“Manifest für Frieden” – ein Appell für verantwortliches Handeln
Meinung
„Allianz für Waffenstillstand und Friedensverhandlungen“ statt Kriegsrhetorik – ein notwendiges Unterfangen
Viele der öffentlichen Reaktionen aus der Politik und der Mehrzahl der Medien beinhalten eine sehr kritische Wahrnehmung des Friedensmaifests von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer und der Demonstration „Aufstand für Frieden“ am vergangenen Samstag in Berlin. Das ist insofern legitim, wenn die Kritik sachlich fundiert ist. Jedoch sind viele der Stellungnahmen davon geprägt, dieses Manifest mit herabsetzenden ja verunglimpfenden Werturteilen zu bekämpfen.

“Für Waffenstillstand und Friedensverhandlungen!” Kundgebung des Friedensbündnisses am 24. Februar auf dem Paradeplatz
Der grüne Finanzminister aus Baden-Württemberg, Danyal Bayaz, z.B. hat die „Aufstand für Frieden“-Demonstration am vergangenen Samstag in Berlin als „Schande für unser Land“ bezeichnet. Leider keine einzelne sprachliche Entgleisung.
Dabei ist offensichtlich, dass es einen großen Unterschied zwischen veröffentlichter und öffentlicher Meinung gibt. Wie sonst ist zu erklären, dass das Manifest von mehr als 700.000 Unterschriften unterstützt wird? Auch die Liste der 69 Erstunterzeichner ist beeindruckend und bildet ein breites und sehr ernsthaftes Unterstützerfeld ab. Und dann gibt es auch viele, die nicht Erstunterzeichner sind, und sich trotzdem zur Unterschrift bekannt haben, wie z.B. Gregor Gysi. Das Manifest ist also viel mehr als Wagenknecht und Schwarzer.
Um das Manifest und die Demonstration zu diskreditieren, wird versucht, dieses in die rechte Ecke zu stellen bzw. Wagenknecht und Schwarzer zu unterstellen, sich bewusst nicht von AfD und Co zu distanzieren. Im Vorfeld der Demonstration erklärten die Veranstalter, dass keine Fahnen von rechten Parteien und keine Transparente mit rechten Inhalten erwünscht sind und nicht zugelassen werden. Die Probe auf´s Exempel hat ergeben, dass bei der Demonstration keinerlei solche Bilder zu sehen waren. Trotzdem wird die Mär von der Rechts-Links-Querfront weiterhin behauptet und als Beweis Interneteinträge einzelner AfD´ler herangezogen. Das ist abstrus. Mit einer solchen Art können jede Massenaktion und jeder Streik, und sei er politisch noch so korrekt, diskreditiert werden.
Der ehemalige und weit über die Partei hinaus geachtete LINKEN-Politiker Fabio De Masi will diesem Mainstream der veröffentlichten Meinung nicht folgen und hat in einem Kommentar der Berliner Zeitung kürzlich festgestellt: „Es graust mir, wie leicht es in einer demokratisch verfassten Gesellschaft fällt, in Zeiten des Krieges in der öffentlichen Debatte einen hysterischen Meinungskorridor zu etablieren, der keinen Widerspruch duldet und tatsächlich an die Kriegsbesoffenheit des ersten Weltkrieges erinnert“. Lothar Heusohn, Mitorganisator der Ulmer Friedenswochen, beklagt gegenüber dem SWR den verbalen Radikalismus, mit „dem Niedermachen von allem, was offensichtlich nicht in eine bestimmet Linie passt“. „In diesem Lande gibt es nicht nur Panzerlieferanten, sondern es gibt auch andere, die Verhandlungen fordern, und die Bundesregierung auffordern, genau in diese Richtung aktiv zu werden“.

Kundgebung auf dem Mannheimer Marktplatz mit vielen Menschen aus der Ukraine am Jahrestag des Kriegsbeginns. Die OB-Kandidaten Thorsten Riehle (SPD), Christian Specht (CDU) und Raymond Fojkar traten als Redner auf. (Bilder KIM)
Mit dem Inhalt des Manifests befassen sich viele der Kritiker nur sehr oberflächlich, ja verzerrt. Sicherlich gibt es das eine oder andere am Text zu kritisieren. Im Manifest steht zwar „die von Russland brutal überfallene ukrainische Bevölkerung braucht unsere Solidarität“, aber das Recht auf Souveränität der Ukraine wird nicht explizit erwähnt.
Das eigentliche und wichtige Anliegen des Manifests wird von seinen Kritikern aber kaum zur Kenntnis genommen. In der jetzigen Situation würden weitere Waffenlieferungen zur Eskalation beitragen. „Es ist zu befürchten, dass Putin spätestens bei einem Angriff auf die Krim zu einem maximalen Gegenschlag ausholt. Geraten wir dann unaufhaltsam auf eine Rutschbahn Richtung Weltkrieg und Atomkrieg? Es wäre nicht der erste große Krieg, der so begonnen hat. Aber es wäre vielleicht der letzte.“ Deswegen müsse eine „Allianz für einen Waffenstillstand und für Friedensverhandlungen“ geschmiedet werden.
Die aktuellen Entwicklungen bestätigen diese Befürchtungen. Beide Seiten, die Ukraine und Russland, gehen offensichtlich von einem Siegfrieden aus. Beide Seiten müssen zu einem Waffenstillstand und zu Verhandlungen gezwungen werden. Das gilt für Russland, dass die völkerrechtlich verbriefte Souveränität der Ukraine mit Füßen tritt, aber auch für die Ukraine.
Ukrainische Politiker lehnen Verhandlungen ab und fordern den Abzug russischer Truppen aus der Ukraine in den Grenzen von 1991, d.h. auch aus der Krim, wo die russische Schwarzmeerflotte stationiert ist. Genau dieser Streitpunkt wäre der Gegenstand von Friedensverhandlungen. Auch der im Mannheimer Morgen zitierte ukrainische Militär- und Sanitätspriester Peter Bokannow bestätigt genau diese Linie. Er lehnt Verhandlungen mit Putin rundweg ab. Vorher müssten alle besetzten Gebiete einschließlich der Krim zurückgegeben werden. Diese Position ist zwar nachvollziehbar aber für die Einleitung von politischen Verhandlungen absolut kontraproduktiv. Die Lieferung schwerer Waffen wie die Lieferung von Leopard-Panzern und Kampfflugzeugen bestärken die Ukraine in dieser Position. Auf dieser Position des Alles oder Nichts beharren inzwischen auch der Mainstream bundesdeutscher Politiker und Medien. Und Politiker wie Außenpolitikerin Baerbock setzen noch einen drauf und fordern, dass Putin vor dem Internationalen Gerichtshof der Prozess gemacht werden müsse.
Das Anliegen des Manifests, eine Allianz für Waffenstillstand und Friedensverhandlungen zu schaffen, ist dieser Rhetorik in der Tat diametral entgegengesetzt.
Damit es tatsächlich zu dieser Allianz kommt, bedarf es weiterer internationaler Initiativen in dieser Richtung. Die Initiative von chinesischer Seite ist mit Sicherheit nicht genug aber immerhin bemerkenswert. Auch die UN-Resolutionen bieten eine Grundlage. Es wird einerseits der Rückzug russischer Truppen aus der Ukraine gefordert, gleichzeitig aber auch die Rückkehr zu den Minsker Vereinbarungen. Während hier in Deutschland immer nur die erstere Forderung erwähnt wird, bleibt die zweite Forderung unerwähnt. Ja, Ex-Bundeskanzlerin Merkel soll kürzlich gesagt haben, dass sie das Minsker Abkommen nur ausgehandelt habe, um der Ukraine Zeit für Aufrüstung zu verschaffen. Mit dieser Aussage hat Merkel nicht nur dem Ringen für eine Verhandlungslösung geschadet, sondern eine eigenständige europäische Friedensinitiative desavouiert.
Roland Schuster