Kandel-Demos: Antifaschist zu Bewährungsstrafe verurteilt
„Landfriedensbruch, Angriff auf und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ wurde dem Angeklagten von der Staatsanwaltschaft Mannheim zum Vorwurf gemacht. Dieser hatte sich mehrfach an antifaschistischen Protesten 2018 gegen die Aufzüge, in Teilen von ultra-rechten Gruppierungen in Kandel beteiligt. Rund 20 Menschen beobachteten den Prozess und drückten damit ihre Solidarität mit dem Angeklagten aus. Das Jugendschöffengericht sprach den Heranwachsenden am 07.10.19 in Teilen für schuldig: 18 Monate auf Bewährung plus Geldauflage. (Az: 9 LS 826 Js 42371/18jug)
Rückspiegel / Zwei Verfahren in einem Prozess zusammengeführt
Konkret wurden Mirko Eggers(*) seine Beteiligungen an den Protesten in Kandel gegen die Aufzüge des rechts-radikalen „Frauenbündnis Kandel“ im Oktober und Dezember 2018 zur Last gelegt. Laut Staatsanwaltschaft habe sich der Angeklagte mehrfach strafbar gemacht. Dies ergaben die Aussagen der fünf vor Gericht aussagenden Polizeibeamten final nicht. Das Jugendschöffengericht sah dies auch so und urteilte aufgrund der Faktenlage entsprechend.
Einträge im Zentralregister
Mirko E. verfügt trotz seines jungen Alters (20 Jahre und Auszubildender in einem Handwerksberuf) über zahlreiche Einträge, die seinen politischen Aktivismus gegen Rechts eindrucksvoll dokumentieren. Die vorsitzende Richterin verlas diese in der öffentlichen Verhandlung komplett. Thematisch reihen sich diese Einträge und abgeschlossenen Verfahren in der Vergangenheit, die entweder eingestellt und/oder mit Auflagen (Arbeitsstunden) versehen wurden nahtlos in die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft ein.
Polizeizeugen sagen unisono aus, widersprechen sich und entlasten den Angeklagten in Teilen
Was den ersten Tatkomplex im Oktober 2018 angeht, wo der Angeklagte sich wegen „Landfriedensbruch, Beleidigung von und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ schuldig gemacht haben soll, konnten die Einlassungen der vor Gericht vernommen Zeugen diesen Vorwurf nicht erhärten. Deutlich wurde während der Beweisaufnahme, dass die Polizeikräfte an diesem Tag stellenweise nicht so aufgestellt waren, wie es eigentlich deren Taktik vorgesehen hatte. Reizgas („Pfefferspray“) kam u.a. von den wenigen an diesem Ort in Kandel sich befindenden Polizeikräften zum Einsatz gegen eine „rasch laufende Personengruppe“. Ziel war es nach Aussagen der Zeugen, diese Gruppe daran zu hindern, mit dem „Frauenbündnis“ aufeinander zu treffen.
Deutlich anders sah es aus, was die Vorhaltungen vor Gericht bezüglich Dezember 2018 angeht. Hier wurde dem Angeklagten u.a. „Landfriedensbruch und Angriff auf und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ zum Vorwurf gemacht. Die Zeugen aus den Reihen der Polizei sagten aus, dass sie am Bahnhof Kandel komplett von „etwa 30-40 heranstürmenden Personen aus dem linken Spektrum“ überrascht worden seien. Aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse der Polizei bei den Demogeschehnissen in Kandel seit Anfang 2018 und der damit verbundenen Einsatzstrategie „hätte dies nicht passieren dürfen“. Ein Polizeizeuge sagte auch, dass an diesem Tag eine Person mit einer gelben Weste (als Teil des bürgerlich konservativen Spektrums) ein mobiles Verkehrsschild ergriffen habe, um vermutlich einen Angriff von Links abzuwehren. Hierbei könnte möglicherweise eine Person verletzt worden sein. Festlegen wolle er sich aber nicht.
Im Namen des Volkes – Richterin appelliert an Rechtsstaatlichkeit und spricht Nachdenkaufgaben aus
Die Staatsanwältin befand den Angeklagten in ihrem Plädoyer in allen Punkten für schuldig und forderte eine 6-monatige Haftstrafe, welche auf Bewährung ausgesetzt werden könnte, und einen 2-wöchigen Dauerarrest aus erziehungstechnischen Gründen.
Der Vertreter der Jugendgerichtshilfe stellte dem Angeklagten eine gute Sozialprognose aus.
Der Strafverteidiger plädierte dafür, dass sein Mandant, wenn überhaupt, nach Jugendstrafrecht sanktioniert werden dürfe. Der Anwalt stellte in Frage, ob der Einsatz von Reizgas durch die Polizei im Oktober 2018 nicht rechtswidrig erfolgt sein könnte. Er kritisierte das Einsatzverhalten der Polizei insgesamt als mangelhaft.
In der Urteilsbegründung, 18 Monate auf Bewährung und eine Geldauflage über € 600,- , würdigte das Gericht die aktenkundige Vorgeschichte des Angeklagten und widersprach auch in wesentlichen Teilen der Anklage.
Seitens Gerichts vollkommen abgewiesen wurde der erste Tatkomplex. Eine Beleidigung seitens des Angeklagten mit dem Wort „Wichser“ gegenüber einem Polizeibeamten ist in der besonderen Situation durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Dieser hatte sich erst nachdem er durch Reizgas verletzt wurde in dieser Form verbal geäußert Das Gericht erkannte keine Notwendigkeit für den geschilderten Polizeieinsatz laut Anklageschrift.
Deutlich hingegen sanktioniert wurde seitens Gerichts der Vorfall im Dezember 2018, was aus dem gesprochenen Urteil ablesbar ist. Der Tatvorwurf des Landfriedensbruchs, tätlicher Angriff auf und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte konnte im Rahmen der Beweisaufnahme erbracht werden.
Die Vorsitzende machte deutlich, dass sich der nunmehr verurteilte Mirko E. während der Bewährungszeit keine weiteren Sachen leisten kann. Ansonsten drohe ihm eine Haftstrafe.
Sie sagte auch, dass er sich selbst und der Sache (gegen Rechts aufzustehen) massiv schaden würde, in der Form und Weise, wie er dies im Dezember 2018 getan hat. Hierüber sollte er gründlich nachdenken. Sein Anwalt und ein Bewährungshelfer könnten ihn auf diesem Nachdenk-Weg begleiten.
(*)Name von der Redaktion geändert
(Bericht: Christian Ratz / Fotos: KIM-Archiv)