Leserbrief zu „Absage der ‚Meile der Religionen‘ – Religion als Teil der Lösung oder Teil des Problems?“

Der Leserbrief bezieht sich auf den Artikel

Absage der ‚Meile der Religionen‘ – Religion als Teil der Lösung oder Teil des Problems?“ vom 24.06.25

Liebes Redaktionsteam,

mit Interesse habe ich Ihren Artikel zur Absage der Meile der Religionen gelesen. Die Thematik berührt zentrale gesellschaftliche Fragen, nicht nur für Mannheim, sondern weit darüber hinaus. Umso mehr bedauere ich, dass der Beitrag meines Erachtens hinter dem Anspruch einer differenzierten Analyse zurückbleibt.

Ich bin Mitglied einer politisch linken Partei und engagiere mich auch im interreligiösen Kontext. Umso mehr irritiert mich die stark vereinfachte Religionskritik im Artikel. Religion wird dort beinahe ausschließlich als Herrschaftsinstrument, Konflikttreiber oder kulturelle Hülle zur Machtsicherung beschrieben – ohne jede Berücksichtigung ihrer lebensweltlichen, ethischen und friedensfördernden Dimensionen, wie sie viele religiöse Menschen in unserer Stadt täglich leben.

Die Bezugnahme auf Marx wirkt dabei eher wie ein ideologischer Reflex. Marx’ Religionskritik ist in Wirklichkeit deutlich vielschichtiger: Religion sei zwar das „Opium des Volkes“, aber zugleich das „Herz einer herzlosen Welt“ – Ausdruck realer Unterdrückung, nicht bloß deren Ursache. Wer sich auf Marx beruft, sollte diese Ambivalenz ernst nehmen und sich nicht mit verkürzten Schlagworten zufriedengeben.

Dass Religion in einem linken Medium so einseitig als Problem dargestellt wird, wirkt fast schon altmodisch – eine Religionskritik im Stil des 19. Jahrhunderts, während wir längst im 21. leben.

Zudem möchte ich zu bedenken geben, dass auch im Namen von Humanismus, Vernunft und Fortschritt große Verbrechen begangen wurden – von kolonialer „Zivilisierungsmission“ bis hin zu den Schrecken des Stalinismus. Auch säkulare Weltanschauungen sind nicht automatisch vor Machtmissbrauch, Fanatismus oder Gewalt gefeit. Die Vorstellung, dass allein der Abschied von Religion eine bessere Welt garantiere, ist historisch kaum haltbar.

Eine kritische, emanzipatorische Linke sollte deshalb Religion nicht pauschal delegitimieren, sondern sich offen für Bündnisse mit all jenen zeigen, die sich – religiös oder säkular – für eine gerechtere, friedlichere und solidarische Gesellschaft einsetzen. Gerade in einer Stadt wie Mannheim, in der religiöse Vielfalt und Zusammenleben konkret und alltäglich sind, braucht es weniger ideologische Trennlinien und mehr Interesse an Zwischentönen.

Ich würde mich freuen, wenn kommunalinfo künftig auch diesen Stimmen und Perspektiven Raum gibt.

Mit solidarischen Grüßen
Sebastian Knapp