Stadtrat LU im finanziellen Harakiri-Sturzflug
Ludwigshafen. (Aktualisiert 11.10.2020). „Nein zur Stadtautobahn!“ stand auf einem Transparent, das Mitglieder der Bürgerinitiative für ein Lebenswertes Ludwigshafen (BILELU) vor dem Pfalzbau hielten. Drinnen tagte der Stadtrat – das Rathaus lässt er gerade für ca. 80 Mio. Euro abreißen. Für ein neues Rathaus fehlt Geld und Boden.
Am 18.07.2023, nach ca. 10 bis 15 Jahren des Planens, erhielt die Stadt nun den Planfeststellungsbescheid der Landesmobilitätszentrale ,und nun sollte in dieser Stadtratssitzung der sozusagen historische Beschluss für den Bau der Helmut-Kohl-Allee gefasst werden.
Vor diesem Tagesordnungspunkt gab es einen vergeblichen Versuch von FWG, Grüne und Piraten sowie den Linken, den weiteren Abriss des Rathauses zu stoppen und zu prüfen, ob es möglich ist, Teile des restlichen Rathauses beizubehalten. Er könnte gut genutzt werden, um dort im Sinne der Mietkosteneinsparung wieder Teile der Behörde unterzubringen. Immerhin entfallen mit einem Abriss 28.000 qm Fläche, und die gehören ausnahmsweise tatsächlich der ansonsten weithin verscherbelten Stadt. Die hatte das Rathaus von der Milliardärsfamilie Otto aus Hamburg käuflich erworben – um es abzureißen.
Der Ludwigshafener Ratshausabriss – „kompletter Wahnsinn“, Klimakiller Bau
Der 72 Meter hohe Sitz der Ludwigshafener Stadtverwaltung mit sehr kurzen Wegen, dem sehr beliebten Einkaufscenter mit vormals 65 Länden, dem Stadtarchiv und der Verzahnung von Stadtmitte und Hemshof wird gefällt – damit die geplante ebenerdige Stadtautobahn einen etwas kostengünstigeren Schwenk nehmen kann . Rundherum ist allgemeiner urbaner Niedergang, denn kein Geschäft in Nähe einer Riesenbaustelle zieht Kunden an.
Gebaut 1979 war es eine Art Wahrzeichen in Ludwigshafen. Nach dem Abriss der Tortenschachtel am Berliner Platz, wo seit 8 Jahren ein Riesenloch klafft, sowie des denkmalgeschützten BASF-Hochhauses ist es nun das dritte Ludwigshafener Erkennungszeichen, das niedergerissen wird nach einer Lebensdauer von nicht mal 50 Jahren. Der Abrisswahn trifft tausendfach nur 50 Jahre alte Gebäude.
„Kompletter Wahnsinn“ heißt es in Fachkreisen. Wenngleich der Abrisswahn allgegenwärtig ist und Markenzeichen einer allein auf Profit ausgerichteten Bauindustrie, so ist das Rathaus-Center nur „ein besonders krudes Beispiel vom Substanzvernichtung“ (Rheinpfalz 22.3.23) mit Kosten von 80 Millionen Euro allein für die Vernichtung, zusätzlich zum Kaufpreis von 46 Mio. Euro.
Erzeugt werden allein mit diesem Abriss 50.000 Kubikmeter Schutt, insgesamt Müll mit einem Gewicht von 115.000 Tonnen. Verpufft ist damit alles, was an grauer Energie, Rohstoffen, Ressourcen, Transport, Maschinenkraft eingegangen ist. Beton ist nicht recyclebar. Mit dem Abriss der Hochstrasse Nord – wenn er wirklich stattfindet – fällt so viel Schutt an, dass die Deponie in Rheingönheim um 14 Fußballfelder (über 12 ha) erweitert werden muss mit Erschließungskosten in Millionenhöhe.
Seit einiger Zeit schon ist ein Umdenken im Gange. 170 Erstunterzeichner forderten vom Bundesbauminister ein „Abriss-Moratorium“. Am Bau werde die Energiewende entschieden. Immerhin geht laut UN die Hälfte des globalen CO2-Ausstosses auf das Konto des Bausektors. Sein CO2-Ausstoss ist höher als der des weltweiten Flugverkehrs. Die Bauwirtschaft ist für 55% des bundesweiten Netto-Müllaufkommens verantwortlich. Der Bund der Baumeister/innen (BDA) verfasste ein Manifest, in dem es heißt: Das Bauen müsse vermehrt ohne Neubau auskommen. „Priorität kommt dem Erhalt und dem materiellen wie konstruktiven Weiterbauen des Bestehenden zu und nicht dessen leichtfertigem Abriss“. Die EU kündigte 2019 eine Renovierungswelle für Europa an.
Baudezernent Thewalt zu dem oppositionellen Antrag: „Wir sind zu weit fortgeschritten, um noch zu bremsen“. Das dürfte in jeder Hinsicht eine zentrale Aussage sein. Um das Steuer herum zu reißen, bedürfte es sehr viel des Umdenkens. Da wird der Sturz in die finanzielle und soziale Katastrophe offenbar bevorzugt.
„Sondereffekte“ stürzen den Haushalt LU in eine weitere Katastrophe
Nach dieser Offenbarung folgte die Rede zum Nachtragshaushalt von Kämmerer Schwarz. Es war eine Grabrede auf Ludwigshafen. Zwei Wochen zuvor hatte die Stadtverwaltung den neuen Hammer, einen sogenannten „Sondereffekt“, bekannt gegeben. Bereits verbuchte Gewerbesteuereinnahmen in Höhe von über 45 Mio. Euro müssen zurückgezahlt werden. Das Haushaltsminus klettert damit wieder um mehr als das Doppelte auf 79 Mio. Euro. „Und die jetzigen Steuerrückzahlungen reichen nicht mal bis zur Pandemiezeit. Da kommt also noch was“ (Rheinpfalz 5.9.23)
Man muss wissen, Gewerbesteuern können bis zu 10 Jahre zurückgefordert werden. Die jetzigen Steuerrückzahlungen gehen an die BASF. Sie ist ein Künstler der Steueroptimierung und ein Fluch für Ludwigshafen – auch wenn sie viel PR aufwendet wie aktuell mit ihrem Projekt LU-united, um diesen Eindruck nicht aufkommen zu lassen.
Aktualisierung 10.10.23:
Eine Woche nach Verabschiedung des Nachtragshaushalts in Reaktion auf gerichtlich verordnete Gewerbesteuerrückzahlungen von 45 Mio. EUR trifft die Stadt Ludwigshafen „ein historisches Ereignis“, wie sich Kämmerer Schwarz in einem Pressegespräch ausdrückte (Mannheimer Morgen 09.10.23): Aus bis zu 22 Jahre zurückliegenden Gewerbesteuereinnahmen hat aufgrund diverser Unternehmensklagen und eines jetzt erfolgten Urteils des Bundesfinanzgerichts Ludwigshafen insgesamt weitere 126 Mio. EUR zurückzuzahlen, davon 33 Mio. aufgelaufene Zinsen. Zusammengerechnet sind das 171 Mio. EUR Gewerbesteuerrückzahlungen, bzw. eine ebensolche Steigerung der Verschuldung der Stadt. Diese ist mit „Sparmaßnahmen“ nicht mehr auszugleichen. Dennoch wird der zutiefst unsoziale Sparkurs verschärft erzwungen werden.
Des Kämmerers Grabrede
Mit dem Beschneiden von sozialen und kulturellen Leistungen sowie zahlreichen Gebührenerhöhungen war bekanntlich auf massiven Druck der Landes-Kommunalaufsicht ADD (rot-grün-gelb!) im Frühjahr das Haushaltsdefizit von 97 Mio. Euro auf 31 Mio. reduziert worden. Eine neue Welle von Gebührenerhöhungen und nicht näher bezeichneten Sozialkürzungen stehen jetzt erneut an.
Ein paar die angekündigten Erhöhungen sind: Die Gebühr für das Anwohnerparken wird versechsfacht und von 30 Euro auf 180 Euro/Jahr erhöht. Sie ist damit eine der höchsten in Rheinland-Pfalz und im weiten Umkreis.
Das Anwohnerparken – – Klimapolitik oder Abzocke ?
Der Antrag der LINKEN Fraktion in Ludwigshafen, für Transferbezieher die Gebührenerhöhung zu reduzieren, wurde abgelehnt, da gerichtlich nicht zu halten. Genauso wie übrigens eine Parkgebühr nach Hubraum nicht durchsetzbar sei. Deutsche Gerichte urteilten, ein Smartbesitzer habe so viel zu bezahlen wie ein Porsche Cayenne Fahrer. Eine Staffelung nach Wohngebieten, wäre möglich, war aber leider im Stadtrat LU nicht durchsetzbar.
Anwohnerparkgebühren haben durchaus Sinn. So kostet statistisch gesehen durchschnittlich in Deutschland ein Straßenplatz 11.000 Euro/Jahr – bezahlt von der Allgemeinheit für private Nutzung, in Ludwigshafen sehr oft von Kleintransportern und Kleinbussen. Die Firmen sparen sich hier einen eigenen Betriebshof.
Das „Bonbon“ zu dieser Erhöhung in Ludwigshafen aber ist, dass sich andererseits die Stadt wegen Personalmangels aktuell nicht in der Lage sieht, das Anwohnerparken zu kontrollieren. Das heißt: Der Anwohner zahlt und findet trotzdem keinen Parkplatz wegen der vielen Fremdparker. Wie auch die städtische Verwaltung nicht mehr in der Lage ist, die Fußgängerzonen als solche aufrecht zu erhalten. Dort ist es an der Tagesordnung, dass die Fahrer schwarzer Straßenpanzer (SUV) selbst ermächtigt und unbehelligt direkt den Laden in der Fußgängerzone anfahren.
Das Anwohnerparken wird als klimapolitische Maßnahme verkauft, um den Innerstädtischen Verkehr zu regulieren und zum Umstieg auf den ÖPNV und Fahrrad zu animieren. Dieses hehre Ziel ist Makulatur und wird als „Wegelagerei“ (Leserbriefe) empfunden, wenn andererseits das Geld fehlt, den ÖPNV auszubauen, die Radwege ständig zugeparkt und so gefährlich sind, dass immer wieder Unfälle passieren.
Die Gewerbesteuer und Grundsteuer A und B werden erhöht um Mehrerträge von rd. 20,9 Mio. Euro zu generieren. Die Grundbesitzabgabe B, vom Wohnungseigentümer weiterreichbar an die Mieter, muss von 540 auf 640 Punkte angehoben werden. Auch die Hundesteuer steigt, sowie die Benutzergebühr für die Betten in den Flüchtlingsunterkünften. Dies ist bitter für diejenigen, die arbeiten und eigentlich längst ausziehen könnten, aber keine Wohnung finden. Sie müssen dann von ihrem meist kärglichen Lohn für das Bett im Vierbettzimmer statt aktuell schon ca. 270 Euro/Monat einen noch unbekannten höheren Betrag zahlen. Insgesamt 0,5 Millionen Euro Mehreinnahmen sind hier angegeben.
„Der Tod auf Raten“
Die Übernahme von Altschulden durch das Land, was Frau Dreyer immer wieder als Beispiel ihrer großartigen Unterstützung für Ludwigshafen anführt, „sind aus unserer Sicht (…) längst überfällige Finanzmittel für jahrzehntelange Unterfinanzierung der Kommunen, wodurch die Liquiditätsschuldenberge erst diese Größenordnung erreicht haben“, so Schwarz (SPD).
Wegen der ungenügenden Finanzausstattung durch das Land, sind vor allem die Rheinland-Pfälzischen Kommunen überschuldet. In Rheinlandpfalz fließen aus dem Steuertopf durchschnittlich 10 % weniger an die Kommunen als in anderen Bundesländern. Schon zweimal wurde dies gerichtlich als verfassungswidrig eingestuft. Bekanntlich ist ein ganzer Gemeinderat in der Pfalz aus Protest gegen die hohe Grundsteuererhöhungsforderungen der ADD zurückgetreten.
Das Land übernimmt zwar Kassenkreditschulden, spart diese an andere Stelle aber wieder ein. Insgesamt ergebe dies das Bild einer „Ausweg- und Perspektivlosigkeit“ ( Schwarz). Die Haushaltskommission der Stadt LU habe viele Einsparungen abgewogen und diskutiert, „aber das damit erzielbare Einsparvolumen ist in Anbetracht des Gesamtvolumens sehr gering oder erst in vielen Jahren wirksam“. Insgesamt steckt Ludwigshafen aktuell in einer Schuldenfalle von 1,5 Milliarden Euro – und diese wird aufgrund der Unterfinanzierung weiter anwachsen.
Die Kommunalaufsicht ADD und das Innenministerium machten unmissverständlich klar, dass es eine Haushaltsgenehmigung für die Stadt – auch nach den neuen Hiobsbotschaften über die „Sondereffekte“ ausschließlich entlang des Konsolidierungspfades geben wird. Nämlich dass die Stadt in 10 Jahren einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen kann. Dies ist jedoch ein Ding der Unmöglichkeit – oder führt zu einer Stadt, „in der man nicht mehr leben möchte“ (OB Steinruck)
Der Kämmerer bilanzierte düster: „Auch wenn uns jetzt die Möglichkeit gegeben wird, den Ausgleich des Haushaltes über mehrere Jahre zu erreichen, dann ist das ein Tod auf Raten“.
Des Kämmerers Fazit : „Die Zitrone ist ausgelutscht!“
Das Innenministerium drängt daher auf weitere Steuer- und Gebührenerhöhungen, die Kämmerer Schwarz (SPD) nicht näher erläuterte, diese aber aufgrund der Stadtstruktur als nicht vertretbar bezeichnete. Das soll heißen, Ludwigshafen hat zu viele niedrige Einkommens- und zu viele Transferleistungsbezieher. Seine Kritik an den Vorschlägen des Landes-Innenministeriums zur Generierung von Einnahmen und wie diese zu rechtfertigen seien gipfelt dann darin: „ Soziales, Jugendarbeit, Kunst und Kultur, Sport – das sind offenbar Leistungsbereiche unserer Verwaltung, denen keine systemkritische Bedeutung zugemessen wird.“
Schwarz ist nicht wie die OB aus der SPD ausgetreten, um ein Fanal zu setzen. Aber auch er hadert offenbar erheblich mit der Landesregierung. Im Hauptausschuss hagelte es von allen Seiten harsche Kritik am Land. Schulen und Sportanlagen verwahrlosen, Grünanlagen sind nicht mehr ausreichend gepflegt, fehlende und gefährliche Radwege, Kitas, für die es nur Minizuschüsse gebe etc. (CDU und Linke). Die LINKE fordert eine komplette Entschuldung der Stadt durch Land und Bund und alle Fraktionen verlangen endlich die Einhaltung des Konnexitätsprinzips. Wer bestellt, der bezahlt.
Der neue Jahresfehlbetrag 2023/24 liegt bei über 27 Mio. Euro und im Finanzhaushalt fehlen über 47 Mio. Euro.
30.9.2023: Neueste Nachricht aus der Stadtverwaltung. Die Lage spitzt sich noch mehr zu. Ein weiterer „Sondereffekt“ ist eingetreten, sprich weitere Gewerbesteuerrückzahlungen müssen erfolgen. Es wird zu einer Sondersitzung des Stadtrats am 9. Oktober 23 geladen, um einen zweiten Nachtrag zum Haushalt zu beraten.
„Stadtstraße – Danke für Schulden, Sozialabbau, Lärm und Dreck“
So das zweite Transparent der BILELU vor dem Sitzungssaal im Pfalzbau. Was dann in dieser Stadtratssitzung am 18.9.23 folgte, ist eigentlich schwer zu vermitteln. Trotz dieser finanziellen Katastrophenlage stürzt sich der Stadtrat kopfüber in das nächste Schuldenloch. Zum Erstaunen aller zuhörenden Bürger, einschließlich der Presse, wurde der Antrag zum Bau der 8-spurigen Stadtstraße und Abriß der Hochstraße Nord ohne Diskussion mehrheitlich verabschiedet.
Das Projekt hat exorbitante finanzielle Dimensionen für eine der am höchsten verschuldeten Städte Deutschlands, sodass es bundesweite Beachtung fand. Vielleicht auch für seine aus der Zeit gefallene Absurdität?
Um was geht es?
Seit Jahren gilt die Hochstraße Nord als sanierungsbedürftig. Sie wurde einerseits nicht der zunehmenden Belastung gemäß gewartet, bzw. war dafür andererseits auch nicht ausgelegt. Die LKWs wurden immer schwerer u.a. durch die europäisch harmonisierten Zulassungsbestimmungen. Ein LKW belastet die Straße heute wie 16.000 normale PKWs. Für Millionenbeträge werden schon seit mehr als 10 Jahren rote Netze gespannt, um Passanten vor herabfallenden Brocken zu schützen.
Seit 2011 gibt es in der Verwaltung Überlegungen zu einer Alternative. Eine Renovierung der Hochstraße sei extrem teuer. Abriss und Neubau und vor allem der spätere Unterhalt wesentlich günstiger, so die zentrale Aussage.
Die Vorplanung wurde ab 2014 mit vier Varianten Stadtrat und Öffentlichkeit vorgestellt – und zwar in manipulativen, von Profis moderierten Bürgerforen. Am Ende stand das Votum für die gewünschte Lösung einer ebenerdigen Stadtstraße. Um die Alternative dieser 860 m langen Stadtstraße schmackhaft zu machen, wurden seinerzeit u.a. Vergleiche mit den Pariser “Champs Elysée“ gezogen und das Ganze mit der Utopie verknüpft, eine großartige, moderne City-West zu errichten.
Diese Chimäre wird heute als nachhaltiges, ökologisches Zukunftsprojekt beworben – eine einmalige Chance in Begleitung der neuen Stadtstraße, heißt es. Dafür habe man schon etliche Bauplätze erworben – auch ein Grund, das Steuer nicht mehr herumreißen zu können.
Auf diesen demokratischen „Bürgerentscheid“ und den dementsprechenden Prüf-Beschluss des Stadtrats beruft sich die Verwaltung geradezu gebetsmühlenartig.
Kein relevanter Gegenstand der Diskussion waren damals Kosten- und Kostenanstieg. Freilich der inzwischen exorbitante Baukostenanstieg konnte nicht vorausgesehen werden – aber Großprojekte dieser Art kosten am Ende doch immer mehr als das Doppelte. Die hohe Verschuldung der Stadt, die Umwelt- und Feinstaubbelastung, Müll, CO2-Last, vergeudete graue Energie, Klimaanpassung, Verkehrswende, Ressourcenvergeudung etc. waren nicht Gegenstand der Diskussion.
Auf das heutige Gegenargument der völligen Überdimensionierung der Straße in Anbetracht der notwendigen Verkehrswende erklärt die OB: Bund und Land sind nur dann zu einer 85 %en Finanzbeteiligung bereit, wenn die Straße als Teil des Bundesfernstraßennetzes acht Spuren umfasst, kleiner ist nicht erlaubt, sonst ist der Geldhahn zu.
Mitte 2019 geriet urplötzlich die südlichen Pilzhochstraße (Weiterführung der Konrad-Adenauer-Brücke hinter dem Mannheimer Schloss) wegen imminenter Einsturzgefahr in den Fokus. In einem wahren Hau-Ruckverfahren wurde abgerissen. Durch das Planungsbeschleunigungsgesetz ermöglicht, hat vor einigen Wochen bereits der Wiederaufbau begonnen, immerhin schon nach 4 Jahren.
Die Südtrasse soll Anfang 2026 fertig sein und kostet nach heutiger Schätzung 120 – 170 Mio. Euro. Dann startet das Projekt Hochstraße Nord. Mittlerweile besteht die Stadt gefühlt fast nur noch aus Baustellen und Verkehrsstau. Seit Jahren ist die Hochstraße Nord für LKWs gesperrt und eben auch die Hochstraße Süd, der Verkehr wird durch die Stadt geführt.
…und was sagt die BASF zum Stadtstraßenbau?
Ludwigshafen ist eine Stadt, geprägt von einer Infrastruktur voller Hochstraßen, um Pendler , Kunden und Zulieferer möglichst schnell und reibungslos zur BASF zu befördern.
In den 80iger Jahren arbeiteten an diesem größten Chemieindustriestandort der Welt 55.000 Menschen. Heute sind es um die 35.000 und noch mehrere 100 zusätzlicher Leih- und Fremdfirmenarbeiter. Vor einem Jahr hat die BASF ein LKW-Terminal mit Nähe zur Autobahn im Norden Ludwigshafens in Betrieb genommen. In der Pandemie wurde zudem das homeOffice populär. Es spart Büroplätze und Fahrzeiten. Heute sagt die BASF, der neuen Stadtstraße komme „im Hinblick auf den LKW-Verkehr für BASF eine nachgelagerte Bedeutung“ zu.
Der Bereich Infrastruktur der IHK Pfalz erklärt hingegen: „Aus Sicht der regionalen Wirtschaft ist es absolut notwendig, dass wir die Helmut-Kohl-Allee“ bauen. (SWR 21.9.23). Zugrundegelegt werden Zahlen aus dem Bundesverkehrsministerium, die von einer Verdoppelung des Güterverkehrs auf der Straße sprechen. Das sind Zahlen, die von Mobilitätsexperten in Zweifel gezogen werden.
Der Bau der Helmut-Kohl-Allee sei ein „städtisches Projekt“ betont das Rheinland-Pfälzische Wirtschaftsministerium. Die Stadtverwaltung weist darauf hin, dass man hier eine Straße im Interesse der Region baue, die schwere Last aber allein zu schultern habe. Seit Jahren ist dies ein bitteres Ping-Pong mit dem Landkreis und den umliegenden Gemeinden. Der Speckgürtel, in dem die gut situierten BASF-Beschäftigten bevorzugt wohnen, ist nicht bereit, sich an den hohen Kosten für Schulzentren, Theater, Infrastruktur usw. der Stadt zu beteiligen, profitiert aber stark davon.
Der renommierter Verkehrs- und Zukunftsforscher Stefan Carsten hält das Projekt für nicht zeitgemäß. Er wundert sich, dass die Bürgerinitiative in LU nicht größer sei. Alle, auch die Wirtschaftsverbände, müssten sich eigentlich anschließen. Er versichert, die steigenden Autozahlen und der Vorteil für die Wirtschaft seien nicht gegeben. Vielleicht wird sich das Projekt in einigen Jahren als „komplette Fehlplanung herausstellen“.(SWR Zur Sache Rheinland-Pfalz 21.9.23)
Überall wird versucht, die Innenstadt autofrei zu machen, wir in LU aber bauen eine Stadtautobahn mitten durch die Stadt.
Die Position der BILELU
Im Folgenden zitieren wir aus der Stellungnahme der AG Stadtstraße der „Bürgerinitiative für ein lebenswertes Ludwigshafen“ (BILELU), die das Projekt ablehnt und Alternativen unter Beteiligung der Ludwigshafener Bürger/innen fordert:
„(…)Die geplante Straße verhindert eine zukunftsgerechte Entwicklung für Ludwigshafen
- Die Straße wird die Lebensqualität in der Innenstadt langfristig belasten. Ihre Notwendigkeit ist nicht geklärt.
- Die Baukosten überfordern die Stadt finanziell.
- Das Projekt steht im Widerspruch zu einer umwelt- und bürgerfreundlichen Verkehrswende in der Region Ludwigshafen, denn es folgt den Planungsgrundsätzen der “autogerechten Stadt” aus den 1950er/1960er-Jahren. Diese sind heute von Bürgern und Fachleuten als verhängnisvoller Irrtum erkannt, der den Innenstädten die Lebensqualität genommen hat.
Die Lebensqualität der BürgerInnen wird massiv beeinträchtigt
- Die Helmut-Kohl-Allee ist auf bis zu 50.000 Autos pro Tag ausgelegt [1].
- Lärm, Staub, Schadstoffe der ebenerdigen Straße werden alle LudwigshafenerInnen, vor allem die AnwohnerInnen, stark belasten.
- Weitere Gesundheitsrisiken entstehen durch die Erhitzung der neuen umfangreichen Asphaltflächen im Sommer. Sie erhöhen die Versiegelung in Ludwigshafen, das die bundesweit am höchsten versiegelte Stadt ist [2, 3].
- Die bis zu achtspurige Straße schneidet den Stadtteil Nord vom Stadtzentrum ab und führt damit zu einer weiteren Verödung der Innenstadt.
- Der Abriss der Hochstraße Nord und der Bau der Helmut-Kohl-Allee wird AnwohnerInnen und alle LudwigshafenerInnen über Jahre belasten (Bauphase derzeit 2024 bis mindestens 2032): Mit Lärm, Staubemissionen, Abgasen, Umleitungen und Staus.
Die zusätzliche finanzielle Belastung wird kommunale Leistungen einschränken
- Nach einem von der Stadt als realistisch angesehenen Szenario [4] werden die Kosten für die Helmut-Kohl-Allee auf 945 Millionen Euro steigen. Bund und Land übernehmen nur 330 Millionen!
- Zusätzlich zu der ohnehin geplanten Belastung der Stadt von 194 Millionen Euro [5] entstehen so zusätzliche Kosten von 400 – 500 Millionen Euro!
- Unsere ohnehin schon mit 1,5 Milliarden Euro verschuldete Stadt geht ein weiteres enormes Kostenrisiko ein!
Die Helmut-Kohl-Allee dient dem Durchgangsverkehr. Was haben wir LudwigshafenerInnen davon?
- Die Stadt steht unter dem Spardiktat der Landesaufsichtsbehörde ADD und soll innerhalb von 10 Jahren einen ausgeglichenen Haushalt vorweisen.
- Die zusätzlichen Schulden für die Helmut-Kohl-Allee werden daher zu weiteren tiefen Einschnitten in die Leistungen für BürgerInnen führen. Hallenbäder, Sportanlagen, Parks, Freizeitflächen, Kulturangebote, soziale Einrichtungen u.v.m. stehen dann auf dem Prüfstand.
- Gleichzeitig werden wir ständig höhere Steuern und Gebühren bekommen.
Die Verkehrswende wird für Jahrzehnte erschwert und verzögert.
- Für den notwendigen Ausbau des ÖPNV, die Schaffung neuer Radwege sowie die Instandhaltung von Straßen wird kaum noch Geld zur Verfügung stehen.
- Es ist wissenschaftlich belegt, dass jede neue Straße zu mehr Autoverkehr führt.
- Ohne eine Reduzierung des Autoverkehrs wird die Stadt die Klimaziele des Klimaschutzgesetzes nicht einhalten können und verstößt gegen die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz der nachfolgenden Generationen.
Wir, die Bürgerinitiative Lebenswertes Ludwigshafen, fordern daher:
- Das Projekt Helmut-Kohl-Allee muss gestoppt werden. Eine Trasse, die Hochstraße Süd nach ihrer Sanierung, wird reichen, wenn wir den Durchgangsverkehr verringern! Das zeigt bereits die heutige Verkehrssituation.
- Unter Beteiligung der Ludwigshafener BürgerInnen sollen kostengünstige und zukunftsweisende Alternativen erarbeitet werden.
- Verringerung des Autoverkehrs durch einen umfangreichen Ausbau des Straßenbahn- und des Busnetzes mit kleiner Taktung in der Stadt und Einbindung der Randbezirke zu geringeren Fahrpreisen.
- Neue, sichere Radwege und Radpendlerrouten, Park & Ride-Möglichkeiten, Mitfahrzentralen und vieles mehr.
- Sperrung der Hochstraße Nord für den Auto- und LKW-Verkehr, sobald die Sanierung der Hochstraße Süd abgeschlossen ist. Die dann geringer belastete Hochstraße Nord kann als Bauwerk über Jahrzehnte erhalten werden.
- üfung, ob eine Umnutzung der Hochstraße Nord als grünes Band, für Fußgänger und Radfahrer möglich ist und damit urbanes Zusammenleben mit echter Erholungsqualität verbindet. Die Stadt Seoul hat es vorgemacht:
- Stopp des Abrisses und Weiterbetrieb des Rathaus-Centers (Flachbau), selbst wenn der Turm nicht mehr genutzt werden kann.
- Umsetzung von Maßnahmen, welche die Lebensqualität in der Innenstadt deutlich erhöhen und der zunehmenden Hitze entgegenwirken, etwa neue Grünflächen, Bäume und Brunnen im Stadtgebiet. (…)“
Quellen:
[1] Planfeststellungsbeschluss vom 17.08.2023 Planfeststellungsbeschluss
[4] Hochstraßensystem – Historie und Sachstandsbericht, Bau- und Grundstücksausschuss der Stadt Ludwigshafen, 27.03.2023
[5]: Rheinpfalz vom 19.09.2023
Mammutprojekte und Zukunftsfähigkeit – in LU ein unlösbarer Widerspruch
„Während wir auf der einen Seite ein solches Mammutvorhaben umsetzen müssen, fordert uns die Aufsichtsbehörde auf der anderen Seite zur strikten Sparsamkeit auf. Das ist ein Dilemma, und ich kann gut verstehen, wenn Bürger*innen fragen, warum denn in Straßen investiert werden könne und nicht in andere notwendige Dinge.
Wir müssen gemeinsam den Weg aus diesem Dilemma finden, indem wir im demokratischen Streit und Miteinander bei allen strategischen Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung die Zukunftsfähigkeit unserer Stadt wahren. Und diese betrifft nicht nur Verkehrsinfrastruktur, sondern auch Bildung, Chancengleichheit, Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit”, spricht der Kämmerer der Stadt LU, Andreas Schwarz. –
BILELU meint – und viele andere auch: Der Weg hinaus aus diesem Dilemma kann nur der Stopp des Mammutprojekts sein – auch wenn das nun viel Mut fordert und schon viel Geld in den Sand gesetzt wurde.
frr (Fotos, soweit nicht anders angegeben: KIM)