Soziale Wohnungspolitik in Mannheim: Der Fortschritt ist eine Schnecke
Sechs Jahre ist es jetzt her, seit der Mannheimer Gemeinderat die „Wohnungspolitische Strategie und 12-Punkte-Programm zum Wohnen für Mannheim (unter besonderer Berücksichtigung der Schaffung zusätzlichen preisgünstigen Mietwohnraums)“ verabschieden konnte. Das Wichtigste daran stand in Klammern. Neun Jahre liegt das Programm Wohnen-Stadt-Raum zurück, das erstmals versuchte, den Wohnungsmarkt etwas zu steuern.
Nun befasste sich der Ausschuss für Umwelt und Technik und dann am 16. Mai der Gemeinderat mit einem weiteren Papier: „Wohnungspolitische Strategie Mannheim mit Schwerpunkt bezahlbarer Wohnraum“ (V070/2023). Es soll das 12-Punkte-Programm weiterentwickeln. Zugrunde liegt dem eine „Wohnraumnachfrageprognose 2040 für die Stadt Mannheim“. Mit der die renommierte Firma empirica AG beauftragt wurde. Der Name der Studie sagt schon: Es geht mehr um Marktforschung, als um Bedarfsforschung.
Bevölkerungsprognose als Grundlage
Der Wohnungsnachfrageprognose liegt die aktuelle kommunale Bevölkerungsprognose zugrunde. Sie besagt zwar, dass immer noch mehr Menschen in Mannheim sterben als geworben werden. Aber Mannheim wächst trotzdem durch einen positiven Saldo von Zu- und Abwanderung. Der Wirtschaftsstandort und Arbeitsplatz sowie der Studienort Mannheim zieht viele vor allem jüngere Menschen an. Hinzu kommt die nicht abreißende Zuwanderung durch Geflüchtete aus den Krisenherden der Welt und jetzt natürlich insbesondere aus der Ukraine. In den letzten 10 Jahren ist die Einwohnerzahl um knapp 16.000 Menschen gestiegen. Man rechnet bis 2040 mit weiteren 18.200 Menschen, wobei ab 2030 die Kurve abflachen soll. Dass derlei Berechnungen angesichts der Weltlage jederzeit im wahrsten Sinn über Nacht wie vom 23. auf den 24.2.2022 über den Haufen geworfen werden können ist eindeutig, aber eben nicht berechenbar. Aus der Bevölkerungsprognose folgt die die Nachfrageprognose von 17.000 Wohneinheiten von 2021 bis 2040. Durch die enorme Wohnungsbautätigkeit der letzten zwei Jahre sind davon aber schon 2.100 Wohneinheiten abgearbeitet.
Nun hat es sich inzwischen sicher in weiten politischen Kreisen herumgesprochen, dass mehr Wohnungen an sich das bis tief in die Mitte der Gesellschaft beklagte Problem nicht lösen können, an leistbaren Wohnraum heranzukommen. Nur noch wenige im Mannheimer Gemeinderat träumen ihren Traum von „Ein- und Zweifamilien-Häuschen für junge Familien“, die sich diese dann für über eine halbe Million Euro kaufen können. Nein – das absolute Thema lautet: Wie kann mehr Wohnraum bereitgestellt werden, der dauerhaft leistbar ist, der also nicht mehr als 30% des Einkommens beansprucht.
Da fällt natürlich der erste Blick auf den schwindenden Bestand an öffentlich geförderten Wohnungen:
Öffentlich geförderte und preisgünstige Wohnungen
Der Bestand an öffentlich geförderten Wohnungen geht von gegenwärtig knapp über 5.000 auf auf 4.300 innerhalb der nächsten 12 Jahre zurück. Die GBG hält ihren Bestand ziemlich konstant. Die Hauptverluste gehen auf die privaten genossenschaftlichen Träger zurück. Bei Letzteren wie auch bei der GBG ist das Auslaufen der Preis- und Belegungsbindung nicht so dramatisch, weil sie i.d.R. danach die Mieten maßvoll und unter dem Mietspiegelniveau erhöhen. Private dagegen können die Mieten innerhalb von sechs Jahren um 30% steigern. Und sie können auch luxus-sanieren. ES zeigt sich erneut, dass es auch bei Sozialwohnungen auf den Träger ankommt: Profit- oder gemeinwohlorientiert? Ein weiteres Kriterium ist die Bindungsfrist. Das Landeswohnraumförderungsgesetz lässt Bindungsfristen von 10 Jahren zu. Danach herrscht dann der freie Markt. Dies trägt sicherlich zusätzlich zur rapiden Abnahme bei den Nicht-GBG-Wohnungen bei. Während empirica für Baden-Württemberg Aussagen zu den gewählten Bindefristen (10 15 oder 25 Jahren) machen kann, liegen solche Zahlen für Mannheim nicht vor, obwohl das Sozialamt deren Einhaltung überprüfen muss und sie daher kennt.
Erfreulich ist, dass das Land 2022 endlich auch die 40-jährige Bindungsfrist zulässt. Warum macht die Stadt Mannheim im Rahmen der städtebaulichen Verträge zur Umsetzung der Sozialquote die Bindungsdauer nicht zum Vertragsgegenstand. Immerhin aber schlägt sie dem Gemeinderat vor, bei ihrer kommunalen Förderung des preisgünstigen Wohnens die Bindung von 20 auf 30 Jahre zu erhöhen. Ein Fortschritt! In anderen Kommunen wird bereits mit dauerhaften Bindungsfristen von 90 Jahren operiert.
Was die „Sozialquote“ betrifft, nämlich dass unter bestimmten Voraussetzungen ein Bauträger mindestens 30% Sozialwohnungen realisieren muss, empfiehlt die Verwaltung nicht die Erhöhung auf 40 oder 50%, wie das im linken Lager diskutiert wird. Dafür sei die wirtschaftliche Lage zu unübersichtlich.
Die Verwaltung geht davon aus, dass es reiche, die Zahl der öffentlich geförderten und preisgünstigen Wohnungen „konstant“ zu halten. Dazu strebt sie an, bis 2040 1.200 Wohneinheiten mit öffentlicher Förderung als Sozialwohnungen gebaut zu bekommen. Eine Erwartung der GBG gegenüber enthält die Vorlage nicht. Empirica berechnet die Nachfrage nach Sozialwohnungen auf Basis von „Versorgungsquoten“: Bei 4% wären das 1.200 , bei 5% schon 2.500 zusätzliche öffentlich geförderte Wohneinheiten. Sie gibt zu bedenken: „Eine höhere Versorgungsquote mit gefördertem Wohnraum als derzeit ist im anhaltenden Kontext der Zuzüge von Geflüchteten aus der Ukraine nach Mannheim sowie der zu er-wartenden Zuweisungen von Geflüchteten (ohne Kontext Ukraine) durch das Land Baden-Württemberg zu empfehlen.“ (S. 50). Die Verwaltung selbst schreibt in ihrer Zusammenfassung der WNP von empirica (V027/2022): „Im Handlungsfeld Preiswertes Wohnen wird eine große Bedeutung der Tatsache beigemessen, dass auf den im Rahmen der WNP 2040 berücksichtigten Wohnbauflächen rund 1.900 geförderte WE geplant und gebaut werden. Dies wird als ein guter Ansatzpunkt angesehen, um die zukünftig aus der Bindung laufenden geförderten Wohnungen nicht nur zu ersetzen, sondern die aktuelle Versorgungsquote für Haushalte mit geringen Einkommen zu verbessern.“
Und die Verwaltung wird noch deutlicher, dass eigentlich mehr öffentlich geförderte Wohnungen erforderlich seien: „Die Verwaltung weist darauf hin, dass die WNP Annahmen treffen muss und nicht an jeder Stelle Daten zur Verfügung hat, die sich dezidiert auf Mannheim beziehen. Dies wird besonders deutlich bei der Berechnung der geeigneten monatlichen Wohnungsmieten, die sich am baden-württembergischen Einkommensniveau orientieren. Da das Mannheimer Durchschnittseinkommen unterhalb des baden-württembergischen Einkommensdurchschnitt liegt, ist davon auszugehen, dass dies Konsequenzen auf die Berechnung der Leistbarkeit des Mannheimer Wohnungsangebots hat. In der Tendenz wird dadurch die geeignete monatliche Wohnungsmiete (30% des monatlichen Nettoeinkommens) überschätzt und der Anteil der mit leistbarem Wohnraum versorgten Haushalte möglicherweise als zu hoch eingeschätzt. Um belastbare Zahlen über die tatsächliche Mietbelastungsquote der Haushalte in Mannheim zu erhalten, wäre eine empirische Erhebung in Mannheim notwendig.“ (S. 4)
Deutlicher kann der Gemeinderat nicht darauf hingewiesen werden, dass er eine solche empirische Erhebung in Mannheim beauftragen müsste. Dann könnte soziale Wohnungspolitik endlich auf eine Faktenbasis gestellt werden. Bisher sind die Bedarfsvermutungen, wie sie selbst im 12-Punkte-Programm geäußert werden, eher gegriffen.
Besonderer Berücksichtigung bedarf auch die Tatsache, dass die Landesregierung die Einkommensgrenzen für die Berechtigung (nicht das Recht) auf eine „Sozialwohnung“ auf 52.700 EUR pro Jahr für einen Ein- bis Zweipersonenhaushalt plus 9.000 EUR für jede weitere Person erhöht hat. Damit liegen beispielsweise kommunale Mitarbeiter:innen der Entgeltgruppe 9c (Hochschulausbildung) in einem Dreipersonenhaushalt einschließlich einer Person mit geringfügigem Einkommen noch gut im Berechtigungsbereich. Insgesamt kann nach einigen Quellen damit die Hälfte der Stadtbevölkerung einen Wohnberechtigungsschein beantragen. Wer bei dem Run auf die viel zu wenigen Sozialwohnungen insbesondere bei privaten Wohnungsträgern die besseren Karten hat, steht damit außer Frage. Die GBG muss wenigstens jährlich u.a. über die soziale Zusammensetzung ihrer Mieter:innenschaft mittels eines „Siedlungsmonitoring“ Aufschluss geben, wodurch politische Steuerungsbedarfe sichtbar werden. Die anderen Sozialwohnungsträger müssen dies nicht. Hier zeichnet sich eine deutlich verschärfte Konkurrenz innerhalb der unteren bis mittleren Einkommensschichten um leistbare Wohnungen ab.
Praktische Maßnahmen
Um dem steigenden Bedarf an öffentlich geförderten und preisgünstigen Wohnungen gerechter werden zu können und um auch preisgünstige Bestandswohnungen zu erhalten, schlägt die Verwaltung dem Gemeinderat in der Wohnungspolitischen Strategie (endlich) einige begrüßenswerte Maßnahmen vor:
- An geeigneten Standorten eine Mischung von Gewerbe und Wohnen durch Bebauungspläne zu prüfen, dort, wo Gewerberäume untergenutzt sind.
- Aktivierung privater Baulücken und Aufstockungspotenziale im Sinne der Innenverdichtung. Hierzu soll eine kommunale Beratungsstelle für Eigentümer:innen errichtet werden, die bisher nicht an die Hebung dieser Potenziale denken.
- Aufstellung von sektoralen Bebauungsplanungsentwürfen im unbeplanten Innenbereich der Stadt, um hier bei größeren Baumaßnahmen soziale Wohnraumförderung „für einen im Verfahren zu bestimmenden Prozentsatz der Wohnungen“ sicherzustellen. Dies ist eine neue Möglichkeit, die das Baulandmobilisierungsgesetz geschaffen hat.
- Nicht neu, von der LINKEN schon lange gefordert, ist die Idee, eine Wohnungstauschbörse zu installieren und hierfür ein Konzept zu erstellen. Denn die Knappheit preisgünstiger, aber auch geeigneter Wohnungen wird durch im Laufe der Zeit „falsch“ belegte Wohnungen verstärkt.
- Schon erwähnt: die Erhöhung der Bindungsfrist für kommunal geförderte Wohnungen auf 30 Jahre.
- Erwogen wird der Erlass jetzt möglicher Vorkaufsrechtssatzungen und des Erlasses von Baugeboten.
Die Sache mit den Einfamilienhäuschen
Bemerkenswert ist das Bemühen von empirica und der Verwaltung, den großen Druck bestimmter Bevölkerungskreise Richtung neuer Ein- und Zweifamilienhäuser in Mannheim durch Angebot neuer Wohnformen zu entschärfen. Empirica ermittelte in bundesweiten Befragungen ein Verlangen von 30% der Wohnraumsuchenden nach Ein-/Zweifamilienhäusern. Vor allem der Wunsch nach einem Garten am Haus und nach einer große Terrasse seien die Treiber. Dem möchte man nun begegnen durch die Entwicklung von Familienwohnprojekten im Geschoßwohnungsbau mit geeigneter Freiraumgestaltung, die diese Bedürfnisse weitestgehend abdecken könnten. Hier verweist man auf die Prinzipien und positiven Erfahrungen der Gemeinschaftlichen Wohnprojekte.
Die Förderung der Gemeinschaftlichen Wohnprojekte – die realisierten Projekte hatten sehr große Schwierigkeiten oft an der Grenze des Scheiterns – soll im „Netzwerkaustausch“ mit den Projekten unter deutlich präziserer Definition des Gemeinwohlinhalts weiterentwickelt werden. Das Geld soll dann dafür bereitgestellt werden. Der bisherige Mittelabruf war gering, die Regeln passten nicht. Immerhin ist hier ein Tor zu Besserung offen. Die Zeit drängt jedoch sehr, sonst bleiben Gemeinschaftliche Wohnprojekte auf den Konversionsgeländen Exoten.
Insgesamt enthält die Vorlage einige zäh erarbeitete Fortschritte. Die Grundsatzfrage, wie viel Neubauten und auch Bestandsbauten in öffentlicher bzw. gemeinwohlorientierter Hand bleiben oder dorthin zurückkehren, ist leider nicht thematisiert – da geht es um Investitionen und Geld und um Umdenken.
Thomas Trüper