Gotham Ländle- Was mit dem Einsatz automatisierter Überwachungsmethoden bevorsteht.
Nachdem ein Staatssekretär des CDU-geführten Innenministeriums bereits im März diesen Jahres einen 25 Millionen Euro schweren Vertrag mit der US-Firma Palantir unterzeichnet hat, stellt die Grün-Schwarze Landesregierung nachträglich die Anpassung des Polizeigesetzes für eine eingeschränkte Nutzung der Analyse-Software „Gotham“ in Aussicht. Grüne „Bauchschmerzen“ ließen sich durch ein Angebot der CDU mildern, einen Nationalpark auszuweiten. Dabei ist nicht nur eine politische Praxis fragwürdig, die erst Tatsachen schafft, welche dann im Nachhinein mit einem Tauschhandel legitimiert werden. Auch die Software und das Unternehmen sowie deren Auswirkungen auf Freiheitsrechte müssen kritisiert werden.
Vertreter*innen von Sicherheitsbehörden rühmen sich schon lange mit Pilotprojekten zur Videoüberwachung in Mannheim, bei denen der Einsatz von Künstlicher Intelligenz erprobt wird. Eine KI soll mit Hilfe von über 60 Kameras an besonderen Punkten in der Stadt erkennen, ob sich Personen dort „verdächtig“ verhalten und dann direkt das Lagezentrum der Polizei informieren. Das Projekt läuft bereits seit 2018 und wurde 2023 um mehrere Jahre bis 2026 verlängert.
Nun soll auch in Baden-Württemberg eine Analyse-Software dazu genutzt werden polizeiliche Daten effizienter verarbeiten zu können. Hessen und Hamburg haben die Software bereits in ihrem polizeilichen Repertoire und planen sie zur Bekämpfung organisierter Kriminalität und islamistischen Terrorismus zu verwenden. In einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom Februar 2023 (1 BvR 1547/19, 1 BvR 2634/20) sind die rechtlichen Grundlagen für deren Einsatz jedoch als verfassungswidrig eingestuft worden, weil sie keine ausreichende Eingriffsschwelle enthalten. Bedenken im Hinblick auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht und die informationelle Selbstbestimmung wurden als Begründung herangezogen, wobei darauf verwiesen wurde, dass auch Unbeteiligte in den Fokus gelangen könnten. Während die Grundlage in Hamburg damit als nichtig angesehen wurde, wurde dem Land Hessen eine Frist zur Nachbesserung der Rechtsgrundlage gegeben. Eine verfassungskonforme Nutzung der automatisierten Datenanalyse hat das Gericht jedoch nicht ausgeschlossen. Damit bleibt das Tor für die Nutzung softwaregestützter und automatisierter Technologien offen und es ist davon auszugehen, dass die Zuständigen in Baden-Württemberg die Fehler ihrer Vorgänger berücksichtigen werden. Die KI-gestützte Überwachung in Mannheim könnte also bald um eine automatisierte Auswertung ergänzt werden, die vermutlich auch weitere Möglichkeiten der Gesichts- oder Profilerkennung mit sich bringt.
Die Software „Gotham“¹ soll in der Lage sein, Muster aus unterschiedlichen Datenbeständen erkennen und zusammenführen zu können. Dadurch soll automatisiert stattfinden, was bisher nur unter hohem Aufwand möglich gewesen sei, wie zum Beispiel Personen, Orte und Ereignisse über Bilder miteinander zu verknüpfen. Sicherheitsbehörden versprechen sich eine effektivere Bekämpfung und Vorbeugung von Straftaten. Datenschützer warnen vor intransparenten Prozessen und einer gefährlichen Bündelung von sensiblen Informationen.
Dass Gotham nur auf bereits polizeilich erfasste Daten zugreifen könne, ist dagegen nur ein schwacher Einwand, denn allein das Wissen um deren technologische Nutzbarkeit, wird den Daten-Sammelwahn von Sicherheitsbehörden weiter antreiben und nach weiteren Befugnissen verlangen. Es wäre ja schließlich unsinnig eine Technologie für viel Geld anzuschaffen, wenn sie dann nicht gefüttert werden würde. Ob es also bei den anberaumten fünf Jahren bleibt, wird sich zeigen. Droht doch eine klassische Sunk-Cost-Fallacy, also das Phänomen, dass man trotz erheblicher Bedenken an einer Entscheidung festhält, weil man bereits viel dafür investiert hat. Vor allem bei mutmaßlichen Sicherheits-Maßnahmen tritt ein weiterer Effekt hinzu, nämlich dass im Nachhinein niemand die Verantwortung übernehmen will etwas abgeschafft oder nicht verlängert zu haben, das der Sicherheit der Bevölkerung gedient haben könnte. Auch deswegen kennen Überwachungs- und Strafverfolgungsbelange oft nur eine Richtung: bessere Technik, tiefergehende Befugnisse und stärker aufgerüstetes Personal. Eine Steilvorlage für autoritäre Kräfte, die sich bereits ausmalen können, wie sie diese Instrumente für ihre Zwecke nutzen können.
Ein Anzeichen für das Augenverschließen vor dem möglichen Umschlagen in ein autoritäres Un-Sicherheitssystem, ist das Betonen der Kosten einer solchen Anschaffung, wie es die SPD vormacht, oder auch die Kritik, dass nicht auf die Software eines europäischen oder deutschen Unternehmens gesetzt wurde. In erster Linie ist zunehmende Überwachung an sich ein Problem, unabhängig davon ob nun ein deutsches oder US-amerikanisches Unternehmen davon profitiert. Allerdings muss in diesem Fall auch darauf hingewiesen werden, dass innerhalb der CDU wenig Bedenken zu bestehen scheinen, sich von einem Unternehmen abhängig zu machen, dessen Leitung nicht nur zum radikalsten Unterstützerkreis der Trump-Bewegung in den USA gehört.
Zur Geschäftsführung des Unternehmens Palantir gehören Vordenker einer rechts-libertären Ideologie, in der monopolistische Unternehmen „regieren“ und jegliche Ambitionen zur demokratischen Einhegung kapitalistischer Machtkonzentration bekämpfen. Sie fordern den Rückbau von Sozialstaatlichkeit auf ein Minimum und Privatisierung auf allen Ebenen, die Profit versprechen oder sich dementsprechend umbauen ließen. Einem Staat bliebe lediglich die Aufgabe Investor und Konsument von Überwachungs- und Repressionsdienstleistungen zu sein, um gesellschaftliche Konflikte möglichst klein zu halten und stets autoritärer werdenden Verhältnissen ein demokratisches Äußeres zu verleihen. Offensichtlicher kann sich Klassenkampf kaum gebärden.
Unterdrückung und Kontrolle werden seit Jahrhunderten mit Sicherheitsbegriffen gerechtfertigt. Wer als bedroht und wer als Bedrohung für die Sicherheit angesehen wurde und wer die Bestimmungsmacht darüber hat, lässt sich auch entlang der Klassenlage oder anhand soziökonomischen Kategorien analysieren. Man sollte also nicht leichtfertig annehmen, dass Sicherheit immer als gemeinwohlorientierter Begriff zu verstehen ist. Gerade in ökonomisch schwierigen Zeiten, scheint es nicht verwunderlich, dass sich die Herrschenden und Vertreter des Kapitals mit neuen Kontroll- und Überwachungsinstrumenten wie Gotham sicherer fühlen möchten.
Text: DeBe Bilder: cki
¹Namentlich angelehnt an Gotham City- eine dystopische Stadt im Comicuniversum von Batman, in der Kriminalität und Korruption überhand genommen haben.