IW zu Mieten: „Deutsche Großstädte werden günstiger“ – Nanu?!

Seit Mitte August geistert eine Meldung durch die Presse: „Deutsche Großstädte werden günstiger. Wohnen in deutschen Großstädten ist in den vergangenen fünf Jahren relativ gesehen nicht teurer, sondern günstiger geworden. Denn die Einkommen sind im Schnitt schneller gestiegen als die Mieten und die Selbstnutzerkosten, wie eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW) zeigt.“ (Institut der deutschen Wirtschaft: Pressemeldung Nr. 57, 15.08.2016)

Diese Meldung bezieht sich auf die Betrachtungen des IW-Immobilienexperten Prof. Michael Voigtländer. Er untersuchte die Relation zwischen der „durchschnittlichen Kaufkraft“ bzw. dem „durchschnittlichen verfügbaren Einkommen“ in den Kreisen und Großstädten der Bundesrepublik und den „durchschnittlichen Mieten“ unter der Fragestellung:
Wie viel Quadratmeter Miete kann ich mir für 25% meines verfügbaren Einkommens leisten? Das Ganze im Mehrjahrestrend. Am schlimmsten ist demnach die Lage in Trier (!), Freiburg, Heidelberg und Würzburg (in diesen Städten gibt es 59 bis 64 m² auf die 25% Einkommen), nicht etwa in Berlin, Hamburg, München oder frankfurt/M (68 bis 70m²). Am besten unter den 66 kreisfreien Großstädten über 100.000 Einwohner ist demnach die Lage in Müllheim/Ruhr, Wolfsburg und Chemnitz (98m²).

Wie sieht das IW die Lage in Mannheim?
„Mannheim (Stadtkreis): Für 25 Prozent seines Einkommens erhält ein durchschnittlicher Haushalt 2016 hier eine Wohnung mit 76 Quadratmetern, 1 Prozent mehr als 2010, da waren es 75 Quadratmeter“ (interaktive Karte: http://bit.ly/2c5xk5B)

Wenn man sich heute fragt:
„Wieviel Miete muss ich für eine Wohnung in Mannheim bezahlen?“ dann fragt man nach den „Angebotsmieten“ eben der Wohnungen, die im Angebot sind. Deren Durchschnittspreis in Mannheim beträgt laut immowelt.de im Juli 2016 im Durchschnitt aller angebotenen Mietwohnungen 9,71 Euro. Kleinwohnungen bis 40 m² kosten im Durchschnitt 14,28 Euro. Der Durchschnitt ohne die Kleinwohnungen / Apartments liegt bei 9,06. (http://bit.ly/2cAWVqj)

Zum Vergleich:
Die Durchschnittsmiete lt. Mannheimer Mietspiegel 2014 beträgt 6,71 Euro. Für Neuverträge ist dieser Mietspiegelwert allerdings nach wie vor nicht bindend, weil es immer noch keine Mietbremse bei Neuvermietung gibt. Da machen also die 76 m² (nach immowelet.de-Daten) eine Miete von 689 Euro aus, und somit wird ein verfügbares Haushaltseinkommen von stolzen 2.754 Euro zugrunde gelegt. Man sieht: Die IW-Wissenschaft operiert nach dem statistischen Prinzip von „1 volles und 1 leeres Glas sind zwei halbvolle Gläser“. Wenn die IW-Betrachtung „Entspannung“ suggeriert, so weiß wirklich jeder, dass es auch in Mannheim genau umgekehrt ist.

Die politischen Konsequenzen des IW: Abwegig, aber teilweise auch interessant
Die Schwäche der Durchschnittsbetrachtung bleibt letztlich nicht einmal dem IW verborgen. Denn noch im März waren die Herrschaften doch etwas konkreter: „Allerdings profitieren von der Entwicklung hauptsächlich Gutverdiener und Wohlhabende.“ (IW-PM 16, 29.03.2016 http://bit.ly/1RF3x18).
Und weiter: „Das Problem: Nur für den Durchschnittsverdiener sind Mieten erschwinglicher geworden – Menschen, deren Einkommen nicht gestiegen sind, zahlen für ihre Miete relativ gesehen mehr. ‚Studenten, Auszubildende und Arbeitssuchende‘ werden durch die Wohnkosten stärker belastet als früher“, so IW-Immobilienexperte Michael Voigtländer“, der ein paar der benachteiligten Personengruppen allerdings vergessen hat, wie knapp über Hatz-IV bezahlte Arbeitende, ArmutsrentnerInnen, Alleinerziehende, junge Familien mit unsteten Arbeitsverhältnissen, Geflüchtete etc.

Voigtländer, der darauf hinweist, dass inzwischen Bauen/Kaufen über die Jahre hinweg billiger ist als Mieten, hat auch hier ein Herz für Menschen mit geringem Einkommen: „Auch wenn es ums Kaufen geht, profitieren hauptsächlich Menschen mit hohen Ersparnissen. Denn um eine Wohnung zu kaufen, ist oft Eigenkapital von 50.000 Euro oder mehr nötig, bevor Banken einen Kredit zusagen. ‚Wenn die Politik auch Geringverdienern den Wohnungskauf ermöglichen will, muss sie über staatlich garantierte Kredite nachdenken‘, so Voigtländer.“ Aus dieser Botschaft lässt sich zumindest ein interessanter Gedanke ableiten: Normal- und Geringverdienende, die eine Wohngruppe oder eine kleine Baugenossenschaft gründen wollen (und nicht geerbt haben), leiden ebenfalls unter der Schwierigkeit, ihr Eigenkapital in der Höhe aufzubringen, dass sie dann überhaupt mit den Banken verhandeln können. Hier wären staatliche Garantien nun wirklich angebracht. Denn diese Wohnungen verstärken in der Regel den Teil des Wohnungsbestandes, der nicht der Immobilienspekulation und beliebigen Mietpreistreiberei unterliegt.

Hauptsächlich aber sind die Schlussfolgerungen des IW natürlich erzliberal: Weil angeblich „über die Einkommensgruppen hinweg“ die Einkommen schneller als die Mieten (und Immobilienpreise) wachsen, gilt für das IW: „Die Politik muss daher keine neuen Programme initiieren oder die Wohnungsmärkte stärker regulieren. Die Wohnungsmärkte funktionieren (…). Wichtiger erscheint aufgrund der zunehmenden regionalen Divergenzen, dass die Politik insgesamt dafür sorgt, dass die infrastrukturelle Versorgung ländlicher Räume (Ärzte, Breitband, Verkehr etc.) in Zukunft besser wird.“ Letzterer Gesichtspunkt, der die Landflucht und den Zusammenbruch der Strukturen im ländlichen Raum, aber auch in manchen abgehängten Städten fokussiert, ist durchaus ernst zu nehmen. Ansonsten aber ist genau das Gegenteil der IW-Schlussfolgerungen der Fall:
Es braucht endlich wieder Zuschusss-Programme für den mietpreisgebundenen und Non-Profit-Wohnungsbau, es braucht Mietrechtsänderungen zur Bremsung der Mietpreisentwicklung, denn der unregulierte „Markt“ wird in den Großstädten noch lange vom Wohnungsmangel im bezahlbaren Segment geprägt sein und sich rasant verteuern.

Thomas Trüper