Kämpferisch und entschlossen zum 1. Mai
Bericht zur Demonstration des Solidaritätsnetzwerkes Mannheim und Kundgebung des DGB
Quelle: Gerhard Millgramm
Nachdem Veranstaltungen am 1. Mai im vergangenen Jahr auf Grund der ersten Welle der Corona- Pandemie lediglich online stattfinden konnte, ist nun ein Jahr später deutlich zu spüren, dass dieser politische Kampftag kaum etwas an seiner Bedeutung für die arbeitende Klasse verloren hat, aber auch wie wichtig es ist, den damit verbundenen Protest auf der Straße Ausdruck zu verleihen. Hierfür hatte das Solidaritätsnetzwerk Mannheim eine Demonstration samt Auftaktkundgebung um 09:30 Uhr auf dem Alten Messplatz angemeldet, welche sich schließlich in Richtung Marktplatz begeben und dort der Kundgebung des DGB um 11:00 Uhr anschließen sollte.
Schon früh bahnte sich an, dass viele Menschen dem Aufruf „Lockdown Capitalism“ des Solidaritätsnetzwerkes folgen werden, denn der alte Messplatz füllte sich bis zum Beginn der Demonstration mit etwa 350 Personen. Auf Grund der Auflagen der Stadt Mannheim, welche eine Höchstzahl von 200 Personen pro Veranstaltung und eine Gruppierung des Demonstrationszuges auf jeweils 15 Personen festlegten, wurde spontan eine weitere Demonstration angemeldet, sodass sich gegen 10:15 Uhr zwei Demonstrationszüge mit genügend Abstand, aber deswegen nicht weniger entschlossen, auf den Weg über die Kurpfalzbrücke und die breite Straße in Richtung Marktplatz aufmachten.
Video: Die Demo des Solidaritäts-Netzwerk in der Breiten Straße | Link zu Youtube: https://youtu.be/EVoXcGgBJ1g
Auf Grund der hohen Anzahl an Teilnehmer:innen, konnte die Demonstration nicht wie geplant am Marktplatz enden, da sonst die dort erlaubte Personengrenze überschritten worden wäre, sodass die Demonstration letztlich bis zum Paradeplatz ziehen konnte, wo sie aufgelöst wurde. Daraufhin begab sich ein Großteil der Teilnehmer:innen zur Kundgebung des DGB auf dem Marktplatz, sodass auch dieser sich rasch füllte.
Quelle: KiM
Insgesamt haben beide Veranstaltungen so ca. 500 Menschen in Mannheim auf die Straße gebracht. Im Kontext bundesweiter Demonstrationen und Kundgebungen mit teilweise mehreren tausend Teilnehmer:innen, sollte klar werden, dass der politische Kampf um die solidarische Verteilung der Lasten der Pandemie und die Auswirkungen auf unser Arbeits- und Privatleben immer mehr an Fahrt aufnimmt und vermutlich auch im Bundestagswalkampf eine große Rolle spielen wird. Daher ist es besonders wichtig nun deutliche Signale zu senden, dass ein „Weiterso“ oder gar ein Zurück zum „Normalzustand“ kapitalistischer Verwertungslogik, die selbst in einer tödlichen Pandemie noch für die Profite weniger und der Ausbeutung der Massen aufrechterhalten wird, keine Option für eine linke Politik sein kann.
Zusammengefasst können die Veranstaltungen in Mannheim, aber vor allem die Durchführung der Demonstration, als Erfolg bewertet werden, da sie nicht nur viele Menschen auf die Straße gebracht und damit einen kämpferischen Eindruck hinterlassen haben, sondern auch im Vorhinein gegen starken Widerstand der Stadt Mannheim vor Gericht durchgesetzt werden konnten.
Ein Krimi hinter den Kulissen
Am Montag, den 26.04. hatte die Stadt Mannheim alle Demonstrationen auf Grund der hohen Inzidenzzahlen in Mannheim verboten und nur stationäre Kundgebungen erlaubt. Da sich der DGB nicht gegen diesen Beschluss zur Wehr setzen wollte, hat das Solidaritätsnetzwerk Mannheim, ein Zusammenschluss mehrerer politischer Gruppen, am Dienstagabend beschlossen eine eigene Demonstration vom Neumarkt in der Neckarstadt bist zum Marktplatz anzumelden und diese auch gegen das zu erwartende Verbot der Stadt Mannheim zu verteidigen. In einem Kooperationsgespräch zwischen Anmelder und Versammlungsbehörde, beharrte die Stadt Mannheim weiterhin auf ein Verbot der Demonstration und bot stattdessen eine Kundgebung an, was auf Grund der daraus entstehenden Konkurrenz zur DGB Veranstaltung jedoch vom Anmelder abgelehnt und auf die Durchführung einer Demonstration bestanden wurde. Im Anschluss an das Kooperationsgespräch wurde dem Anmelder der Verbotsbeschluss der Stadt Mannheim zugestellt in welchem lediglich eine stationäre Kundgebung unter Auflagen genehmigt wurde.
Am Freitag, den 30.04. unterbreitete das Verwaltungsgericht Karlsruhe schließlich den Vorschlag, die Demonstrationsteilnehmer:innen auf kleinere Gruppen aufzuteilen und den Aufzug unter Einhaltung der weiteren Auflagen des Infektionsschutzes laufen zu lassen. Von der Versammlungsbehörde wurde daraufhin eine Verkürzung der geplanten Route ab dem Alten Messplatz angeboten, was schließlich vom Solidaritätsnetzwerk akzeptiert wurde. Trotzdem dauerte es noch bis 19:49 Uhr am Freitagabend, bis der Beschluss des Verwaltungsgerichts feststand und die Demonstration endgültig geplant werden konnte. Dass dies nur widerwillig von der Stadt Mannheim hingenommen wurde, zeigt sich daran, dass erst das Verwaltungsgericht einen Kompromissvorschlag vorlegen und damit die Versammlungsfreiheit gewährleisten musste, was eigentlich Aufgabe der Versammlungsbehörde sein sollte und schließlich noch in der Nacht von Freitag auf Samstag versucht wurde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vorzugehen, was jedoch abgewiesen wurde.
Die Begründung des Verbots mit dem aktuellen Infektionsgeschehen wirkt dabei erstens absurd, weil die Veranstalter:innen und vermutlich auch der Großteil der Teilnehmer:innen die Notwendigkeit von Hygiene-Maßnahmen zum Infektionsschutz grundsätzlich anerkennen, weswegen nur schwer mit einem unverhältnismäßigen Infektionsrisiko argumentiert werden könne, wenn gleichzeitig im ganzen Land Veranstaltungen von sogenannten Querdenker:innen und Pandemie- Leugner:innen durchgeführt werden.
Zweitens ist ja eines der zentralen Anliegen der Veranstalter:innen genau auf die politischen Fehler und das Versagen in der Pandemiebekämpfung hinzuweisen, die überhaupt erst zu einem solchen dramatischen Infektionsverlauf geführt haben. Zum Beispiel, dass Betriebe kaum zur Verantwortung in der Pandemiebekämpfung und dem Schutz der Arbeiter:innen und ihres Umfeldes herangezogen werden, während sich die Maßnahmen überwiegend auf Verzicht bzw. repressive Maßnahmen im Privatleben stützen, die zum Teil jeglicher Grundlage entbehren.
Die Pandemie im Vordergrund – eine bessere Zukunft im Blick
Dass die Auswirkungen der Pandemie auch inhaltlich im Mittelpunkt der einzelnen Redebeiträge stehen würden, verwundert dabei kaum, wie folgende Auszüge aus Reden von der Auftaktkundgebung des Solidaritätsnetzwerkes Mannheim, zeigen:
Im Redebeitrag der Interventionistische Linke Rhein Neckar wurde auf das Missverhältnis zwischen privaten Einschränkungen und betrieblichem Umgang mit der Pandemie eingegangen:
Quelle: Interventionistische Linke Rhein Neckar
„Nächtliche Ausganssperren sind nur autoritäres Placebo, Verbote von Demonstrationen mit Hygienekonzept der verzweifelte Versuch linke Kritik an Staat und Gesellschaft zurückzudrängen.Ganz anders schaut es da im Bereich der Wirtschaft aus. Es scheint fast so, als könnten Konzerne tun, was sie wollen, hauptsache der Profit bleibt erhalten – oder steigt sogar an. Ohne Rücksicht auf die Lohnabhängigen in den Betrieben und Büros läuft die Produktion weiter. Immer wieder kommt es zu massenhaften Ansteckungswellen. Unvergessen ist der Tönnies-Skandal im letzten Jahr. Und erst im März infizierten sich 40 Arbeiter*innen in einem Daimler-Werk in Rastatt. Zudem gibt es Berichte, dass dort ein Leiharbeiter entlassen wurde, weil er die vom Gesundheitsamt angeordnete Quarantäne einhielt. Amazon verbietet in einem Lager in Winsen auch ganz ungeniert das Tragen von FFP2-Masken, obwohl sie den größten Schutz bieten. Grund dafür ist, dass das Arbeitsschutzgesetz zusätzliche Pausen vorschreibt, wenn bei der Arbeit FFP2-Masken getragen werden. Es zeigt sich eines ganz klar: Politik und Wirtschaft sind nicht bereit Profite und Wirtschaftswachstum zu gefährden. Ganz egal, ob dafür Betriebe zu Infektionshotspots werden.“
Der Redebeitrag der DIDF zeigte die besonders prekäre Situation der Pflege auf:
„Eines der großen Themen der letzten Zeit ist die Pflege und Gesundheit. Alle reden davon, wie wichtig die Pflegekräfte seien und wie schlecht ausgestattet unser Gesundheitssystem ist. Gerade im Gesundheitswesen sehen wir, dass die Politik unsere Gesundheit zur Ware gemacht hat. In den Krankenhäusern geht es nicht mehr, um unsere Gesundheit, sondern um die Profite. Jetzt in der Pandemie sehen wir genau, zu was die Privatisierung der Krankenhäuser und der Abbau von medizinischem Personal geführt hat! Die Kolleginnen und Kollegen im Krankenhaus müssen endlich besser bezahlt werden! Nur vom Lob allein, können sie sich und ihre Familien nicht über Wasser halten! Die Arbeitsbedingungen in der Pflege müssen endlich verbessert werden!Unsere Gesundheit ist keine Ware! Unser Leben ist mehr wert als jeder Profit! Aus diesem Grund fordern wir: Die Krankenhäuser müssen wieder zurück in die öffentliche Hand!“
Quelle: DIDF Mannheim
Eine Vertreterin des linken Zentrums „Ewwe longts“ setzte sich, auch im Hinblick auf den Umgang mit Pflegekräften und Arbeiter:innen insgesamt, mit dem Begriff der Solidarität auseinander:
„Während die Pandemie angesichts einer unfähigen Krisenpolitik sich immer weiter in die Länge zieht, und unsere Psyche immer mehr zermürbt, wird weiterhin die Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger hochgehalten und jeder Spaziergang im Freien wird stärker geahndet als das Arbeiten in Großraumbüro. Imme rwieder wird hier auf äußerst dünner Datenbasis die Pandemiebekämpfung ins Private velagert, während große Bereiche der Wirtschaft nach wie vor nicht wirklich angetastet werden. Angesichts dessen wirkt die Formel der Eigenverantwortung des Bürgers wie blanker Hohn. In diesem neoliberalen Kniff schwingt auch immer wieder der Versuch mit, einen aufgeweichten Solidaritätsbegriff zu etablieren, der auch eine scheinheilige Dankbarkeit gegenüber sogenannten systemrelevanten Berufen im Sinne hat und von der realen Verantwortung der Politik für die Instabilität etwa unseres Gesundheitswesens ablenken soll.
Um das einmal Festzuhalten: Solidarität ist keine Einbahnstraße. Solidarisch handelt ein Kollektiv, wenn es ein gemeinsames Klasseninteresse durchsetzt. Solidarisch können also Pflegerinnen und Pfleger sein, wenn sie versuchen, bessere Arbeitsbedingungen zu erkämpfen. Die Maßnahmen der Bundesregierungen und ihre Abwälzung der Pandemiebekämpfung aufs Private, den Einzelhandel und die Gastronomie sind also genau das Gegenteil von solidarisch. Als Dank für ihren unermüdlichen Einsatz wurde es letztes Jahr sogar gesetzlich möglich gemacht, dass in sogenannten “Berufen kritischer Infrastruktur” 12 Stunden Schichten angeordnet werden können.“
Von der Organisation Seebrücke wurde besonders auf die Lage von Geflüchteten und Menschen in Sammelunterkünften aufmerksam gemacht, die in der Pandemie mit noch schlimmeren Bedingungen konfrontiert werden, als ohnehin schon:
„Die Corona-Krise trifft diejenigen am härtesten, die es ohnehin mit am schwersten haben. Arbeiter*innen, die keine Möglichkeit haben ihre Arbeit ins Homeoffice zu verlegen, wohnungslose Menschen, schutzsuchende Menschen, die in Sammelunterkünften sich mit mehreren Familien ein Bad oder sogar ein Zimmer teilen müssen, Menschen an Europas Außengrenzen die zu tausenden in Lagern festsitzen ohne sich regelmäßig sie Hände waschen zu können geschweige denn Abstand zu halten und Menschen, die zusätzlich zu der Pandemie von Krieg, Gewalt, Hunger und Armut bedroht sind und denen kene andere Möglichkeit bleibt, als ihre Heimat zu verlassen und zu fliehen. […]
Quelle: Die Linke Mannheim
Doch nicht nur die Menschen an Europas Außengrenzen trifft die Pandemie hart, auch diejenigen, die es bereits hierher geschafft haben, werden oftmals monatelang manchmal Jahrelang in Sammelunterkünften eingesperrt. Auch hier haben wir gesehen wie sich innerhalb von wenigen Tagen die gesamte Unterkunft mit dem Virus infiziert hat, weil die Menschen auf zu engem Raum leben müssen und keine Möglichkeit haben Abstände einzuhalten oder sich zu isolieren. Gleichzeitig stehen hunderte Hotelzimmer leer, in denen ohne Probleme sofort Menschen Schlafplätze und eigene Badezimmer bekommen könnten. Doch Profit steht auch hier wieder über der Gesundheit tausender Menschen. Wir fordern das Ende von Sammelunterkünften und eine humanitäre und dezentrale Unterbringung.“