Die MVV Energie AG bekommt einen neuen Großaktionär. Die Stadt schließt mit diesem einen Konsortialvertrag.
Mannheim, 02,04.2020. Der Gemeinderat hat heute einstimmig dem Abschluss eines Konsortialvertrags mit dem australischen Investmentfonds „First State Investments“ zugestimmt. Gleichzeitig stimmte der Gemeinderat der Auflösung des im Jahr 2007 mit der RheinEnergie AG Köln geschlossenen Konsortialvertrages zu (V165/2020). Die RheinEnergie AG, ein kommunales Unternehmen, hatte 16,1% der MVV-Aktien von der Stadt Mannheim , wollte sich aber schon seit längerer Zeit von ihrem Aktienpaket trennen, ohne damit voranzukommen. Der Stadt steht ein Vorkaufsrecht aus diesem Vertrag zu, das sie aber nicht realisiert.
Ein weiteres großes Aktienpaket liegt bisher bei der EnBW, einem Konkurrenzunternehmen der MVV Energie. Auch dieser Großaktionär möchte sich schon seit langem von der Beteiligung an der MVV Energie trennen. Die MVV Energie und die Stadt Mannheim bemühten sich seit Mitte 2019, die anstehenden Transfers von zusammen 45% der Aktien in geordnete Bahnen zu lenken und einen Investor zu finden, der die Strategie der MVV toleriert oder sogar unterstützt.
Nach einem längeren Auswahlverfahren, in das zuletzt die Fraktionsvorsitzenden involviert waren, fiel0 die Entscheidung auf FSI. Die Geldgeber dieses Fonds sind zu 80% Pensionskassen und Versicherungen, die branchenüblich auf langfristige Investments mit sicherer Rendite setzen. Die beiden Aktienpakete haben einen aktuellen Börsenwert von zusammen ca. 750 Mio. Euro.
Die Alternativen wären gewesen: A) Die Stadt Mannheim kauft die Aktien zurück (unter den Bedingungen Netto-Neuverschuldungsverbots (!)), oder: (B): Sie überlässt die 45% dem „freien Spiel der Kräfte“. Damit ist das Risiko verbunden, dass die Aktien in für die MVV schädliche Hände geraten, z.B. bei rückwärtsgewandten Energiekonzernen oder spekulativen Kurzzeitinvestoren mit maximalen Profiterwartungen und Substanzschädigung der MVV, was man gewöhnlich „Heuschrecken“ nennt. Das wäre angesichts der für die Versorgung der Mannheimer Bevölkerung mit Strom, Gas, Fernwärme und Wasser durch die MVV eine enorme Belastung. Der Gemeinderat hat sich deshalb für den Investor FSI und den Abschluss eines Konsortialvertrages entschieden.
Im Folgenden dokumentieren wir das Statement von Stadtrat Thomas Trüper, DIE LINKE und Fraktionsvorsitzender der LI.PAR.Tie. (Livestream ab Minute 39. – Die Gemeinderatssitzung wurde erstmals wegen der Corona-Pandemie online übertragen.)
Drei Vorbemerkungen:
- Die heute zu treffende Entscheidung fällt ein einer Zeit, die im Grunde seit zwei Wochen vollkommen unabsehbare und nicht berechenbare Prozesse hervorbringen wird, natürlich auch im Wirtschaftsleben, auch im Kapitalmarkt. Jede hier zu vertretende Meinung ist rein spekulativ. Deshalb ist es nicht verantwortlich, die eingeleiteten Maßnahmen in Richtung Quarantäne und Moratorium zu schicken.
- Die heutige Abstimmung des Gemeinderates über ein in vielerlei Hinsicht sehr wichtiges Zukunftsthema der Stadt ist unter demokratischen Gesichtspunkten kaum tolerabel. Aufgrund der Börsennotierung der MVV Energie AG und daraus resultierenden Geheimhaltungspflichten im Vorfeld der Entscheidung war eine offene Diskussion insbesondere auch in den in diesem Hause vertretenen Parteien (ich rede nicht von Fraktionen) und in der Öffentlichkeit nicht möglich. Es ist eine in der BRD einmalige Situation.
- Die Ursache hierfür liegt 21 Jahre zurück. Damals wurde der Energiemarkt liberalisiert, ein kapitalistisches Haifischbecken der Stromversorger wurde eröffnet. In Mannheim hat sich eine Mehrheit damals dafür entschieden, die Stadtwerke, bevor sie ganz liberal gefressen werden, selbst auf Fresstour zu schicken und sie zu einem großen börsennotierten Player Energiewirtschaft zu machen. Mit Erfolg: Die MVV Energie AG ist der fünftgrößte Energieversorger der Bundesrepublik.Uns – die Parteien der LI.PAR.Tie. hat es damals noch nicht gegeben. Wir hätten uns damals mit Sicherheit für den Anschluss an das Projekt Trianel ausgesprochen, ein Gemeinschaftsunternehmen von Stadtwerken, kommunalen und regionalen Versorgungsunternehmen, das gemeinsame Beschaffung auf den liberalisierten deutschen und europäischen Energiemärkten organisiert und Synergien erschließt. Auch mit Erfolg.Die Parteien der LI.PAR.Tie. treten in den Grundbelangen der Daseinsvorsorge: Energien, Wasser, Entsorgung und Gesundheitswesen für den Grundsatz ein: „Öffentlich vor Privat“, um die Ziele „sozial gerecht und ökologisch“ in diesen Bereichen durchzusetzen. Und dabei bleiben wir auch. Die Rekommunalisierung von Stadtwerken einschließlich der Wasserversorgung haben wir deshalb nach wie vor dem Schirm.
Nach diesen Vorbemerkungen nun unsere Position zu der von der Verwaltung vorbereiteten Möglichkeit, einen Vertrag über den künftigen Verbleib von 45% der MVV-Aktien zu beschließen. Diese liegen bekanntlich gegenwärtig noch bei EnBW und Rhein-Energie, die sie aber seit Jahren veräußern möchten.
Was ist die Alternative zu diesem regulierenden Vertrag? Ein nicht kontrollierbarer und somit chaotischer Aktientransfer in Hände, deren Absichten man nicht kennt und die mglw. eine zur jetzigen ökologischen Linie der MVV Energie konträre Linie verfolgen.
Wir werden – vor diese Alternative aus der oben genannten Liberalisierungspolitik gestellt – für den Abschluss des 5-Parteien-Deals stimmen. Nicht zu versuchen, hier ordnend einzugreifen, wäre u.E. grob fahrlässig und ein Schlag gegen die Ansprüche der Energiewende.
Man fragt sich natürlich, wie kann es 1. überhaupt sein, dass die Stadt Mannheim und die MVV Energie AG einen Vertrag über den Verbleib von Aktien abschließen können, die ihnen gar nicht gehören? Und wie kann es 2. sein, dass sich ein Investor in einem Vertrag von Dritten binden lassen möchte?
Zu 1. führen die Schwierigkeiten von EnBW und Rheinernergie, ihre Aktien ohne große Preisabstriche loszuwerden. Und zu 2. Liegt die Lösung natürlich in Gegenleistungen der Stadt Mannheim, nämlich einer Dividenden-Absicherung auf dem status quo. 59 Mio. Dividenausschüttung ist ein Wort, aber darauf drängt die Stadt Mannheim schon seit Jahren erfolgreich im Aufsichtsrat, um mit ihrem Anteil das Nahvekehrsdefizit auszugleichen. Das ist also für Investor und Stadt ein gleichgerichtetes Interesse – Die MVV Energie wäre sicher an einer anderweitigen Gewinnverwendung Richtung Erhöhung Eigenkapital und Investitionsstärke interessiert. Aber die kommt damit ja offensichtlich gut zurecht.
Aber es muss natürlich auch Leistungen der Investoren geben. Besonders wichtig sind aus unserer Sicht:
- Anerekennung und Unterstützung für die Ziele der MVV Geschäftspolitik in Richtung Energiewende, Dekarbonisierung ihrer Aktivitäten, Ausrichtung am Pariser Abkommen.
- Anerkennung des Verbleibs der Wasserversorgung bei der MVV (hier sehen wir allerdings Nachschärfungs-Bedarf, siehe unser Antrag A095/2020).
- Konzernsitz Mannheim, Absicherung der Gewerbesteuer
- Verzicht auf Kaptalerhöhungen, die umnittelbar eine Nachschussnotwendigkeit der Stadt Mannheim zur Beibehaltung ihrer 50,1%-Mehrheit zur Folge hätten.
- Eine lange Laufzeit von 25 Jahren mit Fortsetzungsoptionen. Diese deutet darauf hin, dass FSI das Anlagemodell: langfristig, wenig Risiko und verlässlich mit entsprechend geringererer Renditeerewartung verfolgt, statt kurzfristiges Investment mit Substanzverzehr und spekulativem raschem Weiterverkauf.
- Wichtig auch das Vorkaufsrecht bei Vertragsstörung. Dies ist eine Festlegung, die die MVV durch den Konsortialvertrag nicht weiter von der Stadt entfernt sondern ggf. näher bringt.
Insofern fasse ich zusammen: Aus ökologischer Sicht bietet der abzuschließende Konsortialvertrag wesentliche Vorteile gegenüber einem „Laisser-faire“. Wir stimmen zu.
FAQ
Abschließend noch Antworten auf einige häufig gestellte Fragen in der linken Diskussion:
Kann man überhaupt aus linker Sicht für einen Vertrag mit einem Investor eintreten? Das Grundübel ist, dass 49,9% der MVV-Aktien eben nicht der Stadt Mannheim gehören, sondern in fremdem Besitz sind. Dass die Stadt überhaupt den Verbleib von Aktien steuern kann, die ihr gar nicht gehören, ist eine schadensbegrenzende Chance. Es geht nicht um einen Verkauf von Aktien durch die Stadt, sondern um den Umgang mit schon längst verkauften Aktien.
Kann man dem Investor trauen, der seit einem Jahr zur Mitsubishi-Gruppe gehört? Die Fonds-Verwaltungsgesellschaft (quasi eine Dienstleister mit sicherlich hohen Profiten) gehört dem japanischen Konzern. Maßgeblich sind jedoch nicht die Eigeninteressen des Fondsverwalters, sondern diejenigen der Geldgeber. Deren objektives Interesse ist auf Stabilität und Zukunftssicherheit ausgelegt. Dass im Portfolio des Fonds historisch z.B. auch Fossilgas-und Öl-Infrastrukturfirmen vorzufinden sind, ist für die vom Investor für gut befundene und unterstützte MVV-Strategie nachvollziehbar nicht relevant. Pensionskassen und Versicherer wissen, dass in 25 oder 30 Jahren mit fossilen Energieträgern kein Geschäft mehr zu machen ist.
Und wenn es Streit gibt? Ein Schiedsgericht? Die Schiedsgerichtsbarkeit hat aus der Diskussion über die Freihandelsabkommen einen denkbar schlechten Ruf. Dort geht es jedoch um das Unterlaufen staatlicher Gesetze. Hier geht es um ein im privaten Vertragsrecht zwischen wirtschaftlichen Partnern übliches außergerichtliches Einigungsverfahren, wie es z.B. bei den Konzessionsverträgen z.B. über das Mannheimer Wassernetz schon lange Anwendung findet. Die Stadt Mannheim ist mit der EnBW wegen ihrer aus Sicht der Stadt kartellrechtlich angreifbaren, einfach durch Aktienzukäufe und ohne Vertrag erreichten Sperrminorität im MVV-Aufsichtsrat im gerichtlichen Clinch, inzwischen vor dem BGH. Das hat der Stadt bisher nichts geholfen. Nun begleitet sie die Abgabe des Aktienpakets der EnBW in vertragliche Strukturen mit FSI.
Wird die kommunale Wasserversorgung durch den Vertrag mit FSI gesichert? Diese Fragestellung warf die LI.PAR-Tie-Fraktion in einem Änderungsantrag auf (s.o.). Die Verwaltung wies jedoch darauf hin, dass die Bindung der Wasserversorgung an die Kommune durch den Konzessionsvertrag zwischen der Stadt Mannheim und der MVV Energie bis 2035 geregelt ist mit einem anschließenden Rückkaufrecht der Stadt. Dieser Konzessionsvertrag besteht unabhängig von der Eigentümerstruktur der MVV Energie. (Siehe V504/2014).
Wird die Rekommunalisierung der MVV und die Bildung eines Mannheimer Stadtwerks durch den Minderheitsaktionär FSI und den mit ihm abzuschließenden Konsortialvertrag verunmöglicht? Die Rekommunalisierung ist gegenwärtig und sicher auch mittelfristig nicht möglich, weil die Stadt die erforderlichen Mittel in dreistelliger Millionenhöhe ohne einen wiederum aus dem Geldmarkt kommenden Partner nicht aufbringen kann (auch ohne Corona-Krise). Sie müsste in einem zweiten Schritt die MVV zerschlagen und alle Aktivitäten außerhalb Mannheims verkaufen oder anderweitig beenden. Die Schwierigkeit liegt in diesen Anforderungen, nicht in der Aktionärsstruktur. Auch ist eine Mehrheit für die Rekommunalisierung gegenwärtig überhaupt nicht absehbar.