Betongoldgräber und Bildungssilberschürfer unterwegs
Kita St. Nikolaus (Herzogenried) im Fokus eines “innovativen” Finanzinvestors (Bild: KIM)
Kita-Ausbauprogramm: Betongoldgräber und Bildungssilberschürfer wollen neue „Anlagenklasse“ erschließen. Contra im Sinne des Gemeinwohls!
Die sehr gute Nachricht zuerst: Die Stadt Mannheim arbeitet seit 2017 intensiv an einem riesigen Ausbauprogramm für Kitas. Der Bedarf ist auch riesig. Bis zu diesem Jahr sollten 210 neue Krippen- und 550 neue Kindergartenplätze entstehen. 100 Mio. Euro sind schon ausgegeben und 27 Mio. für die Jahre bis 2025 neu im Haushaltsplanentwurf 2022.
Ende Oktober hat das Dezernat III unter Führung von Dirk Grunert für die Stadtbezirke Lindenhof, Sandhofen und die Neckarstadt-Ost ein Gesamtkonzept vorgelegt. Letzteres weist nach Umsetzung 413 Kitaplätze mehr als der status quo aus und führt Stand jetziger Bevölkerungsprognosen zu einer Bedarfsdeckung sowohl bei Krippen als auch Kindergärten in diesem Stadtteil. Diesem Konzept liegt eine akribische Auswertung denkbarer Standorte zugrunde, die unter besonderer Berücksichtigung von Auswirkungen auf Grünflächen und Bäume aussortiert und definiert wurden.
Die schlechte Nachricht: Zeitlich enthält das Konzept keine Angaben. Und das ist auch ehrlich. Schon das Ausbau-Ziel aus der Planung 2017 bis 2022 konnte bei weitem nicht erreicht werden. Stand Juli 2021 harrten in der Gesamtstadt noch 120 Krippen bzw. 350 Kindergartenplätze der Umsetzung. Dass es schleppender vorangeht als geplant, hat vielfältige Gründe. Bauplätze zu finden, dort wo die Kita-Gruppen am dringendsten gebraucht werden, ist nicht leicht. Und mit Priorisierungen kann im politischen Prozess viel Zeit vergehen. Grunert hat deswegen zur Beschleunigung erfolgreich einen gemeinderätlichen Lenkungsausschuss Kita-Ausbau ins Leben gerufen. Zur Verlangsamung trägt jedoch auch die vollkommen überhitzte Baukonjunktur bei. Im Übrigen sind die Planungskapazitäten der zuständigen Fachabteilungen der Stadtverwaltung schon lange am Limit.
Ein weiterer zu berücksichtigender Aspekt ist die neuere Entwicklung bei den Kirchen. Die Gemeinden beider großer Kirchen, die fast 2/3 der Kitas betreiben, haben in den letzten Jahren den Abbau von 200 Kita-Plätzen angekündigt. Sie legen Einrichtungen zusammen, allerdings oft mit weniger Gruppen, oder schließen kleine Kitas mit nur einer Gruppe, oder sehen sich nicht in der Lage, notwendige Sanierungsmaßnahmen trotz öffentlicher Unterstützung durchzuführen. Auch diese Verluste an Kita-Plätzen müssen also zusätzlich bewältigt werden.
Kita St. Nikolaus als gewinnträchtiges Investment?
Konkret geht es genau in diesem Zusammenhang derzeit u.a. auch um den katholischen Kindergarten St. Nikolaus am Steingarten (Herzogenried): Vordergründig soll dort von fünf auf acht Gruppen aufgestockt werden. Und auch das katholische Eltern-Kind-Zentrum St. Bonifatius im Wohlgelegen soll von zwei auf fünf Gruppen erweitert werden. Im Ergebnis erstmal sehr erfreulich. Doch im Hintergrund spielt sich ein höchst problematischer Prozess ab.
Die genannten Erweiterungen bestehen aus einer Zusammenlegung der beiden katholischen Kitas St. Nikolaus und St. Bonifatius auf dem Standtort Wohlgelegen sowie aus der Übernahme des Standortes St. Nikolaus durch einen Privat-Investor neuen Typs. Der will und soll die vorhandenen Räume, die zurzeit nur von drei Gruppen genutzt werden können, auf acht Gruppen erweitern. In Vorlage 513/2021 bittet die Verwaltung um Zustimmung, den Investor AUDERE Equity bei der Errichtung eines achtgruppigen Kinderhauses mit bis zu 160 Plätzen gemäß den städtischen Förderrichtlinien mit max. 2,8 Mio. EUR aus dem entsprechenden Haushaltstitel zu unterstützen. Hintergrund: Die kath. Kirchengemeinde Neckarstadt will sich wegen anstehender umfassender Sanierungsmaßnahmen bei St. Nikolaus (Baujahr ca. 1975) von dem Standort zurückziehen, weil die Sanierung für sie unwirtschaftlich sei. Sie plant, die Kita im Wohlgelegen entsprechend zu erweitern. Sie möchte daher das städtische Erbbaurecht am Grundstück St. Nikolaus an den Investor verkaufen.
Was hinsichtlich neuer Kitaplätze so verlockend aussieht, hat gleich zwei Pferdefüße – als wäre nicht die Schaffung neuer Kitaplätzen schon komplex genug!
Schon wieder Beton-Schutt der 70er Jahre?
Einer ersten Visualisierung folgend, die der Investor AUDERE-Equity der Stadt zur Verfügung gestellt hat, plant er die Kita aus den 70ern vollständig abzureißen und einen neuen Block zu errichten. Wieder also ein Abriss eines Betongebäudes aus den 70ern? Ist denn überhaupt geprüft, wie sanierungsbedürftig das Bestandsgebäude ist und hat irgendwer etwas Phantasie walten lassen, wie man vielleicht das Bestandsgebäude sanieren und erweitern könnte?
Kita St. Nikolaus, Am Steingarten 16. Verantwortungsvoller Umgang mit dem Gebäude und der Einrichtung ist erforderlich. (Bild: KIM)
Die Kirchen sind auf dem Rückzug und sitzen in einer mächtigen Finanzklemme
Zusammenlegung zweier Standorte auf einen und Verkauf des zweiten ist derzeit eine mehrfach praktizierte Strategie der kirchlichen Kita-Träger. Wie gerade dem Mannheimer Morgen am 30.10.21 zu entnehmen war, müssen sich sowohl die evangelische als auch die katholische Kirche von einem Drittel ihrer Kirchen trennen. Und „Kirche“ heißt meistens: Gotteshaus plus Pfarrhaus plus Gemeindesaal plus Kita. Anschließend Verkauf des Grundstücks zu heutigen Hochpreisen, Sanierung eines anderen Standorts und Auffüllung der durch die Austrittsbewegung geschwächten Kirchenkasse mit dem Überschuss. So war es – allerdings vergebens – z.B. geplant für den evangelischen Epiphanias-Campus in Feudenheim.
Nun also will die katholische Kirche im Bereich Bonifatius- / St. Nikolaus „aufräumen“ und hat auch schon einen Käufer für das Erbbaurecht und das darauf befindliche Gebäude gefunden: AUDERE Equity.
Der Investor AUDERE-Equity hat es ausschließlich auf die profitable Grundstücksverwertung abgesehen
Das ist bei Kitas ein neues Phänomen: Man kennt diese Art der Grundstücks- und Immobilienverwertung aus der Wohnungswirtschaft; man kennt sie auch aus dem Hotel-Bereich und selbst aus der Sozialwirtschaft in den Sparten Pflege und Gesundheit.
Anzeige von Dieringer&Scheidel: 3,7% Rendite-Versprechen bei finanzieller Beteiligung am AWO-Fritz-Esser-Haus auf der Vogelstang. Bei dem Scheidel-eigenen Aventis-Heim in CentroVerde waren es noch über 6%. (Bild: KIM)
Das Geschäftsmodell lautet, aus Grundstücken für Kapitalgeber möglichst viel an Rendite rauszuholen, indem man auf dem Grundstück „Projekte entwickelt“. Die errichteten Gebäude werden dann an Servicedienstleister vermietet, die sie ihrerseits profitabel bespielen. Dafür braucht es dann Partnergesellschaften, die für die profitable Bespielung sorgen: Handelsketten, Hotelketten, Gesundheits- und Pflege-Konzerne, Studierendenheim-Betreiber, und neuerdings auch Bildungskonzerne. (Inzwischen greifen auch Wohlfahrtsverbände auf solche Investoren zu.) Und tatsächlich steht auch für AUDERE-Equity schon ein Bildungskonzern bereit: die schwedische AcadeMedia-Gruppe.
Wer ist AUDERE-Equity?
Lassen wir sie selber sprechen:
„Als leistungsstarkes Unternehmen entwickeln wir schlüsselfertige Kindertagesstätten, Mikroapartments, Büroimmobilien und Pflegeimmobilien: Planung, Finanzierung, Ankauf, Bau bis hin zu Vermietung und Vermarktung. Unser Portfolio beinhaltet nachhaltige Immobilien mit stabiler Rendite und schnellem Marktzugang. (…) Als zuverlässiger Projektentwickler sind wir Ihr Full-Service-Ansprechpartner für innovative Immobilienkonzepte – mit nachhaltiger Qualität, sozialem Engagement und überdurchschnittlicher Rendite.“
„Die inhabergeführte AUDERE EQUITY Unternehmensgruppe gewinnt Horst Lieder als neuen Gesellschafter innerhalb ihrer Real Estate Sparte. Horst Lieder hat als Gründer von International Campus [studentisches Wohnen; -Verf.] mit dazu beigetragen, Student Housing zu einer akzeptierten Anlageklasse zu machen. AUDERE EQUITY ist ein auf die schlüsselfertige Realisierung von Kindertagesstätten und Objekten mit komplementären Nutzungen spezialisierter Projektentwickler und Investmentmanager. Mit Lieder will AUDERE EQUITY Kindertagesstätten als Investmentprodukt etablieren. In den nächsten drei Jahren plant das Unternehmen, 50 Kindertagesstätten im Bundesgebiet zu realisieren. Zehn Projekte befinden sich derzeit in der Umsetzung. Für weitere 30 Kindertagesstätten sind die Gespräche mit öffentlichen, kirchlichen und anderen freien Trägern bereits weit fortgeschritten.“
Eine Marktanalyse wird gleich mitgeliefert:
Seit 2013 besteht in Deutschland für Kinder unter drei Jahren ein gesetzlicher Anspruch auf einen Platz in einer Kindertagesstätte. Laut aktuellen Schätzungen werden bis 2025 bundesweit rund 307.000 zusätzliche Plätze für Kinder unter drei Jahren benötigt. Der Zusatzbedarf bei Kindern über drei Jahren liegt bis 2025 bundesweit bei 296.000 Plätzen.“
Und daraus schließt die Gruppe, dass der Markt sperrangelweit offensteht. Ein weiterer Grund spricht für die goldenen Aussichten nach mittlerweile jahrzenhntelanger neoliberaler finanzieller Schwächung der Kommunen:
„Der enorme Bedarf für die Entwicklung neuer Kindertagestätten kann organisatorisch von Kommunen, kirchlichen und freien privaten Trägern allein nicht realisiert werden. Bei uns bekommen Kommunen und freie Träger alles aus einer Hand – und das in kürzest möglicher Zeit, weil wir die Entwicklung von KiTas systematisiert und prozesseffizient optimiert haben.“
Was kann AUDERE-Equity, was Kommunen nicht können?
„Zur industrialisierten und standardisierten Modulbauweise hat AUDERE EQUITY ein Partnernetzwerk mit spezialisierten Generalübernehmern und Bauunternehmen aufgebaut, sodass die Realisierung neuer Projekte sofort erfolgen kann.“
Natürlich: AUDERE Equity braucht nicht erst lange ausschreiben. Man hat ein „Netzwerk“ ausführender Firmen. Kommunalverbände könnten jedoch durchaus auch Netzwerke für standardisierte Modulbauweise bilden – insbesondere kommunale Gesellschaften wie die GBG. In der Wohnungswirtschaft ist dies schon lange ein Thema, allerdings ohne erkennbare Erfolge.
Kitas als Handelsware und Spekulationsobjekt
AUDERE Equity machte im Juni in der Fachpresse von sich reden:
„Warburg-HIH bestückt Kita-Fonds mit vier Projekten von Audere
Der neue Kita-Investor Audere Equity hat seine vier ersten Projektentwicklungen an Warburg-HIH Invest veräußert. Die vier Einrichtungen mit 23 Gruppen befinden sich in Bremen-Hemelingen und Bremen-Huchting sowie Duisburg und Moers. Warburg-HIH bringt sie in seinen auf Kitas spezialisierten offenen Spezialfonds “Zukunft Invest” ein, der 100 Mio. Euro Zielvolumen aufweist und bislang elf Kitas erworben hat. Die Bremer Immobilen sind zweigeschossige Neubauten mit 1.330 m² Gesamtmietfläche. In Duisburg und Moers handelt es sich um kernsanierte Bestandsobjekte. Als Betreiber stehen die Unternehmen Step Kids Education (Bremen, Moers) [gGmbH, Beherrschungsvertrag mit AcadeMedia; Verf.] und Zaubersterne (Duisburg) [gGmbH] fest.“ (Quelle: https://www.thomas-daily.de/td-morning-news/1428614-warburg-hih-bestueckt-kita-fonds-mit-vier-projekten-von-audere/ 21. Juni 2021)
Das Handelsblatt kommentiert am 28.8.2021: „Weil die ESG-Kriterien [Kriterien aus den Bereich Umwelt (Environmental), Soziales (Social) und verantwortungsvolle Unternehmensführung (Governance); Anm.d. Verf.] an Bedeutung gewinnen und Kindertagesstätten (Kitas) als krisensicheres Investment gelten, rücken diese Immobilien vor allem bei institutionellen Investoren verstärkt in den Fokus.“
Eine Kita in der Hand eines Investment-Fonds? Wer soll den Gewinn zahlen? Die Antwort ist einfach: Zunächst der Betreiber des „Investments“.
Zum Projektentwickler der passende Betreiber – z.B. AcadeMedia. Teuer für die Eltern
Dieser schwedische Bildungskonzern bewirbt sich bei Investoren mit folgender Beschreibung:
„Sie sind Projektentwickler, Investor, Bauträger oder Vermieter? Sie haben bei Ihren Planungen Räume für ein Betreuungsangebot für Kinder vorgesehen? Dann sind wir der richtige Partner für Sie! (…)
An dieser Stelle ist Expertise bei der Planung und dem Bau von Kindertagesstätten gefragt, die AcadeMedia Deutschland zu Ihrem idealen Kooperationspartner machen. Mit uns haben Sie den optimalen Partner gefunden, wenn Sie eine Kita eröffnen möchten. Egal, ob Sie ein altes Gebäude gefunden haben, das mit etwas Sanierung und neuer Einrichtung umfunktioniert werden soll oder ob Sie sich für einen kompletten Neubau entscheiden.
Wir garantieren eine wirtschaftlich optimierte Arbeitsweise und verfügen über umfassendes Know-how hinsichtlich Projektmanagement, öffentlicher Zuschüsse, Identifikation, Beurteilung und Gestaltung von Räumlichkeiten und Außengelände, Einholung von Genehmigungen, Planung und Realisierung von Um- und Ausbauten, pädagogischer Konzepte und Management von Kindertagesstätten.“
Man bietet sich also als Planer und Betreiber an. Als Mieter muss AcadeMedia eine für den Investor profitable Miete bezahlen. Man gibt sie natürlich an die Nutzer:innen der Kita weiter. An den Kita-Elternbeiträgen kann man das Ergebnis ablesen: Bei der schon in Mannheim auf Benjamin-Franklin-Village arbeitenden AcadeMedia-Kita der Marke Espira (Investor: Evo-Haus) beträgt der Monatsbeitrag in der Krippe (ganztags) 451 EUR, in städtischen Einrichtungen 364 EUR. Im Kindergarten ganztags bei Espira 299 EUR, bei der Stadt 230 EUR (Angaben lt. Vorlage 513/2021). In katholischen Kindergärten kostet die Ganztagsversorgung seit 2018 ebenfalls 230 EUR. Für den Standort St. Nikolaus unter neuer Führung stehen die Beiträge noch nicht fest. Dafür müsste ja auch erst die Höhe der Miete bei AUDERE Equity bekannt sein. Beide Firmen geben an, dass die Mietverhältnisse langfristig, meist für 20 – 30 Jahre, mit Indexierung abgeschlossen werden, d.h. mit eingeplanten Steigerungsraten.
Die Kitas der acadeMedia-Marke Espira sind also für die Eltern ca. 770 EUR pro Jahr teurer als kirchliche oder städtische Einrichtungen. In einem Wohngebiet wie dem Herzogenried, das sich auch laut dem neuesten Sozialatlas 2021 als Sozialraumtyp 5 („soziostrukturell auffällig“) mit 62% „Migrationshintergrund“ und 18% Mindestsicherungsquote auszeichnet, nicht gerade passend.
(Ausdrücklich sei hier angemerkt, dass diese Feststellung unabhängig von der bestimmt nicht schlechten Qualität des Angebots getroffen wird. Diese kann hier in keiner Weise beurteilt werden. Allerdings muss auch hier wieder die Frage gestellt werden: Was können die, was städtische oder auch kirchliche Kitas nicht können? Die städtischen Kitas verfolgen ein ausgefeiltes frühkindliches Bildungsangebot mit vielen zusätzlichen Leistungen, wenn Defizite z.B in der kognitiven oder Sprachentwicklung auszugleichen sind. Die Marke Espira bietet offenbar durchgängig Zweisprachigkeit an.)
Wenn auf dem Standort St. Nikolaus also ein profitorientierter Immobilienentwickler Fuß fasst, sind damit finanzielle Risiken verbunden. Die durch Bankeinlagen nicht mehr erzielbaren Gewinne werden sich die Finanzinvestoren am Ende bei den Eltern holen. Gibt es Alternativen?
Erbbaurecht – die Stadt hätte oder hat einen Fuß in der Tür
Die Kath. Kirche kann ihr Erbbaurecht an dem Grundstück Am Steingarten 16 nicht einfach „privat an privat“ verkaufen. Sie muss die Erbbaurechtsgeberin, in diesem Fall also die Stadt Mannheim, um Erlaubnis bitten. Diese kann den Verkauf nicht grundsätzlich und grundlos verwehren.
Aber es kann trotzdem besondere Gründe für ein Veto geben, wenn beispielsweise die Bonität des:der Kaufinteressent:in nicht gegeben ist, wovon hier jedoch nicht auszugehen ist. Auch ein mglw. vertraglich vereinbartes Vorkaufsrecht für die Stadt wäre hier interessant.
Eine Kommune hätte mglw. auch dann ein Vetorecht, wenn sie durch Satzung z.B. im Sinne sozialgerechter Bodennutzung Vorgaben machen könnte. Und genau das wäre im Fall St. Nikolaus von größtem Vorteil. Optimal wäre es, wenn beispielsweise die GBG das Erbbaurecht kaufen würde. Die GBG hat schon mehrere Kitas gebaut. Kitas sind ein Teil der Daseinsvorsorge und sollten deshalb der Gemeinwohlorientierung zugeordnet sein.
Soziale Bodennutzung – nicht mehr nur ein Thema im Wohnungsbau!
Die Vergabe von Grundstücken für Einrichtungen des Gemeinwohls sollten mindestens den gleichen Kriterien unterworfen sein, wie sie im 12-Punkte-Programm für preisgünstiges Wohnen und in den Durchführungsbestimmungen des Mannheimer Bodenfonds festgelegt sind. Angebotsreihenfolge: Zuerst an die GBG, dann andere gemeinwohlorientierte Bauträger, dann unter sozialen Auflagen Privatinvestoren und erst zuletzt, wenn sich sonst niemand findet, Profitorientierte „normale“ Privatinvestoren.
Die FDP im Gemeinderat platzierte mit sicherem Instinkt einen Antrag in die Diskussion um das Kita-Ausbauprogramm Neckarstadt-Ost: „GBG soll Wohnraum schaffen, nicht KiTa-Gebäude betreiben“. In der Begründung schreibt sie:
„Wir lehnen die Vorfestlegung, dass weitere KiTas über die GBG finanziert werden , ab. Die Mannheimer GBG hat die primäre Aufgabe, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Der Bau und die Verwaltung von KiTa-Gebäuden ist ein wesentlicher Bestandteil der Daseinsfürsorge, eine Kernaufgabe der Kommune. Daher sollte die Stadt Mannheim Bau und Betrieb von KiTas im Kernhaushalt finanzieren und nicht über Tochtergesellschaften. Die Verlagerung von originär städtischen Aufgaben in die städtischen Tochtergesellschaften ist nicht nur aufgrund der mangelnden demokratischen Kontrolle falsch, sondern führt auch zu mangelnder Transparenz im Haushaltsplan und zu dauerhaften Belastungen des Ergebnishaushalts. Dies schränkt zukünftige Spielräume im Finanzhaushalt über Jahrzehnte hinweg ein.“
Hier ist sie wieder, die FDP-Voodoo- Finanzpolitik: Einerseits der stete Ruf nach kommunalen Steuersenkungen (Gewerbe-, Grundsteuer), andererseits soll die Kommune alle Zukunftsinvestitionen aus den laufenden Haushalten ohne Darlehen finanzieren und dabei noch die Schulden senken. Ja – das wäre natürlich wunderbar und transparent, aber dann müssten auch die Mittel für die Vielfalt solcher Investitionen bei der Kommune liegen. Das hat die neoliberale Verschlankung der öffentlichen Hände erfolgreich verhindert. Hinter diesem Voodoo steckt die Idee: Wenn es die Kommune nicht kann, dann müssen die AUDERE Equities ran. Freie Bahn den Finanzinvestoren! Gegen deren Subvention mit öffentlichen Geldern hat die FDP nichts einzuwenden. Diesmal noch zog die FDP am Ende ihren Antrag zurück.
Die Förderrichtlinien für Kitas müssen überarbeitet werden – Modalitäten der Subsidiarität
Damit sind wir bei der vorerst letzten grundsätzlichen Frage, die die Transaktion der Kita St. Nikolaus auf einen Finanzinvestor aufwirft. Es sind die Investitionskostenzuschüsse für praktisch jeden Investor und jede Institution, die eine Kita errichten möchte. Im Beschluss V287/2017 heißt es:
„1. Die Errichtung zusätzlicher Krippen- und Kindergartengruppen freier Träger wird mit einer
pauschalen investiven Förderung der Stadt in Höhe von 300.000 € bzw. 350.000 € je Gruppe
unterstützt. Die gleichen Förderbeträge gelten auch für Ersatzneubauten.2. Sanierungsmaßnahmen der freien Träger (zu denen auch Interimslösungen gehören können)
werden mit 70% der anerkannten Projektkosten durch die Stadt Mannheim gefördert.
Die Zuwendung ist begrenzt durch die Anerkennung von maximal 720.000 € Projektkosten (KG
300-700) für eine Krippen- und 840.000 € für eine Kindergartengruppe.3. Die vorgenannten Förderungen können auch Investoren gewährt werden, aber nicht
betriebsnahen/betrieblichen Träger.“
Hintergrund ist das Interesse, im Sinne der Subsidiarität einer Vielfalt von Kita-Trägern ein vielfältiges Angebot für die Eltern und Kinder zu ermöglichen – im Rahmen der Richtlinien des Landes über den Betrieb von Kitas. Das führt einerseits in Mannheim zu einer wirklich großen Vielfalt: von vereinsbasierten „Kinderläden“ über private Gründungen einzelner Investoren mit oft speziellen und sehr hochpreisigen Angeboten, über die Religionsgemeinschaften, Wohlfahrtsverbände, Betriebskindergärten bis hin zu den Einrichtungen der Stadt Mannheim.
Im Sinne der Gleichberechtigung und der teilweisen Weitergabe ersparter Investitionskosten der Kommune macht diese Regelung grundsätzlich Sinn. Die Ziffer 3 der o.g. Förderrichtlinie der Stadt Mannheim ist jedoch absolut schräg. Sie ist nicht konsequent und sie ist blind für der Erfordernis des Gemeinwohls. Inkonsequent, wenn auch durchaus richtig, ist die Herausnahme betrieblicher Kitas. Diese kann man gut und gerne als betriebliche Sozialleistungen der Unternehmen betrachten, die keiner Förderung bedürfen. Allerdings umgehen manche Unternehmen, die überhaupt ein solches Angebot für ihre Beschäftigten einrichten wollen, die Nicht-Förderung durch Gründung von Eltern-Vereinen, die dann Errichter und Träger der Kita werden (z.B. die Krippe „Die kleinen Stromer e.V.“, eine offene Betriebs-Kita der MVV Energie AG mit finanzieller Unterstützung durch das Unternehmen; Monatsbeitrag mit 245 EUR deutlich günstiger als eine städtische Krippe). Aber mit welcher Berechtigung werden „Investoren“ ohne jede weitere Bedingung in die Förderung aufgenommen?
Durchaus problematisch sind im Zusammenhang öffentlicher Förderung die sog. Elite-Kitas, z.B. ActiveKid GmbH / e.V. der Unternehmerfamilie Greinert. Diese Bewegungs-Kita ist in einem opulenten Gebäude mit viel Freifläche untergebracht. Monatsbeiträge ohne Hygieneartikel und Verpflegung in der Ganztagsversorgung: 700 EUR für Krippe und 550 EUR für Kindergarten. Die maximale Betreuungsdauer beträgt 11 Stunden. Zweifellos kein Angebot für Jederman. Dennoch wurde die Kita als Beitrag zur Erfüllung in den Bedarfsplan aufgenommen. Betriebs-Kitas aber nicht? Immerhin war die Familie Greinert so „nobel“, auf investive Förderung zu verzichten, als es heftige Diskussionen um diese Einrichtung gab. Sie folgte damit dem Grundsatz: Reiche können selbst für sich sorgen. Noch elitärer und teurer ist die dreisprachige Kita auf Turley der Metropolitain International School: Krippe 1.100 EUR, Kindergarten 900 EUR. Zweifellos gibt es den Bedarf internationaler Fachkräfte in Mannheim und Umgebung für ihren Nachwuchs eine mehrsprachige Kita zur Verfügung zu haben. Aber auch hier gilt: Wohlhabende können sich selbe helfen.
Andererseits ist nicht jeder Privatinvestor gleichzusetzen mit „elitär“ und „hochpreisig“. Auf Turley gibt es einen ganz anderen Typus privater Kita-Investition, die von der Unternehmerfamilie Wipfler gebaut wird: Die Kita wird nach Fertigstellung schlicht der Stadt zu einem „ortsüblichen“ Mietpreis überlassen. Diese Bedingung baut die Stadt auch in Überlassungsverträge der mit der GBG ein – da also, wo die Investoren sowieso nicht auf Maximalrendite abheben. Gegenüber AUDERE Equity wird dies schwerlich nachhaltig gelingen, z.B. auch im Falle der so beliebten Anteils-Verkäufe (share-deals) z.B. an Investmentfonds.
NRW scheint hier weiter zu sein. Gebührenfreiheit wird für die Profitwirtschaft zum Problem
In NRW scheinen Kommunen gegenüber profitwirtschaftlich agierenden Investment- und Bildungs-Unternehmen forscher aufzutreten. Dies kann man dem Geschäftsbericht von acadeMedia entnehmen:
In seinem Geschäftsbericht 2019/20 rechnet das Unternehmen mit einer Umsatzsteigerung von 15.000 je eröffnetem zusätzlichen Kitaplatz. Dann befasst sich das Unternehmen mit der Riskoanalyse bezogen auf dieses Ziel:
„Politische Risiken
Darüber hinaus bestehen regional abhängig politische Risiken. Auf Grund der hohen Abhängigkeit von öffentlichen Förderungen, können bereits geringe Änderungen in der Förderpolitik bei den freien Trägern erhebliche Auswirkungen haben. Besonders hervorzuheben ist hierbei der Trend vieler Bundesländer, die Elternbeiträge zu reduzieren oder ganz abzuschaffen wie zum Beispiel mit dem neuen KiTa-Gesetz in NRW „KiBiz“, welches zusätzliche Elternbeiträge ab dem 1.8.2020 stark einschränkt. Das Risiko besteht insbesondere bei den höherpreisigen Einrichtungen der Gruppe, die bei einer Gebührenfreiheit in der Regel keine oder nur eine teilweise Kompensation erhalten. Die Eintrittswahrscheinlichkeit wird als möglich eingeschätzt und der daraus resultierende Schaden als moderat, da eine Strategie der Umwandlung von privaten und damit höherpreisigen Einrichtungen auf städtisch geförderte Modelle vorliegt.“
Die Frage stellt sich auch in Mannheim bei St. Nikolaus: Wie kann die Niedrigpreisigkeit des Angebots durch eine bessere und zielführende Definition städtischer Förderung abgesichert werden?
Thomas Trüper (Altstadtrat DIE LINKE / LI.PAR.Tie.)