Der Kommunalhaushalt 2023: In der Krise die Zukunft nicht vergessen!
TOP 4 der Tagesordnung der Gemeinderatssitzung vom 11.10.22: Einbringung des Haushalts der Stadt Mannheim für 2023. „Ich möchte dazu nur ein paar Anmerkungen machen“, kündigt OB Peter Kurz das an, was früher die fast schon feierliche Haushaltsrede war. „Wir werden uns seitens der Verwaltung auf eine Stunde beschränken.“ Die Rede des OB liegt auch gar nicht erst schriftlich vor; youtube reicht für Neugierige.
Das ist nun schon im zweiten Jahr in Folge so, dass der OB praktisch die Bedeutung der Haushaltsrede herunterspielt. Man kann das auch in gewisser Weise verstehen, aber doch nicht ganz und gar.
Hypothetische Haushaltspolitik
Haushaltspolitik in Zeiten wie dieser ist in zentralen Fragen eher hypothetisch: Mit welchen Einnahmen wird die Stadt rechnen können? Die wirtschaftliche Entwicklung deutet eher auf Talfahrt, die Inflation galoppiert, die Bundes- und Landesunterstützungen zum Ausgleich spezifischer Krisenlasten der Kommunen aus Covid und Krieg sind nicht klar definiert, der Armutsdruck auf finanziell ohnehin schlecht gestellte Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt nimmt rasant zu und erfordert Hilfsmaßnahmen, die vom Bund gerade erst zusammengestückelt werden und von denen auf jeden Fall Vieles an den Kommunen hängen bleiben wird.
Der Haushaltsentwurf 2023 (also erneut kein Doppelhaushalt wie all die Jahre vor 2021) sei im Wesentlichen eine Fortschreibung des gegenwärtigen Haushalts, macht der OB klar. Das heißt, es werden keine Leistungskürzungen geplant und die Investitionspolitik soll im großen Ganzen fortgesetzt werden. Es sei denn, es gibt Entwicklungen, die eine Umschichtung und vielleicht noch Schlimmeres erfordern.
Unaufschiebbare Aufgaben der Kommune sind keine Hypothese
Die Ungewissheit ist die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist eine ganze Reihe von unumstößlichen Gewissheiten über Unaufschiebbares: Klimaanpassung und Klimawende verbunden mit der Verkehrswende; Investitionen in Bildungsgerechtigkeit, die immer wieder hinter der tatsächlichen Entwicklung herhinken; Infrastruktur-Sanierungsmaßnahmen und – das wird von der Verwaltung immer noch nicht im erforderlichen Ausmaß so gesehen – eine wohnungspolitische Wende. All dies zusammen erfordert schon seit Jahren – aber erst recht in der jetzigen Situation – eine Finanzwende in der Kommunalpolitik. Deren Unausweichlichkeit, die von der LINKEN schon seit langem in Mannheim wie von einer Predigerin in der Wüste beschworen wird, scheint inzwischen im Vorhof des Diskutierbaren und -notwendigen angekommen zu sein. Dies jedenfalls kann man den Haushaltsanmerkungen des OB entnehmen. Dass sich der Kämmerer Specht (CDU) ebenfalls dazu bekennt, wäre freilich eine allzu kühne Erwartung. Der OB stellte fest:
„Die Zeiten sind außergewöhnlich und sie erfordern ein Zusammenspiel der verschiedenen politischen Ebenen in einer neuen Art. Ich hoffe, dass an dieser Stelle dann auch Krise eine Chance sein kann. Es geht um drei zentrale Fragen der grundlegenden Haushaltspolitik:
- Kürzung oder Ausweitung der Investitionsprogramme
- Finanzierung durch Schulden
- Finanzierung durch Steuern.“
Also immerhin, man thematisiert die „Schwarze Null“ und das Nettoneuverschuldungsverbot. Muss jetzt diese heilige Kuh vom Sockel, um das ungeheure Maß an für die Zukunft notwendigen Investitionen stemmen zu können?
Na, nur nichts überstürzen. Der OB:
„Wir haben diese drei Fragen für uns im Wesentlichen wie im letzten Jahr erneut verschoben. Das ist haushälterisch noch möglich und es ist in der Sache geboten, weil eine isolierte Politik in Mannheim überhaupt nicht tragfähig ist, sondern es ist die Frage: Wie sieht die gesamtstaatliche Reaktion in diesen drei Dimensionen aus?“
Auch das ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Aber bezüglich der Schwarzen Null hat der Staat schon längst entschieden durch Erfindung von zwei „Sondervermögen“ von insgesamt 300 Mrd. Euro, die über Kredite finanziert werden sollen.
Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben
Diese Überlegungen kommen jetzt, wo die Zinsen an Fahrt aufnehmen. Zehn Jahre hätte die Stadt Mannheim für billigstes Geld mit langen Laufzeiten Kredite aufnehmen können um Zukunftsinvestitionen schneller umsetzen zu können. In seiner Präsentation erklärt Kämmerer Specht, dass es jetzt sehr ungünstig sei, Kredite aufzunehmen. Die Zinsampel stehe auf Rot.
Investitionen werden aus dem laufenden Haushalt gequetscht
Man kann einwenden, dass die Jahre vor der Coronakrise für den städtischen Haushalt sehr ertragreich gewesen sind, dass die Steuereinnahmen stets die Erwartungen übertrafen und von daher gar kein Bedarf an Kreditaufnahme bestand. Tatsächlich hat die Stadt über die letzten zwei Jahrzehnte hinweg – auch in Krisenzusammenhängen wie der internationalen Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 – im Wesentlichen ohne neue Kreditaufnahmen hohe Beträge für Investitionen verausgabt, mit dem Spitzenwert von 254 Mio. Euro (Ansatz 2022). Für die nächsten vier Jahre werden zusammen 625 Mio. Euro an Investitionen geplant. All diese Summen wurden und werden unter dem selbst auferlegten Diktat des Verbots von Nettoneuverschuldung aus dem Überschuss der laufenden Verwaltungstätigkeit finanziert. Um diese Überschüsse zu generieren, wurden diverse Restrukturierungs- und Effektivierungsprogramme gestartet und durchgeführt. Es wurde aber auch stets bei den laufenden Ausgaben geknausert: Beispielhaft sei daran erinnert, dass für Schulsozialarbeit eine Rampe über Schülergenerationen hinweg errichtet wurde, an deren Ende erst eine Vollversorgung erreicht wird. Unter dem Motto: „Man kann nicht immer alles und sofort haben.“ Manchmal wäre aus fachlicher Sicht im Sinne der zukunftsrelevanten Herstellung von Bildungsgerechtigkeit Klotzen das Richtige.
Die fetten Jahre sind (vermutlich) vorbei – die Aufgaben nicht
Hohe Investitionen und gleichzeitiger Schuldenabbau – in Mannheim scheint das ohne Weiteres zu funktionieren. Die Frage ist nur: Reichen die Investitionen für eine rasche (?) Herstellung der Bildungsgerechtigkeit, für die Finanzierung der Klima- und Verkehrswende, um die hochgesteckten Ziele von „Mannheim 2030“ zu erreichen? Und wie sieht es mit dem Investitionsthema „Bodenfonds – sozialgerechte Bodennutzung“ als Voraussetzung für leistbares Wohnen aus? Dieser Bereich ist trotz des Titels Bodenfonds im Haushalt und der mittelfristigen Finanzplanung ein Mauerblümchen und kein Aufbruch in eine für die weitere Stadtentwicklung und die soziale Zusammensetzung der Stadtgesellschaft neue Dimension.
Bodenfonds?
Der Bodenfonds wird als Nullsummenspiel veranschlagt: Jährlich 2 Mio. EUR Ankäufe und 2 Mio. Verkäufe von Grundstücken. Mehrerlöse bei Verkäufen dürfen bei Ankäufen mehr verausgabt werden. Singulär wird für 2024 mit 18,9 Mio. EUR der Verkaufserlös für das Collinicenter (ehemaliges Technisches Rathaus) eingestellt. Jährlich werden jedoch zusätzlich 9,5 Mio. EUR als Verkaufserlöse aus Grundstücksverkäufen angesetzt. Der Ausverkauf städtischer Grundstücke soll also wie in all den Jahren zuvor weitergehen, um den Haushalt mit diesen Beträgen zu stützen. In den Jahren 2023 bis 2026 sind in Summe 64,9 Mio. EUR Einnahmen aus Grundstücksverkäufen und 8 Mio. EUR Ausgaben für Grundstückserwerb veranschlagt. Bodenfonds?
Die Schwarze Null ist eine Form des Selbstbetrugs
Es wäre an der Zeit, bei der Gestaltung des Kommunalhaushalts in Mannheim in einen ehrlichen Diskurs einzusteigen. Der Kern der Unehrlichkeit liegt in der tiefen Überzeugung der rechten Seite des Gemeinderats, dass die Kommune keineswegs die Ansprüche der gesamten Stadtgesellschaft abzudecken habe. Es reicht, den gehobenen Mittelstand mit Einfamilienhäusern zu versorgen, längst überholte Familienbilder als Messlatte für die Bildungsausgaben zu Gunsten der Mehrheitsgesellschaft zu nehmen und es mit der Klima-, Energie- und Verkehrswende keinesfalls zu „übertreiben“. Das Schlimmste ist nach dieser Auffassung, wenn die Öffentliche Hand Schulden aufnimmt, um Zukunftsaufgaben nicht nur aus laufenden Überschüssen, sondern auch mittels Krediten zu finanzieren, die dann bis in die Zukunft hinein abgetragen werden, während die Stadtgesellschaft schon längst von den Investitionen profitiert.
Da in Wirklichkeit mit diesem Dogma große Städte mit vielen Arbeitsplätzen und mit vielen zugewanderten Menschen nicht im Sinne der sozialen Gerechtigkeit und einer der Bevölkerungsdichte entsprechenden Stadtentwicklung gestaltet werden können, wird das Dogma seit Jahren und Jahrzehnten vollständig außer Kraft gesetzt. Fast alle wesentlichen Zukunftsaufgaben wurden im Laufe der Zeit ausgegliedert:
Ausgliederung in Eigenbetriebe
Ausgegliedert in Eigenbetriebe, die nur dann im Haushalt auftauchen, wenn sie defizitär arbeiten und einen Betriebskostenzuschuss benötigen. Die jetzigen Eigenbetriebe (außer Stadtraum-Service) wurden Ende der 90er Jahre aus dem Haushalt ausgegliedert – unter Mitnahme einer erheblichen Schuldenlast. OB Widder erklärte damals in der Haushaltsrede 1998:
„Am aussagekräftigsten wird die Betrachtung der Entwicklung der Schulden, betrachtet man die Situation am Ende des derzeitigen Zeitraums der mittelfristigen Finanzplanung, also im Jahre 2001. Die vom Haushalt zu tragende Verschuldung beträgt dann – nach Übertragung aller den Eigenbetrieben zuzurechnenden Verbindlichkeiten – 810 Mio. DM. Die Eigenbetriebe haben dann einen Schuldestand von rd. 1,025 Mrd. DM.“ Und weiter: „Der von den Eigenbetrieben zu bewältigende Schuldendienst muß, soweit es sich um den Eigenbetrieb ‚Stadtentwässerung‘ handelt, in vollem Umfang von den Gebühren und sonstigen Einnahmen bewältigt werden. Die anderen Eigenbetriebe können den Schuldendienst nach aller Voraussicht nicht zu 100 % selbst tragen. Dies trifft in besonderer Weise auf das Nationaltheater zu.“
Der Unterschied: Die Finanzierung so grundlegender Daseinsvorsorgeeinrichtungen wie der Stadtentwässerung aus dem Kernhaushalt der Stadt macht eine bedeutsame Differenz: Der aktuelle Haushalt finanziert sich zu 88% aus Steuern und Zuwendungen, Zuweisungen und Umlagen. Das sind Quellen, die in Summe nur – aber immerhin – mit etwa 1/3 des Gesamtsteueraufkommens eher von Reichen und Unternehmen getragen werden. Bei den Abwassergebühren zahlt jede Bewohner:in den gleichen Kubikmeter-Preis, also zahlen letztlich die Wenig- und Normalverdienenden aufgrund ihrer Mehrheit überproportional für die Investitionen der Abwasserbeseitigung.
Ein besonderer Kniff des Haushalts 2023 ist die Übertragung der kommunal zu deckenden Investitionskosten für die Sanierung des Nationaltheaters auf den Eigenbetrieb Nationaltheater. Der wird sich hierfür hoch verschulden müssen. Die Stadt zahlt dann nur jährlich die Zins- und Tilgungsraten, die das ohnehin defizitäre Nationaltheater natürlich nicht zu erwirtschaften in der Lage ist. Würde die Stadt die Schulden selbst aufnehmen, wären die jährlichen Raten genauso zu tragen. Nur die Optik der Verschuldung des Kernhaushalts wäre dann im Sinne des Kämmerers und seiner Partei hässlicher.
In den Jahren 2022 – 2026 werden die Eigenbetriebe insgesamt 450 Mio. Investitionen selbst zu finanzieren haben, also über Kreditaufnahme.
Ausgliederung in Städtische Beteiligungsgesellschaften
Die andere Methode, Zukunftsinvestitionen nicht im Haushalt der Stadt Mannheim aufploppen zu lassen, ist die Ausgliederung von immer mehr Aufgaben in privatrechtliche Beteiligungsgesellschaften, die dann munter Kredite aufnehmen können, ohne die Optik des Kernhaushalts zu beschädigen. Das betrifft v.a. die
- GBG (deren Tochter MWSP ja das gesamte Konversionsgeschäft ohne städtische Mittel abwickeln muss, und deren Tochter BBS für Bau und Betrieb aller Schulen und perspektivisch kommunaler Kitas zu sorgen hat, dafür aber laufende Zuschüsse erhält), die
- MV Mannheimer Verkehr GmbH, die u.a. das sog. Konversionsnetz von Hauptbahnhof bis Franklin finanziert, die
- RNV GmbH, die u.a. die neuen Stadtbahnen und E-Busse anschafft, und die
- m:con – mannheim:congress GmbH mit dem weiteren Ausbau des Rosengartens, die
- Stadtpark Mannheim gGmbH mit der Neuen Parkmitte im Luisenpark und das
- Universitätsklinikum allein mit 237 Mio. EUR Investitionen. Die Stadt trägt einen zweistelligen Verlustausgleich.
Insgesamt werden die städtischen Beteiligungen 1,872 Mrd. EUR bis 2026 zu investieren haben. Das ist die dreifache Höhe der im Stadthaushalt abgebildeten Investitionen.
Dass damit das Verbot der Nettoneuverschuldung vollkommen ad Absurdum geführt ist, ist selbst den geistigen Urhebern in CDU, FDP und in der „Spar“brigade Mannheimer Liste und den Nachbabblern in der AfD bewusst. Deswegen beschweren sie sich regelmäßig über die „Schattenhaushalte“. Das heißt zusammen mit dem insbesondere von ihnen hochgehaltenen Dogma des „Nettoneuverschuldungsverbots“ am Ende nicht Anderes als: Sie lehnen eigentlich die Zukunft ab. Konkreter heißt das aber ganz gegenwärtig: Der Kernhaushalt ist für die Wohlhabenden und Superreichen teurer als jede Form von Ausgliederungen. Es macht eben z.B. einen Unterschied, ob Versorgung mit leistbarem Wohnraum von einer „selbstständig wirtschaftenden“ GBG, also von Mieterinnen und Mietern über die Mieten, finanziert wird oder aus Steuern und Zuweisungen, die ihrerseits auf Steuern basieren.
Zum Abschluss die zwei Lieblingsmärchen:
Gerne verstecken sich die rechten Zukunftsverächter immer hinter der angeblichen Logik der schwäbischen Hausfrau: „Wir können nur ausgeben, was wir haben“. Diese angebliche Hausfrauenlogik ist eine böse Verleumdung der schwäbischen Hausfrau. Denn wenn diese ihr unvermeidliches unökologisches Häusle baut (oder ihre Eigentumswohnung kauft), greift sie auf Angespartes zurück und nimmt dann einen Kredit auf, den sie über Jahre aus ihrem gemütlichen Häusle heraus zurückzahlt. Wäre es anders, gäbe es keine schwäbischen Bausparkassen.
Die Zukunftsverächter argumentieren jedoch auch mit dem Schutz der „nachfolgenden Generationen“ vor Schulden. Gleichzeitig schimpfen sie, scheinbar ohne es zu ahnen, über die Ergebnisse der „Spar“-Tätigkeit ihrer politischen Vorgänger von vor 30 und mehr Jahren, sozusagen als Vertreter:innen der damaligen „Zukunftsgenerationen“: Sie schimpfen über kaputte Straßen, über heruntergekommene Infrastruktur, über Sanierungsstaus allenthalben, über den ungenügend mit Brandschutz ausgestatteten Fahrlachtunnel und über das mittlerweile abbruchreife Collini-Center (ehemaliges technisches Rathaus). Wie Recht sie haben! Man darf diese alten und neuen „Spar“-Teufel und Schulden-Verächter nicht die Zukunft verunstalten lassen! Grundlegend ist aber natürlich auch die Finanzwende im Sinne einer wesentlich höheren Besteuerung der Großvermögen- und -einkommen. Das wollen die Märchenerzähler natürlich überhaupt nicht.
Thomas Trüper