Angestellte der Stadt Mannheim wegen Untreue angeklagt und verurteilt (mit Kommentar)
Eine langjährige Angestellte der Stadt Mannheim im Fachbereich Arbeit und Soziales im Sachgebiet Hilfen für Asylbewerber soll in 439 Fällen Gelder in Höhe von 83.500,90 Euro veruntreut haben. Von Mai 2012 bis April 2016 soll sie falsche Beträge bewilligter Bargeldleistungen von Asylbewerbern auf eine Zahlkarte gebucht haben, die sich die Leistungsempfänger am hausinternen Geldautomaten der Behörde auszahlen lassen konnten. Als die Asylbewerber beim Auszahlen den falschen Betrag bemerkten und dies bei der Angestellten reklamierten, soll diese den Betrag an sich genommen haben und den richtigen Geldbetrag auf eine Zweitkarte gebucht haben. Der jeweilige Leistungsempfänger habe so den richtigen Auszahlungsbetrag erhalten. Das Bargeld der vermeintlichen Falschbuchungen soll die Angeklagte für sich vereinnahmt haben. Um die Taten zu verschleiern habe sie die vermeintlichen Falschbuchungen unter dem Vorgang eines anderen unbeteiligten Leistungsempfängers gebucht. Am 15.10.18 fand die Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Mannheim statt. Es waren zwei Zeugen und ein Sachverständiger zum Prozess geladen.
Ein komplexer Fall mit schwerwiegenden juristischen Folgen für die Angeklagte.
Der inzwischen 63-jährigen deutschen Staatsbürgerin Christiane S. (*) wurden schwere Verfehlungen als Amtsträgerin und Vertrauensperson zur Last gelegt. Diese wurde durch die Verlesung der Anklageschrift durch die vorsitzende Richterin Schöpf und die Einlassungen der Staatsanwaltschaft deutlich. Die Angeklagte war bis zu Anzeigeerstattungen 2016 36 Jahre bei der Stadt Mannheim angestellt und zuletzt im Fachbereich Arbeit und Soziales beschäftigt. Zu ihren Aufgaben gehörte u.a. die Bearbeitung und Auszahlung von Bargeldleistungen für Asylantragsteller. Das Gericht fragte die Angeklagte, ob diese sich zu den Anklagepunkten äußern möchte. Ihr Verteidiger verneinte dies im Namen seiner Mandantin und trug vor, dass Frau S. ihr Bedauern über die ihr zur Last gelegten Vorwürfe zum Ausdruck bringen möchte.
Gleich zu Prozessauftakt stellte der Verteidiger der Angeklagten den Antrag die Öffentlichkeit zum Schutz seiner Mandantin von der Verhandlung auszuschließen. Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft bat das Gericht darum den Antrag abzulehnen und begründete dies mit dem großen öffentlichen Interesse an diesem Fall. Über diesen Antrag wurde in nicht-öffentlicher Sitzung beraten und entschieden. Nach einer ca. 10-minütigen Beratung wurde die Öffentlichkeit bei der Hauptverhandlung wiederhergestellt. Richterin Schöpf teilte den Prozessbesuchern und Medienvertretern mit, dass dem Einspruch der Staatsanwaltschaft stattgegeben wurde. Es könne allerdings sein, so die Vorsitzende, dass je nachdem wie der Prozess und die weitere Beweisführung verliefen, die Öffentlichkeit in Teilen oder in Gänze erneut ausgeschlossen werden könnten.
Zeugenanhörungen
Angehört und befragt wurde als erster Zeuge der Polizeihauptkommissar E. (*). Dieser sagte aus, dass die polizeilichen Ermittlungen im September 2017 nachdem zwei Strafanzeigen zunächst eine anonym gegen Unbekannt und später durch die Stadt Mannheim gegen die Beschuldigte gestellt worden waren aufgenommen wurden. Die polizeiliche Ermittlungsarbeit beschrieb er als umfangreich und erheblich. Seinen Einlassungen zufolge wurden zahlreiche Verhöre mit Mitarbeitern der Stadt Mannheim, mit betroffenen Asylantragstellern (größtenteils unter Zuhilfenahme von Dolmetschern) und der nunmehr Angeklagten durchgeführt. Des Weiteren seien auch die IT-Systeme der Stadt Mannheim, die für die Buchungsvorgänge relevant waren, überprüft worden. Ohne verwertbares Ergebnis ausgewertet wurden auch Filmaufnahmen der Bargeldautomaten. Gestanden habe die Angeklagte erst während einer mehrwöchigen Untersuchungshaft. 9 Monate haben die Ermittlungen gedauert.
Frau G. (*), Mitarbeiterin der Stadt Mannheim, wurde als zweite Zeugin angehört und befragt. Die Zeugin sagte aus, dass der Verdacht der Untreue gegen, die zunächst beschuldigte S. im Rahmen einer internen Routineüberprüfung zutage getreten sei. Zwei Bargeldauszahlungen waren nicht dokumentiert worden. Frau S. galt bei ihren Vorgesetzten und Kollegen als unbescholten und beliebt. Der Schock sei im Kollegenkreis groß gewesen, als die Vorwürfe öffentlich wurden. Der Aufwand, der bei der Behörde im Rahmen der weiteren Ermittlungen betrieben worden war, beschrieb sie als hoch. Dieser sei vor allem durch Personal und eingeschaltete Rechtsanwälte entstanden. Einen Geldbetrag für die Aufwendungen konnte sie keinen nennen. Zu Protokoll gab Frau G., dass für die entsprechenden Buchungen zwei nicht miteinander vernetzte IT-Systeme zum Einsatz kamen. Weitere organisatorische Kontrollinstrumente hätte es nicht gegeben. Ein Schöffe fragte die Zeugin, ob der von der Stadt Mannheim reklamierte Aufwand für die Aufarbeitung über 30.000:- Euro nicht etwas zu hoch angesetzt sei. Auf diese, sowie weitere Fragen seitens der Vorsitzenden, der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung, konnte die Zeugin nicht oder nur ausweichend antworten.
Nach dieser Vernehmung schloss Richterin Schöpf die Prozessbesucher und Medienvertreter erneut von der Verhandlung aus.
Hinweis: Der Ausschluss über 70 Minuten wurde begründet und ist für den Berichterstatter nachvollziehbar. Wir verzichten in der Berichterstattung aufgrund der Vertraulichkeit auch darauf über weitere Details der Beweisaufnahme zu berichten. Ob der geladene Sachverständige vor Gericht ausgesagt hat, wurde nicht bekannt gegeben.
Plädoyers und Urteilsverkündung
Nachdem erneut die Öffentlichkeit hergestellt worden war trug die Vertreterin der Staatsanwaltschaft ihr Plädoyer vor.
Die Staatsanwaltschaft beantragte eine zweijährige Haftstrafe, welche über 3 Jahre zur Bewährung ausgesetzt werden soll. Zudem soll die Angeklagte dazu verurteilt werden 10.000 Euro an eine städtische Einrichtung in Mannheim zu zahlen. Begründet wurde dieser Antrag aus Sicht der Anklagevertreterin durch die intensive kriminelle Energie, die die Angeklagte über Jahre zutage gelegt hat. Es ist von einem besonders schweren Fall der Untreue durch eine Amtsträgerin und Vertrauensperson auszugehen. Nur unter dem Druck der Untersuchungshaft habe die Angeklagte ein Geständnis abgelegt. Als mildernde Umstände wurden u.a. genannt, dass der entstandene Schaden über rund 83.000 Euro vollständig zurückbezahlt wurde.
Der Verteidiger der Angeklagten verzichtete in seinem Plädoyer auf einen Antrag was das Strafmaß angeht. Er bat das Gericht um ein angemessenes Urteil. Er führte zu Felde, dass seine Mandantin bis dato nicht straffällig geworden und voll geständig war. Auch er führte an, dass die veruntreute Geldsumme vollständig erstattet worden ist. Er unterstellte eine unnötige Verfahrensverzögerung durch Ermittlungsbehörden und Staatsanwaltschaft. Als besonders gravierend stellte er in seinem Plädoyer heraus, dass die Veruntreuung durch eklatante Schwächen in der Organisation und in den IT-Systemen der Stadt Mannheim nahezu begünstigt wurden.
Das Gericht zog sich für 30 Minuten zur Beratung zurück.
Im Namen des Volkes verlas die vorsitzende Richterin Schöpf das Urteil (im Wortlaut):
„Die Angeklagte Christiane S. wird in einem minderschweren Fall der Untreue zu 1 Jahr und 2 Monaten auf Bewährung (ausgesetzt auf 3 Jahre) verurteilt. Das Schöffengericht stellt bei der Bemessung des Strafmaßes fest, dass die Angeklagte geständig und zuvor nie straffällig in Erscheinung getreten war. Die Schadenssumme wurde vor Beginn der Hauptverhandlung vollumfänglich durch die Beklagte erstattet. Das Gericht konnte kein Motiv für eine intensive kriminelle Handlung erkennen. Fehlende Fürsorgepflichten und Kontrollmechanismen des Arbeitgebers (Stadt Mannheim) und das Geständnis der Angeklagten in der Untersuchungshaft wirken sich strafmildernd aus. Die Verfahrenskosten trägt die Verurteilte. Mahnende Worte richtete die Richterin an die Verurteilte: „Sie stehen ab sofort unter meiner Beobachtung. Sollten sie wieder straffällig werden (während der Bewährungszeit), werden sie dort landen, wo sie schon während der U-Haft einsaßen.“
Kommentar von Christian Ratz:
„Den nicht ganz wenigen PressevertreterInnen pauschal anheim zu geben, was und wie sie über diese Verhandlung zu berichten haben, sollte sich Frau Richterin Schöpf am Amtsgericht Mannheim künftig verkneifen. Das kommt gar nicht gut an. Wenn dies allerdings nur bezogen auf einen anwesenden Blogger zu verstehen gewesen sein sollte, dann will ich in der Kritik „gnädig“ sein, liebe Frau Schöpf. Wozu dienen Mikrofone und Lautsprecher im Sitzungssaal 0032? Dazu, dass diese selten bis gar nicht verwendet werden bestimmt nicht. Nachbesserung ist angefordert bei künftigen Verhandlungsführungen am Amtsgericht.
In diesem Fall und mit dem gesprochenen Urteil sollte der Stadt Mannheim glasklar vor Augen geführt worden sein, dass das was vor sehr vielen Jahren in mittleren und großen Industrieunternehmen bereits gerichtsbewährt entschieden wurde: Fehlende Fürsorgepflicht MitarbeiterInnen gegenüber und mangelnde, nicht nachhaltige organisatorische und IT-Kontrollen in Arbeitsprozessen wirken sich in gerichtlichen Strafverfahren immer als strafmildernd aus.
Das was ich gestern beim Prozess erfahren habe, bestärkt mich nicht in der Überzeugung, dass die Verwaltung in Mannheim aus diesem Fall die vollen Lehren gezogen hat bzw. erkannte und notwendige Verbesserungspotenziale bereits umgesetzt hätte. Ich meine, liebe Stadt Mannheim, da müssen die Verantwortlichen noch deutlich was nachlegen.“
(*) Namen sind der Redaktion bekannt
(Bericht und Fotos: Christian Ratz)