Heidelberger Gemeinderat stimmt Umbenennung in „Sophie-Berlinghof-Platz“ zu

„Sophie-Berlinghof-Platz“ (Antifaschistin) -­ statt „Karl-Kollnig-Platz“ (Nazi-Anhänger)

Antifaschistischer Stadtrundgang der VVN-BdA “Auf den Spuren von Sophie Berlinghof” am 16. Februar 2025 an der Alten Uni in Heidelberg (Bild von Michael Csaszkóczy)

Am 20. Februar beschloss der Heidelberger Gemeinderat mit 27 gegen 10 Stimmen (bei 9 Enthaltungen): Der bisher nach dem früheren Nazi-Anhänger Karl Kollnig (von 1962 bis zur Pension 1975 Prorektor und Rektor an der Pädagogischen Hochschule oder kurz PH) benannte Platz im Stadtteil Handschuhsheim wird in Sophie-Berlinghof-Platz umbenannt.

Sophie Berlinghof, geboren 1910, war bereits als 22-Jährige im kommunistischen Widerstand gegen die Nazis, wurde von ihnen 1933 von der Uni relegiert und zeitweise im Heidelberger Gefängnis „Fauler Pelz“ in „Schutzhaft“ genommen. Von 1947 bis 1956 war sie als KPD-Mitglied im Gemeinderat, unter anderem zuständig für die Wohnungszuteilung und Sozialwesen und auch danach für ihr soziales Engagement in der Stadt bekannt und beliebt.

Kollnig war an der PH ab 1972 auch eifriger Verfechter von Berufsverboten gegen Linke. Dort waren in den 1970er Jahren über 50 Lehrkräfte nach dem Examen durch Nichteinstellung in den Schuldienst vom sogenannten „Radikalenerlass“ betroffen. Der damalige ASTA-Vorsitzende hat 1973 erstmals völkisches Schrifttum Kollnigs von 1938 ans Tageslicht befördert. Trotzdem wurde Kollnig nach seinem Tod auf Antrag des Stadtteilvereins 2006 mit der Platzbenennung geehrt.

2016 wies eine Studentin der PH in einer Seminararbeit zu „68er-Bewegung“ und „Radikalenerlass“ anhand von Archivunterlagen nach, dass Kollnig ab 1934 auch SA- und ab 1937 NSDAP-Mitglied war. Der Heidelberger Geschichtsverein und eine 2017 von der Stadt eingerichtete Straßenbenennungskommission stellten darauf weitere historische Untersuchungen an. 2023 empfahl die Kommission dem Gemeinderat, von 319 untersuchten Straßen und Plätzen bei neun eine Umbenennung wegen vorheriger „NS-Verstrickungen“ der Namenspaten vorzunehmen (acht Männer, darunter Karl Kollnig, und eine Frau).

Versuche der Stadt im Bezirksbeirat, Sophie Berlinghof erst auszusortieren, dann herabzuwürdigen

Im Oktober 2023 reichte ein früheres Bezirksbeiratsmitglied der Linken, unterstützt durch ein von der VVN-BdA erstelltes Lebenslauf-Exposé, bei der Stadt den Vorschlag ein, den Platz nach der 2002 verstorbenen Antifaschistin und Kommunistin Sophie Berlinghof zu benennen. Ihr Vater war in der KPD, sie hatte sieben Geschwister und lebte fast 90 Jahre in Handschuhsheim. Während der Nazizeit wurde sie auch als zahnmedizinische Laborantin entlassen, 1943 wurde sie arbeitsverpflichtet. Nach der Befreiung vom Faschismus betrieb sie an der Tiefburg in Handschuhsheim zusammen mit einer ihrer Schwestern einen kleinen Obst- und Gemüseladen. Sie war Vorstandssprecherin der VVN, 1968 Mitbegründerin der örtlichen DKP und führte noch bis ins hohe Alter regelmäßig antifaschistische Stadtführungen durch, bei denen sie über die Gräueltaten der Nazis und den Widerstand dagegen berichtete.

Die Stadt und die Kommission hatten für die Sitzung des Bezirksbeirats am 7. November 2024 den Vorschlag Annette Albrecht vorgelegt, eine soziale Heidelberger Aktivistin für die Rechte behinderter Frauen. Der Stadtteilverein hatte sich für den Ausgrabungsforscher Berndmark Heukemes ausgesprochen, obwohl dieser als 16-Jähriger in der „Hitlerjugend“ aktiv war. Den Vorschlag Sophie Berlinghof hat die Stadt in einer „Vorauswahl“ kurzerhand aussortiert. Nachdem die Fraktionsgemeinschaft „Die Linke/Bunte Linke“ im Gemeinderat die Bezirksbeiratsmitglieder hierüber in einem Schreiben informiert hatte, wurde der Vorschlag von einem SPD-Mitglied und dem Stadtteilvereinsvorsitzenden doch zur Sprache gebracht. Darauf fuhr die Verwaltung schwere Geschütze auf, nachzulesen auch in einem auf Nachfrage eines Bezirksbeiratsmitglieds erfolgten Schreiben von November 2024:

„Die Kommission für Straßenbenennungen hat auch den Vorschlag einer Benennung nach Sophie Berlinghof geprüft, sieht Sophie Berlinghof aber nicht als heutigen Maßstäben für eine Neubenennung genügend an. Für neu vorgeschlagene Straßen-/Platznamen gelten für die Kommission deutlich strengere Maßstäbe als für bestehende Straßen-/Platznamen. Personen, von denen Positionen bekannt sind, die im Widerspruch zu seit 1918 in Deutschland verwirklichten demokratischen Wertvorstellungen stehen, kamen für eine Neubenennung nicht in Frage. Ausschlaggebend bei Sophie Berlinghof war ihr Engagement in der KPD, einer Partei, welche die Weimarer Republik bekämpft hat, wie das auch die NSDAP tat, und die 1956 vom Bundesverfassungsgericht verboten wurde. Das stellt keine Wertung von persönlichen Verdiensten von Sophie Berlinghof dar, aber nach einem Grundsatz der Kommission können problematische Haltungen von Persönlichkeiten nicht durch Verdienste kompensiert werden.“

 Heukemes erhielt im Bezirksbeirat am 7.11.2024 schließlich sechs Stimmen, Berlinghof und Albrecht jeweils vier. Am 14. Januar führten die Stolperstein-Initiative und die VVN-BdA eine Veranstaltung in der Volkshochschule mit über 50 Teilnehmenden durch: „Wer war Sophie Berlinghof?“, mit Vorträgen über ihr Leben, politisches Wirken und soziales Engagement sowie den Ablauf im Bezirksbeirat.

Stadt legt für Sitzung des Hauptausschusses mit Verleumdungen nach

Die Stadt sah sich darauf gezwungen, für die folgende Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses des Gemeinderats (5. Februar 2025) nachzulegen. Als einzige der neun Straßenumbenennungen mit insgesamt 16 Vorschlägen versah sie die Kurzbiographie zu Sophie Berlinghof mit einer ganzseitigen „Stellungnahme zur Benennung“. Auch sie strotzte laut VVN-BdA und „Die Linke/Bunte Linke“ vor Unwahrheiten und ungeheuerlichen Behauptungen, wie diese in einer „Gemeinsamen Erklärung“ darlegten:

In der ‘Stellungnahme’ klagt die Stadt, Berlinghof sei ‘zumindest in ihrem höheren Lebensalter weit­hin nicht als Gegnerin der bestehenden freiheit­lich-demokratischen Ordnung wahrge­nommen worden, sondern als Protagonistin der lo­kalen NS-Erinnerung und als eine der frü­hen und aktiven Frauen im Heidelberger Gemeinderat’. Zum ‘Be­weis’ angeb­licher ‘undemokratischer Haltungen’ werden unhalt­bare Beschuldigungen gegen So­phie Berlinghof als Person erho­ben, die nirgends mit Argumenten, geschweige Nachweisen belegt werden; bis hin zu Behauptungen: Berlinghof gehöre zu ‘Perso­nen, von denen Positionen oder Taten bekannt sind, die im Wider­spruch zu seit 1918 in Deutschland verwirklichten demokratischen Wertvorstellungen stehen’ – Linke und Nazis werden gemäß ‘Hufeisen-Theorie’ gleichgesetzt. Durch ‘ihre aktive Mitgliedschaft in der KPD und DKP’ habe Frau Berlinghof außer­dem ‘Verbre­chen unter Stalin und des Kommu-nismus bagatelli­siert’. Nach 1933 und 1956 (KPD-Verbot) wird Sophie Berlinghof damit zum dritten Mal zur „Staatsfeindin“ erklärt, nun posthum“ (Auszüge aus der „Gemeinsamen Erklärung“ der Fraktion „Die Linke/Bunte Linke“ und der VVN-BdA vom 13.2.2025).

Zitiert wurden in der „Erklärung“ auch gegenteilige Dokumente aus dem Gemeinderat: 1956, als Sophie Berlinghof auf Grund des KPD-Verbots zwangsweise ausscheiden musste, war beispielsweise das Abschiedsschreiben mit den Unterschriften von 35 Gemeinderäten überschrieben mit: „Frau Stadträtin Sofie Berlinghof – Zur freundlichen Erinnerung an gemeinsame Arbeit für das Wohl der Stadt Heidelberg gewidmet.“ In der Todesanzeige der Stadt 2002 wurde formuliert: „Von 1947 bis 1956 war sie Mitglied des Heidelberger Gemeinderats und hat sich auch über dieses Amt hin­aus stets für die Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt und für ein friedliches und tole­rantes Miteinander ein­gesetzt. Wir werden ihr ein ehrendes Andenken bewahren:“ „Die Linke/Bunte Linke“ und VVN-BdA schließen ihre „Erklärung“: „An dieses Versprechen erinnern wir heute Stadtverwaltung und Gemeinderat.“

Veranstaltung, Leserbriefe, Stadtrundgänge „auf den Spuren Sophie Berlinghofs“

Im Ausschuss am 5. Februar blieb es – neben einem Volt-Mitglied aus der „Ost-Zone“, wie er sich selbst vorstellte – ausgerechnet der AfD vorbehalten, sich in übelster antikommunistischer Manier gegen die Antifaschistin und Kommunistin auszulassen. Für den von der SPD eingebrachten Antrag Sophie Berlinghof stimmten anschließend im 16-köpfigen Ausschuss sechs Mitglieder (eine Linke, zwei SPD und drei von fünf Grünen). Neun von Volt über CDU bis AfD stimmten mit Nein. Die Schlussabstimmung endete mit der Empfehlung an den Gemeinderat für Annette Albrecht (zehn zu vier). Auch ein Antrag der SPD, die Endemannstraße in der Weststadt in Emil-Henk-Straße umzubenennen, hatte keine Mehrheit erhalten. Emil Henk, Mitglied der SPD, war ebenfalls im Widerstand und wurde von den Nazis 1935 für 20 Monate ins Gefängnis gesteckt.

Ende Januar hatten die Kreisvorstände von DGB und GEW beschlossen, sich dem Vorschlag Sophie Berlinghof anzuschließen. Die Fraktion „Die Linke/Bunte Linke“ verschickte am 13.2. die oben bereits zitierte „Gemeinsame Erklärung“ an alle Gemeinderatsmitglieder (außer AfD und deren Ableger IDA). Auch anlässlich verschiedener Veranstaltungen sowie auf zwei von der VVN-BdA durchgeführten „antifaschistischen Stadtrundgängen auf den Spuren von Sophie Berlinghof“ am Sonntag, 16.2. und Dienstag, wenige Tage vor der Gemeinderatssitzung, wurde die „Gemeinsame Erklärung“ in der Stadt verteilt.

Die Rhein-Neckar-Zeitung (RNZ) hatte von Mitte November bis Mitte Februar in sechs Artikeln über die Forderung berichtet, den Kollnig-Platz in Sophie-Berlinghof-Platz umzubenennen. In 12 Leserbriefen kam die Breite der Unterstützung in der Stadtbevölkerung für die antifaschistische Persönlichkeit zum Ausdruck. Für die Anwürfe der Stadt gab es keine Zuschrift. Auch über das Ergebnis der Gemeinderatssitzung berichtete die RNZ am 22. Februar auf einer halben Seite, unter der Überschrift: „Würdigung der Altstadträtin“, mit einer zusätzlichen Kommentar-Spalte und dem Titel: „Richtig“.

Im Gemeinderat große Unterstützung für Vorschlag Sophie-Berlinghof-Platz

In der Sitzung des Gemeinderats am 20.2. gab es bereits am Anfang in der „Bürgerfragestunde“ drei Wortmeldungen, in denen zur Unterstützung des Antrags Sophie Berlinghof aufgerufen wurde. Darunter auch ein Großneffe und Familienangehöriger von ihr, der zu Beginn erklärte, er sei stolz darauf, in der Albert-Fritz-Straße im Stadtteil Kirchheim zu wohnen. Albert-Fritz war ebenfalls KPD-Mitglied, kämpfte im Untergrund in der Georg Lechleiter-Widerstandsgruppe und wurde von Nazis 1943 ermordet. Auch seine Großtante, so der Lehrer an einem Gymnasium weiter, dürfe nicht durch falsche Behauptungen herabgewürdigt, sondern müsse als „aufrechte Person“ gewürdigt werden.

Bereits bei der Behandlung der Endemannstraße in der Weststadt, zwei Tagesordnungspunkte vor dem Kollnig-Platz, wich der Gemeinderat von der Empfehlung des Ausschusses ab und stimmte stattdessen dem Antrag der SPD zu, sie in Emil-Henk-Straße umzubenennen (bei nur drei Gegenstimmen der AfD). In einer scharfen, halbstündigen Debatte versuchten AfD und CDU danach, wenigstens die „Benennung und Ehrung einer Kommunistin“ aufzuhalten. Die AfD sprach bezüglich der Umbenennungen von nach Nazi-Anhängern benannten Straßen von „Bildersturm“ und „Auslöschung der Geschichte“. Die „Demo gegen rechts“ von 12.000 (am Wochenende in Heidelberg vor der Gemeinderatssitzung) sei „mit den Mitläufern der NS-Zeit gleichzusetzen“. Die Fraktionsvorsitzende der Linken protestierte scharf gegen diesen „Geschichtsrevisionismus“. Auch für die SPD wies ein Mitglied diese rechten Ausgüsse als „Ungeheuerlichkeiten“ scharf zurück. Der Fraktionsvorsitzende bekräftigte nochmals, Sophie Berlinghof habe die Platzbenennung verdient.

Die CDU-Vertreterin behauptete, die Kommission habe bei Berlinghof „Stalinismus“ ausgemacht. Man habe zwar „sehr viel Respekt für deren Wirken“, könne aber „das Gedenken von NS-Opfern nicht mit dem Gedenken an die Opfer des Stalinismus vereinbaren“. Eine Gemeinderätin der Linken widerlegte dies als Falschbehauptung. Der Sprecher der Kommission habe zwar von einigen „schwierigen“ Äußerungen Sophie Berlinghofs in den 90-er Jahren gesprochen, den Vorwürfen „Stalinismus“ oder „Extremismus“ habe er sich aber ausdrücklich nicht angeschlossen. Die Gemeinderätin verlas auch im Auftrag des anwesenden Angehörigen den vollen Wortlaut seines Appells an den Gemeinderat: Die Behauptungen über seine Großtante in einigen Unterlagen hätten sie als Verwandte enttäuscht und tief betroffen gemacht. Beispielhaft hielt er den Verantwortlichen der Stadt einen Bericht der RNZ vom 13.12.2000 zum 90. Geburtstag von Sophie Berlinghof entgegen. Mit einem Bild, auf dem ihr die damalige Oberbürgermeisterin Beate Weber (SPD) in der Gaststätte „Essighaus“ in der Altstadt gratulierte. Unterschrieben ist das Bild mit dem großen fetten Balken: „Ein Vorbild für Alle!“

Antikommunismus zurückgewiesen, Antifaschismus gestärkt

27 der 46 anwesenden Mitglieder des 48-köpfigen Gemeinderats stimmten am Ende für den Sophie-Berlinghof-Platz: „Die Linke/Bunte Linke“ (3 Sitze), SPD (6), Grün-Alternative Liste GAL (1), Die Partei (1) und auch die Grünen (13 Sitze), die offensichtlich von der breiten Unterstützung in der Bevölkerung beeindruckt wurden, plus drei weitere Ja-Stimmen – eine überraschende und vor allem in der Deutlichkeit nicht zu erwartende Zustimmung. Letztlich stand die CDU (7 Sitze) mit der AfD (3) und deren Ableger IDA (1) allein (zusammen 10 Nein-Stimmen). Enthaltungen gab es neun (von Volt/“Heidelberg in Bewegung“, FDP/FWV, „Heidelberger“).

Die Hetze, Sophie Berlinghof sei eine „Extremistin“ und „Staatsfeindin“ gewesen, hat nicht verfangen, der Schuss ging kräftig nach hinten los. In einer der Zuschriften an die RNZ hat ein Leser Ende Januar einen Satz von 1943 von Thomas Mann zitiert, der am 6. Juni für seinen 150. Geburtstag gefeiert wird: „Der Schrecken vor dem Wort Kommunismus, von dem der Faschismus so lange gelebt hat, ist die Grundtorheit unserer Epoche.“ An 20. Februar hat im Gemeinderat in Heidelberg die antikommunistische Staatsräson erfreulicherweise eine Abfuhr erhalten und die antifaschistische Erinnerungskultur gewonnen.

Martin Hornung, Eppelheim