Absage der „Meile der Religionen“ – Religion als Teil der Lösung oder Teil des Problems?
Die 2025er Ausgabe der „Meile der Religionen“ in Mannheim wurde abgesagt. Das „Forum der Religionen“ als Veranstalter zieht die Reißleine, nachdem immer mehr teilnehmende Organisationen abgesprungen sind. Die organisatorischen Abläufe seien am Ende nicht mehr gewährleistet gewesen, Schreiben die Sprecher des Forums in einer Mitteilung.
Eigentlich soll die Veranstaltung den Zusammenhalt in der Stadt stärken und die Angehörigen der verschiedenen Religionsgemeinschaften zusammen bringen. Doch die weltweiten Konflikte haben auch in Mannheim für Verwerfungen gesorgt.
Können die Religionsgemeinschaften überhaupt dazu beitragen, ein friedliches und solidarisches Zusammenleben zu fördern oder sind sie nicht vielmehr selbst Teil des Problems?
Immer mehr Absagen machten Veranstaltung unmöglich
Schon vor Monaten hatte die muslimische Organisation DITIB abgesagt und ihre Mitgliedschaft im „Forum der Religionen“ ruhen lassen. Als Grund wurden Differenzen mit dem Leiter des Mannheimer Instituts für Integration und interreligiöse Arbeit genannt. DITIB ist Betreiber der größten Mannheimer Moschee und gilt als Sprachrohr des türkischen Staates in Deutschland.
Vergangene Woche folgte die Jüdische Gemeinde, die nach der neuerlichen Eskalation in Nahost Sicherheitsbedenken als Grund angab. Es soll noch weitere Absagen gegeben haben, die in der offiziellen Mitteilung des Forums aber nicht genauer benannt wurden.
Zentrale Veranstaltung der „Meile der Religionen“ ist eine große, bunt gedeckte Tafel mit vielfältigen kulinarischen Beiträgen, die sich durch die Quadrate von evangelischer Kirche in R2, vorbei an katholischer Kirche in F2, über die Synagoge in F3 bis zur Moschee im Jungbusch zieht. In ihren besten Zeiten hatte die „Meile der Religionen“ eine hunderte Meter lange Tafel und tausende Teilnehmende beim gemeinsamen Essen.
Nach den Absagen in diesem Jahr wurde die voraussichtliche Anzahl der Tische immer geringer, so dass die Veranstaltung nicht mehr als „Einladung an die gesamte Stadtgesellschaft“ aufrecht erhalten werden könne, so heißt es in der Mitteilung des Forums.
OB will sich für den Erhalt der Veranstaltung einsetzen
OB Christian Specht bedauert die Absage der Veranstaltung. Die Sicherheitsbedenken seien „nachvollziehbar, auch wenn für dieses interreligiöse Fest der Begegnung keine konkreten Bedrohungen bekannt sind“. Er lud alle bisherigen Träger zu einem Gespräch ein, um auszuloten, wie es weitergehen könne. Das „traditionell friedliche und tolerante Zusammenleben in unserer Stadt“ müsse erhalten werden, fordert Specht.
Die bisherigen Träger, also die Mitglieder des „Forum der Religionen“, sind Vertreter der christlichen Kirchen, der Moscheegemeinden, der jüdischen Gemeinde und der alevitischen Gemeinde – allerdings handelt es sich nicht um ein allumfassendes Bündnis. Gerade die kleineren Kirchen und Moscheegemeinden sind nicht alle vertreten.
Die „Meile der Religionen“ scheitert nun an ihrem eigenen Anspruch. Sie will verbinden, wo es Trennungen gibt – Trennungen im besten Fall aufgrund von Unkenntnis, im schlechtesten Fall wegen Feindschaft zueinander.
Religion als Welterklärung
Aber ist es überhaupt möglich, Verbindungen zu schaffen, wo die trennenden Faktoren so offensichtlich sind? Religionen haben sich immer in Konkurrenz, wenn nicht sogar in offener Feindschaft zu den jeweils anderen herausgebildet. Sobald es einen neuen Propheten, Messias oder Anführer hab, musste dieser sich selbst und seine Predigten mit der Delegitimation der jeweils anderen bestätigen.
Überall auf der Welt sind Religionen zersplittert und konkurrieren miteinander. Nur wenige Glaubensgemeinschaften stellen dazu eine Ausnahme dar.
Religionen gibt es seit tausenden Jahren. Ihr Zweck war die Erklärung einer Welt, die man nicht verstand. Und ihr Zweck war auch die Sicherung der Herrschaft von Menschen über Menschen.
Hat Religion in einer modernen, aufgeklärten Gesellschaft überhaupt noch eine Existenzberechtigung?
Religion als Machtinstrument
Auch wenn durch die Wissenschaft die meisten Fragen des Alltags heute erklärbar sind, bleibt Religion als Macht- und Herrschaftsinstrument in den meisten Gesellschaften ein wichtiger Faktor.
Im Krieg Israel gegen Iran nennen die Kriegsparteien Religion zwar nicht als Ursache ihres Konflikts, dennoch stützen sich beide Regierungen auf eine religiöse Basis zur Sicherung ihrer Macht und zur Legitimation ihrer Aggression. Beim Mullah-Regime im Iran ist das offensichtlich, aber auch die Regierung Netanjahu kommt nicht ohne jüdische Hardliner aus, die ihr staatspolitisches Handeln religiös begründen.
Religion als kultureller Anker
Auch eine kulturelle Veranstaltungen, wie die „Meile der Religionen“, hat mit Macht und Herrschaft zu tun. Die Basis einer jeden Religion ist die Kultur. Die breite Masse einer aufgeklärten Gesellschaft ist zwar meist irgendwie noch mit Religion verbunden, aber üblicherweise nicht besonders tiefgläubig oder gar theologisch gelehrt.
Kultur ist das Instrument der religiösen Organisationen, mit dessen Hilfe sie die Menschen an sich binden. Viele Mitglieder der christlichen, jüdischen und muslimischen Religionsgemeinschaften sind nicht streng gläubig – doch die großen Feiertage mit ihren Riten und Gebräuchen kennen alle.
Religiöse Kultur ist daher ein doppelter Anker. Er gibt Menschen ein Gefühl der Zugehörigkeit und den Organisationen ein Instrument an die Hand, mit denen sie ihre Mitglieder an sich binden können.
„Opium des Volkes“ hat Karl Marx die Religion genannt. Ein berauschendes Mittel, das gesellschaftliche Widersprüche und Interessenlagen unsichtbar werden lässt, für das Menschen irrationale Dinge tun oder sich sogar selbst schaden. Dabei muss immer bedacht werden: „Der Mensch macht die Religion, die Religion macht nicht den Menschen.“ (Marx)
Religiöse Verständigung ist im besten Fall eine Überbrückung
Die Ursachen von Kriegen sind entweder materieller oder ideologischer Natur. Fast immer werden materielle Ursachen, zum Beispiel geopolitischer Einfluss, Ressourcenkonkurrenz oder Gebietsansprüche mit ideologischen Begründungen legitimiert. Nationalismus und Religion sind Zauberwaffen der Kriegstreiber. Dafür opfern Freiwillige ihr Leben.
Doch wenn Religion historisch und aktuell in fast allen Kriegen eine brandbeschleunigende Wirkung gezeigt hat, warum bemühen sich überhaupt Leute um einen interreligiösen Dialog? Als Massenphänomen gibt es bei den Religiösen die unterschiedlichsten Charaktere. Es gibt moderne und liberale Akteure in allen großen Religionsgemeinschaften. Sie bemühen sich um Verständigung. Solchen Leuten sind interreligiöse Bündnisse, wie das „Forum der Religionen“ wichtig.
Es gibt aber auch die Hardliner und deren wachsender Einfluss darf nicht unterschätzt werden. Islamistische Fanatiker*innen, die eine brutale Rechtsordnung auf Basis der Sharia installieren wollen, aber auch christliche Rechte, die ihre Bestimmung im Kampf gegen Homosexualität oder Abtreibungen gefunden haben, ebenso wie orthodoxe Jüd*innen, die Landenteignungen in der Westbank religiös legitimieren. Am Ende steht die Frage, welche Richtung sich an der Basis durchsetzen und ihren Einfluss ausbauen kann.
Kurzfristig kann ein „Forum der Religionen“ vielleicht den ein oder anderen Konflikt etwas abkühlen. Das Engagement derer, die sich dafür einsetzen, sollte man wertschätzen. Doch auch wenn die friedlichen, liberalen Vertreter*innen voraus gehen, bleibt das Wesen der Religion immer ein Türöffner für irrationale, regressive Weltanschauungen, eben ein Anknüpfungspunkt für Fanatismus und Hass.
Langfristig sollten Linke dafür sorgen, dass Religion aus den Köpfen der Menschen verschwindet und stattdessen ein humanistisches Menschenbild zum kulturellen Anker der Gesellschaft wird.
(cki)