Rede von Klaus Stein beim Gedenken an die Lechleiter-Gruppe

Klaus Stein, IG Metall

Wir dokumentieren die Rede von Klaus Stein, Erster Geschäftsführer der IG Metall Mannheim zum Gedenken an die Lechleiter-Gruppe am 15.09.2017.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Genossinnen und Genossen, liebe Freunde,

zuerst möchte ich mich bei Fritz Reidenbach und dem VVN/BdA für die Einladung bedanken, hier an diesem bedeutsamen Tag sprechen zu dürfen. Besonders wohltuend empfinde ich, dass der Anlass es vermag heute unterschiedliche Gruppen der politischen Linken zusammenzuführen, die sich aus meiner Sicht im politischen Alltag viel zu oft und viel zu argwöhnisch beäugen.

Ohne vermessen sein zu wollen, ich nehme an, dies wäre auch ganz im Sinne von Georg Lechleiter gewesen: Die Lechleiter-Gruppe selbst war ja politisch heterogen. Sozialdemokraten, Kommunisten und Sozialisten kämpften Seite an Seite gegen den Hitler-Faschismus des dritten Reiches. Es waren parteiübergreifend aufrechte Menschen, die nicht im Dickicht der schweigenden Masse abtauchten und sich im Bewusstsein der Lebensgefahr gegen Unrecht, Barbarei und Diktatur.

Lechleiter vereinigte sie im Widerstand gegen die Kriegs- und Vernichtungsmaschinerie der Faschisten. Die Gruppe, aus denen auch viele in den umliegenden Großbetrieben arbeiteten, agierte vor allem durch eine eigene Publikation – „Der Vorbote“ – die insbesondere in den Betrieben Lanz, Benz und BBC über Vertraute verteilt wurde. Nach der vierten Ausgabe flog die Gruppe auf, es wurde Verrat an den Widerstandskämpfern begangen. Die fünfte Ausgabe des „Vorboten“ beschlagnahmte die Gestapo und Ende Februar 1942 wurden frühmorgens über 60 Männer und Frauen in ihren Wohnungen und Betrieben aufgesucht und verhaftet. 19 von ihnen verurteilte das NS-Regime zum Tode, andere erhielten lange Zuchthausstrafen, wurden gefoltert und zu Tode gequält.

Lechleiter selbst war einer der Mitbegründer der KPD-Ortsgruppe in Mannheim und 1922 Mitglied im Mannheimer Stadtrat, später knapp zehn Jahre lang Abgeordneter für die KPD im Badischen Landtag. Die Nazis nahmen Lechleiter mit der Machtergreifung in Haft und verbannten ihn ins KZ Dachau bis 1935. Der Kommunist Albert Fritz wurde 1933 ebenfalls ins Konzentrationslager gesteckt, später dann zu mehreren Monaten Gefängnis verurteilt. Trotz dieser erfahrenen Repressionen durch die NS-Diktatur leistete auch er weiter Widerstand und war ein wichtiger Kopf der Gruppe. Ein weiterer wichtiger Genosse war Jakob Faulhaber. Als Leiter des technischen Apparats hatte er maßgeblichen Anteil an der Herstellung und Verteilung der Zeitung „Der Vorbote“. Am 15. September 1942 wurde er in Stuttgart enthauptet. In seinem Abschiedsbrief schrieb Faulhaber: „Das höchste Ziel eines Menschen besteht darin, für andere zu leben, für andere sich aufzuopfern“.

Die Sozialdemokratin Käthe Seitz übernahm im Widerstand die hochriskante Fertigstellung der Matrizen für die Zeitung, ihr Vater Philipp Brunnemmer installierte den Abzugsapparat in seinem Keller. Käthe Seitz, ihr Vater Philip Brunnemmer und ihr Mann Alfred wurden zum Tode durch das Schafott verurteilt. Sie seien nur beispielhaft genannt für die vielen, die nicht überlebt haben, interniert, gequält und gefoltert wurden. Der Mut, die Courage all dieser Menschen würde es rechtfertigen, über jedes Leben und jede Tat mehr Worte zu verlieren.

Was geben uns diese schlimmen Ereignisse der Vergangenheit für einen Rat und Auftrag zugleich für die heutige Zeit, unser eigenes Leben und Wirken? Wir wissen alle: Im Vorfeld der dreizehn Jahre währenden Nazi-Herrschaft wurden in der politischen Linken Fehler gemacht, die es den Nationalsozialisten damals erleichterten der taumelnden Weimarer Republik den letzten Hieb zu versetzen. In den Gewerkschaften gab es fortwährende Richtungsstreitigkeiten um die bessere Strategie – das soll auch so bleiben und ist notwendig für eine Massenorganisation, die immer wieder gezwungen ist, auf neue Herausforderungen reagieren zu müssen. Die Uneinigkeit der Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter damals, das Auseinanderdriften der kommunistischen, sozialdemokratischen und mit Einschränkungen auch der christlichen Fraktionen bei einem zugleich immer stärker werdenden Nationalsozialismus ist aus heutiger Sicht eine bittere Wahrheit.

Liebe Freundinnen und Freunde, ich hoffe sehr und appelliere heute an alle, die hierhergekommen sind, dass diese begangenen Fehler keine Wiederholung in der Geschichte finden. Wir alle dürfen eines nicht vergessen: Wir müssen die Einheit – so wie es Willi Bleicher damals formulierte – wie unseren eigenen Augapfel hüten! Das gilt in essentiellen Fragestellungen nicht nur für die Gewerkschaftsbewegung, es gilt genauso für linke Parteien, für alle Antifaschistinnen und Antifaschisten und aufrechten Demokratinnen und Demokraten.

Der Appell des Zusammenhaltens gegen Rechts ist heute so wichtig wie damals. In den letzten Jahren setzen sich vielerorts durch demokratische Wahlen legitimierte Parteien und Personen auf parlamentarische Spitzenpositionen. Es gibt bisweilen sogar rechtsnationale Regierungen hier in Europa! Wenn ich nach Osten blicke, sehe ich in Ungarn die neonazistische Jobbik und einen rechtsnationalen Victor Orban, auch in Polen und Russland erstarken die rechten Kräfte. Dort findet ganz nebenbei auch noch ein Abbau demokratischer Grundrechte statt. Auch der Blick nach Norden verheißt nichts Gutes. In Norwegen oder Dänemark sind rechte Parteien fest im Parlament verankert. Auch in unseren Nachbarstaaten gibt es Wahlergebnisse, die mit Sorgen zu betrachten sind: Die SVP in der Schweiz, die gerne mal mit fremdenfeindlichen Sprüchen auf Stimmenfang geht – man denke an die bekannt gewordenen Wahlplakate mit dem schwarzen Schaf; oder die Freiheitlichen in Österreich, die gemeinsam mit der BZÖ an die 30 Prozent erreichten. Auch in den Niederlanden gibt es mit Geert Wilders Partei für die Freiheit bei jeder Wahl ein hohes Rechtsruckpotential, auch wenn denen im Augenblick wieder etwas Wind aus den Segeln genommen werden konnte. In Frankreich allerdings steht die Entscheidung, in welche Richtung das Pendel schwingt, in den kommenden Jahren auf Messers Schneide – knapp 100 Sitze hat der Front National in den Regionalparlamenten. Und wenn Macron es nicht schafft eine Politik für die Mehrheit zu machen, dann sehe ich Schwarz für Frankreich und für ganz Europa.

Und was passiert in Deutschland? Hierzulande hetzt eine Partei mit einer Menge blaufarbener Hassplakatierung eine vermeintlich homogene Bevölkerungsgruppe gegen eine andere auf. Sie behauptet es gibt ein Deutschland, das man sich zurückholen müsse, redet vom Schießbefehl an deutschen Grenzen und schürt ganz bewusst niederste Instinkte. Sie beeinflusst, selbst wenn sie dabei keine aktive Rolle spielt, maßgeblich die politische Debatte. Es scheint kein anderes Thema als Flucht mehr zu geben. Begriffe wie Flüchtlings-Krise oder Flüchtlings-Welle tun ihr Übriges dazu. Nicht zuletzt beim Kanzlerduell, was ja eher ein Duett gewesen ist, musste man das Gefühl haben, dass diese Partei mit am Tisch sitzt und die Agenda bestimmt. Der Einfluss reicht so weit, dass Bürgerinnen und Bürger, die vielleicht noch nie Argwohn gegen Geflüchtete hatten und die ganz selbstverständlich der Ansicht sind, dass die Aufnahme von Geflüchteten kein Problem und humanitäre Hilfe etwas Normales ist, nun das Gefühl vermittelt bekommen, dass die Bundesrepublik morgen ins Chaos stürzt, sie zwangsislamisiert werden und im Terror versinken.

Ich möchte die heutige Zeit natürlich in keiner Weise mit dem Vormärz 1933 vergleichen. Wir müssen aber alles dagegen unternehmen, dass uns eine ganz bestimmte Deutungshoheit, eine kulturelle Hegemonie von Rechts übergestülpt wird und wir nur mehr die Rolle der Verteidiger spielen dürfen. Doch was tun? Wir müssen aufklären über die Ursachen der Flucht, was die Flucht mit der Politik der westlichen Welt zu tun hat, wir müssen über die Notwendigkeit eines vereinten Europas sprechen, das sicher viele Schwächen hat, aber als Konzept und als Utopie der Grenzenlosigkeit für uns im Grundsatz unumstößlich sein muss. Wir müssen neben den Fluchtursachen auch die Ursachen für derartige Wahlentscheidungen und Stimmungen in der Gesellschaft erkennen.

Welche Ursachen meine ich? Ich meine vor allem die soziale Spaltung der Gesellschaft! Warum wird ausgerechnet im Mannheimer Norden rechts gewählt und dass obwohl nicht mal der Kandidat bekannt ist? Warum wählen ausgerechnet diejenigen Rechts, deren Befreiung und Emanzipation aus der sozialen Ungleichheit heraus für uns Linke doch das höchste Ziel ist? Warum haben wir diese Menschen offensichtlich verloren? Ich bin davon überzeugt, dass rechte Gesinnung nichts mit der sozialen Herkunft zu tun hat, ich glaube aber, dass der soziale Protest sich bei denen äußert, die wenig haben oder zumindest Angst davor haben, ihren sozialen Status zu verlieren. Viele sind Partei- und Politikverdrossen und zweifeln an den Etablierten. Die Parteienpolitik, die Gewerkschaften, die vielen ehrenamtlich organisierten Gruppen, Vereine, Antifaschistinnen und Antifaschisten, müssen sich einsetzen für die Abgehängten, für die Frustrierten und Ungehörten. Wir müssen auf Grundlage eines klaren Standpunktes hinhören und wenn möglich, die Stimmen der Unzufriedenheit kanalisieren.

Die Politik und die linken Eliten haben sich meines Erachtens leider zu weit von den Problemlagen der Mittel- und Unterschicht entfernt, es wird bisweilen sogar eine andere Sprache gesprochen, es gibt einen „Politikersprech“. In Parteien und Organisationen engagieren sich vor allem Akademikerinnen und Akademiker, nicht aber die Bandbreite der Gesellschaft. Es gibt in ihnen auch zu viele, denen ihre eigene Karriere zu viel bedeutet, so zumindest mein Gefühl. Das muss sich ändern, das müssen Überzeugte wie wir ändern. Werden wir nicht müde und nehmen wir uns den heutigen Gedenktag, die Standfestigkeit der Frauen und Männer der damaligen Zeit zum Vorbild und Auftrag zugleich Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Antifaschistinnen und Antifaschisten, ich möchte mich bei euch für die Gelegenheit des Redenkönnens bedanken und mit einem Zitat von Erich Kästner schließen: „Glaubt nicht, ihr hättet Millionen Feinde. Euer einziger Feind heißt – Krieg.“