Querdenken-Proteste aus antifaschistischer Perspektive
Kommentar der Antifaschistischen Aktion Aufbau Mannheim.
Neben zahlreichen anderen Städten in Deutschland war auch Mannheim die letzten zwei Wochen in den Schlagzeilen aufgrund von Protesten der Querdenken-Bewegung. Eine Demo am Montag den 13.12. wurde nach Medienangaben von bis zu 2000 Menschen besucht. Diesen Montag am 20.12. kam es wieder zu Demonstrationsaufrufen der Querdenken-Szene für die Mannheimer Innenstadt.
Sämtliche Versammlungen wurden im Vorfeld verboten, dennoch versammelten sich 600-700 Demonstrant:innen und zogen durch die Innenstadt. Nach beiden Demos berichteten Polizei und Presse von Handgreiflichkeiten und verletzten Polizeikräften und malten in der Öffentlichkeit ein dramatisches Bild. Wir haben uns beide Male bewusst dagegen entschieden, öffentlich zu antifaschistischem Protest aufzurufen und wollen hier kurz unsere Einschätzung dazu teilen. Wir wollen damit auf keinen Fall die Gefahr, die generell von der Querdenken-Bewegung ausgeht verharmlosen, sondern beziehen uns explizit auf unsere Beobachtungen zu den Demos in Mannheim.
Beobachtung der Mannheimer „Spaziergänge“
Beide Male waren wir Ort und haben die Proteste verfolgt und beobachtet. Zugegebenermaßen waren wir am ersten Montag selbst überrascht von der Menge an Menschen, die dort auf der Straße waren. Die Querdenker-Bewegung in Mannheim hatte zu Beginn der Pandemie ein paar zahlenmäßige Erfolge darunter eine große Veranstaltung mit über Tausend Menschen am Mannheimer Schloss. Danach sank die Zahl der Teilnehmenden kontinuierlich auf meistens unter hundert Menschen, stark geprägt von verrückten Schwurbler:innen, die untereinander zerstritten waren und unter denen die lokalen rechten Kräfte nie richtig Fuß fassen konnten oder wollten.
Daher haben wir uns nach dem überraschenden Erfolg am 13.12. den darauffolgenden Montag noch stärker darauf konzentriert, die Proteste zu beobachten, nach Rechten Ausschau zu halten und eine fundierte Einschätzung zu der Lage abgeben können.
Wir konnten beobachten, dass die zweite Veranstaltung zahlenmäßig deutlich geringer besucht war als die Erste, dafür aber umso stärker „aktionsorientiertes Publikum“ angezogen hat. Am 20.12. waren neben den üblichen bürgerlich geprägten Demonstrant:innen (vorwiegend mittleren Alters) auch Menschengruppen unterwegs, die einer Konfrontation mit der Polizei nicht abgeneigt waren und diese stellenweise auch gefunden haben. Es kam zu mehreren Versuchen, Polizeiketten zu durchbrechen und zu einigen Böllerwürfen.
Die Menschen, die körperliche Auseinandersetzungen mit der Polizei geführt haben waren kein unwesentlicher Teil, aber bei Weitem auch nicht der Großteil der Demonstrant:innen. Es ist aber nicht abzusprechen, dass es ein ernstzunehmendes Gewaltpotenzial -gerade am 20.12.- auf der Straße in der Mannheimer Innenstadt gab.
Was wir allerdings nicht beobachten konnten, war ein organisiertes Auftreten von rechten Akteuren oder gar eine erfolgreiche Einflussnahmen auf die Proteste. Es sind vereinzelt IB-Sticker aus dem Umfeld der Versammlung aufgetaucht und wir haben auch Rechte Personen – sowohl von der AfD als auch von der NPD – identifizieren können. Es waren definitiv extrem Rechte unter den Protestierenden, jedoch weder erkennbar in großer Anzahl, noch wahrnehmbar durch Parolen, Banner, Plakate oder sonstige Meinungsäußerungen. In beiden Fällen wäre es eine Fehleinschätzung von den Versammlungen in Mannheim von rechten Massenprotesten zu sprechen.
Keine „rechten Massenproteste“
Unsere Einschätzung ist, dass die Berichterstattung nach dem Montag am 13.12. gezielt aktionsorientiertes Publikum aus der Umgebung angesprochen und mobilisiert hat. Die rechte Bewegung hat hier nach unseren jetzigen Erkenntnissen in Mannheim keine maßgebliche Rolle auf diesen Protesten gespielt.
Genau das sollte aber die Voraussetzung sein, um als Antifaschist:innen gegen Querdenken-Proteste zu mobilisieren. Dass diese Bewegung so heterogen und so schwer einzuschätzen ist, macht es aber umso wichtiger genau hinzuschauen und je nach Ausgangslage zu differenzieren.
Selbstverständlich geht von der Querdenken-Bewegung eine Gefahr aus, da sie gute Anknüpfungspunkte für eine rechte Einflussnahme bieten und in großen Teilen dort rechte Inhalte verbreitet sind. Die Bewegung radikalisiert sich und wird gewalttätiger und immer mehr Rechte versuchen vielerorts die Proteste für sich zu nutzen und mit Ihren Inhalten zu prägen und das mit wachsendem Erfolg. In diesem Fall ist es natürlich absolut richtig und wichtig mit offensivem Protest zu reagieren und dem Rechten Treiben einen Riegel vorzuschieben! Sobald wir erkennen, dass sich rechte Kräfte im Umfeld der Querdenken-Proteste formieren oder sich herausbilden, ist es die Aufgabe der antifaschistischen Bewegung zu intervenieren und zu versuchen genau das zu verhindern.
Solange das nicht der Fall ist, halten wir es nicht für notwendig oder zielführend – aus Reflex und blindem Aktionismus auf jede Querdenken-Veranstaltung nach Schema F zu reagieren und zu Blockaden aufzurufen.
Keine Frage: Die Querdenken-Bewegung ist rückschrittlich, reaktionär und unwissenschaftlich. Ihre Kritik ist inhaltsleer und ihre Inhalte und ihr egoistisches Verhalten behindert eine effektive Pandemiebekämpfung und stellt eine große Belastung für unser Gesundheitssystem und unsere Gesellschaft dar. Das ist alles absolut abzulehnen und zu verurteilen. Dadurch ist es aber noch nicht automatisch Aufgabe der antifaschistischen Bewegung, dagegen anzukämpfen.
Zum Kern des Problems
Schuld an unserer Misere in der Pandemie ist noch immer vor allem das kapitalistische Krisenmanagement, das wirtschaftliche Profite konsequent über unsere Gesundheit stellt und die Pandemie auf dem Rücken der Arbeiter:innenklasse austrägt. Der Kapitalismus als Wirtschaftssystem und die deutsche Regierung sind Schuld an dem katastrophalen Zustand unseres Gesundheitssystems und der erfolglosen Pandemiebekämpfung, die mit vielen persönlichen Einschränkungen daherkommt, ohne uns effektiv vor dem Virus zu schützen.
Und dieses gescheiterte Krisenmanagement der kapitalistischen Regierung ist letzten Endes auch Schuld daran, dass solche Massenproteste durch die Querdenken-Bewegung überhaupt möglich sind.
Unsere Aufgabe als Linke sollte vorwiegend sein, die Ursache für die Problematik zu kritisieren – unsere Aufgabe als Antifaschist:innen ist die rechte Bewegung zu bekämpfen. Wir haben als linke Bewegung in der Pandemie viele Fehler gemacht – wir haben zu spät und zu wenig linke Kritik am kapitalistischen Krisenmanagement geäußert und wir haben zu oft ohne fundierte Analyse und ohne richtigen Plan agiert.
Wir wünschen uns mehr Sachlichkeit und fundierte Erkenntnisse als Grundlage für antifaschistisches Handeln. Wenn wir als linke Bewegung eine handvoll verletzte Polizist:innen (nach Polizeiangaben) in unseren eigenen Berichten zu rechten Ausschreitungen hochstilisieren, bekommen wir vielleicht mediale Aufmerksamkeit dafür. Wir werden aber den Ansprüchen an eine seriöse Antifaschistische Praxis und Aufklärungsarbeit damit nicht gerecht.
Das Letzte was wir wollen, ist die Querdenken-Bewegung zu relativieren oder zu verharmlosen. Wir wollen vielmehr den Kampf gegen rechte Kräfte in Querdenken präziser und effizienter führen, auch um dann die Kraft und die Kapazitäten zu haben, zielgerichtet zu intervenieren, wo es wirklich notwendig ist. Dafür werden wir auch weiterhin die Mannheimer Querdenken Bewegung genauestens im Auge behalten.
Wir senden viel Kraft und Solidarität an alle Antifas, die mit rechts geprägten Corona-Protesten in Ihrer Umgebung konfrontiert sind!
(Antifaschistische Aktion Aufbau Mannheim)