Buchtipp: “Spielverderber” – Eine Rap- und Antifa-Zeitreise mit offenem Ende
Wenn jemand mit Ende Dreißig einen autobiografischen Roman schreibt, dann hat er entweder einen gesteigerten Drang zur Selbstdarstellung oder das eindringliche Bedürfnis, mit seinem Leben und Wirken etwas sinnvolles zu tun. Soviel vorweg: Beim Rapper Chaoze One kann ersteres wohl ausgeschlossen werden. Das Bedürfnis, mit den eigenen beschränkten Möglichkeiten eine positive Wirkung auf die unmittelbare Gesellschaft um einen herum ausüben zu können, zieht sich wie einer roter Faden durch die 200 Seiten seines ersten Buchs “Spielverderber – Mein Leben zwischen Rap und Antifa”. Und doch, auch wenn Selbstdarstellung kein Thema ist, erhält der oder die Leser*in sehr persönliche Einblicke in das Leben eines Antifa-Aktivisten und Rappers, der mit seiner Musik von Neustadt in der Pfalz über Karlsruhe nach Mannheim kam.
Der Osten im Westen
Aufgewachsen in der Pfalz, politisiert durch die rechte Gewaltwelle der 90er Jahre und beheimatet in der Antifa-Szene, später, nach einer Zwischenstation in Karlsruhe, dann Umzug nach Mannheim… Auch wenn ich selbst musikalisch nie wirklich aktiv war, fand ich mich sofort in den ersten Kapiteln des Buches wieder. Die Generation derer, die in den 90er und 00er Jahren über Antifa-Gruppen sozialisiert wurden, hat durch ähnliche Erlebnisse ein gemeinsames Verständnis der Gesellschaft entwickelt. Das zeigt sich sehr deutlich in diesem Buch.
Die 90er Jahre: Die rechte Gewalt eskalierte an vielen Orten, nicht nur in Ostdeutschland, auch in den westdeutschen Metropolen, bis in die ländliche Pfalz. Militante Nazi-Kameradschaften, Brandanschläge mit Todesopfern und offene Gewalt auf der Straße waren für viele Migrant*innen und Linke eine alltägliche Bedrohung. Auch wenn heute wieder von einem “Erstarken des Rechtsextremismus” die Rede ist, damals war es anders. Damals geschah alles viel klandestiner. Die Rechten hatten noch nicht die Möglichkeit, ihren Hass in den sozialen Netzwerken des Internets auszuleben. Die Polizei hatte es ungleich schwerer, die rechten Täter*innen zu ermitteln – keine simple IP-Abfrage zur Ermittlung der mutmaßlichen Mitglieder einer Facebook-Terrorgruppe. So blieben viele Gewalttaten und selbst Morde unaufgeklärt.
Die Bedrohung durch Nazis war allgegenwärtig. Umso enger schien aber auch der Zusammenhalt auf der anderen Seite zu sein. Chaoze One berichtet aus seiner Schulzeit.
Auf einer Klassenfahrt in ein Landschulheim bei Hochspeyer hatte wir gerade unsere Zimmer bezogen und spielten draußen eine Runde Basketball, als plötzlich mehrere Autos mit Nazis vorbei fuhren und anfingen, die “Scheiß-Kanacken” unter uns anzupöbeln. Augenblicklich standen wir, inklusive unseres Klassenlehrers, wie eine Römerformation zusammen und drängten die Faschos so lange zurück, bis die aufgaben.
Immer wieder kommt Chaoze One auf die Mordserie des “Nationalsozialistischen Untergrunds” zu sprechen. Von 2000 bis 2007 fanden die zehn meist rassistisch motivierten Morde und drei Sprengstoffanschläge statt. Aufgedeckt wurden sie erst 2012 durch die Selbstenttarnung des NSU. Hätten wir es wissen können? Selbstkritisch hinterfragt er sich mit Blick auf den Kölner Nagelbombenanschlag, den auch er damals falsch einschätzte.
Leben zwischen Rap und Antifa
Gleichzeitig entwickelten sich an vielen Orten junge Antifa-Gruppen, um den Nazis etwas entgegen setzen zu können. Chaoze One war damals in Neustadt organisiert, wo es viel Ärger mit Kameradschaften, NPD und Republikanern gab. Damals war linke Jugendkultur stark von der alternativen Punk-Szene beeinflusst. Auch die Rechten hatten ihre ganz speziellen jugendkulturellen Codes. Zufällige Begegnungen auf der Straße führten nicht selten zu plötzlichen, handfesten Auseinandersetzungen. In der Pfalz waren vor allem die Weinfeste berüchtigt, bei denen es häufig zu Übergriffen kam. Chaoze One erzählt von nächtlichen Ausflügen durch die Weinberge, viel Glück bei Polizeikontrollen, wichtigen Infoständen bei Stadtfesten und anspruchsvollen Plenas, die sein politisches Bewusstsein früh geschärft haben.
Die Jugendkultur politisierte ihn und trotz erster Erfahrungen in Punk-Bands fand er sich bald in einer ganz anderen Szene zu Hause: im Hip Hop.
Zwar gab es politischen, linken Rap. In Deutschland war das aber eine absolute Ausnahmeerscheinung. So musste er sich zunächst als Einzelkämpfer durchschlagen. Doch die Musik traf einen Nerv. Durch sein Alleinstellungsmerkmal fand er schnell Anerkennung in der Antifa-Szene und auch in Mannheim lief seine Musik bald auf jeder Demo.
Doch ich bin wach und seh nicht weg
Ich nehme all das wahr und wehr mich gegen diesen Dreck
Noch bin ich schwach doch ich sammle Kraft in dieser Zeit
es ist traurig aber wahr ich spüre Zorn in mir der nie weicht
die da draussen aufräumen gehen über Leichen
doch ich stelle mich dem und werde keinen Schritt mehr weichen
Chaoze One – Der Panther (2003)
In den folgenden Kapiteln erfährt der*die Leser*in viel über die Entwicklung der damaligen Rap-Szene – über Macho-Gehabe bei Battle Sessions und riskanten Polit-Aktionen in der Provinz, über Stress mit Hatern und tiefe Freundschaften, deren Grundlage einst Musik und Politik waren. Wer sich nicht für politischen Rap interessiert, wird hier wohl einige langatmige Kapitel vorfinden, denn wer die Zeit und die Musik nicht kennt, wird schwer einen Bezug dazu finden können.
Etwas schmerzlich mag für den Rapper die Erkenntnis gewesen sein, dass der große Durchbruch von politischer (Rap-)Musik in Deutschland später kam, so etwa 10 Jahre nach dem Höhepunkt seines eigenen Schaffens. Heute füllen beispielsweise die Antilopen Gang große Hallen, die Rapperin Sookee ist Stichwortgeberin, weit über die linke Szene hinaus. Die Band Irie Révoltés, die mit Chaoze One in den Jugendhäusern der Region ihre ersten Auftritte hatten, feierten in den letzten Jahren einen beispiellosen Erfolg.
Wut, aus der Liebe zum Menschen, nicht aus Zorn
Das Buch führt anhand zahlreicher Tourtagebuch-Stationen bis in die Gegenwart und der Autor kommt vom autobiografischen Erzählen in die politische Analyse. Dabei bleibt es persönlich, er vermeidet erhobene Zeigefinger und schreibt dem*der Leser*in nichts vor. Das ist besonders angenehm: Der Autor schaut nie von oben herab. Chaoze One erzählt, erklärt und schreibt seine Erkenntnisse nieder, einfach so. Was man damit anfängt, bleibt einem selbst überlassen.
Was kann schlimmeres passieren, als ein paar Leute, die dieses Buch scheiße finden? Dann ist da eben ein scheiß Buch mehr auf dem Markt. Neben Bushidos, Kollegahs und Nazars Biografien und dem, was Richard David Precht so schreibt, fällt das doch gar nicht auf.
Doch keine Sorge, das Buch lohnt sich. Vor allem für die, die selbst die Zeiten mitgemacht haben, ist es ein wichtiger Blick auf die eigene Geschichte. Alle anderen erfahren Dinge, die sich nirgendwo sonst nachlesen lassen – die teils vergessene Geschichte einer Bewegung, die ihre Geschichte nicht pflegt, ihre Erkenntnisse zu oft für sich behält und nicht weiter gibt.
Für Chaoze One hatte die autobiografische Arbeit ganz persönlichen Nutzen bei der Beantwortung essentieller Fragen. Er berichtet von einer Veränderung seines Blicks auf die Welt und damit einhergehend auch von einer neuen Sinnhaftigkeit seines politischen Handelns.
Als Wendepunkt sieht er eine Reise nach Uganda mit dem Projekt “Viva con Agua”, das Trinkwasserprojekte an abgelegenen Orten unterstützt. Nach dieser Reise, begann für ihn ein Prozess des Umdenkens.
Wut, Protest und Rebellion hatten mir zu Beginn meines politischen und musikalischen Lebens einen starken Antrieb beschert. Aber auch Verachtung und Zorn für die Menschheit. In der Zeit seit meiner Reise nach Uganda entdeckte ich neue Seiten an mir. Und mir bisher wenig vertraute Gefühle erlebte ich plötzlich sehr stark. Wie schon erwähnt, hatten sich Demut und Dankbarkeit zu meiner Wut gesellt.
Aus diesen Erkenntnissen leitet Chaoze One eine ganze Reihe von Änderungen seines politischen Tuns ab. Dabei geht es nicht um eine andere Analyse der Gesellschaft. Der Kapitalismus wird weiterhin als Zwangsverhältnis, das Menschen entfremdet und entmenschlicht kritisiert. Es geht um einen neuen Antrieb.
Wütend bin ich immer noch. Allerdings nährt sich die Wut aus der Liebe zum Menschen und nicht aus dem Zorn auf ihn.
Man könnte dies als die Erlernung von Wertschätzung und Empathie, aber auch als einen neuen Pragmatismus bezeichnen. Mit Blick auf den Buchtitel ist es das erwachsen werden antifaschistischer Politik. Eine Auseinandersetzung mit seinen Erkenntnissen tut sicher vielen gut, die im Alltag in den Rädchen politischer Kämpfe und Widrigkeiten gefangen sind, die zwischen Mobilisierung gegen die nächste AfD-Veranstaltung und Planung des nächsten Soli-Events kaum Zeit finden, ihr eigenes Handeln zu reflektieren.
(Text & Bilder: cki)
Chaoze One: Spielverderber. Mein Leben zwischen Rap & Antifa
ISBN (Buch) 978-3-947619-15-3
Erschienen 2019 im Polarise Verlag, Heidelberg. 200 Seiten mit schicken Illustrationen, broschiert. 16,95 €.