Mobilität – wie machen es die anderen? Beispielsweise Montpellier (Reiseimpressionen)
Kleine Vorbemerkung
Kommen wir mit interessierten Augen in eine andere Stadt, fällt uns sicherlich vieles auf, das wir bemerkenswert, anregend und vielleicht auch nachahmenswert finden. Aber der Augenschein erschließt uns nicht die ganzen Hintergründe: Welche Gesetze bestehen, wie sind die Eigentumsverhältnisse, wie sind die Finanzierungsströme der Kommune, welche Steuergesetzgebung herrscht im Lande? Wir kennen auch die Geschichte der politischen Auseinandersetzungen vor dem Status Quo nicht. Aber dennoch sehen wir Dinge, die in der Heimat von gewissen Kreisen gerne als „blanke Utopie“ abqualifiziert werden und hier trotzdem existieren, und dies auch noch offensichtlich gut.
Montpellier
Das nahe am Mittelmeer liegende Montpellier (Partnerstadt von Heidelberg) ist eine wichtige französische Industrie- und Universitätsstadt. Bei ca. 255.000 Einwohner:innen leben etwa 60.000 Studierende in der Stadt. Die ca. 1.000-jährige Universität hat eine sehr lange Tradition der muslimisch-jüdisch-christlichen Kooperation. Seit den 60er Jahren hat sich die Bevölkerung verdoppelt. Montpellier war einer der wesentlichen Ankunftsorte der sog. „pieds noirs“ („Schwarzfüßler“: Aus Algerien, Marokko und Tunesien geflüchtete ehemalige Kolonialbevölkerung hauptsächlich französischen Ursprungs, aber auch aus den anderen europäische Mittelmeer-Anrainerstaaten stammende sowie lange in Nordafrika beheimatete jüdische Bevölkerung, insgesamt ca. 1,6 Mio nach Frankreich rück- und eingewanderte Menschen). Seit 1977 stehen in Montpellier ausschließlich Oberbürgermeister:innen aus der PS (Sozialistische Partei) an der Verwaltungsspitze.
Innenstadt

Die City ist als große Fußgängerzone angelegt; besonders auf den zahlreichen Plätzen dominiert die Straßengastronomie.
Am auffälligsten: Die City ist frei von privatem Autoverkehr. Lediglich Motorräder brettern teils verwegen durch die Fußgängerzonen, weil sie zwischen den absperrenden versenkbaren Pollern hindurchpassen. Ob sie dies in anarchischer Lust oder sogar legal betreiben, muss dahingestellt bleiben.
Die City besteht aus großen ausgesprochenen Flaniermeilen mit viel (Außen)-Gastronomie und florierenden Einzelhandelsgeschäften, von denen ein Großteil inhabergeführt zu sein scheint. Die großen Handelsketten dominieren keineswegs.
Verkehrsberuhigte Zonen gibt es auch im Außengürtel um die historische Innenstadt. Auch hier sind Einkaufs- und Gastronomiestraßen durch Poller abgesperrt.
Die Seitenstraßen der Boulevards sind teilweise sehr eng gebaut (18./19. Jh.) und für Kraftfahrzeuge oft nicht geeignet. Inwiefern die Feuerwehr über schmalere Einsatzfahrzeuge verfügt entzog sich glücklicherweise mangels erforderlicher Einsätze der aufmerksamen Beobachtung. Die Entsorgung des Mülls findet (bei mäßiger Trennung) nicht je Haus statt, sondern über öffentlich zugängliche Müllcontainer (meist in Unterflur-Bauweise), was den Schluss nahelegt, dass direkte Abfallentsorgungsgebühren nicht erhoben werden.

Place de la Comédie. Lediglich die Straßenbahn fährt über den Platz. Die Haltestelle wird gerade barrierefrei eingerichtet.
ÖPNV
Die verkehrliche Erschließung der Innenstadt findet im Wesentlichen durch Straßenbahnen und Busse statt. Der Straßenbahnverkehr war 1949 eingestellt und im Jahr 2000 ähnlich wie z.B. in Straßburg wieder aufgenommen worden. Montpellier verfügt bisher über vier Trambahnlinien; eine fünfte ist im Bau. Die eingesetzten Alstom-Straßenbahnzüge tragen je Linie eine spezifische bunte grafische Gestaltung. Die Niederflurzüge sind barrierearm; viele Haltestellen ebenso. Die Sitze sind je Linie unterschiedlich, teils witzig gestaltet und gepolstert. Tadellose Sauberkeit der Straßenbahnzüge, auch der Sitze, sind für Mannheimer Augen sehr auffallend. Zusätzlich zu den Straßenbahnen gibt zahlreiche Buslinien. Das Publikum des ÖPNV scheint sozial sehr viel breiter gestreut zu sein als hierzulande.
Seit September 2021 ist der ÖPNV in Montpellier für Einwohner:innen unter 18 und über 65 Jahren gebührenfrei. Ab Dezember 2023 soll dies für alle Bewohner:innen der Metropole gelten. Der bisherige Preis für einen Einzelfahrschein beträgt einheitlich 1,60 EUR; für eine Wochenkarte beispielsweise 16,50 EUR. Die verbreitete These, dass Nahverkehr, der nichts kostet, von den Nutzer:innen nicht wertgeschätzt werde und zu Vandalismus in den Fahrzeugen führe, wird in Montpellier sichtbar widerlegt.
Rad und Roller-Verkehr
Der ÖPNV-Betrieb TaM von Montpellier unterhält auch ein Verleihsystem mit 1.500 Fahrrädern. Leih-e-scooter gibt es in der Stadt hingegen keine. Zwar fahren viele Menschen auf e-scootern durch die Stadt; die Fahrzeuge gehören ihnen jedoch privat. Deswegen sieht man keinerlei scooter in der Gegend herumstehen oder -liegen.
Die Straßen sind in großem Umfang sehr gut für den Fahrradverkehr eingerichtet. Auf vielen Strecken gibt es zwei durch Mittellinie abgegrenzte Richtungsfahrbahnen für Fahrräder, die ihrerseits baulich von den KFZ-Fahrbahnen abgegrenzt sind. Häufig reicht der Platz nur für eine Einbahn-KFZ-Trasse, weil Rad- und KFZ-Verkehr räumlich gleichberechtigt konzipiert sind.
Insgesamt macht Montpellier einen sehr sauberen Eindruck. Es ist eine Stadt mit sehr hoher Aufenthaltsqualität, von der Einzelhandel und Gastronomie sichtlich profitieren.
Thomas Trüper (Bilder: privat)