Turley: Ein Skandal wäre es, nicht die richtigen Konsequenzen zu ziehen – Kommentar Thomas Trüper
War es nun Spekulation?
Ein sechsfacher Spekulationsgewinn, aus 271 EUR/m² 1.627 EUR/m², aus 6 Mio. Euro binnen dreier Jahren 36 Mio. Euro zu machen – ist das noch „normale Spekulation“? Wir erinnern uns: Als 2012 Patrizia für 21.500 LBBW-Wohnungen 1,43 Milliarden Euro zahlte und dann 2015 an die Deutsche Annington (heute: Vonovia) für 1,9 Milliarden Euro weiterverkaufte (+33%), da war man platt. Und jetzt +500%? Man mag es kaum glauben und vermutet immer noch, da sei viel Geld und ein Grundstück in eine neue Gesellschaft eingebracht worden, um damit profitable Häuser zu errichten. Wie dem auch sei: Der Oberbürgermeister hat am 12.März in einer Erklärung vor dem Gemeinderat (https://www.mannheim.de/de/nachrichten/stellungnahme-des-oberbuergermeisters) den in der Presse genannte Verkaufspreis bestätigt. Aus Kreisen der neuen Investorengruppe wurde ebenfalls am 12. März durch die beteiligte Fortoon Development mitgeteilt: „FORTOON hat die Baufelder IV und V gemeinsam mit weitern Anteilseignern vom bisherigen Inhaber, der Tom Bock Group, erworben.“
Der OB versucht die Höhe des Spekulationsgewinns aus einer neuen Stufenleiter von Spekulation abzuleiten: „Er scheint die zukünftige Wertschöpfung durch die zukünftige Realisierung der Bebauung und Vermietung jetzt schon einzubeziehen. Das ist möglicherweise eine grundsätzliche Entwicklung, mit der wir uns auseinandersetzen müssen; sie wird Bodenpreise weit über eine jetzt schon dynamische Marktentwicklung hinaus treiben.“ Allerdings hat schon Karl Marx die „Grundrente“ aus dem zu erzielenden Profit abgeleitet. Auf jeden Fall deutet der Transfer der Baufelder IV und V auf eine groß angelegte Gewinnmacherei hin – kein gutes Zeichen für die Mieten in den zu errichtenden Häusern. Außerdem heizt ein solches Geschäft die Immobilienpreisentwicklung in Mannheim mit Sicherheit an. Anlagesuchendes Geld in rauen Mengen ist zusammen mit dem Richtung Strafzinsen tendierenden Geldmarkt der wesentliche Treiber der Immobilienpreise.
Auf jeden Fall scheinen die neuen Investoren in Geld zu schwimmen. „Fortoon“ tritt als Projektentwickler, als “bankenunabhängiger Kapitalgeber und Co-Investor bei Bauprojekten auf“, heißt es in der Presseerklärung. Die vier tipico-Gründer, die hinter der Investorengruppe stehen, haben erst mit laufenden tipico-Profiten und dann mit einem Verkauf von 60% der tipico-Anteile an den Finanzinvestor CVC Riesengeld gemacht. Ein Teil ist nun auf Turley gelandet. Tom Bock scheint nicht über so wahnsinnig viel Kapital zu verfügen. Er ließ zum Start seines SoHo-Projektes (historische Bestandsbauten) unter anderem 2,5 Mio. Euro über Crowd-funding zu 5% Festzins einsammeln (https://crowdinvesting-compact.de/exporo-greene-westside/) Eigenkapitaleinsatz:1,6 Mio. Euro, Gesamtinvestition 13,3 Mio, 9,2 Mio. Euro erwartete Verkaufserlöse.
Wie kann sowas kommen, wer trägt die Verantwortung? Wie ist die Konversion in Mannheim angelegt?
Die empörte Diskussion dreht sich vor allem um die Frage: Wer hat hier 2012 beim Verkauf an Tom Bock welche Vertrags-Sicherungsklauseln am Ende leichtfertig oder gar vorsätzlich weggelassen? Dieser Verkauf ist jedoch durch den MWSP-Aufsichtsrat gegangen (damals allerdings neu im Amt). Im Aufsichtsrat sind alle Fraktionen (ab vier Mandaten) vertreten. Es ist nichts bekannt über damalige Diskussionen zum Thema Vertragsklauseln. Eigentlich waren alle Beteiligten froh, dass es auf Turley nach 5 Jahren Stillstand nun endlich losgeht. Und Tom Bock begann ja auch mit hohem Tempo zu bauen und zu sanieren. Und dem Vernehmen nach hat der Aufsichtsrat damals einstimmig Beschluss gefasst.
Die breite Diskussion über unterlassene „Aufpreisklauseln“ suggeriert ein Interesse der Stadt an der Beteiligung an (dann möglichst hohen) Spekulationsgewinnen. Diese Diskussion geht jedoch in die falsche Richtung. Es geht vielmehr darum, überhaupt eine solche Preisentwicklung zu unterbinden. (Hierüber weiter unten bei „Konsequenzen“.)
Der OB weist im Übrigen in seiner Erklärung zu Recht darauf hin: „Die klassische Aufpreisklausel, die den Weiterverkauf eines Grundstücks sanktioniert, ist ein Instrument, um offensichtliche inhaltliche Zweckverfehlung des Grundstücksverkaufs zu vermeiden, also: einer Familie soll die Chance gegeben werden, ein Haus zu bauen, ein Unternehmen soll Arbeitsplätze schaffen, etc.“ Hier wäre es um Sanktionen bei Unterlassung der Bebauung des erworbenen Geländes gegangen. Die MWSP scheint jedoch noch Pfeile im Köcher zu haben. Denn der OB stellt hierzu fest: „Die fehlenden Fertigstellungen eröffnen aber rechtliche Handlungsmöglichkeiten, die die MWSP auch nutzt. Geprüft werden auch Ansprüche im Zusammenhang mit dem Weiterverkauf.“ Eine Aufpreisklausel im Sinne der Profit-Abschöpfung würde im übrigen auch nur beim ersten Weiterverkauf greifen.
Besonders groß ist die Aufregung bei den Parteien, die im Aufsichtsrat der MWSP sitzen und die den ganzen Vorlaufprozess der Konversionsstrategie geprägt und alle Verkaufentscheidungen mitgetragen haben. Gerade sie aber problematisieren nicht einmal ansatzweise, warum überhaupt die von der BIMA erworbenen Konversionsliegenschaften an Privatinvestoren verkauft werden. Denn genau damit sind die Konversionsflächen dem freien Immobilienmarkt überantwortet, sie sind wie Waren frei handelbar und unterliegen der im Immobiliensektor grassierenden Preisexplosion.
Warum also landen die Konversionsflächen überwiegend bei Privatinvestoren? Weil die richtige Grundsatzentscheidung, die Stadt müsse sich in den Besitz (fast) aller Konversionsflächen bringen, um die städtebauliche und soziale Kontrolle zu erlangen, unter eine „neo-liberale“ Voraussetzung gestellt wurde: Die Jahrhundertaufgabe Konversion dürfe die Stadt kein Geld kosten (!). Die Stadt ist seit dem unter CDU-Mehrheit 2008 verabschiedeten Nettoneuverschuldungsverbot auch gar nicht in der Lage, eine so große Investitionsaufgabe wie die Konversion zu stemmen. Also wurde die MWSP gegründet. Ihr Businessplan lautet: Am Ende (in 10 oder 20 Jahren) Null auf Null abschließen. Das heißt: Grundstücke von der BIMA erwerben, beplanen, Unbrauchbares abreißen, erschließen, Infrastrukturen bauen und wieder möglichst schnell verkaufen. Und tatsächlich ging es mit dem Verkauf an Tom Bock im Jahr 2012 schnell: Der Aufsichtsrat beschloss den Kauf von Turley aus der BIMA und den Weiterverkauf ca. der halben Fläche an Tom Bock (einschließlich Baufeld IV und Option auf Baufeld V) am gleichen Tag . Damit wurden Kreditaufnahmen erspart und Risiken vermieden.
Tatsächlich wäre die Stadtverwaltung und ihre Projektentwicklungsgesellschaft MWSP aus dem Stand auch gar nicht in der Lage gewesen, die zunächst erwarteten 500 ha. aus eigener Kraft zu bearbeiten. Bisher hat auf diesem Weg auch alles einigermaßen geklappt, bis auf die Verzögerungen von Tom Bock. Die Verkäufe an die Investoren v.a. auch auf FRANKLIN wurden intensiv und weiträumig vor der Freimachung durch die BIMA mit den potenziellen Investoren verhandelt und es wurden städtebauliche Verträge im Sine der Konzeptvergabe abgeschlossen. Damit kann die Stadt die Qualität des Städtebaus kontrollieren (wenngleich auch auf FRANKLIN die vereinbarten Inhalte der dortigen Verträge nicht gegen Weiterverkauf geschützt sind). Die Stadt kann aber nicht die Entwicklung der Immobilienpreise unter Kontrolle halten. Das ist nur beim Bau von Sozialwohnungen möglich, die befristet einer Mietpreisbindung unterliegen. Davon gibt es aber viel zu wenige, und letztlich sind Sozialwohnungen aufgrund ihrer relativ kurzen Bindungsfrist auch nicht nachhaltig preisgünstig.
Glück im Unglück?
Die bei dem Grundstücksdeal von Tom Bock zum Zuge gekommene Investorengruppe könnte sich dennoch als bedingt positiv herausstellen. Sie hat das Bauprogramm von Tom Bock auf Baufeld IV geändert: Statt weniger „hochwertiger Luxus-Eigentumswohnungen und Stadthäuser mit Wohnflächen bis zu 279 Quadratmetern“ (PM Fortonon) und einer Geschoßhöhe von 3,5 Metern wollen die Investoren 300 Mietwohnungen (teilweise auch auf Baufeld V) errichten. Man darf davon ausgehen, dass so mehr Umsatz gemacht werden kann. Und die Investoren machen noch ein besonderes Angebot: Sie wären bereit, „durch Anpassung des Bebauungsplans“ die Sozialquote von 30% zu realisieren. Dazu können sie nicht gezwungen werden. Wenn der B-Plan jedoch geändert wird, kann die MWSP bzw. die Stadt dies zur Bedingung machen. Das Angebot liest sich so, dass die 300 Wohnungen den 70% entsprechen, und ein Zusatzvolumen von 130 Wohneinheiten durch den neuen B-Plan dazu kommen soll. Das würde rein von der Wohnungsbilanz gut tun (von der städtebaulichen Situation einmal abgesehen). Die Investoren könnten freilich noch mehr Kasse machen. Vor allem aber machen sie jetzt wohl Anstalten, die Bauarbeiten endlich und tatsächlich in Angriff zu nehmen.
Welches sind die erforderlichen politischen Konsequenzen aus dem „Turley-Skandal“?
Weniger Aufregung derer, die damals schon mitentschieden hatten, Konzentration auf das letzte große Konversionsgelände, das für Wohnungsbau in Frage kommt: Spinelli.
Angesichts der bundesweit rasanten Immobilienpreisentwicklung muss dieses Gelände weitgehend dem freien Markt nachhaltig dadurch entzogen werden, dass es unter Kontrolle der Stadt Mannheim bleibt. Die dort geplanten 1.800 Wohneinheiten müssen zu wesentlich mehr als 30% „preisgünstig“ werden, und sie dürfen nicht durch Weiterverkauf immer teurer werden. Gemeinwohlorientierte Bauträger müssen zum Zuge kommen, Abgabe nur unter Erbbaurecht. Dazu muss der Gesellschaftsauftrag der MWSP angepasst werden: Halten statt verkaufen. Wenn man bedenkt, dass in der Stadt bis vor zwei Jahren keine einzige „bezahlbare“ Wohnung entstanden ist, ist das jetzt die letzte große Gelegenheit. Zwar meint der Oberbürgermeister, man könne auch weiterhin nicht auf Investoren verzichten (er nennt Franklin als Beispiel), aber er sagt immerhin: „Wir sollten hier für die Stadt Mannheim gemeinsam die bisherige Strategie diskutieren und ggf. eine realistische und nicht andere Schäden auslösende angepasste Strategie festlegen. Beides – der konkrete Vorgang wie der zukünftige Umgang mit Immobilienentwicklung – wird der Gemeinderat in den nächsten Wochen diskutieren.“ Mitten im Wahlkampf.
DIE LINKE wird sich an dieser Diskussion rege beteiligen, auch jenseits des Wahlkampfes.
Vor allem ist die Demonstration am 6.4. schon mal ein guter Diskussionsbeitrag:
„Bauflächen sind keine nachwachsenden Rohstoffe – Spekulation verhindert bezahlbares Wohnen – Stadt muss aus Turley-Skandal lernen – Schluss mit dem Verkauf Mannheims“
Thomas Trüper, Stadtrat DIE LINKE