gänge…
Hier besteht allerdings dringend weiterer Reformbedarf, etwa die Einbeziehung des öffentlichen Dienstes in den Schutzbereich des AGG oder die Abschaffung des Ausnahmetatbestandes bei Wohnraum-Sachverhalten, dass nämlich bei Vergabe von Wohnungen diskriminiert werden darf, wenn es der „Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen und ausgewogener Siedlungsstrukturen“ dient.
Aktuell wird weiterhin die Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes diskutiert. Hiervon gibt es seit Anfang Januar auch einen Referentenentwurf. Ein Aspekt erscheint dabei begrüßenswert:
Die Erwerbseinwanderung wird nicht mehr grundsätzlich davon abhängig gemacht, dass die Gleichwertigkeit eines ausländischen Berufsabschlusses mit einem deutschen Referenzberuf festgestellt wird. Dieses bislang bestehende Verfahren ist zeit- und kostenaufwendig, vielfach auch unnötig.
Janine Wissler, Co-Parteivorsitzende DIE LINKE:
„Gegen Leerstand bei Wohnungen vorgehen“
„Wir müssen schauen über welche Liegenschaften Bund und Kommunen verfügen, die für Flüchtlingsunterkünfte genutzt werden können. Und wir müssen gegen den Leerstand in den Städten vorgehen. Das ist ja ein generelles Problem. Die Wohnungsmärkte sind angespannt, gleichzeitig stehen Wohnungen und Häuser leer, ohne dass es dafür einen vernünftigen Grund gibt,. Spekulation und auf steigende Immobilienwerte zu hoffen, ist definitiv kein vernünftiger Grund. Schon jetzt existieren in einigen Bundesländern und auch Städten Regelungen, um Leerstand zu reduzieren. In Hamburg können leerstehende Gewerbeimmobilien beschlagnahmt werden. (Mannheimer Morgen 20.02.2023)
Özlem Alev Demirel, Abgeordnete des Europaparlaments:
EU-Migrationspolitik: Sonntagsreden und Migrationsabwehr
„Mit Drohnensystemen und modernster Technologie schottet sich die EU nicht nur immer weiter ab, sondern lässt das Mittelmeer auch zu einem Testfeld der Sicherheitsindustrie werden um mit Drohnensystemen, Infrarotkameras und vieles mehr Geflüchtete aufzuspüren. Dabei verdient dieser Industriezweig nicht nur viel Geld, sondern Menschen in Not werden auch entmenschlicht. Es sind keine Menschenleben und Schicksale mehr, sondern Bewegungen, die aufgespürt werden.
Nicht nur im Mittelmeer werden Menschrechte verletzt. Auch auf der Balkanroute oder an der türkisch griechischen Grenze – wo ich selbst auch 2019 und 2020 war – finden illegale Pushbacks statt.
Egal ob neue EU Instrumente, die an Migrationsabwehr geknüpft werden oder Abkommen mit Drittstaaten, die EU, die sich eine Werteunion nennt, zeigt im Bereich der Migrationspolitik, dass ihre selbst deklarierten Werte lediglich für Sonntagsreden reichen.”
(Özlem Alev Demirel musste kurzfristig ihre Teilnahme absagen wegen wichtiger anderweitiger Termine. Sie war jedoch mit einem verlesenen Grußwort und einer Videozuschaltung vertreten.)
Bericht: chc/ros – Bilder: ne