Schließung der Lupinenstraße? Aber wohin mit der Prostitution?
Zusätzlicher preisgünstiger Wohnraum ist eine gute Sache – aber wohin mit der Prostitution?
In der letzten Ausgabe des Kommunalinfos reagierte das Offene Stadtteiltreffen Neckarstadt OST im Artikel „Wohnraum für Alle statt Bordelle und Prostitution“ grundsätzlich positiv auf Pläne der Mannheimer Stadtverwaltung, die Lupinenstraße als Bordell zu schließen.
Die Argumente sind nachvollziehbar: Chance für zusätzlichen und bezahlbaren Wohnraum, Möglichkeiten für eine soziale Stadtteilentwicklung in einem schwierigen Umfeld.
Soweit so gut. Es ist richtig zu fragen, wie es gewährleistet werden kann, dass dauerhaft Wohnungen im preiswerten Segment entstehen.
Prostitution wohin?
Mit dieser Frage setzt sich besagter Artikel von OST nicht auseinander. Um mögliche negativen Folgen einer Verlegung der Lupinenstraße zu vermeiden, sollte man sich damit aber auseinandersetzen.
Grundsätzlich gilt für Deutschland: Prostitution ist erlaubt
Dies ist durch Bundesgesetz geregelt. Allerdings bezieht sich das nur auf mittlere und größere Städte. In Baden-Württemberg liegt diese Grenze bei Gemeinden ab 35.000 Einwohnern. Laut Wikipedia ist damit in 46 Gemeinden Prostitution erlaubt, das gilt damit auch für Mannheim. Allerdings kann das Regierungspräsidium mit Zustimmung der jeweiligen Gemeinde durch Verordnung einen Sperrbezirk festlegen, in dem in Teilen der jeweiligen Stadt Prostitution untersagt ist. Die Sperrbezirksverordnung für Mannheim datiert vom 18. November 1968. Die Lupinenstraße ist vom Sperrbezirk ausgenommen, um dort Prostitution legal zu ermöglichen.
In der aktuellen Polizeiverordnung der Stadt Mannheim heißt es unter § 12 Ansprechverbot zur Anbahnung der Prostitution: „Im Sperrbezirk ist es untersagt, zu Personen Kontakt aufzunehmen, um sexuelle Handlungen gegen Entgelt zu vereinbaren.“
Die Sperrbezirksverordnung ist schon fast 56 Jahre alt. Interessant aber auch wichtig für die aktuelle Diskussion ist der damalige Beschluss und seine Vorgeschichte aber allemal. Diese Vorgeschichte sei deswegen kurz skizziert.
Prostitution in der Lupinenstraße hat eine lange Tradition und existiert seit die Neckarstadt-West vor 150 Jahren als Arbeiterwohngebiet und in Nähe zu Hafen und Industrie entstanden ist. Die Lupinenstraße, die damals „19. Straße“, später Gutemannstraße, hieß, war damals am Rande der Neckarstadt-West gelegen.
Es gab immer mal wieder Versuche der Stadt, die Prostitution aus der Lupinenstraße zu verdrängen. So in den Jahren 1927 und 1928. Da sich diese dann in die G- und H-Quadrate verlagerte, wurde davon wieder Abstand genommen.
Nach dem zweiten Weltkrieg wurde durch die US-Besatzungsmacht ein Verbot der Prostitution von 1945 bis 1949 erlassen. Es ist allerdings davon auszugehen, dass die Prostitution illegal durchaus prosperierte.
Für die Lupinenstraße, die damals Gutemannstraße hieß, sollte allerdings erstmal einiges anders sein. Bordelle waren geschlossen. Die Häuser waren aber im Vergleich zur übrigen Stadt relativ wenig zerstört. Es gab eine allgemeine Wohnungsnot. Viele Familien mit Kindern zogen in die Häuser ein. In der unmittelbaren Umgebung wurden etliche Häuserblocks für Familien, davon viele Flüchtlinge aus den ehemaligen Ostgebieten Deutschlands, in der Itzstein- und Ludwig-Jolly-Straße gebaut. Diese Häuser sind Einfachstwohnungen und befinden sich jetzt im Eigentum der GBG.
Vorübergehende Schließung der Bordelle in der Gutemannstraße in den 50er Jahren
Da sich ab den 1950er Jahren die Prostitution immer mehr wieder in der Gutemannstraße ansiedelte, wurden Stimmen aus der Bevölkerung, von den Kirchen und Sozialverbänden, aber auch aus konservativen Kreisen wie der CDU nach Schließung der dortigen Bordellbetriebe immer lauter. 1954 war es dann soweit. Ein Verbot für die Gutemannstraße wurde auf Initiative der Stadt vom Regierungspräsidium verfügt. Eine Klage der Bordellbetreiber wurde vom Verwaltungsgericht Karlsruhe abgewiesen. Die Gutemannstraße wurde als Zeichen eines Neubeginns in Lupinenstraße umbenannt.
Die Prostitution verlagerte daraufhin wieder in die Innenstadt und in den Jungbusch. Zudem blühte das Gewerbe auch in der Illegalität. In der Lupinenstraße nahmen trotz Verbot Prostitution und einschlägige Gaststätten wieder zu. Dort, wo sich neue Bordelle ansiedelten, gab es laute Bürgerproteste. Aus der Lupinenstraße zogen immer mehr Familien weg, statt dessen quartierten sich damals Gastarbeiter genannte Arbeitsmigranten ein. Vermieter entdeckten ein lukratives Geschäftsmodell. Die Wohnungen wurden oft im Schichtbetrieb von mehreren Personen genutzt und gemietet.
Rolle Rückwärts Ende der 60er Jahre
Die Zunahme der Bordellbetriebe und die damit verbundenen Bürgerproteste veranlassten die Stadt zu einer Rolle Rückwärts. Mit Zustimmung des Gemeinderats und der Stadt Mannheim erließ das Regierungspräsidium am 18. November 1968 eine Sperrbezirksverordnung, die die Innenstadt, den Jungbusch, die Oststadt, die Schwetzinger Stadt, die Neckarstadt-West, Teile des Industriehafens und einen Teil der Neckarstadt-Ost umfasste. Ausdrücklich ausgenommen die Lupinenstraße und ein kleiner Abschnitt der Industriestraße, die sich zum Straßenstrich wandelte. Der Eingang der Lupinenstraße wird seither mit einer Sichtblende Versehen. Für Jugendliche ist der Zutritt untersagt. Diese Rolle Rückwärts wurde von allen maßgeblichen Kräften der Stadtgesellschaft getragen, auch von den Kräften, die vorher mit Vehemenz für eine Schließung der Gutemannstraße alias Lupinenstraße eingetreten sind. Man sprach fortan vom notwendigen aber „kleineren Übel“, um „unkontrollierten Wildwuchs“ zu verhindern.
Was sagt uns die Historie?
Solange Prostitution durch Bundesgesetz erlaubt ist, lässt sie sich kommunal oder auf Landesebene nicht verbieten. „Wildwuchs“ kann man mit Sperrbezirksverordnungen einschränken, die Ansiedelung von Prostitution und Bordellbetriebe in gewisser Weise lenken. Die Erfahrung besagt jedoch, dass es illegale Sexarbeit auch bei einer legalisierten Prostitution gibt. Das ist nach Auskunft von Amalie, der Beratungsstelle für Frauen in der Prostitution, auch in Mannheim in signifikanter Größe vorhanden.
Wer wirklich Sexarbeit anders organisieren, wirksam einschränken oder gar verbieten will, der muss entsprechende Bundesgesetze ändern. In der Diskussion steht hierbei das sog. „Nordische Modell“, wonach nicht die Prostituierte sondern der Sexkauf durch Freier und das Betreiben von Bordellbetrieben unter Strafe gestellt werden. Es würde an dieser Stelle zu weit führen, diese Debatte darzustellen.
Zweite Rolle Rückwarts vermeiden
Es gibt gute Gründe, die Bordellbetriebe in der Lupinenstraße zu schließen. Um sich die Grundstücke und die Gebäude in der Lupinenstraße zu sichern, musss die Stadt bzw. die Stadt schnell handeln. Klar sollte aber sein: Man sollte gleichzeitig über geeignete und akzeptierte Standorte nachdenken und dementsprechend handeln und sichern. Sonst erlebt man eine Rolle Rückwärts wie der Mannheimer Gemeinderat 1968.
Last but not least sollte man auch ein Auge auf die Lebens- und Sicherheitsbedingungen der Sexarbeiterinnen, die sich jetzt schon in einer prekären Situation befinden, werfen. Diese sollten sich durch eine Verlagerung der Prostitutionsorte nicht noch weiter verschlechtern.
Fragen und Anforderungen an die Stadt Mannheim in Sachen geplanter Umzug des Rotlichtviertels in der Lupinenstraße
Die folgenden Fragen müssen in einem transparenten Verfahren schnell geklärt werden. Es muss vermieden werden, dass die Grundstücke und Häuser an einen privaten Investor verscherbelt werden. Gegebenenfalls muss die Stadt prüfen, inwieweit ein städtisches Vorkaufsrecht greifen kann.
- Wie konkret sind diese Pläne und ist ein möglicher Zeitplan hinterlegt?
- Das Projekt soll über die städtische Wohnungsbaugesellschaft GBG abgewickelt werden. Sind Grund und Boden in städtischer Hand? Wie sieht es mit dem möglichen Erwerb der Immobilien aus?
- Setzten die Pläne einen generellen Neubau und einen Abriss der jetzigen Bestandswohnungen voraus?
- In welcher Größenordnung könnten in der Lupinenstraße neue Wohnungen entstehen und in welchem Preissegment?
- Welche Auswirkungen hätte ein Umzug auf das Umfeld und die künftige Entwicklung der Neckarstadt-West?
- Wie und in welcher Größenordnung soll der Umzug des Rotlichtviertels in die Bonadiesstraße erfolgen? Wie sind die Pläne für das neue Rotlichtviertel?
- Warum favorisiert die Verwaltung hierfür die Bonadiesstraße? Inwiefern wurden andere Standorte geprüft?
- In der Bonadiesstraße ist gegenwärtig eine Übernachtungsmöglichkeit für obdach- und wohnsitzlose Männer untergebracht. Welchen Alternativstandort gibt es hierfür?
- Inwieweit können die Arbeits- und Lebensbedingungen der Sexarbeiterinnen und anderer Personen durch den Umzug tangiert werden? Bedingt durch die in der Regel prekären Arbeits- und Lebensverhältnisse der Sexarbeiterinnen können durch einen Umzug der Bordellbetriebe in die Peripherie (Bonadiesstraße), die Sicherheit und das Umfeld (Nähe zu Lebensmittelläden, Apotheken, Beratungsstellen usw.) negativ beeinträchtigt werden. Inwiefern kann dem entgegengewirkt werden?
- Wie kann einer möglichen negativen Entwicklung (Zunahme von Kriminalität, illegaler Prostitution, Zwangsprostitution etc.) entgegengewirkt werden? Inwieweit sind beim geplanten Umzug soziale, sicherheitsrelevante und polizeiliche Gesichtspunkte berücksichtigt worden?
Quellen:
Mannheimer Morgen vom 19.02. und 03.04.2024, Vorträge von Louisa van der Does, Astrid Fehrenbach und Barbara Ritter bei der Veranstaltung „Eine `anrüchige Kolonie?´ – Die Auseinandersetzung um Prostitutionsstandorte in Mannheim damals und heute“ am 13. März 2024 im Marchivum in Mannheim.
Roland Schuster