„Mannheimer Zukunftshaushalt MZH²“ im ruck-zuck-Verfahren: In Beton gegossen?

Es ist mal wieder so weit: Die Konjunktur lahmt, die Gewerbesteuer sinkt um 20% oder 90 Mio EUR gegenüber dem Plan, Kostensteigerungen vor allem im Sozialbereich und bei Investitionen, die Liquidität der Stadt Mannheim sinkt auf Null, Kassenkredite müssen in Anspruch genommen werden bis zu über 100 Mio. EUR, um die Zahlungsfähigkeit aufrecht zu erhalten. Nach Jahren fetter überplanmäßiger Steuereinnahmen und hoher Investitionen nun also die Talfahrt. Es ist die wirtschaftliche Achterbahn. Nach aller menschlicher Erfahrung geht es nach dem Absturz auch wieder aufwärts, wie z.B. ziemlich rasch nach der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise 2007ff. Bei der Talfahrt werden von den Sachwaltern des ganz großen Geldes gerne die sozialen Standards, die über Jahre hart erkämpft wurden, abgeräumt, mit ganz langen Auswirkungen. Man verweist dabei gerne auf die „Sachzwänge“.

In der Mannheimer Kommunalpolitik gibt es nun auch wieder einen ganzen Sack voller Sachzwänge, denen ganz schnell gefolgt werden müsse. Die Sachzwangvorlage zum „Mannheimer Zukunftshaushalt“ V448/2025 wurde am 17.09. dem nicht öffentlichen Unterausschuss Haushalt vorgelegt, dann ebenfalls nicht öffentlich dem Jugendhilfeausschuss, am 25.09. öffentlich dem Hauptausschuss und am 30.09. soll der Hammer im Gemeinderat fallen.

Das Umfeld

Es gibt die diversen Transformationsprozesse mit Pleiten und Entlassungen, es gibt den Krieg in Europa, es gibt Trump, der die Weltwirtschaft durchrüttelt, und die nicht mehr wegzudiskutierende Klimakrise. Alle Zeichen stehen auf Tiefdruck. Da muss überall gespart werden, auch und gerade in den Kommunen. „Oberstes Ziel der Haushaltskonsolidierung ist es, die Handlungsfähigkeit der Stadt zu sichern. Dazu gehört unter allen Umständen eine Haushaltssicherung zu vermeiden, bei der eine externe Aufsichtsbehörde die Einsparziele und -maßnahmen vorgibt“, heißt es in der Vorlage. Specht warnt vor dem Durchgriff des Regierungspräsidiums (RP), der tatsächlich das Ende der kommunalen Selbstverwaltung wäre. Zum Umfeld der kommunalen Misere gehört natürlich auch die chronische Unterfinanzierung der Städte und Gemeinden durch Bundes- und Landesgesetze, einschließlich der Steuergesetzgebung.

Anforderungen des Regierungspräsidiums

„Die Anforderungen des RPs an das strukturelle Einsparkonzept,(..)  sind sehr konkret. Die Stadt wird aufgefordert, sich insbesondere auf nachhaltig wirkende, strukturelle Maßnahmen zu konzentrieren und  in der Reihenfolge vorzugehen, die sich aus der unterschiedlichen Wertigkeit der kommunalen Aufgaben und aus den grundlegenden gemeindewirtschaftlichen Vorschriften ergibt.“

Unterschiedliche Wertigkeit der kommunalen Aufgaben? Sind Maßnahmen zur Herstellung von Bildungsgerechtigkeit weniger Wert als die Aufgabe (?), die Steuern gering zu halten?

Specht schafft hier Klarheit:

„Das bedeutet, die Stadt soll  nicht auf gesetzlichen Verpflichtungen beruhende Subventionen und andere freiwillige Leistungen abbauen,  Standards bei der Erfüllung von Pflichtaufgaben auf das unbedingt Notwendige hin untersuchen“ usw., bis zur Feststellung: „Steuererhöhungen kommen nur zuletzt in Betracht.“

Warum eigentlich? Es kommt doch wohl auf die Frage an: Welche Steuer trifft wen und wie sehr? Welche Auswirkung hat eine Steuer auf die sich öffnende Schere zwischen Arm und Reich? Wer beteiligt sie wie an den Kosten der Gesellschaft?

Denkt man da nicht sofort an die Auseinandersetzungen um die Erbschafts-, die Vermögens- und die Einkommenssteuer? Wir behalten diese Frage im Auge und schauen erst mal die konkreten Maßnahmen der Beschlussvorlage an, die der Gemeinderat beschließen soll und wohl auch mehrheitlich wird.

Sparkatalog

Da sind einige vernünftige Sachen dabei, wie die Vereinfachung und Verbilligung von Verwaltungsabläufen. Da geht immer was. Jedes Dezernat muss da liefern.

Aber dann bleibt das Auge an Maßnahmen hängen, die dem Dezernat III (Jugend, Bildung, Gesundheit) abverlangt werden (kleine Auswahl):

  • Umwandlung der Zweigstelle Friedrichsfeld in ein ehrenamtlich „betreutes Lesecafé“, also faktisch Schließung:  -83.000 EUR
  • Kürzung Schuletat um 5% (außer bei den Grundschulen): – 292.000 EUR
  • Tageseinrichtungen für Kinder: Verzicht auf Durchführung des Transports von Kindern mit inklusiven Bedarfen zu geeigneten heilpädagogischen Gruppen / Tageseinrichtungen: -55.000 EUR
  • Wegfall der Frühbetreuung: 7:30-9:00: Einsparung noch nicht errechnet und eingepreist
  • „Anpassung Betreuungsgebühr (Steigerung Kostendeckungsgrad) bereits ab 01.09.26, künftig jährlicher Rhythmus: anfangs -363.636 EUR bis -2.000.000 EUR in 2028.
  • Gebührenerstattung im Kiga-Bereich abschaffen (= Ende des Wegs zur gebührenfreien Kita). -3.000.000 EUR pro Jahr.

So nimmt es dann nicht Wunder, dass in 2028 allein der Bereich Bildung  8,8 Mio EUR einsparen  soll. Das macht fast 50% aller in diesem Jahr geplanten Einsparungen bzw. Gebührenerhöhungen aus. Ein bitterer Schlag gegen die Bildungsgerechtigkeit. Zwar sind Empfänger:innen von Grundsicherung von den Erhöhungen bei den Kitagebühren nicht betroffen – da zahlt die Stadt. Aber diese Maßnahmen werden Auswirkungen auf die Verbindung von Familie und Beruf haben und auf die Frage, ob sich das Arbeiten insbesondere für Frauen lohnt, wenn der Lohn gering und die Gebühren hoch und die Betreuungszeiten zu kurz sind. Wie das Sparen an der Jugend zu einem „Zukunftshaushalt“ führen soll, bleibt Spechts Geheimnis.

Ist das in Beton gegossen?

Wer immer nur die Ausgabenseite betrachtet, wird sagen müssen: Ja, so ist das. Es sei denn, er oder sie schlägt als Alternative vor, das Nationaltheater an einen Cinema-Konzern zu verkaufen.

Es gibt aber immer auch die Einnahmenseite, jenseits unsozialer Gebührenerhöhungen. Dazu zwei Gedankenexperimente:

1. Lasst uns die Grundsteuer z.B. um 10% erhöhen, das erbrächte 7,5 Mio EUR pro Jahr.
Da werden nun alle sozial eingestellten Menschen spontan und ein paar Vertreter großer Immobilienvermögen hinterlistig aufschreien: „Aber das erhöht doch die Mietnebenkosten noch weiter, die ohnehin schon viel zu hoch sind!“ Das stimmt, aber um wie viel geht es denn?

Die Belastung einer 3-4-Zimmerwohnung in einem Mehrfamilienhaus beträgt nach der Grundsteuerreform etwa 250 EUR pro Jahr. 10% Erhöhung wären 25 EUR oder 2 EUR pro Monat. Wenn damit z.B. die Abschaffung der Gebührenerstattung im Kiga-Bereich (105 EUR monatlich) entfiele oder auch nur die Erhöhung des Bäder-Eintritts, wäre das ein gutes Geschäft.

Die Hauptlast der Grundsteuer tragen in Mannheim Villen, auch Einfamilienhäuser, aber vor allem auch die großen Industriebetriebe. Ein Sonderproblem wären allerdings die großen Garten- oder Wiesenflächen hinter kleinen Siedlungshäusern, von denen es einige Eigentümer geben mag, die durch die Grundsteuerreform schon heftig be- oder überlastet sind. Hier könnte über einen Härtefall-Fonds aus der Grundsteuer-Mehreinnahme nachgedacht werden. (Die AfD will ja wegen dieser Härtefälle, demagogisch wie sie ist,  die Grundsteuer  überhaupt abschaffen.) Auch für personengeführte Läden wäre das eine echte Belastung; denn bei Bodenrichtwerten von 2.000 EUR/m² fällt die Grundsteuer so schon horrent aus.

2. Bessere Geldschöpfung des Nationaltheaters durch offensiven Förderticket-Verkauf: Unter den Menschen, die das Nationaltheater besuchen, gibt es gebildete Arme, Arbeitende und Rentner*innen mit eher bescheidenem Einkommen, wohlhabende Mittelschichtler:innen und Reiche. Der Speckgürtel und der Binnenspeck lassen grüßen. Denjenigen, die locker einen Zwanziger drauflegen könnten und trotzdem noch in der Pause ihren Schampus trinken und sogar dreimal im Monat ins Theater gehen können, denen könnte man doch eine Vorzugs-Förderkarte anbieten und ihnen mit geeigneter Öffentlichkeitsarbeit („Das gehört zum guten Ton!“) zusätzlich noch ein gutes Gefühl vermitteln. Spenden macht glücklich. Vereinzelt experimentiert das NTM wohl auch schon mit einer solchen Tarifgestaltung, z.B. im Juni bei der Vorstellung des Stücks „Geld ist Klasse“ mit der Millionenerbin Marlene Engelhorn („taxmenow!“).

Beide Gedankenexperimente haben etwas von Tax the Rich! bzw. Tax me Now!. Ohne soziale Phantasie ersticken wir und viele andere, die es nicht verdient haben, tatsächlich im antisozialen Gussbeton. Und soziale Phantasie ist die Voraussetzung für soziales politisches Handeln.

Thomas Trüper