Blick auf die Stadtteilergebnisse der Bundestagswahl 2025 [Überarbeitet 18.03.25]

Die Bundestagswahl führte zu bedeutenden Gewichtsverschiebungen zwischen den Parteien. Mannheim folgte hier dem Bundestrend. (Vgl. Bericht „Große Freude bei der Linken – in Mannheim über 11,3% der Zweitstimmen“ in Ausgabe 04/2025 des KIM).

Hier nochmals das Mannheimer Zweitstimmenergebnis:

Wahlkreis Mannheim: Zweitstimmenergebnis

Die Gewinn- und Verlustrechnung:

Gewinn- und Verlustdarstellung der Zweitstimmenergebnisse der Parteien.

Die drei Ampelparteien haben kräftige Verluste zu verzeichnen. Gewinnerinnen sind die AfD, Die Linke und die CDU. Bei den „Sonstigen“ haben die größeren der kleineren Parteien Verluste hinnehmen müssen. Dennoch legten die „Sonstigen“ insgesamt leicht zu, weil das neue BSW 7.150 Stimmen (4,7% erzielte), was offensichtlich weder der Linken schadete noch der AfD, was für manche eine heimliche Hoffnung von Sinnstiftung für das Bündnis war.

Der Blick soll nun auf die 38 Mannheimer Stadtteile gerichtet werden. Im Folgenden werden ausschließlich die Zweitstimmen betrachtet. Von besonderem Interesse ist – wie bei jeder Wahl – wer wählt warum diese rechtsradikale Partei. Eine gängige Erklärung ist immer wieder, es seien v.a. die armen Volksschichten, die tief verunsichert sich eine starke Kraft wünschen, die „endlich mal aufräumt und die alles ändert“ was schlecht ist, kurz: die „für den Kleinen Mann eintritt“.

 

Die AfD-Skala

Zunächst eine Grafik, die veranschaulicht, wo die AfD ihre Erfolge erzielt, und wie in diesen Stadtteilen die Brandmauer-Parteien dastehen. Die Stadtteile sind nach der Stärke der AfD aufsteigend sortiert.

Zur Interpretation dieser Grafik bedarf es eines genaueren Einblicks in die Aufbereitung der Bundestgswahl durch die Mannheimer Wahlbehörde: Die Grafik zeigt nur die Ergebnisse der Urnenwahl in den 38 Mannheimer Stadtteilen. Die Darstellung der Gesamtwahlergebnisse von Urnen- und Briefwahl endet bei der Aufgliederung nach den 17 Stadtbezirken. Unterhalb dieser Ebene stellt die Stadt Mannheim (auch in dem sehr übersichtlichen votemanager) nur die Urnenwahlergebnisse gebietsgenau dar, d.h. für die 38 Stadtteile und die unterste Ebene, die 159 Wahlbezirke. Die Briefwahlergebnisse werden in 74 speziellen Briefwahlbezirken gesammelt und ausgewertet. Diese Briefwahlbezirke haben keinen Bezug zu den Wahlbezirken. Sie sind lediglich den verschiedenen Stadtbezirken zugeordnet. Sie stellen keine Zusammenfassung der Briefwahlergebnisse etwa für je zwei Wahlbezirke dar. Sie sind rein technischer Art, was die Wahlbehörde auf Anfrage auch bestätigt.

Wer also im votemanager die 159 Wahlbezirke aufruft und sucht z.B. den Wahlbezirk, in dem sie/er wohnt (wofür man dann erst mal das Straßen und Hausnummernverzeichnis mit Zuordnung zu den Wahlbezirken benötigt), weil man wissen möchte, in welcher politischen Umgebung man lebt, oder wo politische Arbeit besonders wichtig ist, sieht Ergebnisse wie in der folgenden Grafik: Nur die Urnenwahlergebnisse. 

Wo liegt hier das Problem und warum vermitteln diese Ergebnisse einen nicht vollständig zutreffenden Eindruck? Weil das Briefwahlverhalten zwischen Anhänger*innen  / Wähler*innen der unterschiedlichen Parteien sehr unterschiedlich ist. Das ist unten beispielhaft für den Stadtbezirk Vogelstang dargestellt. Wähler*innen der AfD nutzen nur zu ca. 15% die Briefwahl, Wähler*innen der Grünen ca. zu 42% (auch in dieser Beziehung also ein diametraler Gegensatz zwischen AfD und Grün).  Am Ende führt das in den Stadtteilen und Wahlbezirken zu einer überhöhten Darstellung der AfD-Wahlergebnisse. Das führte v.a. bei älteren SPD-Mitgliedern schon zu verzweifelten Reaktionen: “Jetzt schufte ich seit Jahrzehnten politisch im Kietz und habe auch viel für die Mitmenschen regeln und erreichen können, und dann hast du 45% AfD in der Umgebung.” In Wirklichkeit sind es einschließlich Briefwahl “nur” 38%.

Unter diesem Briefwahl-Vorbehalt nun also der Blick auf die Erfolgsspur der AfD durch die Stadtteile hindurch, und wie sich den Brandmauerparteien dem gegenüber stehen (Wohlgemerkt: Die AfD-Linie verläuft tatsächlich flacher, die der anderen Parteien etwas steiler):

 

Zwischen Jungbusch und Neckarstadt-West bekommt die AfD keinen rechten Fuß auf den Boden. Die Abneigung besteht wohl gegenseitig. Jungbusch und Neckarstadt-West sind Hochburgen der Linken. Es sind Zuzugspunkte von südosteuropäischen Migrant*innen, und studentische Milieus haben hier in den letzten Jahren aufgrund der Gentrifizierung sehr zugenommen. Andererseits liegt in diesem ersten Viertel der Grafik auch Neuostheim, ein sehr gut bürgerlicher Stadtteil. Wie bei eigentlich jeder Wahl bewegen sich die Linien der AfD und der Grünen scherenförmig auseinander. Kreuzungspunkt bei dieser Wahl ist der Almenhof. Dies entspricht der Tatsache, dass die Grünen das „rote Tuch“ der AfD sind: Vom Hass gegen jede Form von notwendiger Klimapolitik über die Verachtung für „Multi Kulti“ bis hin zur Hassfigur des scheidenden Wirtschafts- und Energieministers Habeck. Im gut bürgerlichen Milieu (wie Lindenhof und Schwetzingerstadt / Oststadt,  in Vororten mit einst dörflichem Charakter ist die AfD weniger vertreten (10%-Prozentbereich).

In der rechten Hälfte der Grafik reihen sich die Stadtteile auf, in denen die Industrie- und Dienstleistungsarbeiterschaft stark vertreten ist bis hin zu Schönau-Nord mit 38,1% (Urnenergebnis). Alles einstige SPD-Stadtteile. Heute dümpelt die SPD quer durch die Stadt in einem Korridor von 15-20%. Die AfD hat in diesen Stadtteilen die Stimmführerschaft übernommen. Im Stimmbezirk 071.11 zwischen A6, Lilienthalstraße und Königsberger Allee mit freistehenden GBG-Zeilen, die zurzeit saniert werden, kommt die AfD bei der Urnenwahl auf einen Spitzenwert von 45% (286 von 1.565 wahlberechtigten Personen). Sind es die Menschen aus der größten Armut inkl. öffentlichem Alkoholkonsum, die da die AfD wählen, oder diejenigen, die sich über diese Menschen aufregen? Wohl eher Letztere.
Eines zeichnet sich ganz deutlich ab: Das inzwischen bundesweit viel diskutiert Phänomen einer großen Affinität der Industriearbeiterschaft zur AfD ist aus dieser AfD-Skala der Stadtteile unmittelbar nachvollziehbar.

 

Heizungsgesetz, Grundsteuer und „Ausländer“-Hysterie

Neben den üblichen Themen von AfD-Wählenden sind im letzten Jahr noch zwei Aufreger hinzugekommen: Das „Heizungsgesetz“ und die Grundsteuerreform. Im Speckweggebiet beispielsweise, das über keine Fernwärme verfügt, mit vielen Siedlungshäuschen und großen Gartengrundstücken, ähnlich wie in der Gartenstadt, kommt die AfD auf um die 30%. Ebenso in Käfertal Süd.

Im Herzogenried, im Bereich der Hochhausbebauung zwischen Schul- und Steingarten (gegenüber dem Landesgefängnis) hat die AfD 34,9% in der Urnenwahl ergattert. Hier ist die Lage völlig anders. Man lebt in großen Mietshäusern der Gartenstadtgenossenschaft und der GBG, beide unter Mitspiegelpreis und saniert, aber auch von Vonovia.

Hier steht wahrscheinlich das dichte (und friedliche!) Zusammenleben von Menschen mit weit über 100 Nationalitäten im Vordergrund und die Verarbeitung des immer drastischer thematisierten angeblichen „Asylanten- und Ausländer-Problems“ – einer Diskussion, an der sich durchaus auch etablierte Ausländer*innen und Menschen mit Migrationsgeschichte beteiligen.

 

Vogelstang

Wo in der Vogelstand wohnen die Wähler*innen, die zu fast 40% der AfD ihre Stimme geben?

Die Vogelstang ist ebenfalls ein AfD-Hotspot. Der Stimmbezirk 130.12 mit der höchsten Quote ist ein grünes, städtebaulich interessantes Quartier mit einem mutmaßlich hohen Anteil Eigentumswohnungen in den “Y-Häusern”. Dort entschieden sich 38,15% der Wähler*innen für die AfD.

In den obigen Zahlenreihen sind annähernd genau die Ergebnisse der Urnen- und Briefwahl für die einzelnen Wahlbezirke zusammengefasst. Hierzu wurden die Briefwahlergebnisse des Stadtteils Vogelstang nach dem Anteil der Wahlberechtigten der einzelnen Wahlbezirke auf  die Wahlbezirke heruntergebrochen. Der untersten Zeile kann man den Anteil der Briefwähler*innen an allen Wähler*innen der verschiedenen Parteien entnehmen.

Soziologische Erklärungsversuche für das Wahlverhalten der Bewohner*innen der Vogelstang gibt es manche: Der Anteil der „Menschen ohne Migrationshintergrund“ beträgt 45,2% – allerdings nicht ungewöhnlich für Mannheim. Der Anteil an der migrantischen Bevölkerung von Menschen aus Polen, Russland, Kasachstan und Rumänien beträgt 40,2%. Der Stadtteil ist der demografisch älteste Stadtteil Mannheims. Die Sinus-Milieus weisen 53% Anteil von „Traditionellem Milieu“ und „Nostalgisch-Bürgerlichem Milieu“ aus. Aber reicht das, um das Wahlverhalten der Menschen auf der Vogelstang zu deuten?

CDU-„Antifa“

Zum Abschluss noch ein Blick auf den Erfolg der CDU-Strategie, „von der AfD Wähler zurückgewinnen“ zu wollen, indem man die selben Schallplatten wie die rechtsradikale Partei auflegt:

Wo holt die CDU von der AfD Stimmen? Es ist eher umgekehrt.

Ergebnis: Wo die CDU traditionell stark ist (Lindenhof, Feudenheim, Neuostheim/Neuhermsheim), hat die AfD wenig Chancen. In Neckarstadt Ost und West teilen sich beide Parteien ihre Schwäche. Hier dominieren Linke, SPD und Grüne. In den industriellen Stadtteilen Käfertal, Rheinau und Sandhofen streiten AfD und CDU um die Vorherrschaft im 20-25%-Bereich. In Vogelstang und Schönau dominiert die AfD und die CDU knickt nach unten. Eine erfolgreiche CDU-Strategie kann man das nicht bezeichnen.  Aber wozu auch? Auf kommunaler Ebene läuft die Zusammenarbeit zunehmend besser.

Ehrlicherweise muss linkerseits aber auch festgestellt werden: Das bisher genutzte Arsenal schwerpunktmäßig aktivistischer Art reicht offensichtlich nicht aus, um den Höhenflug der AfD zu bremsen. Die jüngsten social-media-Erfolge der Linken sind da eine echte und hoffnungsvolle Errungenschaft. Dennoch wäre es sicherlich auch geboten, sich mit Gesprächsteams „in die Höhlen des Löwen“ zu begeben. Z.B. „Nordpol-Expedition“ auf die Schönau oder Vogelstang. Mit Zuhören, Aufklären, und kultureller Fantasie.
Und zweifellos: Ungebremste rechte Politik (s.o.)  fördert rechtes Gedankengut. Sie muss ausgebremst werden.

 

Text: Thomas Trüper | Grafiken: KIM, teils unter Verwendung von Google Maps. Datenquellen: Von der Wahlbehörde der Stadt Mannheim veröffentlichtes Ergebnis der Bundestagswahl im Wahlkreis 275., Daten zur Vogelstang: Kommunale Statistikstelle: Vogelstang auf einen Blick, 2023. Ferner das Straßenverzeichnis der Stadt Mannheim zu allen Wahlbezirken.