Am 27. Januar vor 80 Jahren: Rote Armee befreit KZ Auschwitz
Die Mannheimer Collinistraße erhielt 1971 ihren Namen zu Ehren des italienischen Historikers und Naturforschers Cosimo Alessandro Collini, der ab 1760 am Mannheimer Hof als Hofhistoriograph und Leiter des Naturalienkabinetts tätig war. Davor hieß sie hundert Jahre lang Neckarstraße. Vor dem Haus Collinistraße 20 wurden 2013 zwei Stolpersteine verlegt – für Hedwig und Paul Eppstein. Beide waren siebzig Jahre zuvor deportiert und später ermordet worden. Zu ihren Lebzeiten waren beide in Mannheim und weit darüber hinaus bekannte Persönlichkeiten gewesen.
Hedwig Eppstein, geborene Strauß, wurde am 6. Januar 1903 in Mannheim als zweite Tochter des jüdischen Ehepaars August und Mathilde Strauß geboren. Die Familie Strauß wohnte in der heutigen Collinistraße 20. Von dort aus besuchte Hedwig das Liselotte-Gymnasium, das sich heute in der Wespinstraße in der Mannheimer Oststadt befindet, vor dem Weltkrieg aber auf dem dreieckigen Grundstück zwischen Collinistraße und Mozartstraße untergebracht war. Sie studierte dann in Heidelberg Psychologie und war 1927 die erste Person, die am Psychologischen Institut promovierte. Anschließend war sie bis 1933 im Jüdischen Frauenbund aktiv und setzte sich als Sozialberaterin für jüdische Kinder ein.
Im August 1930 heiratete sie Paul Eppstein. Paul war am 4. März 1902 in Ludwigshafen geboren als erstes von zwei Kindern des jüdischen Ehepaars Isidor und Johanna Eppstein. Nach dem Umzug der Familie nach Mannheim besuchte er dort die Oberrealschule bis zum Abitur, studierte dann in Heidelberg Rechts- und Sozialwissenschaften, Soziologie und Volkswirtschaft und promovierte 1924. 1928 wurde er Erster Geschäftsführer und 1929 Leiter der Mannheimer Volkshochschule, die sich unter seinem Einfluss zu einem der wichtigsten Institute dieser Art in Deutschland entwickelte. 1933 musste Eppstein sein Amt niederlegen, weil er Jude war, die Volkshochschule wurde aufgelöst, erst nach Kriegsende sollte es wieder eine Erwachsenenbildung in Mannheim geben.
Das junge Ehepaar musste nach Pauls Entlassung auch die Wohnung verlassen und zog nach Berlin, wo Paul bei der im selben Jahr gegründeten Reichsvertretung der Deutschen Juden arbeiten konnte, er war dort vor allem mit Verwaltungsfragen und mit sozialen Aufgaben beschäftigt. Nach den von der Regierung organisierten Pogromen des November 1938 erhielt er aus England eine Einladung zu Vorlesungen in Soziologie, die er jedoch trotz wiederholter Verhaftungen durch die Gestapo ablehnte, um in Deutschland seine helfende Tätigkeit fortführen zu können. Beide hatten mehrmals die Möglichkeit, zu fliehen, sie blieben jedoch und kehrten sogar von mehreren Auslandsreisen wieder zurück, um das zu tun, was in den Worten von Hedwig Eppstein „die primitivste Verantwortung verlangt.“ Ab 1939 arbeitete Paul für die von den Nazis erzwungene Reichsvereinigung der Juden in Deutschland. Gemeinsam mit Josef Löwenherz von der Kultusgemeinde Wien wurde er im September 1941 von Adolf Eichmann darüber informiert, dass alle, die nach dem Nürnberger Gesetz als Juden galten, ab diesem Monat den gelben Judenstern tragen mussten. Im Januar 1943 wurde er zusammen mit seiner Frau und dem bekannten liberalen Rabbiner Leo Baeck ins Getto Theresienstadt deportiert und dort zum Judenältesten ernannt. In dieser Funktion war er unter anderem dazu gezwungen, an Deportationen in Vernichtungslager mitzuwirken.
Am 27. oder 28. September 1944 – vier Monate vor der Befreiung durch die Rote Armee – wurde er dort von SS-Männern erschossen.
Hedwig Eppstein wurde 1933 nach dem erzwungenen Umzug Mitarbeiterin der Berliner Jüdischen Jugendhilfe. 1938 wurde sie Leiterin der Berliner Kinder- und Jugend-Alija, einer am 30. Januar 1933 – dem Tag der ‚Machtergreifung‘ – gegründeten Organisation, die es sich zum Ziel setzte, jüdische Kinder und Jugendliche außer Landes und damit in Sicherheit zu bringen. Prominente Personen unterstützten die Organisation im Ausland, bspw. Hannah Arendt aus ihrem Pariser Exil. So wurden etwa 21.000 Kinder und Jugendliche gerettet, denen man die Flucht nach England, Palästina und die USA ermöglichte.
Am 28. Oktober 1944 – drei Monate vor der Befreiung durch die Rote Armee – wurde Hedwig von Theresienstadt nach Auschwitz deportiert und dort drei Tage später ermordet.
2021 wurde durch Beschluss des Gemeinderats eine Straße im neuen Wohngebiet Spinelli nach ihr benannt.
Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar
Der Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau ist seit 1996 bundesweit Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, seit 2005 ist er internationaler Holocaust-Gedenktag.
Noch nie war dieses Gedenken so wichtig wie heute.
mk