Bundesverwaltungsgericht beschneidet kommunales Vorkaufsrecht – Urteil eine „Katastrophe“ (auch für Mannheim)
Schon wieder hat ein Bundesgericht eine politische Richtungsentscheidung getroffen, die die Schaffung und den Schutz bezahlbarer Wohnungen und Mieten einschränkt. Dass dieses Urteil auch für Mannheim negative Auswirkungen haben wird, ist im unteren Teil ausgeführt.
Erst Bundesverfassungsgericht….
Im April 2021 kassierte das Bundesverfassungsgericht den höchst wirksamen Berliner Mietendeckel. Es erklärte den Mietendeckel für verfassungswidrig, da dies keine Ländersache sei, sondern in die Bundeskompetenz falle. Leider haben die Parteien der Ampelkoalition der künftigen Bundesregierung es bisher abgelehnt, die richtige Konsequenz daraus zu ziehen, nämlich den Mietendeckel durch ein Bundesgesetz bundesweit einzuführen. Anscheinend will keiner dieser Parteien dem Rot-Grün-Roten Senat in Berlin und seiner sozialen Wohnungspolitik beistehen.
… dann Bundesverwaltungsgericht
Nun hat wieder ein Bundesgericht mit einer unrühmlichen und mieterfeindlichen Rechtsprechung auf sich aufmerksam gemacht. Und wieder geht es gegen die Wohnungspolitik des Berliner Senats. Das kommunale Vorkaufsrecht in einem Wohngebiet mit Milieuschutzsatzung in Berlin wurde vom Bundesverwaltungsgericht mit dem Urteil vom 9.11.2021 gekippt. Die Kommune, dürfe das Vorkaufsrecht nicht nutzen, um zu erwartende Mietpreissteigerungen zu verhindern. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die Kommunen keinen Gebrauch von ihrem Vorkaufsrecht machen können, sofern ein Grundstück entsprechend den „Zielen oder Zwecken der städtebaulichen Maßnahmen bebaut ist und genutzt wird“ und die betroffenen Immobilien nicht in einem desolaten Zustand sind. Auch entsprechende Abwendungsvereinbarungen, um den Vermieter auf soziale u oder bauliche Ziele zu verpflichten, seien rechtswidrig.
Stephan Reiß-Schmidt von der Münchner Initiative für ein soziales Bodenrecht nennt die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts eine „Katastrophe“. Seiner Meinung nach wäre es gut, wenn aus möglichst vielen betroffenen Städten parteiübergreifende Initiativen in Richtung Bundestag gerichtet und die örtlichen MdBs für die Dringlichkeit sensibilisiert werden. Immerhin gehe es um die Interessen von rund 11 Mio. Bürger*innen in den Städten mit sozialen Erhaltungssatzungen: Berlin, Hamburg, München, Stuttgart, Köln, Frankfurt a.M., Leipzig, Münster, Freiburg, Karlsruhe – und noch mehr in weiteren Städten, die die Einführung sozialer Erhaltungssatzungen zum Schutz von Mieter*innen in bezahlbaren Bestandswohnungen erwägen – so wie Mannheim.
Und siehe da, im Gegensatz zur negativen Entscheidung zum Berliner Mietendeckel entwickelt sich nun eine breite Gegenwehr über Berlin hinaus. Von der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts sind diesmal nämlich nicht nur Berlin sondern viele andere Kommunen, die Milieuschutzsatzungen anwenden, direkt betroffen.
DMB: „Deutschlandweites Problem“
Protest vom Deutschen Mieterbund, DGB und ….
Das Vorkaufsrecht der Kommune ist in Paragraf 24 Abs. 1 Nr. 4 des Baugesetzbuches geregelt, gesetzliche Ausschlussgründe sind ebenfalls in diesem Bundesgesetz geregelt. „Wieder einmal wird deutlich, wie wichtig wasserdichte Gesetze auf Bundesebene sind. So ehrenhaft die Bemühungen einiger Bundesländer auch sind, nimmersatten Immobilienspekulanten entschieden entgegenzutreten – es hilft alles nichts, wenn das einschlägige Bundesgesetz dies nicht hergibt“, kommentiert der Präsident des Deutschen Mieterbundes Lukas Siebenkotten die Entscheidung. Er sieht das Problem nicht auf Berlin beschränkt, sondern es betreffe ganz Deutschland.
Die Aussage von Siebenkotten ist insbesondere auf den § 26 Nr. 4 des Baugesetzbuches gemünzt. Demnach ist das Vorkaufsrecht ausgeschlossen, „solange das Grundstück entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans oder den Zielen und Zwecken der städtebaulichen Maßnahme bebaut ist und genutzt wird und eine auf ihm errichtete bauliche Anlage keine Missstände oder Mängel aufweist“. Das bedeutet, so lange die Immobilie nicht abrissreif ist und Mieter in den Wohnungen wohnen, hat die Gemeinde keine Handhabe, um den Kauf durch einen Investor abzuwenden (Demo Vorwärts-Kommunal 10.11.2021).
Siebenkotten und der Deutsche Mieterbund fordern schon länger eine entsprechende Überarbeitung des Baugesetzbuches. Ähnliche Proteste gibt es mittlerweile eine ganze Menge wie z.B. vom Deutschen Gewerkschaftsbund (siehe unten).
… von der Bauministerkonferenz
„Vorkaufsrechte rechtssicher machen“
Einen sehr wichtigen Beschluss hat die 138. Bauministerkonferenz aller Bundesländer gefasst, in dem sie sich für eine schnelle BauGB-Novelle einsetzt.
Auf Initiative Hamburgs hat die Bauministerkonferenz (BMK) am 19. November in Erfurt einen entsprechenden Antrag beschlossen. Mit breiter Unterstützung aller Bundesländer mit Ausnahme von Bayern fordert die BMK, zügig eine Gesetzesänderung des § 26 Nr. 4 des Baugesetzbuchs auf den Weg zu bringen. Ziel sei es, das wichtige Instrument zum Schutz von Mieterinnen und Mietern vor Verdrängung, das durch ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. November in Frage gestellt sei, „schnellstmöglich nachhaltig zu sichern und rechtssicher zu machen“.
Die Ausübung des Vorkaufsrechts müsse rechtssicher auf das Ziel gerichtet sein, die Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung müsse auch für die Zukunft nachhaltig gesichert sein, so der Beschluss der BMK.
Dr. Dorothee Stapelfeldt, Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen: „Kommunale Vorkaufsrechte in Gebieten mit Sozialer Erhaltungsverordnung sind in Hamburg und anderen Städten mit angespannten Wohnungsmärkten unverzichtbar, um Mieterinnen und Mieter vor Verdrängung aus ihren angestammten Quartieren zu schützen. Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts steht dieses elementare Instrument in Frage. Deshalb muss nun schnellstmöglich eine Klarstellung im Baugesetzbuch vorgenommen werden. Diese klare Haltung Hamburgs hat breite Zustimmung auch unter den Bauministerinnen und Bauministern der anderen Länder erzielt. Auf dieser Basis setzen wir uns nun gemeinsam auf Bundesebene dafür ein, dass Gemeinden ihre Vorkaufsrechte rechtssicher ausüben und so die Maßgaben der Sozialen Erhaltungsverordnungen durchsetzen können.“ (Pressestelle des Hamburger Senats vom 19.11.2021: Vorkaufsrechte rechtssicher machen)
DGB: Kommunales Vorkaufsrecht. Handlungsspielraum erhalten, Verdrängung verhindern!
Das Vorkaufsrecht der Kommunen ist laut DGB ein wichtiges Instrument, um der Spekulation am Wohnungsmarkt und explodierenden Mieten entgegenzuwirken. Damit kann eine Kommune beim Verkauf eines Grundstücks bzw. Hauses in den Kaufvertrag eintreten und das Grundstück z. B. für ein öffentliches Wohnungsunternehmen oder eine Genossenschaft „vorkaufen“. In der Vergangenheit konnte damit immer wieder Wohnraum in von Mietpreissteigerungen und Verdrängung betroffenen Gebieten in öffentliches bzw. Gemein-Eigentum überführt werden. 1.857 Wohnungen hat das Land Berlin allein zwischen 2016 und 2020 vorgekauft, indem es 80 Mal das kommunale Vorkaufsrecht für bebaute Grundstücke wahrnahm. In München wurde seit 2018 in 42 Fällen von dem Vorkaufsrecht Gebrauch gemacht. Laut DGB erschwert das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts diese Praxis erheblich. Der DGB fordert daher, neben einer Investitionsoffensive in den öffentlichen und sozialen Wohnungsbau, die Einführung eines zeitlich befristeten Mietenstopps sowie eine Änderung des Paragraphen 26 BauGB. Eine solche Änderung müsse Bezirke und Kommunen wieder in die Lage versetzen, das kommunale Vorkaufsrecht in sozialen Erhaltungsgebieten anzuwenden und den Schutz der Mieter*innen in den Vordergrund zu stellen. Das sei die Lehre aus dem Bundesverwaltungsgerichts-Urteil. (klartext Nr. 37/2021 – Kommunales Vorkaufsrecht: Handlungsspielraum erhalten, Verdrängung verhindern!)
Résumé: Die Bundesregierung muss das Baugesetzbuch so schnell wie möglich ändern!
Mannheim: Initiativen für Milieuschutzsatzungen für Jungbusch und Neckarstadt-West sind begrüßenswert – die rechtliche und politische Gemengelage muss jedoch berücksichtigt werden
Die Mannheimer Stadtverwaltung hatte vor nicht langer Zeit erstmals angekündigt, dass sie die Anwendung einer Milieuschutzsatzung für den Jungbusch und die Neckarstadt-West prüfe. Nun hat die Mannheimer SPD im Mannheimer Morgen einen Vorstoß für eine Milieuschutzsatzung im Jungbusch angekündigt. Mit diesem Steuerungsinstrument sollen Mitpreise begrenzt werden (MM 19.11.2021).
Man sollte diese Ankündigung begrüßen nach dem Motto: „Besser jetzt als gar nicht“. Immerhin wurden entsprechende Bemühungen von Mieterinitiativen oder Parteien schon länger gefordert, vom Gemeinderat bisher aber mehrheitlich abgelehnt, zuletzt 2018 ein Antrag der GRÜNEN für eine Milieuschutzsatzung für den Jungbusch. Man sollte in dieser Frage jetzt jedoch kooperieren, denn die Widerstände im bürgerlichen Lager und seitens der Lobbyisten wie Haus-, Grund- und Wohnungseigentümerverein werden erheblich sein.
Im Blickpunkt:
Kommunales Vorkaufsrecht, Milieuschutz, Sanierungssatzung, Abwendungsvereinbarung
Der Artikel im Mannheimer Morgen zur Initiative der SPD ist allerdings wohl in Unkenntnis des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts zum kommunalen Vorkaufsrecht in Milieuschutzgebieten geschrieben worden. Hiermit lassen sich nämlich die schönen Vorstellungen zur Mietpreisbegrenzung nicht in Einklang bringen. Deshalb muss vor dem Erlass einer Milieuschutzsatzung darauf gedrängt werden, dass das Baugesetzbuch entsprechend novelliert wird (siehe oben).
Eine Milieuschutzsatzung sollte dann aber nicht nur für den Jungbusch sondern auch für die Neckarstadt-West beschlossen werden. Allerdings sollte man aus vergangenen Fehlern lernen. Mit dem Beschluss des Gemeinderats für eine Sanierungssatzung für die Neckarstadt-West im Juli 2018 wurden nämlich keine Ziele definiert, die eine Verdrängung durch Mietensteigerungen verhindern. Entsprechend lax ist auch die Muster-Abwendungsvereinbarung (zur Abwendung des städtischen Vorkaufsrechts) ausgefallen. Das ist insofern kein Wunder, da die Stadt auch noch im LOS-Bericht 2019/2020 davon ausgeht, dass man von Gentrifizierung „kaum reden“ könne. In einer Milieuschutzsatzung für den Jungbusch und die Neckarstadt-West müssen deshalb die Ziele so gefasst sein, dass sie ein wirksames Mittel für den Erhalt bezahlbaren Wohnraums sind. Abwendungsvereinbarungen dürfen kein stumpfes Schwert gegen Investoren sein, sondern sie müssen ein scharfes Schwert sein, womit die Stadt ihr Vorkaufsrecht wenn notwendig wirksam zur Geltung bringen kann.
Roland Schuster