Bundestagsabgeordnete Gökay Akbulut in der Türkei vorübergehend festgenommen
Festnahme von MdB Gökay Akbulut in der Türkei trotz ihres Diplomatenstatus
Am 3. August wurde Gökay Akbulut am Flughafen Antalya für mehrere Stunden von der Polizei festgesetzt, da gegen sie ein Haftbefehl ausgestellt gewesen sei. Eigentlich gilt für Bundestagsabgeordneter der Diplomatenstatus, der vor Strafverfolgung in einem fremden Land schützen soll. Der Diplomatenstatus ist zwar kein anerkannter Rechtsbegriff, beruht aber auf einem allgemein anerkannten Völkergewohnheitsrecht. Um die Festnahme trotzdem zu rechtfertigen greifen die türkischen Justizbehörden in die oberste Schublade der Strafverfolgung, nämlich „Terrorpropaganda“.
Im Folgenden veröffentlichen wir Interviewpassagen mit Gökay Akbulut, die von ihr selbst zur Veröffentlichung autorisiert sind.
Wissen Sie, was der genaue Grund für Ihre Festnahme war?
„Beschuldigt wurde ich aufgrund von Social-Media-Beiträgen von 2019 mit “Terror-Propaganda”. Dabei ging es um den Angriffskrieg der Türkei in Nordsyrien. Ich hatte den Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages beauftragt eine völkerrechtliche Einschätzung dieser Angriffe auszufertigen. Die daraus folgende völkerrechtswidrige Einstufung der türkischen Angriffe war dem Erdogan-Regime ein Dorn im Auge.
Erst in der Türkei am Flughafen habe ich erfahren, dass ein Haftbefehl der Staatsanwaltschaft Kayseri gegen mich vorliegt. Die mehrfachen Morddrohungen kamen ebenfalls aus diesem Ort.“
(siehe auch: https://goekay-akbulut.de/2023/08/15/informationen-zur-festnahme-in-der-tuerkei/)
Wie lange waren Sie insgesamt in der Türkei?
„Zwei Tage.“
Was war der Grund für die Reise?
„Teil eins der Reise war ein Besuch und ein Treffen mit Verwandten in der Türkei. Anschließend folgte ein Urlaub in Griechenland.“
Hat es ähnliche Vorfälle schon mal gegeben?
„Nein.“
Werden Sie sich weiter für das Betätigungsverbot der PKK einsetzen?
„Ich habe mich niemals für ein Betätigungsverbot der PKK eingesetzt, sondern gegen dieses Verbot.“
Werden Sie auch künftig in die Türkei reisen?
„Meine voraussichtlich nächste Reise in die Türkei wird die Delegationsreise der Deutsch-Türkischen-Parlamentariergruppe sein.“
Was sagt der Vorfall Ihrer Meinung nach über die türkische Regierung und Präsident Erdogan aus?
„Das Erdogan-Regime versucht mit allen Mitteln Kritiker zum Schweigen zu bringen und einzuschüchtern. Dazu haben sie extra neue Straftatbestände eingeführt bzw. erweitert, wie z. B. Präsidentenbeleidigung, die Anti-Terror-Gesetzgebung oder das Desinformationsgesetz. Diese Gesetze werden willkürlich gegen Andersdenkende eingesetzt.
Vor Verurteilung aufgrund dieser Straftatbestände schützt auch keine deutsche Staatsbürgerschaft. Viele deutsche Staatsangehörige werden deshalb bei der Einreise in die Türkei festgenommen.
Der türkische Terrorismusbegriff wird vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als rechtswidrig eingestuft.
Das zeigt, wie weit sich die Türkei unter Erdogan von einer Demokratie entfernt hat.“
Zum Verhältnis zwischen EU und Türkei, sowie Deutschland und Türkei:
„Die NATO-Partnerschaft und geopolitische Interessen scheinen der Bundesregierung und der EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen wichtiger zu sein als die Menschenrechte in der Türkei. Eine Wiederannährung wäre ein Schlag ins Gesicht der Oppositionellen, die sich in der Türkei für Menschenrechte, Rechtstaatlichkeit und Demokratie einsetzen und deshalb seit Jahren aus politischen Gründen inhaftiert sind.“
Zur bevorstehenden Delegationsreise in die Türkei:
Im Oktober werde ich im Rahmen der Delegationsreise der Deutsch-Türkischen-Parlamentariergruppe des Deutschen Bundestags erneut in die Türkei reisen. Natürlich werde ich wie immer kein Blatt vor dem Mund nehmen und wie immer bei jeder passenden Gelegenheit alle politischen Inhaftierungen und Verfahren kritisieren.
Ich vermisse jedoch ein klares Statement der Bundesregierung zum türkischen Haftbefehl gegen mich. Es kann doch nicht sein, dass eine Bundestagsabgeordnete aus politischen Gründen festgenommen wird und die Bundesregierung dazu schweigt.“
Journalistenverband rät von Türkeireisen ab
Der Deutsche Journalistenverband warnt Medienschaffende vor Aufenthalten in der Türkei. Wer schon einmal Kritik an dem Land geübt habe, solle sich fernhalten. Alles andere sei ein unkalkulierbares Risiko.
Nach der Festnahme der Bundestagsabgeordneten Gökay Akbulut hat der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) Medienschaffenden von beruflichen wie privaten Reisen in die Türkei abgeraten. Die vorübergehende Festnahme von Bundestagsabgeordneten Gökay Akbulut bei ihrer Einreise in die Türkei im August zeige erneut, dass „die Erdogan-Autokratie ihre Kritiker als militante Staatsfeinde betrachtet und verfolgt, wenn sie die Möglichkeit dazu hat“. DJV-Bundesvorsitzender Frank Überall betonte dies in einer Mitteilung am Montag. Wenn selbst die parlamentarische Immunität einer Abgeordneten nicht vor einer Festnahme schütze, sei die Gefahr für Journalistinnen und Journalisten umso größer.
Überall sagte weiter: „Wer sich als Journalist schon einmal kritisch in den eigenen Beträgen und in den sozialen Netzwerken über die Türkei, ihren Präsidenten oder die Regierungspartei AKP geäußert hat, sollte sich von dem Land fernhalten.“ Alles andere sei ein unkalkulierbares Risiko. (Spiegel online, 14.08.2023)
Berichte in regionale und überregionale Presse und Medien
Die regionale und überregionale Presse und Medien wie Tagesschau Heute und SWR berichteten über die Festnahme von Akbulut.
Protest von LI.PAR.Tie
Die LI.PAR.Tie-Fraktion im Mannheimer Gemeinderat verurteilte in einem Facebook-Post die Festnahme. „Das zeigt allzu deutlich, dass die Türkei kein Rechtsstaat ist“, kritisierte Fraktionschef Dennis Ulas.
Einschüchterung gegen alle Kritiker der Türkei-Politik
Die Festnahme und der Versuch der Kriminalisierung lässt sich einordnen in die allgemeine Strafverfolgungspraxis der Türkei gegenüber allen Türkei-Kritiker. Es gibt unzählige Fälle von türkischen und kurdischen Oppositionellen, die in Deutschland leben, auch von Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit, bekannt, gegen die die türkischen Justizbehörden wegen “Terror-Propaganda“ oder „Unterstützung einer terroristischen Vereinigung“ ermitteln. Miene Person selbst hat z.B. einen seit Jahrzehnten in Mannheim lebenden Kurden mit deutscher Staatsangehörigkeit juristisch begleitet. Die Türkische Generalstaatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen “Terror-Propaganda“ und „Unterstützung einer terroristischen Vereinigung“, da er einige Artikel bzw. Bilder in Facebook über Kurdistan und Rojava mit Posts bzw. Likes versehen hat. Das Amtsgericht in Mannheim führte aufgrund eines Rechtshilfeersuchens der türkischen Generalstaatsanwaltschaft eine Anhörung des Kurden durch. Das Verfahren wurde zwar eingestellt, hinterlässt aber trotzdem seine Spuren. Die betreffende Person wird auf unabsehbare Zeit nicht in die Türkei reisen können, wenn er nicht riskieren will, festgenommen und inhaftiert zu werden. Von der Bunderegierung gab es trotz anwaltlicher Nachfrage keinen Protest.
Wo bleibt der Protest der Bundesregierung?
Im Falle Gökay Akbulut hat die stille Diplomatie der deutschen Bundesregierung zwar die Freilassung der Bundestagsabgeordneten erwirkt. Alles andere wäre auch ein handfester Skandal gewesen. Aber die beabsichtigte Wirkung hat die Festnahme trotzdem nicht verfehlt. Jeder, der die Türkei kritisiert, wird sich dies zukünftig zweimal überlegen. Insbesondere, wenn die Person in die Türkei einreisen will.
Und an Gökay Akbulut ergeht die zusätzliche Botschaft: „Spätestens, wenn dein Diplomatenschutz abgelaufen ist, bist du dran!“
Wo bleibt da der Protest der Bunderegierung?
Roland Schuster