Ausländerbehörde Rhein-Pfalz-Kreis: Gewolltes Versagen?
Von haarsträubenden und menschenunwürdigen Zuständen in der Ausländerbehörde des Rhein-Pfalz-Kreises (früher: Landkreis Ludwigshafen) berichtet die ‘Rheinpfalz’ am Donnerstag, dem 17.10.24. Tausende Anträge stapeln sich dort unbearbeitet, Wartezeiten können mehrere Jahre betragen, es besteht eine im wahrsten Sinne des Wortes hoffnungslose personelle Unterausstattung. Die ‘Rheinpfalz’ spricht offen die Vermutung an, die Zustände könnten Kalkül der Behörde sein, “damit Ausländer wegziehen”.
Vor knapp zwei Jahren beschrieb das Kommunalinfo schwere, chronische Missstände der Ludwigshafener Ausländerbehörde, für die aber die Stadtverwaltung eher den Ludwigshafener Ausländern die Schuld zuschob, als die eigene Verantwortlichkeit anzuerkennen. Wir machten damals darauf aufmerksam, dass es sich nicht um einen Einzelfall handelte: Die Überlastung und die sowohl technische als auch personelle Minderausstattung der Ausländerbehörden war und ist immer noch in der gesamten Republik vorzufinden. Dies hat inzwischen auch eine umfangreiche Studie der Bertelsmann-Stiftung bestätigt. Das Ausmaß, das das Versagen der Ludwigshafener Ausländerbehörde jedoch annahm, übertrifft die allgemeine Misere bei weitem und traf deshalb bei Betroffenen und bei Fachleuten auf Unverständnis und Empörung.
Nun wird bekannt, dass die Zustände im Kreis genauso verheerend sind und dies ebenfalls bereits seit langem. Wieder schildert die Rheinpfalz eine Reihe erschreckender Einzelschicksale von Betroffenen, die sich an die Tageszeitung wandten: Ausweispapiere werden nicht ausgestellt, Betroffene müssen deshalb Angst vor Personalkontrollen haben, können kein Bankkonto eröffnen, keinen Mietvertrag und keinen Arbeitsvertrag abschließen, verlieren Arbeitsstellen, an denen sie schon seit Jahren arbeiten, können ihren Anspruch auf Kindergeld nicht geltend machen, können nicht ins Ausland reisen, die Kinder können nicht an Klassenfahrten teilnehmen, Familienmitglieder können trotz Rechtsanspruch nicht nachziehen, die Behörde ist über Monate weder telefonisch noch per Mail erreichbar usw. usf.
Die Quadratur des Rhein-Pfalz-Kreises
Dass das Desaster der Ludwigshafener Ausländerbehörde nun auch im Kreis vorzufinden ist, kann durchaus erstaunen, weil nämlich etliche Randbedingungen im Kreis ganz anders sind als in der Stadt:
Der Rhein-Pfalz-Kreis trägt seinen Namen seit 2004, davor war es der Landkreis Ludwigshafen, ab 2005 wurde das Kfz-Kennzeichen LU geändert in RP. Der Kreistag besteht aus 50 gewählten Mitgliedern und dem Landrat als Vorsitzendem, schon seit 2009 ist das Clemens Körner (CDU). Das Verwaltungsgebäude befindet sich in der Ludwigshafener Innenstadt am Europaplatz, an dem auch die Sozialbehörde der Stadt liegt. Der Kreis hat 156.000 Einwohner, also nur 20.000 weniger als Ludwigshafen. Die größten Städte und Gemeinden sind Schifferstadt, Mutterstadt, Limburgerhof, Böhl-Iggelheim und Bobenheim-Roxheim. Der Ausländeranteil im Kreis beläuft sich auf 12,3 Prozent, in Ludwigshafen aber auf 30,8 Prozent. Im Kreis leben also etwa 19.000 Ausländerinnen und Ausländer, gegenüber etwa 55.000 in Ludwigshafen (Stand 2023).
Der Rhein-Pfalz-Kreis hat noch vor Bad-Dürkheim die höchsten Einkommen in Rheinland-Pfalz, bis 2022 lag Bad Dürkheim an der Spitze. Ein großes finanztechnisches Unglück der Stadt Ludwigshafen besteht bekanntlich darin, dass die Einnahmen der Städte sich mehr aus dem Einkommen der Menschen ergeben, die in Ludwigshafen wohnen und nicht aus dem Einkommen derer, die hier arbeiten. Viele verdienen in Ludwigshafen so gut, dass sie dort nicht wohnen müssen. Davon profitieren bessere Lagen an der Bergstraße und der Weinstraße wie bspw. Bad-Dürkheim, davon profitiert aber auch ganz besonders der Rhein-Pfalz-Kreis.
Warum aber besteht trotzdem in der Ausländerbehörde des Kreises eine ähnliche Misere wie in der Stadt?
Der Hackerangriff
Im Oktober 2022 wurde die Kreisverwaltung Opfer eines derart schweren Hackerangriffs, dass sämtliche Abteilungen ihre Arbeit mehrere Wochen oder sogar Monate ohne EDV, d.h. nur mit Kugelschreiber und Papier verrichten mussten. Im Oktober 2023 jedoch gab die Kreisverwaltung bekannt, sie sei zu 99 Prozent wieder funktionsfähig. Hier erhebt sich die Frage, warum eine ihrer Abteilungen – die Ausländerbehörde – anscheinend zu 99 Prozent nicht funktionsfähig ist und dies auch bleibt. Noch ein halbes Jahr später – bis Ende Mai – 2024 – können keine elektronischen Aufenthaltstitel ausgestellt werden. Zur Zeit stapeln sich beim Kreis etwa 4.000 unbearbeitete Anträge. Bei etwa 19.000 Ausländern im Kreis bedeutet dies, dass praktisch jeder und jede entweder selbst betroffen ist oder jemanden in seinem Freundes- oder Familienkreis hat, der dieser entwürdigenden und häufig existenziell bedrohlichen Zumutung ausgesetzt ist.
Spätestens aus den Einzelfällen wird klar und muss laut und deutlich ausgesprochen werden: Es handelt sich hier nicht um eine Lästigkeit, die im Leben nun mal für keinen zu vermeiden ist. Hier liegt eine systematische und anhaltende Verletzung der Menschenrechte vor, wie sie in der Erklärung der Vereinten Nationen festgehalten sind. Mit dem Recht auf Leben, Freiheit und persönliche Sicherheit beginnt die UN-Erklärung. Keine Papiere und keine Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten, ist für die meisten geflüchteten Menschen eine äußerst bedrohliche Situation. Der Verfasser dieser Zeilen weiß aus mehrjähriger Arbeit mit Geflüchteten, dass ohne Papiere nur die wenigsten von ihnen eine psychische Stabilität erreichen, besonders das Erlernen der deutschen Sprache ist durch diese oft jahrelang bestehende Belastung massiv erschwert. Die UN-Erklärung garantiert ferner jedem Menschen (und nicht nur Deutschen) ein Recht auf Arbeit, auf gerechte und günstige Arbeitsbedingungen und auf Schutz vor Arbeitslosigkeit. Das Grundgesetz erklärt bekanntlich bereits in Artikel 1 die Würde des Menschen als unantastbar, sie zu achten und zu schützen sei “Verpflichtung aller staatlichen Gewalt”. Artikel 3 fordert, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind: “Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.” Die Rheinpfalz bezeichnet die Zustände im Kreis als “fahrlässigen Umgang mit dem Leben von Menschen.”
Bereits das ‘normale’ Funktionieren vieler Ausländerbehörden bedeutet, dass diese Rechte fortwährend bedroht und verletzt werden. Nach verschiedenen Berichten kommt beim Rhein-Pfalz-Kreis hinzu, dass ein Sicherheitsdienst eingesetzt wird, der Wartende einschüchtert, damit sie nicht zu lange mit den Sachbearbeitenden sprechen.
Der Personalmangel
Die erwähnte Bertelsmann-Studie belegte, dass Personalmangel in Ausländerämtern sich nicht nur auf einige Orte begrenzt, sondern ein allgemeines, “flächendeckendes” Problem deutscher Ausländerbehörden darstellt. Hierfür gibt es mehrere Ursachen wie den allgemeinen Fachkräftemangel, die steigenden Fallzahlen und die schlechte Bezahlung. Der allgemein bestehende Personalmangel kann jedoch nicht erklären, warum es enorme Unterschiede in der personellen (Unter-)Besetzung einzelner Ausländerbehörden gibt. Medien berichten, dass eine SachbearbeiterIn für etwa 400 Menschen zuständig sein sollte. Tatsächlich liegt der Durchschnitt zur Zeit bei 1.000 bis 1.100 Personen. In Ludwigshafen sind es (Stand März 2023) nach personeller Aufstockung 1.150 Personen pro SachbearbeiterIn, während es 2019 noch 1.700 waren. Im Rhein-Pfalz-Kreis aber gibt es nach Mitteilung des Migrationsbeirates nur vier Sachbearbeiter, von denen mithin jeder für knapp 5.000 Personen zuständig ist.
Es ist wohl vor allem diese Zahl, die die Rheinpfalz zu einem ungewöhnlich scharfen Kommentar veranlasst. Der Redakteur Stefan Heimel schreibt: “Fachkräftemangel? Ja klar. Hackerangriff? Natürlich. Irgendwann aber gehen auch einer Behörde die Ausreden aus.” Er erwähnt den Vorwurf, es handle sich um ein “Kalkül der Behörde, damit Ausländer wegziehen” und kommentiert: “Eine intransparente Kommunikation der Kreisverwaltung nährt derartige Spekulationen.” A propos intransparente Kommunikation: Es gibt bis heute (30.10.) noch keine Reaktion der Kreisverwaltung auf den Artikel der Rheinpfalz.
Wenn laut der Bertelsmann-Studie mehr als 40 Prozent der befragten Behörden angeben, dass ihre “Kunden” zwei Monate und länger auf einen Termin warten müssten, liegt dies aber nach Einschätzung der Forscher gar nicht unbedingt am Personalmangel. Entscheidender ist nach Mitteilung von 72 Prozent der Befragten ein Qualifizierungsdefizit. Die Mitarbeitenden seien nicht gut auf ihre Aufgabe vorbereitet und brächten weder aus der Ausbildung noch aus ihrer vorherigen Tätigkeit ausreichende Kenntnisse mit.
An zweiter Stelle geben die Ämter als Grund der Überforderungen an, dass die Gesetze zu schnell geändert werden: “Der Gesetzgeber berücksichtigt die Eingaben seiner Verwaltung bei Neuregelungen im Aufenthaltsrecht.” Dieser Aussage stimmten 74 Prozent der Befragten nicht oder überwiegend nicht zu. 76 Prozent hingegen stimmen überwiegend oder voll dieser Aussage zu: “Die Geschwindigkeit der Neuerungen im Aufenthaltsrecht ist zu hoch.” Null Prozent stimmen dieser Aussage nicht und ein Prozent überwiegend nicht zu! Zusammengefasst mit den Worten der Studienautoren: “Statt auf politische Sichtbarkeit und gefühlte Effekte zu setzen, sollte die Gesetzgebung standardmäßig die Folgen der Innovationen abschätzen und die Implementations- und Integrationswirkungen systematisch evaluieren.”
Es ergibt sich ein absurdes Bild: Die Ampelparteien, die sich auf ein Hase- und Igelspiel mit den Rechtsextremen eingelassen haben, in dem letzteren stets die bequeme Rolle des Igel überlassen bleibt, greifen durch ihre hektischen Verschärfungen der Ausländergesetze nicht nur die Menschenrechte an, sie verheizen auch die Beschäftigten der Ausländerbehörden, und sie fördern, ob sie es wollen oder nicht, den gewalttätigen politischen oder religiösen Extremismus jeglicher Couleur. Es kann nämlich nicht ausbleiben, dass die fortgesetzt entwürdigenden und diskriminierenden Erfahrungen, die unsere Mitmenschen mit den Ausländerbehörden machen müssen, einige von ihnen in die Arme religiöser Hassprediger treiben, wodurch in der Folge auch Wasser auf die Mühlen rechtsextremer Hassprediger fließen kann. So entstehen symmetrische Eskalationen. Ein Messer wetzt das andere.
Ausländerbehörden abschaffen?
Ein bundesweites Bündnis fordert nun die Abschaffung der Ausländerbehörden in verschiedenen deutschen Städten. Beteiligt sind die Flüchtlingshilfsorganisation Seebrücke und weitere überwiegend regional tätige Organisationen und Gruppierungen. Vergangene Woche veranstaltete das Bündnis Aktionen in zehn deutschen Städten wie Frankfurt, Berlin, Köln und München. Losungen waren etwa “Rassismus bekämpfen – Ausländerbehörde abschaffen” oder auch “Wo Ausländer leben, braucht es kompetente Ausländerbehörden”. Die Kritik richtet sich besonders gegen lange Behandlungen, schikanöse Behandlung sowie dagegen, dass bestimmte Ausländerämter sich anscheinend nur noch mit Abschiebungen statt mit der Erstellung von Ausweispapieren beschäftigen.
(mk)