Wir sind die Brandmauer!  „Alle zusammen gegen den Faschismus!“ [mit Bildergalerie]

Eine viertel Stunde vor Beginn ist der Platz fast voll, und viele sind noch im Anmarsch. | Bild: KIM

Nach eineinhalb Tagen Mobilisierungs-Vorlauf 15.000 Menschen auf dem Alten Messplatz! Merz macht’s nötig. Zum Abschluss der Protestveranstaltung „Wir sind die Brandmauer!“ rufen sie: „Alle zusammen gegen den Faschismus!“ Die Initiative zu dieser Veranstaltung hatten „als Privatleute“ Marko Andelic (BBR Innenstadt/Jungbusch, SPD) und Gerhard Fontagnier (Stadtrat Grüne) ergriffen.

Es war der Abschluss einer Woche, die die faktische Zusammenarbeit der CDU, FDP und dann auch noch des BSW mit der AfD im Bundestag gebracht hatte. Zehntausende hatten gleichzeitig in vielen Städten der Bundesrepublik und auch in der „Provinz“ spontan ihre Stimme gegen diesen parlamentarischen Rechtsruck und Tabubruch erhoben. In Mannheim war es fast genau ein Jahr nach der riesigen Kundgebung gegen die Geheimgespräche zwischen CDU- und AfD-Mitgliedern mit den Häuptern der völkisch-identitären Bewegung, bei denen es um die „Remigration“ von Zugewanderten und Asylsuchenden ging. Im Bundestag standen in dieser Woche eine Entschließung und ein Gesetzesentwurf über die faktische Abschaffung des Asylrechts und über die Beschleunigung und Brutalisierung der Abschiebung von Asylsuchenden auf der Tagesordnung – Kernpunkte der AfD-Forderungen, die sich die CDU unter Kanzlerkandidat Friedrich Merz zu eigen gemacht hatte. Im Gegensatz zu der Protestaktion vor einem Jahr waren jetzt – wen wundert’s – keine Vertreter:innen der Mannheimer CDU und FDP präsent.

Zu Beginn der Kundgebung schlüpfte die NTM-Schauspielerin Sarah Zastrau in die Rolle Angela Merkels und trug deren Kritik vom 30.01.25 am Wortbruch des Friedrich Merz vor. Der entscheidende Passus mit dem gebrochenen Merz-Versprechen sei hier zitiert:

„Für die wenigen verbleibenden Entscheidungen, die ohne Bundeshaushalt möglich sein könnten, will ich Ihnen hier einen Vorschlag machen: Wir sollten mit Ihnen, den Sozialdemokraten, und Ihnen, die Grünen, vereinbaren, dass wir nur die Entscheidungen auf die Tagesordnung des Plenums setzen, über die wir uns zuvor mit Ihnen von der SPD und den Grünen in der Sache geeinigt haben, sodass weder bei der Bestimmung der Tagesordnung noch bei den Abstimmungen in der Sache hier im Haus auch nur ein einziges Mal eine zufällige oder tatsächlich herbeigeführte Mehrheit mit denen da von der AfD zustande kommt. Diese Verabredung möchte ich Ihnen ausdrücklich vorschlagen, meine Damen und Herren. Denn das hätten diese Damen und Herren von rechts außen doch gerne, dass sie plötzlich die Mehrheiten besorgen, und sei es mit Ihnen von den beiden Minderheitsfraktionen bei der Bestimmung der Tagesordnung. Wir wollen das nicht. Ich hoffe, Sie sehen das auch so, liebe Kolleginnen und Kollegen.“ (Rede im Bundestag vom 13.11.24 lt. stenografischem Protokoll)

Ralf Heller mit DGB- und Verdi-Kolleg*innen (Bild: Helmut Roos)

Ralf Heller, Kreisvorsitzender des DGB Mannheim und Personalratsvorsitzender des Uni-Klinikums Mannheim empörte sich zunächst, dass die Debatte über den AfD-kompatiblen CDU-Antrag unmittelbar auf die Gedenkstunde im Bundestag zum 80. Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz-Birkenau folgte, bei der u.a. der jüdische Ukrainer Roman Schwarzmann (89), Überlebender des Ghettos Berschad, sprach.

Das jetzige Fehlen von CDU und FDP im Gegensatz zur Kundgebung 2024 zeuge auch von der künftigen Schwierigkeit, unter den demokratischen Parteien Konsense zu vielen wichtigen Zukunftsfragen zu finden. In diesem Zusammenhang sei viel zu wenig von der FDP die Rede.

In Bezug auf den propagandistischen Ausgangspunkt der aktuellen hochpopulistischen „Asyldebatte“ forderte Heller, traumatisierte und psychisch kranke Personen richtig zu betreuen, um solche schrecklichen Mordtaten wie in Aschaffenburg zu verhindern, anstatt die Verschärfung bereits bestehender Gesetze zu betreiben.

Heller stellte klar, dass ohne Zugewanderte die Belegschaft des Klinikums auf die Hälfte zusammenschrumpfen würde.

Unter großem Applaus warnte er auch davor, dass die extreme Rechte auf das Bürgergeld eindresche und somit auf die Ärmsten der Armen. Wenn immer das Abstandsgebot zu den Löhnen reklamiert werde, sei dies ein Problem zu geringer Löhne, nicht zu hohen Bürgergeldes.

Auf Heller folgend ergriffen Vertreter aus dem Bereich der katholischen und evangelischen Kirche das Wort – diesmal jedoch nicht  die Dekane: Prof. Oliver Wintzek, Pfarrer an der Jesuitenkirche und Andreas Weisbrod, Schuldekan der evang. Kirche. Außerdem von der alevitischen Gemeinde deren stv. Vorsitzender Ertan Kurt.

Oliver Wintzek verwahrte sich gegen die christliche Verbrämung einer menschenfeindlichen Politik: „Pfui!“. Es folgten noch mehrere empörte Pfuis über die Verachtung von Aufklärung und Universalilsmus, den „Grundlagen des Christentums“, über die völkische Wendung aller Probleme, über Zensur und über Gewalt gegen christliche Hilfseinrichtungen und Helfende für Menschen in Not.

Auch Pfr. Weisbrod stellte den Gegensatz zwischen AfD-Gedankengut und den Grundlagen des Christentums heraus. „Allen Menschen ist die gleiche Würde gegeben. Die Würde muss nicht erst verdient werden.“ Die Kirchen stünden genau wie die jüdische und die muslimischen Gemeinden auf Seite der Schwachen. „Es darf keine Diskussionen geben, wo man am Ende mit der AfD in einem Topf sitzt“. „Wer Würde hat, muss Abstand zum Rechtsextremismus halten.“ Würde und Demokratie gehörten zusammen. Für diese müsse man einstehen und notfalls für sie kämpfen und Widerstand leisten. „Wir sind die Brandmauer!“.

Ertan Kurt hob hervor, dass Demokratie auch auf der Straße hergestellt werden kann und muss, wie auf dieser Kundgebung. Dass dieser Widerstand wirkt, sehe man auch daran, dass bei der Abstimmung über den CDU-Gesetzesentwurf keine Mehrheit mehr zustande kam. „Das wäre ohne den Druck der Straße nicht möglich gewesen.”

Für Monnem Pride und das Queere Zentrum rief Susanne Hun zur Teilnahme auf an dem bundesweiten Aktionstag „Wähl Liebe! Es ist 5 vor 12“. In Mannheim: 15.2.2025, 11:55, Schlosshof.

Wie fühlen sich angesichts der Asyl- und generellen „Ausländer“-Debatte betroffene Zugewanderte? Dazu äußerte der seit 35 Jahren hier arbeitende iranische Oberarzt Dr. Iraj Feridoun-Far in einem spontanen Beitrag zwei Gedanken: Er zitierte den berühmten Spruch über zu späten Widerstand des ev. Theologen Martin Niemöller: „Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist. Als sie die Gewerkschaftler holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschaftler. Als sie die Juden holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Jude. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“ Und er betonte: „Nie wieder ist Jetzt!“

Zum Abschluss der Protestkundgebung kamen noch die Bundestagskandidatinnen von Grünen, SPD und Linke zu Wort: Nina Wellenreuther (Grüne), Isabel Cademartori MdB (SPD) und (in Vertretung der erkrankten Gökay Akbulut MdB) Dennis Ulas (Die Linke).

Die Vertreter:innen der drei Brandmauer-Parteien Dennis Ulas (für Gökay Akbulut), Nina Wellenreuther (Grüne) und Isabel Cademartori (SPD). | Bild: Helmut Roos

Nina Wellenreuther erinnerte an das Erstarken der Nazis „damals“: Sie hatten keine Mehrheit, aber die Konservativen waren zur Zusammenarbeit bereit. „Wie geschichtsvergessen!“ Sie erinnerte auch daran, dass noch vor einem Jahr die demokratischen Parteien an gleicher Stelle zusammen gegen das Erstarken der Rechtsextremen und gegen konspirative Zusammenarbeit mit ihnen auf dem Platz und auf der Bühne waren – heute nicht mehr.

Isabel Cademartori berichtete aus dem Bundestag über die unerträgliche Situation, dass nach dem Auschwitzgedenken die Diskussion und Abstimmung über das “Zustrombegrenzungsgesetz erfolgte mit dem Ergebnis, dass nach dem gemeinschaftlichen Ja von CDU/CSU, FDP und BSW mit der AfD diesmal zwar einige Dissidenten die Mehrheit knapp verhinderten, aber die Zusammenarbeit bereits zur Routine geworden sei. Merz sei mit Ansage in des offene Messer der AfD gelaufen. „Merz muss weg!“ ertönte es darauf aus der Menge.

Cademartori schilderte, wie der Abstimmungsprozess lief: Sie habe zuvor ihre beiden Mannheimer MdB-Kolleg:innen von CDU und FDP angeschrieben und sie aufgefordert, einer Verschiebung des Gesetzentwurfs vor der zweiten Lesung in die Ausschüsse nicht zu widersprechen – vergeblich. Vormittags habe man dann vier Stunden über den Verweis in die zuständigen Ausschüsse heftig, aber ergebnislos diskutiert. Der Knackpunkt sei gewesen, dass die SPD von Merz verlangt habe, auch künftig nicht mit der AfD zusammen strittige Vorlagen durchzupushen, was Merz strikt ablehnte. Im Übrigen sei das Vertrauen in irgendwelche Zusagen von Merz ohnehin erloschen.

Sie rief auf, die Kräfte der Brandmauer, SPD, Grüne und Linke zu stärken. „Auf die Barrikaden! An die Wahlurnen!“ Die Kundgebungsteilnehmer:innen antworten mit dem Lied: „Wehrt euch, leistet Widerstand, | Gegen den Faschismus hier im Land | Auf die Barrikaden, auf die Barrikaden …“

Dennis Ulas  erinnert ebenfalls an die Kundgebung vom 27. Januar 2024: „Das Mäuerchen zwischen CDU und AfD hat nicht mal ein Jahr gehalten.“ Leider habe jetzt das BSW auch aktiv mit der AfD mitgestimmt. Er sei froh, dass das BSW nun eine eigene Partei ist.

Ulas erinnert auch an die vorletzte Landtagswahl in Thüringen vor fünf Jahren, als sich Thomas Kemmerich (FDP) mit Hilfe der Höcke-AfD zum Ministerpräsidenten küren ließ. Nur durch öffentlich Druck sei er zum alsbaldigen Rücktritt gezwungen worden. Inzwischen gebe es immer mehr klare Äußerungen aus verschiedenen Bundesländern und Kommunen v.a. im Osten  zu Gunsten einer Kooperation zwischen CDU und AfD. Man dürfe gespannt sein, wann es auch in Mannheim so weit ist.

Von links nach rechts: Gerhard Fontagnier, Nina Wellenreuther (Grüne), Isabel Cademartori (SPD), Dennis Ulas (Linke) und Marko Andelic | Bild: Helmut Roos

Merz habe bei seinem Amtsantritt als CDU-Vorsitzender die AfD halbieren wollen; jetzt sei sie doppelt so stark. Die CDU sage nichts zur Zunahme der rechtsextremen Gewalttaten und missbrauche stattdessen die grausamen Gewalttaten von psychisch Kranken, um das Grundgesetz anzugreifen.
Ulas versprach, niemals mit der AfD zusammenzuarbeiten. „Statt nach unten zu treten, muss man nach oben schauen und für die Umverteilung kämpfen.“ „Für Menschenrechte, soziale und Umwelt-Gerechtigkeit! Wir sind die Brandmauer!“

Die Versammlung schloss mit der Aufforderung, Friedrich Merz am 6. Februar ca. 13 Uhr vor der Kulturhalle Feudenheim gebührend zu empfangen.

(Text: Thomas Trüper | Fotos: Helmut Roos, KIM)

 

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