OB-Wahl in Mannheim: Wahlkampf? Was wäre eigentlich von Herrn Specht zu erwarten?
Die beiden Spitzenkandidaten der OB-Wahl – zumindest was Größe und Zahl der vorzeitigen Plakate betrifft – lächeln freundlich von den Plakaten herab. Aber wofür sie nun eigentlich stehen, erfährt man ja eigentlich nicht. Thorsten Riehle möchte Politik mehr aus seinem Bauch heraus machen. Er möchte Vieles anders und besser machen als sein Parteifreund und Vorgänger Peter Kurz – mehr Mannheim statt New York, also einfach „bürgernah“ sein, sozial natürlich.
Aber Christian Specht? Was wird es von ihm Weiteres zu erwarten geben außer seine unbestrittene „Verwaltungserfahrung“ und Cappucino bei Parteifreundin und Stadträtin Herrdegen und da oder dort in den Stadtteilen?
Bei Specht hat man es wenigstens schon immer mal klopfen gehört, ganz denzent, während seiner bisher 18-jährigen Dezernententätigkeit und seiner 16-jährigen Funktion als Erster Bürgermeister. Es gilt die „Einheitlichkeit der Verwaltung“, auch wenn Vertreter:innen dreier Parteien auf der Dezernentenbank sitzen. Dennoch kann man in den einzelnen Fachvorlagen die Wirkungsspuren der einzelnen politischen Richtungen deutlich erkennen; und dann hat ja der Oberbürgermeister noch ein Wörtchen mitzureden und dämpft das Eine und ergänzt das Andere.
Specht ist zuständig für die kommunalen Finanzen, für das Beteiligungscontrolling, für IT, Sicherheit und Ordnung, für das Feuerwehr- und Katastrophenschutzwesen, für den ÖPNV, zugleich Aufsichtsratsvorsitzender der Rhein-Neckar-Verkehr GmbH und Verbandsvorsitzender des Zweckverbandes Verkehrsverbund Rhein-Neckar. In der Vergangenheit war er einige Jahre auch zuständig für die kommunalen Liegenschaften, für das Wohnungswesen, Stadterneuerung, Energie- und Wasserversorgung. Vor seiner Tätigkeit als Bürgermeister war der Jurist im Regionalverband unterwegs und an der Gründung der Metropolregion Rhein-Neckar im Dreiländereck beteiligt. Er kennt sich also aus. Aber was will er, wofür steht er ein?
Zunächst kann man festhalten: Er ist der Kandidat fast der gesamten rechten Hälfte der Gemeinderatsparteien: CDU, Mannheimer Liste und Freie Demokraten. Die AfD hat sich noch nicht geäußert. Sie stimmt bei kontroversen Themen immer wieder gerne mit der rechten Hälfte. Zerstritten wie sie ist, wird sie bis zum 22.5. vielleicht keinen eigenen Kandidaten (die brauchen kein Gender-Sternchen) aufstellen. Und wenn ihnen ein Bürgermeister Specht lieber ist als ein OB Riehle oder Fojkar, dann werden sie ihn möglicherweise durch ihre nicht-offene Unterstützung unterstützen.
Auf jeden Fall ist die Kandidatur von Christian Specht die klare Ansage und der der erste Teil des Versuchs, die von den Rechten ungeliebte bis verhasste Grün-rot-rote Mehrheit in Gemeinderat und Verwaltungsspitze hinwegzufegen. Der zweite Teil des Versuchs wäre dann die Kommunalwahl 2024.
Schon bei der OB-Wahl wird es interessant sein, ob die „linke Seite des Hauses“ und ihre Wähler:innen den Gongschlag gehört haben und sich – wenn es die Chance einer Neuwahl (Stichwahl) geben sollte – entsprechend formieren.
Specht: „Einige Erfolge, auf die ich besonders stolz bin!“
Auf seiner Wahl-Homepage nennt Specht sechs „Erfolge“, auf die er besonders stolz ist und deren Verfestigung und Mehrung zugleich wesentliche Bestandteile seines Programms sein dürften.
- „In der Mannheimer Hauptsatzung ist ein Neuverschuldungsverbot Dafür habe ich mich als Kämmerer sehr eingesetzt.“ Durchgesetzt wurde dieser kommunalpolitische Unsinn von der CDU-ML-Mehrheit im Jahr 2000. Die Philosophie dieses neoliberalen Grundsatzes ist angeblich der Schutz der nachfolgenden jungen Generationen vor finanzieller Überlastung durch zu hohe Schulden. In Wirklichkeit geht es um den Schutz der Superreichen und hochprofitabler Konzerne vor angemessener Beteiligung an den öffentlichen Kosten. Es ist die Ansage an die weniger Bemittelten Schichten der Gesellschaft: Reduziert eure Ansprüche an den Staat und die Kommunen: Umfassende gute Bildung gibt’s in Privatinstituten, das öffentliche Angebot muss eben seinen Mangel besser verwalten. Ebenso in der Gesundheitsversorgung. Und Zukunftsinvestitionen in Klimagerechtigkeit, in preisgünstigen und ökologisch vertretbaren Fern- und Nahverkehr sollen am besten Privatunternehmen organisieren – dann eben nicht preisgünstig für die Nutzer:innen. Wohnen darf die Kommune nichts kosten, das geht alles privat viel besser.
Das Nettoneuverschuldungsverbot heißt nichts anderes, als die unvermeidlichen kommunalen Investitionen aus den laufenden Einnahmen zu finanzieren. Daraus erwächst unangemessener Dauerdruck auf die „konsumtiven Ausgaben“ wie z.B. die Personalkosten, und der Zwang, für öffentliche Leistungen steigende Gebühren zu verlangen anstatt z.B. in der Kita-Versorgung die Gebührenfreiheit anzustreben.Wie eisern Specht am Verbot der Nettoneuverschuldung festhält, zeigte sich im Sommer 2017. Es ging um die Finanzierung von gut 40 Mio. EUR für die energetische und substanzielle Sanierung der Straßenbeleuchtung Mannheim. Der OB schlug vor, mit einem 23-Millionen-Kredit die Finanzierung auf dem Wege einer Sonderkreditermächtigung zu unterstützen und die Investitions-Eigenmittel des Haushalts um diese Summe zu entlasten (V304/2017). Der Kredit wäre „rentierlich“ gewesen. Er hätte sich aus den Energieeinsparungen und aus Zuschüssen finanziert. Der Hauptausschuss vertagte nach Intervention von Specht die Frage, ob eine solche Sonderkreditermächtigung aufgenommen werden soll, auf die Haushaltsberatungen 2018/19. Dort stellte die LINKE den Antrag, genau dies nun positiv zu entscheiden. Der Antrag wurde mehrheitlich abgelehnt. (Damals war das „Rechts-Links“-Stimmenverhältnis 24:24). Damit standen z.B. für Schul- oder Kita-Bau diese 23 Mio. EUR nicht zur Verfügung.Das orthodoxe Festhalten am Nettoneuverschuldungsverbot hat der Stadt Mannheim die Chance genommen, in den letzten 20 Jahren mit historisch niedrigem Zinsniveau selbst für sehr langfristige Darlehen z.B. überfällige Infrastrukturinvestitionen zu tätigen. Dieses große Versäumnis belastet nun die nachfolgenden Generationen umso mehr. Die Infrastruktur bleibt länger marode als es sein müsste und sie zu sanieren wird teurer als jede Kreditabzahlung. – Ein großartiger „Erfolg“!
- „Beim Verkauf städtischer Anteile an unserem börsennotierten Energieversorger MVV AG habe ich sichergestellt, dass wir weiterhin die Mehrheit der Stimmrechte behalten und so Einfluss auf die strategische Ausrichtung nehmen können. Die Einnahmen aus dem Anteilsverkauf sind in Investitionen in die städtische Infrastruktur und den Abbau von Altschulden geflossen.“
Hier reden wir vom Tafelsilber. 2004 und 2007 verkaufte die Stadt Mannheim unter OB Widder (SPD) mit schwarzer Gemeinderatsmehrheit 45,1% ihrer Aktien der MVV Energie AG. Mit diesem Schritt verringerte die Stadt ihre laufenden Einnahmen aus den MVV-Dividenden um genau so viele Prozentpunkte. Heute betragen die Dividendeneinnahmen noch ca. 30 Mio. EUR pro Jahr – der Hauptbeitrag zur Finanzierung der ÖPNV-Defizite. Es wurden also durch die Aktienverkäufe nach heutigen Werten jährlich ca. 28 Mio. EUR Einnahmen gegen den einmaligen Verkaufserlös getauscht, u.a. um Schuldzinsen einzusparen. Denn das Mantra von Specht ist ja der Schulden-Abbau, von dem er auch nicht abließ, als durch zweifellos geschicktes Schuldenmanagement die Durchschnittszinsen der städtischen Verschuldung ca. 2% betrugen. Schuldenabbau ist die Hauptdevise. Dafür Einsatz von Tafelsilber oder weniger investieren. Mit sinnvoller Zukunftsvorsorge hat dies nichts zu tun! Ganz nebenbei: Da der Anteil der Stadt Mannheim an der MVV AG nur noch 50,1% beträgt, müsste die Stadt – wenn der MVV-Vorstand mglw. aus guten Gründen eine Kapitalerhöhung über den Aktienmarkt beschließen würde – selbst auch neue Aktien zeichnen, um die Mehrheit nicht zu gefährden. Dann muss Tafelsilber wieder angekauft werden. Das kostet dann. - Mannheim hat frühzeitig ein „hoch modernes digitales Sirenennetz aufgebaut (…), mit dem wir die Bevölkerung bei Gefahren zuverlässig warnen können.“ Da Sirenen nur heulen und nicht sprechen, und wenn die Warn-Apps (die nicht jede:r hat) nicht rechtzeitig gefüttert werden, wie bei letzten Schwefeldioxid-Austritt durch einen Containerbrand im Hafen, tappt die Bevölkerung trotzdem im Dunklen. Aber immerhin! Chapeau!
- „Mit einem bundesweit einmaligen Modellprojekt haben wir in Mannheim eine intelligente Videoüberwachung eingerichtet: Das System stellt automatisch fest, wenn sich an einem überwachten Ort eine mögliche Straftat ereignet und zeigt dann die gefilmte Szene einem Polizeibeamten, der sofort einschreiten kann“. Big Brother statt genügend Streifenbeamten auf den Straßen und Plätzen. „Passiert nichts Auffälliges, werden die Videoüberwachungsbilder gelöscht. Auf diese Weise konnten wir die wahrgenommene Sicherheit an den überwachten Orten deutlich steigern.“ Immerhin ehrlich: Nicht die Sicherheit wurde gesteigert, sondern die „wahrgenommene Sicherheit“. Es geht um das subjektive Sicherheitsempfinden, das ja auch regelmäßig per Umfragen „untersucht“ wird. Die informatorische Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger wird den Angstreflexen geopfert, die trotz sinkender Straßenkriminalität durch aufbauschende Medien-Berichterstattung bei manchen Menschen erzeugt werden. Specht steht für mehr Überwachungsstaat statt für ursächliche Kriminalitätsbekämpfung.
- „Als ÖPNV-Dezernent habe ich gegen großen anfänglichen Widerstand eine schon seit über 100 Jahren vorgesehene Stadtbahnlinie durchgesetzt. Heute wird die Stadtbahn Nord von der Neckarstadt-Ost in die Gartenstadt von den allermeisten Bürgerinnen und Bürgern sehr geschätzt und deutlich mehr genutzt als ursprünglich erwartet.“ Nochmal Chapeau! Da haben aber auch einige andere mitgekämpft, die Anhänger:innen der Verkehrswende in Stadtgesellschaft und Verwaltung.
Auf die Frage: „Was nutzt eine tolle Stadtbahn, wenn sie zu teuer ist und zu selten fährt?“, entgegnet Specht den Forderungen nach Sozialtickets und schrittweiser allgemeiner Verbilligung des ÖPNV für die Nutzer:innen: „Was nutzen billige Tickets, wenn es zu wenig Fahrzeuge und auch noch zu wenig Straßenbahnstrecken gibt?“ Erst investieren, dann (vielleicht) verbilligen. Dass Beides getan werden muss: Zukunftsinvestitionen in den ÖPNV und Vergünstigung für die Nutzer:innen – dafür ist Specht nicht zu haben. Das würde den Schuldenabbau behindern (s.o.). - „Mannheim ist eine einzigartige Industriestadt mit den meisten Gefahrgutbetrieben in Baden-Württemberg. Daher habe ich gegen viele Widerstände dafür gesorgt, dann Mannheim eine eigene Rettungsleitstelle auf der Hauptfeuerwache behält. Nur so können wir sicherstellen, dass Notrufe von ortskundigen Fachleuten beantwortet werden und die Rettungsdienste schnellstmöglich und koordiniert am Unfallort eintreffen.“ Hier hat Specht zweifellos intensiv gegen die Landesregierung angekämpft, deren CDU-Innenminister das Selbstverwaltungsrecht der Rettungsdienstleister und Kassen bis aufs Messer verteidigt, anstatt die Organisation den Kommunen zu überlassen, die die Pflicht zur Daseinsfürsorge auch in diesen Dingen haben.
Dass in der „einzigartigen Industriestadt“ Mannheim und ihrer Schwesterstadt Ludwigshafen ein erhebliches Gefahrenpotenzial meist schlummert, aber dann und wann doch auch hervorbricht, erfordert allerdings nicht nur exzellente Rettungsdienste und eine exzellente Organisation. Es erfordert auch Vorbeugung. Bei großen Betriebsstörungen mit erheblichen Auswirkungen auf die Bevölkerung bedarf es einer wesentlich besseren Aufarbeitung der Ursachen zur Vorbeugung. Das setzt eine Zusammenarbeit mit den Firmen auf Augenhöhe voraus. Es genügt nicht, die Erläuterungen der involvierten Betriebe nach solchen Störfällen zu moderieren. Auch wenn die Region von den Arbeitsplätzen abhängt – die anwohnende Bevölkerung hat einen Anspruch darauf, dass die Kommune – mehr als es die vollkommen unterbesetzte Gewerbeaufsicht tun kann – darauf dringt, dass Arbeits- und Verfahrenssicherheit eingehalten werden, um das organisierte Ausrücken der Rettungskräfte gar nicht erst erforderlich zu machen.
Es gibt auch Dinge, auf die stolz zu sein Specht nicht thematisiert, weil sie nicht Gegenstand der öffentlichen Diskussion sind, obwohl sie große Auswirkungen auf die Lebensbedingungen der Menschen in dieser Stadt haben. Zum Beispiel die Umstände der Konversion in Mannheim:
Theoretisch wäre es möglich gewesen, dass die Stadt die Konversionsflächen vom Bund erwirbt mit der Absicht, diese grundsätzlich zu behalten. Die dafür erforderliche langfristige Schuldenaufnahme – man nennt das heutzutage „Sondervermögen“ – hätte mit den aus den entwickelten Wohnungs- und Gewerbebaugrundstücken eingehenden Miet- und Erbbauzinseinnahmen abgezahlt werden können. Stattdessen verlangte das konservative Lager samt Finanzdezernent Specht auch hier, jegliche Neuverschuldung des Kommunalhaushaltes zu unterlassen. Die logische Konsequenz war die Errichtung der MWSP GmbH mit Null-auf-Null-Businessplan: Diese städtische Beteiligungsgesellschaft sollte die Darlehen aufnehmen, die Konversionsflächen kaufen, erschließen und entwickeln, wieder verkaufen und mit dem Erlös so schnell wie möglich die Darlehen abbezahlen. Kaufen und verkaufen statt kaufen und halten. Die Folge war eine Befeuerung des Immobilienmarktes und seiner stürmischen Preisentwicklung. Gemeinwohlorientierter Wohnungsbau war in der ersten Konversionsphase denn auch überhaupt nicht vorgesehen. Mittlerweile gibt es trotz des Widerstandes der Rechten das 12-Punkteprogramm für preisgünstiges Wohnen. Gemeinwohlorientiertes Wohnen ist aber immer noch die Ausnahme. Die Jahrhundertaufgabe soll den städtischen Haushalt insgesamt keinen Cent kosten.
Eine soziale Bodennutzungspoliltik wird in Form eines „Bodenfonds“ erst seit drei Jahren sehr zögerlich in Gang gesetzt – aus Mitteln von Grundstücksverkäufen. Es darf ja nichts kosten. Leistbare Wohnungen sind so kaum zu errichten.
Spechts Wohnungspolitik als OB würde sich nach den Wünschen seiner CDU richten müssen: Mindestquote für Einfamilienhäuser!
Keine gute Wahl – verwaltungserfahrenes Lächeln hin, Lächeln her!
Thomas Trüper