Hartz IV-Sanktionen-Urteil des Bundesverfassungsgerichts:
Ein wichtiger Etappensieg – Sanktionsregime aber noch nicht durchbrochen
Das Bundesverfassungsgericht hat vor einer Woche beschlossen, dass Sanktionen von 60% und mehr verfassungswidrig sind. Das ist sicher ein wichtiger Etappensieg, schließlich wurde mit der Zusammenlegung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe unter Gerhard Schröder (SPD) eine wichtige Säule des Sozialstaates eingerissen.
Mit den verschiedenen Hartz-Reformen in der Agenda 2010 wurde das Prinzip „Fördern und Fordern“ eingeführt. Das besagt nichts anderes, als dass eine reine Grundsicherung als solche nicht mehr existierte. Wer eine „zumutbare“ Arbeit nicht annehmen wollte, konnte unter das bereits kleingerechnete Existenzminimum gekürzt werden. Was zumutbar war, das entschieden die Sachbearbeiter*innen im Jobcenter. Wer also als Krankenschwester oder Maurermeister mit Mitte Fünfzig einer wirtschaftlichen Umstrukturierungsmaßnahme im Betrieb zum Opfer fiel, fand sich nach einer kurzen Übergangsphase im Arbeitslosengeld 1 dann auch recht schnell im Arbeitslosengeld 2, umgangssprachlich auch Hartz IV genannt, wieder. Wer also Förderung bedarf, muss sich auch der Forderung unterwerfen, nämlich jeden noch so schlecht bezahlten Job anzunehmen, der ihr oder ihm angeboten wird.
Die menschliche Tragik hinter besagten Fällen verdient einen näheren Blick. Denn nicht nur das Sozialstaatsversprechen wurde mit den Hartz-Reformen Stück für Stück erodiert, auch die kulturelle und soziale Ächtung nahm ihren Lauf. Mit dem sogenannten „Hartz-IV Fernsehen“ und unter kräftiger Beihilfe der BILD Zeitung wurde das Image von Langzeitarbeitslosen, die sich gemächlich in der sozialen Hängematte breitmachen, etwaiges Kindergeld für Bier und Zigaretten ausgeben und eigentlich gar nicht wirklich arbeiten wollen verbreitet. Dass die Realität ganz anders aussieht, dass die absolute Mehrheit dringend einen Job sucht um dieser sozialen Ächtung zu entfliehen – geschenkt.
So wundert es auch nicht, dass die Löhne sich in Deutschland seit 2005 im europäischen Vergleich schlecht entwickelt haben, zwischendurch gab es sogar eine Reallohnsenkung – einmalig für ein reiches Industrieland wie Deutschland! Wenn ein Staat Arbeitslose zu der Annahme praktisch jeden Jobs nötigen kann, dann sinken die Löhne. Doch die Verantwortlichen wollen von dieser Kausalkette oft nichts wissen.
Wenn das Bundesverfassungsgericht nun die Möglichkeit einer Vollsanktion, also die Streichung aller Gelder, unterbindet, dann ist das schlichtweg eine sozialpolitische Notwendigkeit. Erneut ist es aber das Bundesverfassungsgericht, das im Bereich Hartz IV tätig wurde und nicht die Bundesregierung. Die Einhaltung grundlegender Menschenrechte, nämlich die Wahrung der Würde des Menschen – das muss in Deutschland leider vor Gericht erstritten werden.
Das Sanktionsregime ist damit aber noch nicht durchbrochen, dafür braucht es mehr. Als LINKE fordern wir deswegen eine sanktionsfreie Mindestsicherung, von der man auch tatsächlich leben kann. Denn dass der „Warenkorb“, mit dem das Existenzminimum berechnet wird, künstlich runter gerechnet wird, das ist ja weitläufig bekannt. Unsere Fraktion in Berlin wird dieses Urteil genau analysieren und dafür sorgen, dass es auch umgesetzt wird.
Auf lokaler Ebene konnten wir schnell handeln und haben direkt nach dem Urteil eine Flugblattaktion vor dem Jobcenter durchgeführt. Die Betroffenen zu informieren ist der erste Schritt, um sie dabei zu unterstützen ihre Rechte wahrzunehmen. Am Donnerstag dem 21.11 werde ich an einem weiteren Infostand (ab 13 Uhr) vor dem Jobcenter teilnehmen und dann auch ein Gespräch mit dem Leiter des Jobcenters Mannheim, Dr. Jens Hildebrandt, führen. Die Umsetzung der neuen Gesetzeslage zu Gunsten der Betroffenen wird dabei auch Thema sein.
Gökay Akbulut (MdB)