Alte Forderung der LI.PAR.Tie: Dem Wohnraumtauschkonzept einen Schritt näher
Frau A. (78 Jahre) wohnt zur Miete nach Auszug ihrer Kinder und Tod ihres Mannes allein in einer 4-Zimmer-Wohnung in einem Altbau ohne Aufzug im dritten Stock. Die Warmmiete ist ihr zu teuer, das Reinigen der 100m² ist ihr zu beschwerlich, und das Treppensteigen allmählich auch zu anstrengend. Obwohl auch sie der Meinung ist „Alte Bäume soll man nicht verpflanzen“, leuchtet es ihr grundsätzlich ein, in eine kleinere Wohnung zu ziehen, die die genannten Mängel nicht aufweist und v.a. auch billiger ist. Aber, so denkt sie, wie soll ich das alles schaffen, und dann noch die Umzugskosten!
Herr B. (35) hat einen Jungen (8) und eine Tochter (12). Er lebt getrennt und hat das Sorgerecht für die Kinder. Er möchte demnächst mit seiner neuen Partnerin zusammenziehen. Die 2-Zimmer-Wohnung ist schon jetzt viel zu klein und erst recht, wenn seine Partnerin dazukommt. Er sucht händeringend eine 3- bis 4-Zimmer-Wohnung. Die sind aber knapp und oft viel zu teuer.
Solche Konstellationen sind wahrlich nicht selten und bilden zumindest aus Sicht des Vaters einen Teil der Wohnungsnot. Wäre toll, wenn die beiden Mieter*innen einfach tauschen könnten. Doch so einfach ist das überhaupt nicht. Wie soll so ein Wohnungstausch funktionieren? Es muss renoviert werden und man kann ja nicht innerhalb eines Tages den Tausch vollziehen.
Der Bedarf ist aber unbestritten, hier zu helfen ist ein Mosaikstein in der Minderung der Wohnungsnot. Es braucht intelligente Lösungen. Die LI.PAR.Tie. hatte 2019 erstmals einen Antrag gestellt, in dem sie eine Konzeption für ein „Bürgerbüro Wohnen“ gefordert hatte (A381/2019), und eine Wohnungstauschbörse als eine der Aufgaben eines solchen Bürgerbüros. Die Verwaltung beantwortete diesen Antrag mit einer ausführlichen Darlegung (V275/2020), dass die in dem Antrag aufgeführten Funktionen eines Bürgerbüros Wohnen im Zusammenwirken des Fachbereichs Arbeit und Soziales, der GBG und des Fachbereichs Geoinformation und Stadterneuerung nach Meinung der Verwaltung besser abgedeckt sei. Lediglich eine Wohntauschbörse wurde als verfolgenswert dargestellt. Zu den Haushaltsberatungen für 2023 griff die LI.PAR.Tie. den Gedanken des Bürgerbüros Wohnen erneut auf (A555/2022). Dieser Antrag wurde mehrheitlich angenommen (Grün-Rot-Rot). Ein Unterpunkt dieses Antrags lautete: „Schaffung einer Wohnungstauschbörse: Personen, die aus einem Haus oder einer zu großen Wohnung in eine bezahlbare kleinere Wohnung umziehen wollen oder umgekehrt, soll hierüber eine Plattform gegeben werden. Die Versorgung der Mannheimer Bevölkerung mit jeweils passendem Wohnraum kann zur Entspannung des Wohnungsmarktes beitragen, insbesondere bei Familien auf der Suche nach größeren Wohnungen.“
Zwischenbericht der Verwaltung zum Thema Wohnungstauschkonzept
Als im Mai diesen Jahres die „Wohnungspolitische Strategie mit Schwerpunkt bezahlbarer Wohnraum“ (12-Punkte-Programm) per Gemeinderatsbeschluss fortgeschrieben wurde, enthielt die Verwaltungsvorlage folgenden Punkt: „4. Die Verwaltung erarbeitet einen Vorschlag für eine Wohnungstauschbörse zur Unterstützung tauschwilliger Bürgerinnen und Bürger bei der Suche nach einer passenden Wohnung.“ Ende Juli legte die Verwaltung schließlich eine Informationsvorlage vor zu „Sachstand und weiteres Vorgehen zur Umsetzung des Wohnraumtauschkonzeptes“ (V479_2023).
Zunächst wird hierin bestätigt, dass Studien (auch für Mannheim) belegen: 35% der Baby-Boomer empfinden ihre Wohnung als zu große (Mietende und Eigentümer:innen).
Weiterhin werden die rechtlichen Rahmenbedingungen dargestellt: Ein wesentliches Hindernis für Wohnungstausch liegt im mangelden Mieterschutz, „dass Vermietenden im Zuge eines Mieterwechsels die Möglichkeit eröffnet wird, die Miete deutlich über das Maß hinaus zu erhöhen, wie es im Rahmen eines klassischen Mieterhöhungsverlangen zulässig wäre. Während eine Mieterhöhung innerhalb eines Bestandsmietverhältnisses maximal auf die ortsübliche Vergleichsmiete begrenzt und ggf. zuvor durch die (abgesenkte) Kappungsgrenze beschränkt wird, darf die Miete im Zuge einer Neu-/ Wiedervermietung sogar 10 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen (Mietpreisbremse).“ Damit sinkt die Attraktivität eines Wohnungstausches. Am Ende ist die kleinere Wohnung nach Mieterwechsel teurer als die große, die vielleicht Jahrzehnte lang nur mäßig im Preis gestiegen war. Außerdem können die Vermietenden dem Einzug der Tauschpartner:innen widersprechen. „In Deutschland gibt es bisher keine gesetzliche Grundlage, dass Vermietende einen Wohnraumtausch dulden oder diesem gar zustimmen müssen und sich der Quadratmeterpreis in diesem Zuge nicht erhöhen darf.“
Anders im österreichischen Mietrechtsgesetz §13 (1).
„Auf Bundesebene“, so berichtet die Vorlage, „wurde das Thema durch einen Antrag zur gesetzlichen Verankerung des Rechts auf Wohnungstausch im Bundestag von DIE LINKE eingebracht. Dieser Antrag wurde am 12.05.2023 im Bundestag beraten und zur weiteren Beratung an die Ausschüsse verwiesen“, wo er bis jetzt noch nicht behandelt wurde.
Umfrage der Verwaltung bei acht Kommunen mit Wohnungstauschkonzepten
Die Verwaltung hat sich inzwischen bei acht deutschen Kommunen nach Best-Practice-Beispielen umgehört und drei unterschiedliche Varianten registriert und bewertet.
- Digitale Plattformen (Düsseldorf und Freiburg i.Br.):
Beide Städte nutzen eine mit Lizenzgebühren verbundene Plattform der Firma Tauschwohnung GmbH. Man gibt hier Daten zur bisher genutzten Wohnung ein und definiert seinen gewünschten Wohnraum. Über einen Algorithmus werden sodann Vorschläge unterbreitet. Die Stadt Freiburg gewährt bei Tausch einer größeren gegen eine kleinere Wohnung eine Umzugsprämie von 2.000 EUR. Diese Prämien wurden seit 2021 jedoch kaum beantragt, obwohl die Verwaltung in Freiburg von einer „deutlich höheren“ Zahl abgeschlossener Tauschvorgänge ausgeht. Beide Städte bieten jedoch nur Tausch im Mietsektor an, nicht bei Eigentumswohnungen. Ein Problem sei, dass ältere Menschen das Internet oft nur sporadisch oder überhaupt nicht nutzen.
Interessant: Die Firma hat bereits von sich aus eine Plattform auch für Mannheim eingerichtet:
www.tauschwohnung.com/mannheim. Die Angebote erstrecken sich nicht nur auf Mannheim.
- Tausch innerhalb Wohnungsbaugesellschaften (Berlin und Darmstadt):
In Berlin können innerhalb der sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften unter Beibehaltung der Vertragskonditionen Wohnungen getauscht werden. Es kommt im Jahresdurchschnitt zu ca. 110 Tauschvorgängen. Die Nachfrage nach größeren Wohnungen ist sehr hoch. Der Aufwand sei für die Wohnungsbaugesellschaften „sehr hoch“.
- Manuelle Bearbeitung und Beratung (Frankfurt/M, München, Potsdam und Regensburg):
Der Tauschvorgang wird in diesen Städten „überwiegend von der Stadtverwaltung begleitet“. Dabei kann es sich um die Kommunikation mit den Vermietenden und Tauschpartner:innen handeln bis hin zur Organisierung der Umzüge. In Frankfurt gibt es bis zu 7.500 EUR Umzugsprämien. In München nimmt die Stadt Anträge der Tauschwilligen entgegen und leitet sie die Wohnungsbauunternehmen weiter. Die Verwaltung war in der Pilotphase „für sämtliche Anliegen rund um das Thema telefonisch erreichbar.“ Es wurden viele gleich große jedoch barrierearme Wohnungen nachgefragt, was auf ein in Mannheim seit Jahren diskutiertes Thema hinweist: Die Herstellung der Transparenz des Angebots an barrierefreien Wohnungen und der Nachfrage nach solchen Wohnungen durch die Kommune. München stellt mittlerweile auf eine digitale Tauschplattform um.
Obwohl die manuelle Beratung ohne weiteres auch Eigentumswohnungstausch bedienen könnte, haben sich die genannten Kommunen auf den Mietwohnungstausch beschränkt. Es gebe aber inzwischen einen neuen bundesweiten Anbieter für Eigentumswohnungstausch: https://immowexler.de/.
Schlussfolgerungen der Mannheimer Verwaltung und nächste Schritte
Zusammenfassend stellt die Verwaltung fest: Anreizsysteme seien wichtig, um trotz damit verbundener Unannehmlichkeiten einen Umzug für ältere Personen attraktiv zu machen. Das können finanzielle Anreize sowie Beratungs- und Begleitungsleistungen sein. Außerdem sei viel Öffentlichkeitsarbeit erforderlich.
Als nächstes will die Verwaltung ein Pilotprojekt zum Wohnungstausch auf der Vogelstang einrichten, weil dieser Stadtteil mit den höchsten Altersdurchschnitt aufweist. Man will hier vor allem versuchen, ältere Menschen schon dann zu erreichen, wenn ein selbständiges Leben in der eigenen Wohnung noch möglich ist. „Eine frühzeitige Vorsorge ist der Nachsorge vorzuziehen.“ Vogelstang als Stadtteil der 60er Jahre verfüge über viele große Wohnungen mit großzügigem Zuschnitt. Man wolle in diesem Stadtteil durch viel Kommunikation die Präferenzen der Zielgruppe besser kennenlernen.
Abschließend weist die Verwaltung auf ein vom Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft gefördertes Pilotprojekt hin, an dem sie sich beteiligen möchte: SInBA (Soziale Innovationen in Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung), das von der Stadt Mannheim (Fachbereich Demokratie und Strategie) im Verbund mit dem Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie, der Stadt Wuppertal und inter 3 – Institut für Ressourcenmanagement durchgeführt wird.
„Für die Stadt Mannheim eröffnet sich mit dem Pilotprojekt SInBA, die Chance innovative Projekte zu identifizieren und deren Umsetzung mit Hilfe wissenschaftlicher Methoden zu analysieren, Neues auszuprobieren und zu bewerten. Dabei wird auch erprobt, inwieweit Instrumente aus dem Innovationsmanagement für die Weiterentwicklung solcher sozialen Innovationen wie dem Wohnraumtauschkonzept nutzbar gemacht werden können.“ Hierzu ist man geneigt zu sagen: „Na, dann!“ Sicher interessant, aber dass es hier vor allem um den Einstieg in die praktische Tätigkeit geht, sollte vor lauter wissenschaftlicher Begleitung nicht zu kurz kommen.
Die Verwaltung will einen ersten Konzeptentwurf dem Runden Tisch Wohnen vorstellen und im ersten Quartal 2024 dem Gemeinderat ein Umsetzungskonzept vorlegen.
Thomas Trüper