50 Jahre “Radikalenerlass” – Protest vor der PH Heidelberg
In Heidelberg gab es eine Kundgebung von Berufsverbotsbetroffenen
Rehabilitierung ist überfällig
Heidelberg. Wenige Monate vor dem 50. Jahrestag des sogenannten Radikalenerlasses haben Mitglieder der baden-württembergischen Initiativgruppe am 28. Oktober gegen die Berufsverbote zu einer Kundgebung in der Rhein-Neckar-Region aufgerufen. Etwa 100 Menschen kamen zum Treffpunkt vor der Pädagogischen Hochschule (PH) Heidelberg. Zu Beginn versammelten sich mehrere von Berufsverboten Betroffene vor dem Eingang mit einem Transparent mit der Aufschrift: „Aufarbeitung! Entschuldigung! Rehabilitierung! Entschädigung!“
DGB, VVN-BdA, die Partei Die Linke, SPD, Jusos und die Grün-Alternative-Liste im Gemeinderat unterstützten die Veranstaltung. Von DGB, GEW, Verdi und IG Metall gab es Grußworte. Die Grünen hatten zuvor offiziell erklärt: „Wir sind als Organisation bei der Kundgebung nicht dabei“ – passend zum „Ampel“-Sondierungspapier, in dem Linke mit Rassisten und Nazis gleichgesetzt werden. Bisher haben vier Landtage Beschlüsse gegen den Unrechtserlass gefasst. In Baden-Württemberg blockiert der grüne Ministerpräsident Kretschmann.
Überblick über die vergangenen 50 Jahre
Die Teilnehmer der Kundgebung erhielten einen Überblick über die vergangenen 50 Jahre. 3,5 Millionen Menschen wurden in den 1970er und 1980er-Jahren auf ihre Gesinnung überprüft; der Inlandsgeheimdienst machte 30000 „Verdächtige“ aus. Über 1500 wurden als „Verfassungsfeinde“ nicht eingestellt oder entlassen. Faktisch setzten die Berufsverbote Grundrechte außer Kraft.
Im Raum Heidelberg/Mannheim wurden nach Recherchen des Verfassers rund 150 Menschen im Zuge des Erlasses mit Berufsverbot oder zeitweisem Berufsverbot belegt. Betroffen waren nicht nur Lehrerinnen und Lehrer, sondern auch Ärzte, Pflegekräfte und Justizbeschäftigte. 2003 gab es einen bundesweit beachteten „Wiederbelebungsversuch“ der Berufsverbotspraxis. Betroffen war der Lehrer Michael Csaszkóczy aufgrund seines antifaschistischen Engagements. Erst nach vier Jahren konnte seine Einstellung erreicht werden.
Namentlich sind von den in der Region Betroffenen 100 bekannt. Bei 50 sind die Maßnahmen ohne Namen dokumentiert. Die meisten Berufsverbote gab es an der PH: 50 linke Lehrerinnen und Lehrer wurden nicht in den Schuldienst übernommen. Mehrere Fälle, darunter die Entlassungen eines Wertheimer Studienreferendars 1968 und eines Mannheimer Studienassessors 1971, waren »Vorläufer« des bundesweiten Erlasses.
Erklärung gegen Fahrpreiserhöhungen „verfassungsfeindlich“
Oft wurden die Ablehnungen mit Kandidaturen für linke Organisationen bei Hochschulwahlen begründet, zum Teil auch mit der Teilnahme an Demonstrationen wie gegen Fahrpreiserhöhungen 1973 in Mannheim. Oder wie im Fall des Verfassers 1975 wegen einer Unterschrift unter eine öffentliche Erklärung gegen den »Schieß-Erlass« (baden-württembergische Radikalenerlassvariante, benannt nach dem damaligen Innenminister Karl Schieß, auch als „Hakenkreuz-Karle“ bekannt).
Weil in dieser Erklärung der Erlass als „Erpressung“ bezeichnet wurde, beschied das Oberschulamt unter Bezugnahme auf ein fünf Monate zuvor ergangenes Bundesverfassungsgerichtsurteil: Der Einstellungskandidat biete „nicht die Gewähr dafür, jederzeit aktiv für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten“; die Unterschrift unter die Protesterklärung sei „verfassungsfeindlich“. Das Urteil hatte ein gewisser Willi Geiger formuliert, der bereits das Beamtenrecht der Nazis und Berufsverbote gegen Juden, Marxisten und andere „Schädlinge an Volk und Staat“ durchgesetzt hatte.
Michael Csaszkóczy wies bei der Kundgebung darauf hin, dass die gesetzlichen Grundlagen der Berufsverbote, „Treuepflicht“ und „Gewährbieteklausel“ bis heute existieren, was zu Unterordnung und Anpassung führe. Dieses Erbe aus der Nazizeit müsse gestrichen werden. Dafür sollten sich alle demokratischen Bewegungen zusammenschließen. Der Vorstand der verfassten Studierendenschaft der PH hat im Anschluss an die Kundgebung Mitglieder der Initiativgruppe zu einer Diskussion eingeladen.
Martin Hornung